Die Vergabe von Dienstleistungen der Gebäudereinigung (Unterhaltsreinigung und Glasreinigung) bewegt sich in einem äußerst schwierigen Marktumfeld. Seit dem Wegfall des Meistervorbehalts im Jahre 2004 hat sich die Anzahl der Betriebe vervielfacht. Das Gebäudereinigerhandwerk sieht sich daher einem immensen Wettbewerbs- und Kostendruck ausgesetzt, entsprechend intensiv ist der Kampf um den Erhalt öffentlicher Aufträge. Ein vergleichbares Marktumfeld lässt sich auch in einigen anderen Dienstleistungsmärkten beobachten, insbesondere in solchen, in denen ebenfalls tarifliche Mindestlöhne gelten. Bei der rechtssicheren und wirtschaftlichen Gestaltung von Vergabeverfahren zur Beauftragung von Reinigungsdienstleistungen stehen derzeit vor allem zwei Aspekte im Fokus des Vergaberechts:
Zum einen ist es für die Vergabestellen zunehmend schwierig, neben dem Preis weitere aussagekräftige qualitative Wertungskriterien vorzusehen. Die Rechtsprechung der Nachprüfungsinstanzen hat hierzu bereits mehrfach entschieden, dass die Berücksichtigung quantitativer Kriterien, wie beispielsweise Leistungswerte oder Stundenverrechnungssätze, nicht ohne Weiteres möglich ist. Zum anderen spielt die Prüfung der Auskömmlichkeit der Angebote aufgrund des hohen Kostendrucks häufig eine zentrale Rolle. Zu einigen Fragen, die sich im Rahmen der Prüfung der Auskömmlichkeit der Angebote stellen können, hat die Vergabekammer Baden-Württemberg mit bestandskräftigen Beschluss vom 31. Oktober 2012 (1 VK 38/12) Stellung genommen.
Sachverhalt
Die Besonderheit des Falls bestand darin, dass der derzeit für das Gebäudereinigerhandwerk geltende Mindesttariflohn noch bis zum 31. Oktober 2013 Gültigkeit besitzt, für die Zeit danach zwischen den Tarifvertragsparteien aber noch kein neuer Mindesttariflohn festgelegt worden ist. Die Vergabeunterlagen der Antragsgegnerin sahen insoweit vor, dass die Preise entsprechend dem derzeitigen Stand der tariflichen und gesetzlichen Bestimmungen zu kalkulieren und Preiserhöhungen auf Grund von Tarifänderungen möglich sind. Da der Mindesttariflohn in der Lohngruppe 1 West sich zum 1. Januar 2013 von 8,82 EUR auf 9,00 EUR erhöhte, legten die Vergabeunterlagen des Weiteren fest, dass zur Vermeidung einer sofortigen Preisanpassung zu Vertragsbeginn (ebenfalls am 1. Januar 2013) und vor dem Hintergrund der Vergleichbarkeit der Angebote bei deren Kalkulation von dem ab 1. Januar 2013 geltenden Mindesttariflohn für die Lohngruppe 1 West auszugehen war.
Die Beauftragung der Reinigungsleistungen sollte für eine feste Vertragslaufzeit von zwei Jahren (mit einer Option für weitere drei Jahre) erfolgen. Die Antragstellerin nahm das Auslaufen des Mindesttariflohns zum 31. Oktober 2013 zum Anlass, nur bis zu diesem Zeitpunkt mit 9,00 EUR und für die restlichen 14 Monate mit einem wesentlich günstigeren Stundenlohn zu kalkulieren. Zur Begründung verwies die Antragstellerin auf die Beschlüsse der VK Köln vom 16. September 2010 (VK VOL 17/2010), des OLG Jena vom 5. September 2009 (Verg 5/09) und der VK Sachsen vom 25. November 2009 (1 SVK/051-09).
Die Antragsgegnerin war der Auffassung, dass der von der Antragstellerin angebotene Preis nicht auskömmlich kalkuliert worden sei. Der Stundenlohn wurde nur deshalb derartig niedrig angesetzt, um für den Fall, dass erneut ein allgemein verbindlich erklärter Tarifvertrag vorliegen werde, überproportionale Preiserhöhungen erlangen zu können. Zudem hätte es in den vergangenen Jahren stets einen Mindesttariflohn gegeben und es sei daher sehr wahrscheinlich, dass es wieder einen geben werde. Daher lägen gravierende Anhaltspunkte für die Unangemessenheit der angebotenen Preise vor.
Rechtliche Würdigung
Die Vergabekammer Baden-Württemberg weist den Nachprüfungsantrag zurück. Ihrer Auffassung nach bestehen nicht ausgeräumte Zweifel daran, dass die Antragstellerin im Falle der Zuschlagserteilung die Leistung wie angeboten für den vollen Vertragszeitraum erbringen kann.
Allgemeine Feststellungen zur Prüfung der Auskömmlichkeit
Ausgangspunkt der rechtlichen Wertung der Vergabekammer ist die Vorschrift des § 19 Abs. 6 S. 1 EG VOL/A, wonach ein Zuschlag nicht auf Angebote erteilt werden darf, deren Preise in offenbarem Missverhältnis zur Leistung stehen. Bei Zweifeln verlangt der Auftraggeber vom Bieter Aufklärung. Bestehen nach der Aufklärungsphase weiterhin Zweifel, die der Bieter nicht durch plausibles und nachvollziehbares Vorbringen entkräften kann, geht dies zu Lasten des Bieters. Die Regelung des § 19 Abs. 6 S. 2 EG VOL/A soll in erster Linie den öffentlichen Auftraggeber davor schützen, dass der Auftragnehmer infolge wirtschaftlicher Schwierigkeiten leistungsunfähig wird, dass schlecht geleistet wird oder Nachforderungen gestellt werden, die zu ungerechtfertigten Verteuerungen führen. Die Erklärungen des Bieters müssen in sich schlüssig, nachvollziehbar und anhand geeigneter Belege objektiv überprüfbar sein.
Andererseits ist es einem Bieter grundsätzlich auch gestattet, aus Gründen des Wettbewerbs mit niedrigeren Preisen, einer geringeren Gewinnmarge oder sogar ohne Gewinn zu kalkulieren. Dies wird ein Bieter z.B. dann tun, wenn er effizientere Arbeitsmethoden oder Betriebsabläufe entwickelt hat als seine Mitbewerber oder sich bei angespannter Wettbewerbslage und brachliegenden Kapazitäten durch den Auftrag wenigstens einen Deckungsbeitrag zu den Betriebskosten erwirtschaften will.
Ein Auftraggeber darf insoweit den Zuschlag auch auf ein Unterkostenangebot (unauskömmliches Angebot) erteilen. Er muss dann allerdings zusätzlich eine Prognoseentscheidung darüber treffen, ob der Bieter zum angebotenen Preis voraussichtlich zuverlässig und vertragsgerecht wird leisten können.
Prüfung der Auskömmlichkeit im entschiedenen Fall
Nach Auffassung der Kammer wollte die Antragsgegnerin durch die Vorgabe, für die Vertragslaufzeit ohne Differenzierung mit einem Mindestlohn zu kalkulieren, vergleichbare Angebote erhalten. Deshalb war zur Vermeidung einer sofortigen Preisanpassung auch unmittelbar der ab dem 1. Januar 2013 geltende Mindestlohn zu berücksichtigen.
Ob ein öffentlicher Auftraggeber solche kalkulatorische Vorgaben im Rahmen seines Leistungsbestimmungsrechts überhaupt vergaberechtskonform umsetzen kann (vgl. hierzu etwa OLG Düsseldorf, Beschlüsse vom 01.08.2012 und vom 27.06.2012 – Verg 10/12 und Verg 7/12), konnte im Ergebnis offen bleiben, weil ein möglicher Verstoß gegen die Kalkulationsfreiheit der Bieter nicht rechtzeitig gerügt worden war.
Als ausschlaggebend für die fehlende Auskömmlichkeit des Angebots wertete die Kammer, dass die kalkulatorischen Vorgaben – insbesondere in Bezug auf die Anwendung der Preisanpassungsklausel – voraussichtlich dazu führten, dass die Antragstellerin im Rahmen der Vertragslaufzeit nicht die Kosten erstattet erhält, die diese zu bekommen glaubt. Die Antragstellerin hatte nämlich sowohl bei der Prüfung der Auskömmlichkeit ihres Angebots im Vergabeverfahren als auch im Nachprüfungsverfahren zu erkennen gegeben, dass die Preisgleitung ihrer Ansicht nach nicht auf Basis des vorgegebenen Mindesttariflohns, sondern ihres deutlich günstigeren (mischkalkulierten) Stundenlohns erfolgen müsste.
Die Vergabekammer Baden-Württemberg folgert vor diesem Hintergrund, dass der Ausschluss wegen fehlender Auskömmlichkeit vergaberechtskonform erfolgte. Zwar handele es sich bei der Antragstellerin um ein großes Unternehmen, so dass eine Schlechtleistung oder Nichtleistung grundsätzlich nicht zu befürchten sei. Sollte ab dem 1. November 2013 aber doch ein verbindlicher neuer Mindestlohntarifvertrag mit einem Mindestlohn von über 9,00 EUR in Kraft treten, müsse die Antragsgegnerin befürchten, dass die Antragstellerin versuchen wird, nicht gerechtfertigte Nachforderungen zu stellen, die den Auftrag für die Vergabestelle erheblich verteuerte. Die Antragsgegnerin musste daher nicht sehenden Auges eine spätere gerichtliche Auseinandersetzung wegen Nachforderungen riskieren.
Die Entscheidung der Vergabekammer Baden-Württemberg bestätigt zum einen, dass für einen Angebotsausschluss wegen mangelnder Auskömmlichkeit hohe Anforderungen zu beachten sind (vgl. hierzu auch den Beitrag des Autors hier). Zum anderen verfestigt sich die Rechtsprechung der Nachprüfungsinstanzen, wonach verbindliche kalkulatorische Vorgaben für die Bieter vergaberechtlich grundsätzlich kritisch sind und die Kalkulation daher im Rahmen der Prüfung der Auskömmlichkeit der Angebote gewürdigt werden muss. Von einem Bieter geforderte Erklärungen müssen in sich schlüssig, nachvollziehbar und anhand geeigneter Belege objektiv überprüfbar sein. Bei der Auskömmlichkeitsprüfung kommt der Vergabestelle ein Ermessensspielraum zu, weil es sich um eine Prognoseentscheidung handelt. Dieser Spielraum muss stets in vergaberechtlich zulässiger Weise ausgefüllt werden. Das bedeutet, dass die Entscheidung im jeweiligen Einzelfall sorgfältig und – gerade für den Fall eines möglichen Nachprüfungsverfahrens – nachvollziehbar begründet werden muss.
Der Beschluss betont mit der Besorgnis einer wahrscheinlichen gerichtlichen Auseinandersetzung eine bislang wenig beachtete Facette der Auskömmlichkeitsprüfung. Auch eine solche subjektive Einschätzung muss indes mit objektiven Faktoren unterlegt werden, die dokumentieren, dass tatsächlich ungerechtfertigte Nachforderungen drohen. Besonderes Augenmerk ist außerdem bei der Verwendung von Preisanpassungsklauseln geboten: Auf welche Weise die Berücksichtung derartiger Preisgleitklauseln, die an zwingende kalkulatorische Vorgaben anknüpfen, überhaupt noch möglich ist, lässt die Entscheidung nämlich offen.
Dr. Martin Ott
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
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