Aktuelle veröffentlichte gerichtliche Entscheidungen haben in preisrechtlichen Angelegenheiten Seltenheitswert. Das kürzlich ergangene Urteil des Landgerichts Bonn räumt nun mit zwei weitverbreiteten Fehlvorstellungen über das öffentliche Preisrecht auf. Es zeigt einerseits auf, dass Preisprüfungen auch möglich sind, wenn ein Ausschreibungsverfahren stattgefunden hat und ein Vertrag über einen (vermeintlichen) Marktpreis geschlossen wurde. Darüber hinaus zeigt das Urteil auf, dass Preisprüfungsbehörden (PÜ´s) keinesfalls unfehlbar und ihre Preisprüfberichte für die Parteien rechtlich nicht bindend sind. Vielmehr besteht die Möglichkeit, gegen Rückzahlungsansprüche des Auftraggebers, die auf Preisprüfberichte der PÜ´s gestützt werden, gerichtlich vorzugehen. Das Urteil des Landgerichts Bonn steht insoweit in einer Linie mit einem aktuellen Beschluss des OLG Koblenz vom 30.10.2013 (2 U 1116/12), in dem die Rechte von Auftragnehmern gegenüber Auftraggebern und den PÜ´s in ähnlicher Weise gestärkt werden.
§§ 134, 812 Abs. 1 S. 1 BGB; § 1 Abs. 3, § 4 Abs. 3, § 4, § 9 VO PR Nr. 30/53
Leitsätze
Sachverhalt
Die Beklagte führte ein Ausschreibungsverfahren für die Beschaffung von Reisegepäckkontrollanlagen auf Flughäfen durch. Ausweislich der Ausschreibungsunterlagen sollte auf den Vertragspreis die Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen (VO PR 30/53) Anwendung finden. Die Auftraggeberin behielt sich vor, eine Preisprüfung durchführen zu lassen, die durch die zuständige Preisprüfstelle erfolgt.
Nachdem zunächst mehrere Unternehmen in dem Verfahren Interesse bekundet und an einer Begehung des Flughafens, für den die Reisegepäckkontrollanlage beschafft werden sollte, teilgenommen hatten, gab letztlich neben der Klägerin nur ein weiteres Unternehmen ein Angebot ab. Das Angebot der Wettbewerberin der Klägerin wurde jedoch bereits aus formalen Gründen ausgeschlossen; die Klägerin erhielt daher den Zuschlag.
Im Nachgang zur Durchführung des Auftrages rief die Beklagte eine im Vertrag enthaltene Option zur Lieferung einer weiteren Reisegepäckkontrollanlage ab. In diesem Zusammenhang gab die Klägerin wie vorgesehen ein Angebot ab. Der Angebotspreis entsprach dabei dem Preis, den die Klägerin auch für die Reisegepäckkontrollanlage in dem vorangegangenen Ausschreibungsverfahren angeboten hatte. Der Preis sollte ein Marktpreis im Sinne der VO PR 30/53 sein. Die Arbeiten wurden von der Klägerin fachgerecht ausgeführt und abgerechnet. Die Beklagte beglich die Rechnung vollständig, bat die zuständige PÜ jedoch um eine Marktpreisprüfung gemäß § 9 VO PR 30/53.
In ihrem Preisprüfungsbericht kam die PÜ zu dem Ergebnis, dass die vereinbarten Preise um rund 140.000,00 EUR zu hoch gewesen seien. Sie macht einen Abschlag i.H.v. rund 25% geltend und stützte sich dabei auf die Umsatzrendite der Klägerin, die in den Jahren 2005 bis 2009 im Durchschnitt 25,8% betragen haben soll. Gestützt auf diesen Preisprüfungsbericht forderte die Beklagte die Klägerin auf, den nach ihrer Auffassung überzahlten Betrag zurückzuerstatten. Hiergegen wehrt sich die Klägerin mit einer negativen Feststellungsklage.
Die Entscheidung
Die Feststellungsklage ist nach Ansicht des Landgerichts begründet. Der Beklagten stehe kein Anspruch auf Rückzahlung bereits gezahlter Beträge zu.
Zwar könne bei einer Überschreitung des zulässigen Höchstpreises ein Anspruch auf Rückzahlung bereits gezahlter Beträge des Auftraggebers gegen den Auftragnehmer gestützt auf § 812 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 BGB (Leistung ohne rechtlichen Grund) bestehen. Denn ein Verstoß gegen das in § 1 Abs. 3 VO PR 30/53 normierte Gebot, wonach keine höheren Preise gefordert, versprochen, vereinbart, angenommen oder gewährt werden dürfen, als nach den Bestimmungen der Verordnung zulässig ist, führe zu einer (Teil-)Nichtigkeit des Rechtsgeschäftes, soweit der zulässige Höchstpreis überschritten ist, weil es sich bei § 1 Abs. 3 VO PR 30/53 um ein Verbotsgesetz im Sinne von § 134 BGB handele. Das Rechtsgeschäft werde in einem solchen Fall also nur zu dem zulässigen Höchstpreis aufrechterhalten.
Es liege jedoch an der beklagten Auftraggeberin, die geltend gemachte teilweise Unwirksamkeit des Rechtsgeschäftes darzulegen und zu beweisen. Aus § 9 VO PR 30/53, wonach der Auftragnehmer gegenüber der prüfenden Preisbehörde das Zustandekommen des Preises nachzuweisen hat, ergebe sich nichts anderes. Diese Vorschrift führt nach Überzeugung der Kammer nicht zu einer Beweislastumkehr. Es handele sich insoweit lediglich um eine öffentlich rechtliche Vorschrift, die nur im Verhältnis zwischen der Preisprüfungsbehörde und dem Auftragnehmer unmittelbar Anwendung finde und im Zivilverfahren nicht anwendbar sei.
Vorliegend habe die Beklagte nicht hinreichend dargelegt, dass der vereinbarte Preis überhöht ist. Nach Ansicht der Kammer fehlt es bereits an einem hinreichenden Vortrag dazu, dass es sich bei dem vereinbarten Preis nicht um einen Marktpreis im Sinne von § 4 Abs. 1 VO PR 30/53 handelt. Nach der Richtlinie des Bundesministeriums für Wirtschaft und des Bundesministeriums für Finanzen für öffentliche Auftraggeber zur Anwendung der Verordnung VO PR 30/53 über Preise bei öffentlichen Aufträgen vom 01.07.1955 sei bei Durchführung einer ordnungsgemäßen Ausschreibung davon auszugehen, dass die zustande gekommenen Ausschreibungspreise den Bestimmungen des § 4 Abs. 3 und 4 VO PR 30/53 entsprechen. Danach indiziere die Ausschreibung also das Vorliegen eines Marktpreises. Im Grundsatz ist nach Ansicht der Kammer daher davon auszugehen, dass der vereinbarte, im Rahmen einer Ausschreibung ermittelte Preis, auch einen Marktpreis darstellt. Tatsachen, die diese Indizwirkung widerlegen würden, habe die Beklagtenseite nicht vorgetragen. Insbesondere habe die Klägerin nicht davon ausgehen können, das einzige Unternehmen mit einem wertbaren Angebot im Verfahren zu sein.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung der Kammer zeigt einerseits zutreffend auf, dass im Grundsatz auch (vermeintliche) Marktpreise, die sich im Rahmen einer Ausschreibung gebildet haben, einer preisrechtlichen Überprüfung unterliegen. Aus preisrechtlicher Sicht maßgeblich für das Vorliegen eines zulässigen Marktpreises ist nicht allein die Tatsache, ob ein Wettbewerb in Form einer Ausschreibung stattgefunden hat (vgl. Baumann/Klein, in: Mösinger/Thomas, Verteidigungs- und Sicherheitsvergaben, Seite 199). Nach § 4 Abs. 1 VO PR 30/53 dürfen für marktgängige Leistungen die im Verkehr üblichen, preisrechtlich zulässigen Preise nicht überschritten werden. Preisrechtlich zu prüfen ist deshalb, ob der im Wettbewerb zustande gekommene Angebotspreis des jeweiligen Anbieters dem verkehrsüblichen Preis entspricht (Ebisch/ Gottschalk, Preise und Preisprüfung bei öffentlichen Aufträgen, 8. Auflage 2010, § 4 VO PR Nr. 30/53 Rn. 70 ff.). Dies wird in der Regel der Fall sein, ist aber keinesfalls zwingend. So ist es unter Umständen denkbar, dass ein Wettbewerb nicht zu einem verkehrsüblichen Preis führt, etwa wenn Anbieter nicht ernsthaft an dem Auftrag interessiert sind und „Abwehrangebote“ abgeben, oder wenn wettbewerbswidrige Absprachen getroffen wurden. Derartige Einflüsse werden sich in der Praxis umso mehr praktisch von selbst eliminieren, je mehr Angebote vorhanden sind. Umgekehrt wächst die Gefahr, dass solche Einflüsse auf dem Wettbewerbspreis eingewirkt haben, je weniger Angebote vorhanden sind (Ebisch/ Gottschalk, Preise und Preisprüfung bei öffentlichen Aufträgen, 8. Auflage 2010, § 4 VO PR Nr. 30/53 Rn. 73). Legt man dies zugrunde, so ergibt sich, dass auch die Durchführung von Ausschreibungen eben nicht per se zu preisrechtlich zulässigen Preisen führt. In der Regel dürfte die Durchführung einer Ausschreibung aber zu einem im Verkehr üblichen preisrechtlich zulässigen Marktpreis führen.
In diesem Zusammenhang steht auch die Problematik des sog. „potentiellen Wettbewerbs“. Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 10.07.1961 (1 U 4/61) erkannt, dass in der Regel von einem verkehrsüblichen Marktpreis nach § 1 Abs. 1 VO PR 30/53 auch dann auszugehen ist, wenn nur ein Angebot in einer Ausschreibung eingegangen ist. Voraussetzung ist aber, dass die Leistung von mehreren Anbietern erbracht werden kann und es keine wettbewerbswidrigen Absprachen gab, sodass der Anbieter der Überzeugung war, dass er in Konkurrenz steht. In der Preisprüfungspraxis wird das bloße Vorhandensein potentiellen Wettbewerbs trotz des Urteils des OLG Hamm jedoch als nicht ausreichend für die Annahme eines Marktpreises nach § 1 Abs. 1 VO PR 30/53 angesehen.
Vor diesem Hintergrund stärkt das Urteil des Landgerichts Bonn nun die Stellung der Auftragnehmer. Wenn der öffentliche Auftraggeber nach Durchführung einer Ausschreibung der Ansicht ist, dass diese nicht zu einem verkehrsüblichen Marktpreis geführt hat, so hat er dies darzulegen und im Rückforderungsprozess ggf. auch zu beweisen. Der bloße Verweis auf den Prüfungsbericht einer PÜ reicht dafür nicht aus. Auch das OLG Koblenz hat in seinem Beschluss vom 30.10.2013 (2 U 1116/12) jüngst entschieden, dass das aus einem Preisprüfungsbericht ersichtliche Prüfungsergebnis gerade nicht den zulässigen Höchstpreis verbindlich feststellt. Nach Ansicht des Senates ist der Prüfungsbericht nicht mehr als eine rein innerbehördliche Stellungnahme der Behörde, die zwar aufgrund der Erkenntnisquellen und der Kompetenz der Behörde durchaus gewichtig ist, aber Auftragnehmer und Auftraggeber bewusst nicht bindet.
Praxistipp
Sollte ein Auftragnehmer mit den Feststellungen in einem Preisprüfungsbericht nicht einverstanden sein, empfiehlt sich dringend, dem Bericht nicht zuzustimmen und ausdrücklich zu widersprechen. Da der Preisprüfungsbericht kein Verwaltungsakt ist, sind etwaige Streitigkeiten auf dem Zivilrechtsweg auszutragen. Falls der Preis vom Auftraggeber noch nicht oder nicht vollständig bezahlt worden ist, kann der Auftragnehmer den Auftraggeber auf dem Zivilrechtsweg auf Zahlung verklagen. Ist der Preis hingegen vom Auftraggeber bereits bezahlt worden, kann dieser auf dem Zivilrechtsweg die Rückerstattung des etwaig zu viel gezahlten Betrages vom Auftragnehmer verlangen. Wenn sich der Auftraggeber lediglich eines Anspruches auf Rückzahlung rühmt, ohne diesen aber bislang gerichtlich geltend gemacht zu haben, so steht dem Auftragnehmer die Möglichkeit zu, im Wege der negativen Feststellungsklage ebenfalls auf dem Zivilrechtsweg klären zu lassen, ob dem Auftraggeber ein Rückzahlungsanspruch zusteht oder nicht. In jedem Fall wird die abschließende Entscheidung über die Berechtigung der Preisforderung auf dem Zivilrechtsweg getroffen; die Berichte der PÜ´s stellen also nicht das letzte Wort dar.
Dr. Benjamin Klein ist Rechtsanwalt im Berliner Büro der Sozietät HFK Rechtsanwälte LLP und dort Mitglied im überörtlichen „Fachteam Vergaberecht“. Er begleitet Auftraggeber und Bieter in allen Phasen des Beschaffungsprozesses sowie in Rechtsschutzverfahren ober- und unterhalb der Schwellenwerte. Seine Beratung umfasst dabei auch das öffentliche Preisrecht.
Ein interessantes Urteil. Es ist tatsächlich ein altes und immer noch vorhandenes Vorurteil … sozusagen eines der 10 1/2 größten Irrtümer …, dass Ausschreibungen zu Marktpreisen führen.
Tatsächlich gibt es diesen Automatismus nicht, da das Vergaberecht keinerlei Bestimmungen über den Preistyp enthält – hier ist das Preisrecht gefordert. Und im Preisrecht kommt es alleine auf die von Ihnen zitierte Voraussetzung der marktgängigen Leistungen und der im Verkehr üblichen, preisrechtlich zulässigen Preise an.
Auch ich sehe die Stellung der Auftragnehmer durch das Urteil des LG Bonn gestärkt, allerdings wird wohl der genannte potentielle Wettbewerb auch zukünftig nicht in die Preisprüfungspraxis einfließen.