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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 17/07/2014 Nr. 19635

Rechtsschutz im Unterschwellenbereich – Pflicht zur unverzüglichen Rüge auch hier! (LG Bielefeld, Urt. v. 27.02.2014 – 1 O 23/14)

EntscheidungDer Rechtsschutz im Unterschwellenbereich nimmt zu. Dafür sprechen die zunehmenden Entscheidungen der Landgerichte aus diesem Bereich. Ein unerträglicher Zustand. Der Gesetzgeber hatte damals gar nicht die Absicht, einen solchen Rechtsschutz zuzulassen und hat die Zuständigkeit der Vergabekammern und Vergabesenate auf den Oberschwellenbereich beschränkt. Diese Spruchkörper sind mit der erforderlichen vergaberechtlichen Kompetenz ausgestattet, während die Landgerichte oftmals Neuland betreten müssen. Die Rechtsrealität hat das damalige gesetzgeberische Ansinnen längst überholt, das Ergebnis ist eine Rechtsschutzzersplitterung. Es wird endlich an der Zeit, dass der Gesetzgeber hier tätig wird, spätestens im Rahmen der Umsetzung der neuen Vergabe-Richtlinien.

§ 6 Abs. 3 VOL/A; § 16 VOL/A; § 241 Abs. 2 BGB; § 242 BGB

Sachverhalt

Der Auftraggeber schrieb den Umbau und die Lieferung von zwei Notarzteinsatzfahrzeugen (NEF) im Wege der öffentlichen Ausschreibung aus. Zum Nachweis der Eignung sollten die Bieter unter anderem Referenzen von mindestens 10 verschiedenen in der BRD ansässigen und im Rettungsdienst tätigen Auftraggebern benennen, an die der Bieter bereits vergleichbare NEF innerhalb der letzten vier Kalenderjahre geliefert hat.

Bieter „T.“ gab das preislich günstigste Angebot ab und war danach Erstplatziert. Einige der auf der eingereichten Referenzliste benannten Kunden teilten auf Anfrage dem Auftraggeber gegenüber mit, dass Angaben falsch seien und sie mit der Leistung des T. unzufrieden gewesen seien. Nun erfuhr der Auftraggeber außerdem, dass nicht T., sondern das von T. kurz zuvor aus der Insolvenz heraus erworbene Unternehmen gleichen Namens die Leistungen erbracht hatte. Der Auftraggeber schloss T. daraufhin wegen fehlender Eignung aus.

T. wehrte sich hiergegen mit einer einstweiligen Verfügung vor dem Landgericht Bielefeld. Unter anderem trugt T. vor, dass die geforderten Eignungskriterien („mind. 10 Referenzkunden“) zu weit gingen und vergaberechtlich unzulässig seien. Außerdem habe der Auftraggeber die Eignungsprüfung erst abgeschlossen und sie später erneut vorgenommen, das sei unzulässig.

Die Entscheidung

Ohne Erfolg! Das Landgericht Bielefeld bejaht zunächst die Möglichkeit eines Bieters, sich auch im Unterschwellenbereich in einem laufenden Vergabeverfahren zur Wehr setzen zu können. Zuständig hierfür seien die Zivilgerichte. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei aber unbegründet. Der Auftraggeber könne die Eignungsprüfung wiederholen, wenn er Anhaltspunkte hat, dass die zuvor vorgenommene Eignungsprüfung unrichtig war, er kann also „hin und her springen“, solange er die Prüfungsstufen nicht vermengt.

Die Forderung von 10 Referenzen sei angesichts des Auftragsgegenstandes auch nicht unzulässig. „Denn der Umbau eines Transporters in ein NEF ist technisch anspruchsvoll und eine Fehlfunktion des NEF könnte eine Gefahr für den betroffenen Notfallpatienten bedeuten. Die Gesundheit und das Leben dieser Menschen sind jedoch höher zu bewerten, als die wirtschaftlichen Interessen von „Newcomern“. Dabei ist auch nicht davon auszugehen, dass die Verfügungsbeklagte ihre Anforderungen an die Bieter überspannt hat, da lediglich Nachweise von 10 verschiedenen Kunden innerhalb der letzten 4 Jahre verlangt werden.“ Das Angebot des T. war auch wegen falscher Angaben auszuschließen; dass der Auftraggeber Erklärungen zu den Referenzen nicht nachgefordert hat, war nicht ermessensfehlerhaft. Unabhängig davon habe T. den vermeintlichen Vergabefehler nicht rechtzeitig gerügt und ihr Antrag sei auch deshalb zurückzuweisen.

Rechtliche Würdigung

Im Ergebnis ist dem Landgericht zuzustimmen. Im Detail zeigen sich Unsicherheiten und Begründungsfehler.

Das Gericht schreibt in den Beschluss den Bruttoangebotspreis von T. hinein: 150.515,98 EUR, ein doch eher unüblicher Vorgang. Das Gericht spricht auch an einer Stelle von „Leistungsvergabeunterlagen“, statt von Vergabeunterlagen als Oberbegriff und Leistungsbeschreibung als Unterbegriff. Es sind solche Stellen, an denen man merkt, dass die Zivilgerichte noch etwas ungeübt sind, was die Begrifflichkeiten des Vergabeverfahrens anbelangt.

Aber auch in rechtlicher Hinsicht zeigen sich Unsicherheiten. So meint das Landgericht, dass es nicht ermessensfehlerhaft sei, dass der Auftraggeber Erklärungen nicht nachgefordert hat. Richtig ist nach derzeit aktueller Rechtsprechung, dass solche Nachforderungen überhaupt nicht zulässig sind, da diese zu einer Nachbesserung des Angebots führen, auf ein „Ermessen“ kommt es also gar nicht mehr an. Grenzwertig erscheint auch, dass das Gericht es nicht als unverhältnismäßig angesehen hat, dass die Bieter mindestens 10 unterschiedliche Referenzkunden aus der BRD benennen mussten. Es ist zwar richtig, dass dem Auftraggeber ein weiter Beurteilungsspielraum zusteht bei der Festlegung der Eignungskriterien. Es ist auch richtig, dass das Vergaberecht „Newcomer“ nicht gesondert schützt. Allerdings gilt auch im Unterschwellenbereich der Grundsatz der mittelstandsfreundlichen Vergabe und dass nur solche Nachweise verlangt werden dürfen, die durch den Gegenstand des Auftrags  „gerechtfertigt“ sind.

Angenommen, ein Bieter hätte in den letzten vier Jahren zwar nicht 10 Referenzkunden beliefert, sondern nur 3, dafür aber in erheblichem Umfang: Weshalb sollte dieser Bieter nun nicht geeignet sein, den Auftrag ordnungsgemäß durchzuführen? Und noch ein Gedanke: Hier hatte der Auftraggeber die Referenzkunden auf die BRD beschränkt. Dies scheint vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des EuGH nicht unproblematisch, nämlich dass unter bestimmten Voraussetzungen ein Auftrag auch dann EU-weit auszuschreiben ist, wenn sein geschätzter Wert den Schwellenwert nicht erreicht oder überschreitet.

Im Ergebnis ist die Entscheidung aber deshalb richtig, da der Bieter T. die Anforderung „mind. 10 Referenzen“ nicht rechtzeitig gerügt hat. Der Bieter hatte sogar zunächst versucht, die Anforderung (scheinbar mit Tricks) zu erfüllen. Der Sinn und Zweck der Regelung in § 107 GWB für den Oberschwellenbereich ist auch im Unterschwellenbereich fruchtbar zu machen: Ein Bieter, der erst nach Ablauf der Angebotsfrist Fehler in den Vergabeunterlagen rügt, die er hätte erkennen können, ist nicht mehr zu hören. Dies gebietet der Beschleunigungsgrundsatz des Vergabeverfahrens, der auch im Unterschwellenbereich gilt.

Praxistipp

Ein Bieter, der in einem Vergabeverfahren nach VOL/A oder der VOB/A 1. Abschnitt (Unterschwellenbereich) der Auffassung ist, dass die Vergabeunterlagen oder die Vorgehensweise des Auftraggebers fehlerhaft ist, muss diesen Vergabefehler unverzüglich, d.h. ohne schuldhaftes Zögern, rügen. Dabei ist die Rüge formlos, sollte aber aus Beweissicherungsgründen per Telefax erfolgen. Unverzüglichkeit wird in aller Regel dann zu verneinen sein, wenn der Bieter erst nach Einreichen seines Angebots einen Fehler rügt. Auch im Unterschwellenbereich gilt also, dass ein „Aufsparen der Munition“ nichts bringt.

Dr. Roderic Ortner

Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.

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Eine Antwort zu „Rechtsschutz im Unterschwellenbereich – Pflicht zur unverzüglichen Rüge auch hier! (LG Bielefeld, Urt. v. 27.02.2014 – 1 O 23/14)“

  1. Avatar von Dr. Christof Schwabe

    Sehr geehrter Herr Kollege!

    ein, wie ich finde, sehr guter und höchst praxisrelevanter Beitrag zu einem Beschaffungsbereich, dessen wirtschaftliche Bedeutung man gar nicht oft genug hervorheben kann: Die Unterschwellenvergaben!

    Die beschriebenen Erfahrungen beim Landgericht decken sich mit meinen „Erlebnissen“. Die Bedeutung und die Anzahl der Fälle nimmt zwar zu. Für die Landgerichte ist und bleibt das Vergaberecht aber ein sperriges und ungeliebtes Thema (Zitat Dr. Ortner „Neuland“). Man kann es dem Richter nicht einmal verdenken, wenn wieder einmal ein daumendicker Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz aus dem Fax der Geschäftsstelle läuft. Der zivilprozessuale Primärrechtsschutz ist und bleibt eine Krücke.

    Zu der von Dr. Ortner kritisierten erwähnten „Rechtsschutzzersplitterung“ darf ich hinzufügen: Für die Bieter ist es frustrierend, wenn der Bundesgesetzgeber ein wirtschaftlich so bedeutsames Thema inzwischen den Landesgesetzgebern überlässt („Vergabeföderalismus“).

    Dem Bauunternehmer, der in Mühlhausen (Thüringen) ein Angebot i.H.v. 100.000 Euro auf eine Bauvergabe abgibt und sich gegen eine Ungleichbehandlung zu Wehr setzen möchte, dem steht der Weg zur Vergabekammer frei (Thüringisches Vergabegesetz!). Die Vergabekammer Thüringen macht ausschließlich Vergaberecht, steht voll im Thema und wird den Fall problemlos lösen können.

    Gibt der Bauunternehmer das gleiche Angebot auf eine entsprechende Bauvergabe im 30 Kilometer entfernten Eschwege (Hessen) ab, muss er mit seinem Fall zum Landgericht. Der zuständige Richter beim Landgericht hat sich im schlechtesten Fall noch nie mit einem vergaberechtlichen Sachverhalt beschäftigt und muss sich u.U. innerhalb weniger Stunden in ein für ihn neues Rechtsgebiet einarbeiten.

    Sieht so ein effektiver und gerechter Vergaberechtsschutz aus?