Klaus-Peter Tiedtke, Jahrgang 1949, leitete seit dem 1. November 2008 das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern. Mit Ende dieser Woche, also morgen, räumt er den Chefsessel – nicht ganz freiwillig. Marco Junk (Vergabeblog) sprach mit ihm über die zurückliegende Zeit, Erfolge und Niederlagen, die Zukunft des Beschaffungsamtes, insbesondere über das Thema Nachhaltigkeit, und über Wertschätzung in den eigenen Reihen.
Auf welche Leistung Ihrer Amtszeit sind Sie stolz, Herr Tiedtke?
Es war ein hartes Stück Arbeit, aber: Die hausinterne Kommunikation, der persönliche Umgang im Kreis der Kolleginnen und Kollegen, mit Vorgesetzten und auch insbesondere mit mir als Direktor ist offener geworden. Bei den Themen, die Erfreuliches beinhalten, ist das kein Kunststück. Aber auch bei den Sorgen und Nöten Einzelner gelingt dies heute schon so gut, dass ich mir um die weitere positive Entwicklung keine Sorgen mache. Man begegnet mir mit konstruktiver Kritik. Das ist mir sehr wichtig, denn nur so weiß ich, was genau verbessert werden muss und wie.
Den Stolz auf eine eigene Leistung muss ich also dahin relativieren, inwieweit es der gesamten Leitungsebene gelungen ist, die anvertrauten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf unserem Weg mitzunehmen – und auf diesem Weg haben wir Erfolge vorzuzeigen.
Was hinterlassen Sie dem Amt?
Bleiben wird zunächst einmal das neue moderne Bürogebäude, das ich so konzipieren ließ, dass es die Kommunikationsfähigkeit optimal fördert.
Unumkehrbar ist auch der Weg, in den Vergabeverfahren, im Beschaffungswesen insgesamt die Nachhaltigkeitskriterien zu manifestieren; das Beschaffungsamt hat das Zertifikat „Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung“ erhalten.
Die technische Kommunikation mit der Bieterlandschaft mittels der elektronischen vergabeplattform „eVergabe“ ist nicht nur durch eine neue Hardware und eine neu programmierte Software auf stabile Füße gestellt worden, sondern durch die XML-Schnittstelle „X-Vergabe“ für alle Vergabestellen des Bundes, der Länder und Kommunen sowie für die gesamte Bieterlandschaft nutzbar. Sogar die EU-Kommission ist darauf aufmerksam geworden.
Das Verhältnis der Dienststellenleitung zur Personalvertretung, zur Gleichstellungsbeauftragten und zur Schwerbehindertenvertretung ist von wirklich vertrauensvollem Miteinander geprägt. Auf dieser Basis kann jede Führungskraft selbst schwierige Probleme lösen.
Gibt es auch etwas, das Sie bedauern?
Am meisten bedauere ich, dass es mir nicht gelungen ist, das elektronische Hauptarbeitsmittel meiner Beschafferinnen und Beschaffer funktionstüchtig und beschwerdefrei hinzubekommen: ein Workflowsystem, das den hausinternen Vergabeprozess optimiert. Das Projekt ist bis Ende 2013 terminiert; das hätte ich noch gerne erlebt.
Zu bedauern ist auch, dass sich das gute Verhältnis zur Leitung der Fachabteilung, Abt. O im BMI nicht auch auf die anderen Abteilungen des Ministeriums ausgewirkt hat. Ich hätte sehr gern die Wertschätzung für die Leistung des Beschaffungsamtes im Allgemeinen und für die Nachhaltigkeitskriterien im Besonderen, wie sie aus den anderen Behörden kommt, auch von den Bedarfsträgern im Ministerium erhalten.
Welche Themen werden Ihrer Meinung nach in der Zukunft wichtig für das BeschA?
Schafft man es in der nächsten Legislaturperiode, das Projekt „DLZ-Beschaffung“ erfolgreich voranzubringen? Immerhin waren wir der Lösung schon sehr nahe, bis der BMF sie gestoppt hat. Angesichts der zu knappen Ressourcenlage für die Aufgabenerledigung im Beschaffungsamt könnte man Entlastung durch Einbindung der Bedarfsträger in eine qualifiziertere Bedarfsbeschreibung schaffen.
Natürlich wird die Nachhaltigkeit ein weiter wachsendes Thema sein: Die Abstimmung mit dem BITKOM-Branchenverband hinsichtlich der stufenweisen Verstärkung der Nachhaltigkeitskriterien in den Ausschreibungen des Beschaffungsamtes war ein Startsignal. Vereinbarungen mit anderen Branchenverbänden müssen folgen; Textil steht als nächstes auf der Agenda. Bei den Bemühungen um Nachhaltige Beschaffung muss man der Einbindung der NGOs erhöhte Aufmerksamkeit zollen. Etwa: Können NGOs mit ihrem weltumspannenden Netzwerk die Validität der Zusagen von Bietern prüfen, die die Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen oder von ökologischen Standards zusichern? Die Bezahlung solcher Leistungen wird diskutiert werden müssen.
Wie sieht Ihrer Meinung nach die Zukunft der elektronischen Vergabe aus?
Die elektronische Vergabe wird den öffentlichen Einkauf in Zukunft deutlich ändern. Bisher ging es nur darum, die papiergebundenen Prozesse in elektronische umzuwandeln – mit mehr oder weniger Unterstützung beim eigentlichen Prozess. Die geringe Akzeptanz bisher, hervorgerufen durch die Vielzahl an Plattformen und deren mangelnder Interoperabilität, wird durch XVergabe gelöst werden. Und mit der kommenden verpflichtenden Nutzung von öffentlichen Ausschreibungen über eVergabe werden die formalen Prozesse weiter optimiert. Immer mehr öffentliche Einrichtungen und Behörden werden sich zusammenschließen und Einkaufsgemeinschaften bilden. Dadurch wird die Anzahl der Ausschreibungen in den nächsten Jahren kontinuierlich abnehmen. Ab dem Moment, an dem wir nicht mehr von eVergabe sprechen, sondern wieder nur noch von Vergabe, werden die elektronischen Prozesse für alle öffentlichen Behörden und Unternehmen ein integraler Bestandteil sein und nichts Besonderes mehr. Ein Bieter wird zu diesem Zeitpunkt ohne technische Hürden mit seiner bevorzugten Bieteranwendung an allen elektronischen Ausschreibungen innerhalb der EU per Mausklick teilnehmen können. Darüber hinaus wird es den neuen Personalausweis als Signaturmöglichkeit geben, und die e-Rechnung wird die herkömmliche Papierrechnung ersetzen.
Welche Schwierigkeiten mussten/konnten beim Einsatz für mehr Nachhaltigkeit überwunden werden?
Bei den Bedarfsträgerbehörden bestanden Bedenken, ob die erwarteten Produkte nicht zu teuer würden oder ob sich das Verfahren nicht zu stark in die Länge zöge.
Bei Textilprodukten (Dienst- und Arbeitskleidung) konnten wir diese Bedenken ausräumen. Außerdem wollten insbesondere THW und Bundespolizei nicht eines Tages mit Schlagzeilen in Verbindung gebracht werden, wonach bei der Produktion Kinder in Fernost ausgebeutet würden. Daher werden schon seit langem die Anforderungen an Qualität und Produktionsbedingungen derart hoch veranschlagt, dass die bekannt gewordenen Billighersteller in Fernost schon gar kein Angebot mehr abgeben. Außerdem kontrollieren die Qualitätsprüfer des Beschaffungsamtes bei den in Europa produzierenden Firmen.
Bei der Realisierung der Vorgaben der Bundesregierung, beim Papierverbrauch den Anteil an Recyclingpapier zu erhöhen, schaue ich etwas neidisch auf die Stadt Bonn, die schon mehrfach ausgezeichnet wurde, weil sie den behördlichen Papierverbrauch auf 100% Recyclingpapier ausgeweitet hat. Immerhin sind wir bei einigen Bundesbehörden schon fast soweit. Es gibt aber noch erstaunlich viel Unwissenheit.
Welche stehen noch bevor?
Vordringlich sind es handwerkliche Hilfen, die noch nicht ausreichen. Wir kommen nicht weiter, wenn die Beschaffer in ihren Ausschreibungstexten die Passagen zur Nachhaltigkeit stets selbst entwickeln und formulieren müssen. Es ist auch nicht zielführend, schablonenhaft Bietererklärungen zu verlangen, von denen man weiß, dass die darin versicherte Realität so nicht existiert. Die Webplattform der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung, die seit Mai zur Verfügung steht, soll das ändern, muss sich aber erst noch etablieren.
Die Schlüsselfrage zur Nachhaltigkeit der nachhaltigen Beschaffung ist: Wie stellen wir sicher, dass die sozialen und die ökologischen Kriterien in der gesamten (!) Lieferkette auch wirklich eingehalten werden? Alternativ bleibt nur der Weg zur Ehrlichkeit, zu bekennen: Wir können Nachhaltigkeit nicht zu 100 Prozent erreichen, sondern produktspezifisch nur bis zu dem Punkt x.
Ein weiteres Problem: Das Vergaberecht hat die Nachhaltigkeitskriterien als „Kann“-Bestimmung in § 97 GWB aufgenommen. Immerhin, früher waren es noch vergabefremde Kriterien! Zur Verwirklichung der Ziele der Bundesregierung wäre es aber stringenter, aus der „Kann“-Bestimmung eine „Soll“-Vorschrift zu machen. „Soll“ bedeutet für die Verwaltung: „Muss“, es sei denn man hat im Einzelfall eine gute Begründung dagegen.
Wichtig auch: Die Parlamentarier in den Haushaltsausschüssen bewilligen Mittel für Beschaffungen, ohne einen Überblick zu haben: Was wird eigentlich für Beschaffung ausgegeben? Respektive für nachhaltige Beschaffung? Es gibt derzeit keine valide Zahl! Dabei wäre es so einfach, diesen Überblick zu bekommen: Man bräuchte nur bei jedem elektronischen Zahlungsvorgang eine schlichte Funktionskennziffer mitlaufen zu lassen – mit der Codierung: das ist eine Beschaffung –, und schon hätte man am Ende des Haushaltsjahres auf Knopfdruck die Auswertung.
Woher kam Ihr Interesse an dem Thema?
Vor einigen Jahren hatte ich mit Vertretern der IT-Branche ein Gespräch, in dem man mich auf einen firmeninternen Code of conduct aufmerksam machte, wo man sich zu den Nachhaltigkeitskriterien bekannte. Einen privaten Besuch in Fernost habe ich dann genutzt, mir einen persönlichen Eindruck von den Produktionsbedingungen zu verschaffen. Das war der Auslöser. An dieser Episode kann man übrigens auch erkennen, dass ein Bemühen um Nachhaltigkeit in der Industrie durchaus vorhanden ist. Es gilt, diese Bemühungen zu unterstützen und die Industrie bei der weiteren Entwicklung einzubinden, statt sie durch allzu strenge Vorgaben in die Defensive zu treiben.
Welcher Vorteil ergibt sich aus der Existenz der Kompetenzstelle für nachhaltige Beschaffung (KNB) für die Behördenlandschaft?
Der Vorteil ergibt sich bereits aus dem Auftrag: Die Beschaffer in Bund, Ländern und Kommunen bekommen kopierfähige Texte, die das Problem lösen: Wie formuliert man Nachhaltigkeitskriterien in einer Ausschreibung – und zwar so, dass sie gerichtsfest sind.
Und welcher Vorteil ergibt sich daraus für das BeschA?
Für die Beschaffer des BeschA ist es der gleiche Vorteil. Für das BeschA insgesamt ist es natürlich ein Image-Gewinn.
Welche Erfahrungen nehmen Sie aus Ihrer Amtszeit mit?
In 35 Jahren habe ich im BMI-Bereich viel erlebt und war in vielen Behörden tätig. In jeder Behörde waren die Erfahrungen einzigartig. Im BeschA habe ich erlebt, wie gut die Kombination von Juristen/Verwaltungsfachleuten mit anderen Fachdisziplinen ist: mit Technikern, Ingenieuren, Betriebswirten. Die Bedenkenträger agieren hier lösungsorientiert.
Was möchten Sie Ihrem/Ihrer Nachfolgerin mit auf dem Weg geben?
Hier kann es keinem Direktor langweilig werden.
Sie sind „gelernter Jurist“, gerade mit Blick auf das rechtlich heillos komplizierte Beschaffungswesen wird man Sie aber immer als einen Mann der Tat in Erinnerung behalten, der die Dinge – trotz allen Zweiflern und Bedenkenträgern – angepackt und umgesetzt hat. Offen gefragt: Macht man sich damit mehr Freunde oder Feinde?
Die Rede der Bundeskanzlerin am 13. Mai 2013 und der von ihr persönlich vorgenommene Start der Web-basierten Nachhaltigkeitsplattform fasste in einem Moment all das zusammen, was ich in den Jahren erlebt habe: Anerkennung und Ermutigung für das Vorangehen bei der Entwicklung des Beschaffungswesens. Das tat gut.
Vielen Dank für das Interview!
Über Klaus-Peter Tiedtke:
Klaus-Peter Tiedtke wurde 1949 in Bremerhaven geboren. Nach dem Jura-Studium in Köln und dem Referendariat im OLG-Bezirk Düsseldorf wurde er 1978 beim Bundesverwaltungsamt in Köln eingestellt. Er leitete die Ausbildung der Nachwuchsbeamten des mittleren und des gehobenen Dienstes, das Organisations- und das Personalreferat. Nach seiner Abordnung in das Bundesinnenministerium baute er die Aussiedlerabteilung des BVA auf. Er übernahm dann die Abteilung Sport- und Kulturförderung mit Sonderaufgaben „Aufbau-Ost“. 1992 war er am Aufbau der Behörde des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen beteiligt. Von dort ging er nach Nürnberg und gestaltete als Abteilungsleiter den Aufbau des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge und den Umbau zum Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, sowohl in der Zentralabteilung, als auch zuletzt in der Abteilung „Internationale Aufgaben, Migrationsforschung und –grundsatzangelegenheiten sowie Informations- und Kommunikationstechnik“. Nach Durchführung des BMI-Auftrags „Sonderprüfung Doping“, übernahm er am 1. August 2007 im Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe die Funktion des Vizepräsidenten. Seit dem 1. November 2008 leitete er das Beschaffungsamt des Bundesministeriums des Innern.
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