Zuweilen interessieren sich neben Unternehmen der Privatwirtschaft auch öffentliche Auftraggeber für öffentliche Aufträge. Nicht selten können sie die Leistungen ebenso wirtschaftlich wie die private Konkurrenz erbringen. Die Frage ist: Dürfen sie dies auch? Das OLG Düsseldorf hat dies aus Sicht des Vergaberechts grundsätzlich bejaht, und zwar ungeachtet der Rechtsform des Auftraggebers. Einzige Bedingung: Das nationale Recht erlaubt die Leistungserbringung.
§§ 2 Abs. 1 Nr. 2 S. 1, 6 Abs. 1 Nr. 3 EG VOB/A, § 107 Abs. 1 S. 1 GO NRW, § 97 Abs. 1 GWB
Sachverhalt
Eine Kreispolizeibehörde in Nordrhein-Westfalen schrieb in einem europaweiten Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb die Neuunterbringung der Polizeiwache in einer kreisangehörigen Stadt aus. Es sollte ein Mietvertrag über ein nach den Anforderungen der Auftraggeberin neu zu errichtendes oder über ein nach diesen Anforderungen umzubauendes Gebäude abgeschlossen werden. Das Grundstück sollte also der Auftragnehmer zur Verfügung stellen. Neben einigen Unternehmen der Privatwirtschaft beteiligte sich auch eine andere kreisangehörige Stadt (im Folgenden Kommune) als Bieterin an dem Verfahren.
Aufgrund einzelner Ausschreibungsbedingungen (zu enge Terminplanung und Verbot von Nebenangeboten) nahm die Kommune zunächst Abstand von einer weiteren Teilnahme. Für den Fall einer Änderung dieser Bedingungen signalisierte sie aber weiterhin Interesse an dem Auftrag. Später passte die Auftraggeberin die Terminplanung in diesen Punkten an. Die Kommune unterrichte sie nicht. Diese erfuhr erst aus der Tagespresse davon und rügte ihre unterbliebene erneute Beteiligung.
Die Entscheidung
Zu Recht, wie der Vergabesenat entschied. Denn mit ihrer Bereitschaft zu einer erneuten Teilnahme unter den veränderten Bedingungen signalisierte die Kommune ihr fortbestehendes Interesse am Auftrag. Dass sie sich zunächst aus dem Verfahren zurückzog, lässt deshalb ihre Antragsbefugnis nicht entfallen. Das OLG Düsseldorf hatte auch keine Einwände dagegen, dass die Kommune als öffentliche Auftraggeberin in die Rolle eines Bieters schlüpfen und ein Angebot abgeben wollte. Trotzdem wurde der Nachprüfungsantrag abgewiesen! Begründung: Die Kommune hat sich wettbewerbswidrig verhalten. Deshalb hätte sie zwingend vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden müssen. Dass die Auftraggeberin ihr vergaberechtswidrig keinen Hinweis auf die veränderten Bedingungen gab, wirkte sich deshalb nicht zum Nachteil der Kommune aus.
Rechtliche Würdigung
Was war passiert? Zunächst ist es grundsätzlich vergaberechtlich unproblematisch, dass sich die Kommune mit einem geeigneten Grundstück als Bieterin an dem Vergabeverfahren für die Neuunterbringung der Polizeiwache beteiligte, auch wenn sie selbst zugleich öffentliche Auftraggeberin ist. Zwar bestimmt § 6 Abs. 1 Nr. 3 EG VOB/A:
„Justizvollzugsanstalten, Einrichtungen der Jugendhilfe, Aus- und Fortbildungsstätten und ähnliche Einrichtungen sowie Betriebe der öffentlichen Hand und Verwaltungen sind zum Wettbewerb mit gewerblichen Unternehmen nicht zuzulassen.“
Unter Verweis auf ein Urteil des EuGH vom 23.12.2009 (Rs. C-305/08 Universitäten als Bieter) erklärte der Vergabesenat die Vorschrift jedoch für europarechtswidrig. Denn das Europarecht beschränkt die Teilnahme an Vergabeverfahren nicht auf unternehmerisch strukturierte Wirtschaftsteilnehmer oder auf bestimmte Rechts- oder Organisationsformen. Das generelle Verbot der öffentlichen Hand und ihrer Einrichtungen, als Bieter an Vergabeverfahren teilzunehmen, ist damit nicht vereinbar.
Kommunalwirtschaftsrecht als Grenze
Allerdings muss der betreffende Bieter hier die Kommune nach nationalem Recht auch berechtigt sein, die ausgeschriebenen Leistungen zu erbringen. Eine Grenze zieht hier vor allem das Kommunalwirtschaftsrecht, das eine wirtschaftliche Betätigung von Kommunen nur unter bestimmten Bedingungen zulässt. § 107 Abs. 1 GO NRW (bzw. die vergleichbare Norm der anderen Bundesländer) lässt eine kommunalwirtschaftliche Betätigung nur zu, wenn
· ein öffentlicher Zweck die Betätigung erfordert,
· die Betätigung nach Art und Umfang in einem angemessenen Verhältnis zu der Leistungsfähigkeit der Kommune steht und
· der öffentliche Zweck durch andere Unternehmen nicht besser und wirtschaftlicher erfüllt werden kann (gilt nicht bei Wasserversorgung, Öffentlichem Verkehr und Telekommunikation).
Hieran gemessen hält der Vergabesenat eine Teilnahme der Kommune als Bieterin an dem konkreten Vergabeverfahren für zulässig. Als Eigentümerin des für die Polizeiwache in Frage kommenden Grundstücks ist sie verpflichtet, dieses wirtschaftlich zu verwalten (§ 90 Abs. 2 GO NRW). Demnach darf sie versuchen, dieses Grundstück, etwa zur Verwendung für einen öffentlichen Auftrag, bestmöglich wirtschaftlich zu nutzen. Das Vorhaben steht auch in einem angemessenen Verhältnis zur Leistungsfähigkeit der Kommune, die auf einen ausgeglichenen Haushalt verweisen kann. Ob andere Unternehmen die Neuunterbringung der Polizeiwache besser und wirtschaftlicher realisieren können, soll schließlich gerade in dem Vergabeverfahren ermittelt werden.
Auch Kommunen bei Wettbewerbsverstößen auszuschließen
Die als Bieterin teilnehmende Kommune war jedoch wegen eines wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens gemäß §§ 97 Abs. 1 GWB, 2 Abs. 1 Nr. 2 S. 1 EG VOB/A vom Vergabeverfahren auszuschließen. Die unterbliebene erneute Beteiligung an dem Vergabeverfahren konnte sie deshalb nicht in ihren Rechten verletzen, denn einen Zuschlag hätte sie ohnehin nicht erhalten dürfen.
Ein konkurrierender Bieter wollte ein im Gebiet der Kommune liegendes Grundstück für die Auftragsausführung verwenden. Ein entsprechender Bauantrag lag bereits vor. Als die weiterhin am Auftrag interessierte Kommune hiervon erfuhr, änderte sie den bestehenden Bebauungsplan kurzerhand ab, so dass die Errichtung einer Polizeiwache auf dem Grundstück bauplanungsrechtlich nicht mehr zulässig war.
Das OLG Düsseldorf stellt klar: Auch ein behördliches Handeln kann den Tatbestand des wettbewerbsbeschränkenden Verhaltens erfüllen. Entscheidend ist, dass die Kommune ihre Planungshoheit zu ihrem eigenen Wettbewerbsvorteil missbraucht. Für diese Feststellung genügte dem Vergabesenat der Umstand, dass sie sich bei der geforderten Abwägung der berührten Belange mit der Bieterstellung des von der Planänderung betroffenen Unternehmens überhaupt nicht auseinandergesetzt hat. Unerheblich ist auch, ob der Auftraggeber die Kommune bereits ausgeschlossen hat. Denn liegt wie hier ein zwingender Ausschlussgrund vor, kann dieser auch von den Vergabenachprüfungsinstanzen aufgegriffen werden.Praxistipp
Die Entscheidung des OLG Düsseldorf ist konsequent und begrüßenswert. Denn sie stellt die für einen intakten Wettbewerb unverzichtbare Augenhöhe zwischen privaten Unternehmen und als Bietern auftretenden öffentlichen Auftraggebern her.
Die Freiheit öffentlicher Auftraggeber, als Bieter an Vergabeverfahren teilzunehmen, ist nur um den Preis der damit verbundenen vergaberechtlichen Bindungen zu haben. Zugleich unterliegen öffentliche Einrichtungen den kommunalwirtschaftsrechtlichen Begrenzungen. Diese prüft das OLG Düsseldorf in gefestigter Rechtsprechung inzident mit (vgl. grundlegend Hertwig, NZBau 2009, 355). Sofern öffentliche Auftraggeber ihre hoheitlichen Befugnisse zur Verbesserung der eigenen Zuschlagschancen zweckentfremden, handeln sie wettbewerbswidrig.
Öffentliche Auftraggeber müssen Chancen und Risiken einer Beteiligung an Vergabeverfahren als Bieter sorgfältig abwägen: Häufig können sie die ausgeschriebenen Leistungen mindestens ebenso wirtschaftlich wie die private Konkurrenz erbringen. Vor allem, wenn sie dabei noch ihr Grundeigentum wirtschaftlich vorteilhaft verwerten können, kann ein Angebot besonders Sinn machen. Überschreitet allerdings die Bewerbung um einen öffentlichen Auftrag die Grenzen der kommunalwirtschaftlich zulässigen Betätigung, liegt ein zwingender Ausschlussgrund vor.
Und noch etwas: Beteiligt sich eine Kommune nicht unmittelbar, sondern über eine Tochtergesellschaft, spricht viel dafür, die im Zuschlagsfall erzielten Umsätze als Drittgeschäft zu qualifizieren, das möglichen künftigen In-House-Geschäften mit dem kontrollierenden Auftraggeber entgegenstehen könnte. Der Entwurf einer neuen EU-Vergaberichtlinie ist allerdings großzügiger als die bisherige Rechtsprechung. Danach reicht es aus, wenn mehr als 80 % (bisher mind. 90 %) der Umsätze der kontrollierten Gesellschaft mit Tätigkeiten für den kontrollierenden Auftraggeber erwirtschaftet werden.
Herr Dr. Daniel Soudry ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner der Sozietät SOUDRY & SOUDRY Rechtsanwälte (Berlin). Herr Soudry berät bundesweit öffentliche Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen, in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren und im Öffentlichen Wirtschaftsrecht. Darüber hinaus publiziert er regelmäßig in wissenschaftlichen Fachmedien zu vergaberechtlichen Themen und tritt als Referent in Fachseminaren auf.
Die Einordnung in die Rubrik „unbedingt lesen“ trifft es hier auf den Punkt: Ein hervorragender Beitrag!