Die Wertung von Angeboten gibt für die Bieter noch immer so manches Rätsel auf. Dabei ist es im Kern ganz einfach: Nur Bekanntgemachtes darf im Bewertungssystem Verwendung finden, hingegen müssen nicht bekanntgemachte Kriterien und Wertungsmaßstäbe außen vor bleiben. Gesagt, getan, so mag man denken. Wie es dabei einer ausschreibenden Stelle jedoch im Einzelnen erging, lesen Sie nachfolgend.
Bewertungssystem
Die VSt. schrieb Planungsleistungen für einen Neubau im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Öffentlichen Teilnahmewettbewerb aus. Zum Kriterium der technischen Leistungsfähigkeit ist in der Vergabebekanntmachung die Angabe von Referenzprojekten verlangt. In der Vergabeakte findet sich eine (nur intern verwendete) ergänzte Bewertungsmatrix, in der die einzelnen Unterkriterien und die hierfür vorgesehene Punkteverteilung aufgeführt sind. In dieser ist den einzelnen Kriterien jeweils eine Punkteverteilung beigefügt. Ein Kriterium wurde mit „X“ gekennzeichnet und aus der Wertung herausgenommen.
Eine Erläuterung zur Punkteverteilung findet sich hingegen nicht. 5 Bewerber sollten zum Verhandlungsverfahren eingeladen werden. Die Antragstellerin (ASt.), die sich mit einem Teilnahmeantrag an dem Verfahren beteiligt hat, erhielt die Mitteilung, dass ihre Bewerbung für die zweite Stufe des Verfahrens nicht mehr berücksichtigt werden könne, weil sie hierfür keine ausreichende Punktzahl erreicht habe. Die ASt. bat daraufhin, ihr die erreichte Punktzahl, die Punktabzüge bei den einzelnen Kriterien und auch die Punkte desjenigen Bewerbers mitzuteilen, der wertungsmäßig noch als fünfter für das Vergabeverfahren ausgewählt worden war. Darüber wurde ihr telefonisch Auskunft gegeben. Die ASt. rügte eine nicht korrekte Punkteverteilung. So seien bei ihr Abzüge aufgrund von Kriterien vorgenommen worden, die nicht in der Auslobung genannt waren.
Nach Übersendung einer Bewertung des Angebots, aus der lediglich die erreichte Gesamtpunktzahl für die jeweiligen Unterkriterien hervorging, kritisierte die ASt., dass aus der Bewertungsmatrix nicht ersichtlich sei, welche Maximalpunktzahl bei den einzelnen Kriterien jeweils zu erreichen war.
Bieter beanstandet Verwendung unbekannter Kriterien
Mit ihrem Nachprüfungsantrag fasst die ASt. ihre Rügen als Verstöße gegen den Transparenzgrundsatz und das Gleichbehandlungsgebot zusammen. Die VSt. habe bei ihrer Wertung zuvor nicht bekanntgemachte Bewertungskriterien verwendet, so bspw. hinsichtlich der architektonischen Qualität und des städtebaulichen Kontextes der Referenzprojekte.
Die VSt. beruft sich auf den ihr bei der Wertung zustehenden erheblichen Ermessensspielraum und ist im Übrigen der Meinung, dass die verwerteten Kriterien des städtebaulichen Kontextes und der Qualität schon bei der Beschreibung des Auftragsgegenstandes in der Auftragsbekanntmachung berücksichtigt worden seien. Die VSt. vertieft ihren Vortrag im Hinblick auf den ihr zustehenden Ermessensspielraum mit dem Argument, dass die Erstellung einer Bewertungsmatrix für die erste Wertungsstufe gar nicht notwendig gewesen sei.
Handeln spätestens bis Ende der Bewerbungsfrist
Der Nachprüfungsantrag hat Erfolg. Die ASt. ist in ihren Rechten nach § 97 VII GWB verletzt. Die VSt. hat die für die Auswahlentscheidung verwendete Bewertungsmatrix nicht vollständig bekannt gegeben. Die VSt. hat zwar die Unterkriterien, nicht jedoch die Punkteverteilung hinsichtlich der einzelnen Unterkriterien den Bewerbern mitgeteilt. Erforderlich ist nach Auffassung der Kammer eine Bekanntgabe spätestens vor dem Ende der Bewerbungsfrist.
Gemäß § 10 II VOF sind die für die Bewerberauswahl maßgeblichen Eignungskriterien im Rahmen der Vorbereitung des Vergabeverfahrens festzulegen und in der Bekanntmachung anzugeben. Es genügt hierbei, wenn der Auftraggeber seine Anforderungen an die Kriterien der wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit sowie der fachlichen Eignung so formuliert, dass sich daraus hinreichend deutlich ergibt, welche Bewerber als geeignet angesehen werden. Diese müssen sich darauf einstellen können und in der Lage sein, anhand der bekanntgegebenen Eignungsgesichtspunkte aussagekräftige Angaben zu machen. Eine Verpflichtung, die vorgesehenen Auswahlkriterien zu gewichten, besteht allerdings nicht. Wenn der öffentliche Auftraggeber jedoch eine Bewertungsmatrix verwendet, so hat er diese vor Ablauf der Bewerbungsfrist, und damit, bevor er von den Bewerbungen Kenntnis hat, festzulegen (stets besser: alles komplett in der Bekanntmachung publizieren).
Vorliegend verstößt die Vorgehensweise der VSt. gegen den Transparenzgrundsatz. Im VOF-Verfahren hat die Vergabestelle zwar einen weiten Beurteilungsspielraum für die Auswahlentscheidung (OLG München, Beschl. v. 28.04.2006, Verg 6/06). Entscheidet sie sich aber für die Verwendung einer detailliert untergliederten Bewertungsmatrix, engt sie den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum ein. An diese selbst gesetzte Wertungsvorgabe ist sie aus Gründen der Gleichbehandlung und Transparenz gebunden. Diese Bindung bezieht sich nicht nur auf die Kriterien als solche, sondern auch auf die für die Auswahl entscheidende Gewichtung. Entscheidend ist, dass die Bewerber auch die vorgesehene Gewichtung der Kriterien ihrem Teilnahmeantrag zugrunde legen können (OLG München, Beschl. v. 28.06.2006, Verg 6/06). Hier hat die VSt. es versäumt, die Gewichtung der einzelnen Unterkriterien vor dem Ende der Bewerbungsfrist bekannt zu geben. Nach eigenen Angaben hat sie die Bewertung der Unterkriterien schon vor Bekanntgabe des Bewerbungsverfahrens festgelegt.
Ermessensüberschreitung
Die VSt. darf für die Auswahlentscheidung keine Kriterien bewerten, die sie in der bekannt gemachten Bewertungsmatrix nicht aufgeführt hat. Gegen dieses Wertungsgebot hat sie hier ebenfalls verstoßen. Hierdurch hat sie ihren Beurteilungsspielraum überschritten, was im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens allein überprüft werden kann. Ermessensfehlerhaft wegen Anwendung eines fehlerhaften Beurteilungsmaßstabs handelt der Auftraggeber dann, wenn er von zuvor mitgeteilten Kriterien dadurch abweicht, dass er einzelne dieser Kriterien nicht berücksichtigt oder stattdessen nicht bekannt gegebene Kriterien anwendet. So hat die VSt. hier bei dem von der ASt. angebotenen Software Programm einen Punkteabzug vorgenommen, obwohl zu der Art der Software in der bekannt gegebenen Bewertungsmatrix keine näheren Vorgaben gemacht waren.
Entgegen der Auffassung der ASt. hatte die VSt. einen Nachweis über besondere Erfahrungen im Hochschulbau ausdrücklich gefordert. Ob die Wertung des Kriteriums „städtebaulicher Kontext“ korrekt erfolgt war, kann nach Auffassung der VK offenbleiben – dagegen spricht, dass es sich um ein überraschendes Kriterium handeln könnte, mit dem ein verständiger Bewerber nicht rechnen muss (OLG München, a.a.O.).
Die VSt. hat ihren Beurteilungsspielraum auch insoweit überschritten, als sie bei ihrer Auswahlentscheidung nicht alle bekannt gemachten Kriterien berücksichtigt hat. Die unterlassene Berücksichtigung zuvor mitgeteilter Auswahlkriterien ist ebenfalls vergaberechtswidrig. Das Auswahlverfahren war aufgrund dieser Verstöße zu wiederholen.
Die Entscheidung macht deutlich, dass die Kriterien für die Bestimmung des wirtschaftlich günstigsten Angebots den Bietern zum Zeitpunkt der Vorbereitung ihrer Angebote bekannt sein müssen. Dies hat der EuGH in einer Entscheidung von 2005 (Urt. v. 24.11.2005, C-331/04, Slg. 2005, I-10109, NZBau 2006, 193) herausgestellt, darin an ein älteres Urteil anknüpfend (EuGH, Urt. v. 12.12.2002, C-470/99, Slg. 2002, I-11617). Es entspricht auch einer inzwischen gefestigten Rechtsprechung (vgl. OLG München, Beschl. v. 17.01.2008, Verg 15/07, NZBau 2008, 280). Die VK Nordbayern hat diese Linie bereits in einer Entscheidung aus 2011, auch im Hinblick auf ein VOF-Verfahren, vertreten (Beschl. v. 18.02.2011, 21. VK-3194 – 45/10).
Die Bindung an die zuvor bekannt gemachten Wertungskriterien lässt sich in der Terminologie des allgemeinen Verwaltungsrecht als Fall der Selbstbindung der Verwaltung verstehen, vergaberechtlich fordern dies die Grundsätze der Transparenz und Gleichbehandlung.
Die Entscheidung spricht auch die noch immer sehr virulente Frage Problem der Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien an. Die ASt. macht geltend, die VSt. habe das Kriterium des städtebaulichen Kontextes als eines auftragsbezogenen Kriteriums nicht auf der ersten Stufe des Verfahrens berücksichtigen dürfen, auf der es allein um die Feststellung der Eignung gehe. Hierin liege also eine unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien.
Auch wenn die Unterscheidung zwischen rein bieterbezogenen und rein angebotsbezogenen Kriterien nicht immer einfach ist, so fordert die Rechtsprechung deren grundsätzliche Trennung (BGH, Beschl. v. 15.04.2008, X ZR 129/06, NZBau 2008, 505; Urt. v. 08.09.1998, X ZR 109/96, VergabeR 2010, 772). Das bedeutet auch: ein „Mehr an Eignung“ darf es nicht geben.
Die VK hat jedoch in Leitsatz 2 eine Formulierung gewählt, die den Eindruck erweckt, als ob dies für zulässig gehalten wird:
„Der Auftraggeber muss im Rahmen der Vergabevorbereitung festlegen und in der Vergabebekanntmachung angeben, welchen Eignungskriterien er im Hinblick auf die Bewerberauswahl eine besondere Bedeutung beimessen will, nach welchen Umständen er also beurteilen will, ob ein Bewerber im Verhältnis zu seinen Mitbewerbern mehr oder weniger geeignet erscheint.“
Inhaltlich bedeutet das Verbot der Berücksichtigung eines „Mehr an Eignung“, dass die Eignungsfrage nicht über die Frage der Wirtschaftlichkeit des Angebots entscheiden darf. Mit anderen Worten: die Erfüllung der Eignungskriterien kann ein „Minus“ bei den auftragsbezogenen Kriterien nicht ausgleichen, die Anforderungen der zweiten Stufe dürfen durch ein „Plus“ bei der Eignung nicht herabgesetzt werden. Damit wird deutlich: ungeachtet der insoweit missverständlichen Formulierung ist LS 2 nicht im Sinne der Berücksichtigung eines „Mehr an Eignung“ gemeint. Hier ging es darum, insgesamt 5 Bewerber auszuwählen, die zur zweiten Verfahrensstufe zugelassen würden. Die ASt. war – aufgrund der hier festgestellten Wertungsfehler – nicht unter diesen 5 Bewerbern, so dass hier ein „Weniger an Eignung“ bei ihr dazu geführt hat, dass sie auf der zweiten Stufe nicht mehr berücksichtigt wurde.
Ausblick
Ob und vor allem inwieweit eignungsbezogene Kriterien beim Zuschlag durch die zu erwartenden Rechtsänderungen wieder zumindest in einigen Bereichen „hoffähig“ werden, bleibt abzuwarten (vgl. den Beitrag von Wiehler, „Neue Vergabeverordnung“ und von Fritz, zu OLG Frankfurt, Beschluss v. 28.05.2013 – 11 Verg 6/13). Jedenfalls sind die buchstäblichen „Schmerzen“ vieler öffentlicher Auftraggeber in denjenigen Fällen von Vergaben, die einen besonderen Erfahrungshorizont von Bietern erfordern (sog. Dienstleistungen mit starkem persönlichem Einschlag), auf Basis des bisherigen strikten Trennungsgebotes zwischen Eignungs- und Zuschlagskriterien sehr groß. Sie sind auch deshalb besonders groß, weil z.T. unterschiedliche Rechtsprechung existiert, die in Einzelfällen immer wieder gewisse Eignungskriterien in der Zuschlagsbewertung für statthaft erachtet.
Der Autor, Dr. Rainer Noch, ist Rechtsanwalt bei Böck Oppler Hering, München. Er berät und vertritt insbesondere öffentliche Auftraggeber, aber auch Bieter und Verbände, in allen Fragen des Ausschreibungsrechts, speziell auch im Dienstleistungsbereich. Mehr Informationen finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.
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