Nach der grundlegenden Entscheidung des EuGH in Sachen Stadtreinigung Hamburg (Besprechung im Vergabeblog) ist die interkommunale Zusammenarbeit unter bestimmten Voraussetzungen vergaberechtsfrei gestellt worden. Diese Anforderungen sind von der Rechtsprechung des EuGH jüngst enger ausgelegt worden. Die vom deutschen Gesetzgeber bis April 2016 umzusetzende Vergaberichtlinie sieht erstmals eine gesetzliche Regelung vor, welche die Anforderungen an eine interkommunale Zusammenarbeit regelt und wieder ausweiten könnte. Da diese Richtlinie bislang nicht in deutsches Recht umgesetzt ist und das deutsche Recht eine Regelung zur interkommunalen Zusammenarbeit (noch) nicht vorsieht, fragte sich das OLG Koblenz, ob eine Zusammenarbeit zwischen öffentlichen Auftraggebern derzeit überhaupt zulässig ist.
§ 99 Abs. 1 GWB, Art. 12 Abs. 4 Richtlinie 2014/24/EU
Sachverhalt
Die Landkreise N und R haben eine Zweckvereinbarung abgeschlossen, wonach der Landkreis N ab dem 01.01.2016 die Behandlung und Verwertung von Bioabfällen auf den Landkreis R delegiert; der Landkreis R soll als Gegenleistung für den Eintritt in die Pflichten und Zuständigkeiten des Vertragspartners einen Jahresdeckungsbetrag erhalten. Im Übrigen enthält die Vereinbarung Teilregelungen zur Durchführung der Leistung, begründet aber keine weitergehenden Rechte und Pflichten eines Beteiligten.
Die Entscheidung
Das OLG Koblenz untersagt den Landkreisen, die in der Zweckvereinbarung umschriebenen Dienstleistungen Behandlung und Verwertung von Bioabfällen ohne förmliches Vergabeverfahren zu vergeben. Die Zweckvereinbarung erfüllt alle Tatbestandsmerkmale eines ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrags im Sinne des § 99 GWB. Der Annahme eines Auftrages im Sinne des Vergaberechts steht nicht entgegen, dass die Vereinbarung öffentlich-rechtlicher Natur und der Ausführende seinerseits öffentlicher Auftraggeber im Sinne des § 98 Nr. 1 GWB ist.
Fraglich ist, ob sich der Landkreis N überhaupt auf die vom EuGH entwickelten und in Artikel 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/4EU kodifizierte Unanwendbarkeit des Vergaberechts der Union auf bestimmte Vereinbarungen zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern berufen kann. Diese Richtlinie ist noch nicht in nationales Recht umgesetzt; die Umsetzungsfrist ist noch nicht abgelaufen. Die Reichweite des im GWB geregelten Vergaberechtsregimes bestimmt sich zunächst einmal nach deutschem Recht. Das geltende deutsche Recht enthält keine Regelung, die eine Vereinbarung, welche einerseits alle Merkmale eines öffentlichen Auftrags erfüllt, an denen andererseits aber nur öffentliche Auftraggeber beteiligt sind, von der Anwendbarkeit des GWB ausnimmt. Zudem ist auch ein dahingehender Wille des deutschen Gesetzgebers nicht erkennbar; eher ist das Gegenteil der Fall. Der Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts vom 13.08.2008 enthielt zwar einen § 99 Abs. 1 Satz 2 GWB, wonach die Beschaffung einer Leistung bei einem anderen öffentlichen Auftraggeber unter bestimmten Voraussetzungen nicht als ausschreibungspflichtiger öffentlicher Auftrag gelten sollte. Diese Regelung wurde aber auf Empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Technologie ersatzlos gestrichen. Übrig blieb ein Appell des Bundesrates an den Bund vom 13.02.2009, das GWB bei der nächsten Novellierung um eine Regelung zur Vergaberechtsfreiheit der interkommunalen Zusammenarbeit zu ergänzen.
Auch im Falle einer richtlinienfreundlichen Auslegung des § 99 Abs. 1 GWB ist eine Zweckvereinbarung nicht bereits deshalb vergaberechtsfrei, weil diese delegierend ist. Zudem wird für die Unanwendbarkeit des Vergaberechts eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern gefordert. Zusammenarbeit ist schon begrifflich mehr als bloße Leistung gegen Bezahlung und meint ein bewusstes Zusammenwirken bei der Verrichtung einer Tätigkeit zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels. Die Zweckvereinbarung hat keinerlei kooperative, über die bloße Erbringung einer marktfähigen Leistung gegen Bezahlung hinausgehende Elemente enthalten. Somit beinhaltet sie einen normalen ausschreibungspflichtigen Dienstleistungsauftrag. Unerheblich ist allerdings, dass der Landkreis R zur Leistungserbringung die Dienste eines Erfüllungsgehilfen in Anspruch nehmen will.
Praxistipp
Fraglich ist demnach, ob bis zur Umsetzung der Richtlinie in deutsches Recht bzw. bis zur unmittelbaren Geltung der Richtlinie 2014/24/EU nach Ablauf der Umsetzungsfrist Mitte April 2016 eine interkommunale Zusammenarbeit überhaupt zulässig ist. Das OLG Koblenz hat dies problematisiert, jedoch dahingestellt gelassen, weil auch die nach der Richtlinie 2014/24/EU bestehenden Anforderungen an eine echte Zusammenarbeit nicht erfüllt waren. Soweit öffentliche Auftraggeber derzeit Verträge zur Zusammenarbeit abschließen, die selbst die Anforderungen an eine echte Zusammenarbeit erfüllen, wird immer die Rechtsunsicherheit bestehen, dass das deutsche Recht eine solche Ausnahme (noch) nicht vorsieht.
Dominik R. Lück
Der Autor Dr. Dominik R. Lück ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Köhler & Klett Rechtsanwälte in Köln. Dort ist er Leiter des vergaberechtlichen Fachbereichs und verfügt über langjährige Erfahrung im Vergaberecht und in den Bereichen des Umweltrechts, insbesondere des Abfallrechts.
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