Nun ist endlich der Referentenentwurf des neuen GWB der Öffentlichkeit zugänglich – und die Zeit bis zur endgültigen Umsetzung im April 2016 sollte genutzt werden, um sich mit der neuen Systematik, die wohl im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens im Grundsatz nicht mehr angetastet werden wird, auseinander zu setzen.
Vergaberechtsinteressierte sind ja schon vieles an Reformen gewöhnt, aber dieses Mal passiert doch etwas mehr: Nicht nur die VOL/A sowie die VOF werden ganz entfallen und durch eine neue Vergabeverordnung ersetzt, auch die VOB/A – die bestehen bleibt – wird vermutlich grundlegend überarbeitet, damit sie nicht mit dem neuen GWB im Widerspruch steht. Dies betrifft im Übrigen auch die SektVO und die VSVgV. Denn das neue GWB enthält nun viele materielle Vorschriften, die in den nachgeordneten Regelungswerken dann nicht mehr regelungsbedürftig sind.
Eine wesentliche materielle Regelung, die in das neue GWB übernommen wurde und damit einheitlich für alle Vergaben gilt, ist die Regelung der Ausschlussgründe. Die Kernnormen dafür sind die §§ 123 und 124 des Referentenentwurfs. Für die Sektorenvergabe sieht § 142 Nr. 1, für sicherheitsspezifische Aufträge § 147 und für Konzessionsvergaben § 154 Nr. 2. kleine Abweichungen dieser Grundregeln vor, die im Folgenden nicht gesondert erwähnt werden.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Artikel der Richtlinien, insbesondere Art. 57 RL 2014/24/EU, vom Referentenentwurf sehr wortgetreu umgesetzt wurden. Dies bedeutet, dass nicht nur mehr Ausschlussgründe hinzugekommen sind (z.B. fakultativer Ausschluss bei nachgewiesener Schlechtleistung, § 124 Nr. 7), sondern auch, dass teilweise vormals fakultative Ausschlussgründe nun zwingend sind (Nichtzahlung von Steuern und Sozialabgaben, § 123 Abs. 5). Noch tückischer für die Rechtsanwender sind die Fälle, in denen altbekannte Ausschlussgründe leicht ergänzt bzw. angepasst wurden, aber dadurch eine wesentliche Änderung in der Anwendung nach sich ziehen (z.B. § 124 Nr. 4, wettbewerbsbeschränkende Abreden auch außerhalb des Vergabeverfahrens).
Interessant ist auch die neue Regelung zum Ausschluss wegen eines Interessenkonflikts. Hier soll nicht die für den Auftraggeber tätige Person ausgeschlossen werden, sondern der Bieter, wenn ein Interessenkonflikt nicht anders verhindert werden kann. Unklar ist, wie das Verhältnis dieser Regelung zu § 16 VgV ist und ob § 16 VgV in dieser Form überhaupt noch erhalten bleibt.
Ganz neu sind die Regelungen zur Selbstreinigung in § 125, die so bisher noch nicht gesetzlich normiert waren. Unter Selbstreinigung sind laut Gesetzesbegründung „Maßnahmen zu verstehen, die ein Unternehmen ergreift, um seine Integrität wiederherzustellen und eine Begehung von Straftaten oder schweres Fehlverhalten in der Zukunft zu verhindern“. Wichtig ist, dass die Selbstreinigungsmaßnahmen nicht nur die fakultativen, sondern auch die zwingenden Ausschlussgründe verhindern können. Die Vorschrift begründet einen Rechtsanspruch des Bieters, trotz des Vorliegens eines Ausschlussgrundes nicht von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen zu werden, wenn er ausreichende Maßnahmen zur Wiederherstellung seiner Integrität nachgewiesen hat. In § 126 wird die Höchstdauer für Auftragssperren geregelt.
Einen Überblick bietet Ihnen die folgende Synopse der betroffenen Vorschriften.
Ersetzt VgV alt | Ersetzt VOL/A alt usw. | Setzt um RL 2014/24 | |
§ 123 Zwingende Ausschlussgründe | |||
§ 123 Abs. 1 NEU: zu jedem Zeitpunkt des Verfahrens | § 6 EG Abs. 4 Satz 1§ 6 EG Abs. 4 Nr. 1 Satz 1 VOB/A§ 23 Abs. 1 VSVgV§ 21 Abs. 1 Satz 1 SektVO | Art. 57 Abs. 1 UA 1, Abs. 2 UA 1, Abs. 5 | |
§ 123 Abs. 2 | § 6 EG Abs. 4 Satz 2§ 6 EG Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 VOB/A§ 23 Abs. 2 VSVgV§ 21 Abs. 1 Satz 2 SektVO | ||
§ 123 Abs. 3 NEU Besondere Regelungen zum Ausschluss von Unternehmen | § 23 Abs. 3 VSVgV§ 6 EG Abs. 4 Nr. 4 VOB/A | ||
§ 123 Abs. 4 Zurechnung | § 6 EG Abs. 4 Satz 3§ 6 EG Abs. 4 Nr. 1 Satz 3 VOB/A§ 23 Abs. 4 VSVgV§ 21 Abs. 2 SektVO | Art. 57 Abs. 1 UA 2 | |
§ 123 Abs. 5 NEU Steuern/Abgaben/SozialversicherungsbeiträgeSelbstreinigung | § 6 EG Abs. 6 d)§ 24 Abs. 1 Nr. 6 VSVgV§ 21 Abs. 4 Nr. 3 SektVO | Art. 57 Abs. 2 | |
§ 123 Abs. 6 Zwingende Gründe gegen Ausschluss | § 6 EG Abs. 5§ 6 EG Abs. 4 Nr. 3§ 23 Abs. 5 VSVgV§ 21 Abs. 3 SektVO | Art. 57 Abs. 3 UA 1 | |
§ 124 Fakultative Ausschlussgründe | |||
§ 124 Nr. 1 Verstoß gegen Umwelt-, sozial- oder arbeitsrechtliche Verpflichtungen NEU | Art. 57 Abs. 4 a) | ||
§124 Nr. 2 Zahlungsunfähigkeit, Insolvenz, Liquidation | § 6 EG Abs. 6 a) und b)§ 16 EG Abs. 1 Nr. 2 a) und b)§ 21 Abs. 4 Nr. 1 und 2 SektVO§ 24 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VSVgV | Art. 57 Abs. 4 b) | |
§ 124 Nr. 3 schwere Verfehlung NEU: muss die Integrität des Unternehmens in Frage stellen | § 6 EG Abs. 6 c)§ 6 EG Abs. 1 Nr. 2 c)§ 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO§ 24 Abs. 1 Nr. 4 VSVgV | Art. 57 Abs. 4 c) | |
§ 124 Nr. 4 wettbewerbsbeschränkende Vereinbarungen (NEU: auch außerhalb des Vergabeverfahrens) | § 19 EG Abs. 3 f)§ 16 EG Abs. 1 Nr. 1 d) VOB/A (zwingender Ausschlussgrund)§ 31 Abs. 2 Nr. 6 VSVgV (zwingender Ausschlussgrund) | Art. 57 Abs. 4 d) | |
§ 124 Nr. 5 NEU Interessenkonflikt | § 16 VgV in umgekehrtem Fall: Bieter und nicht Berater wird ausgeschlossen! | Art. 57 Abs. 4 e),Art. 24 | |
§ 124 Nr. 6 NEU Wettbewerbsverzerrung durch Projektantenstellung | § 6 EG Abs. 7§ 6 EG Abs. 7 VOB/A | Art. 57 Abs. 4 f) | |
§ 124 Nr. 7 NEU sanktionierte erhebliche oder fortdauernde Schlechterfüllung eines früheren öffentlichen Auftrags | Art. 57 Abs. 4 g) | ||
§ 124 Nr. 8 Falsche Angaben/Täuschung im Vergabeverfahren | § 6 EG Abs. 6 e)§ 16 EG Abs. 1 Nr. 1 g) (zwingender Ausschlussgrund)§ 21 Abs. 4 Nr. 4 SektVO§ 24 Abs. 1 Nr. 7 VSVgV | Art. 57 Abs. 4 h) | |
§ 124 Nr. 9 NEU unzulässige Beeinflussung des öffentlichen Auftraggebers | Art. 57 Abs. 4 i) | ||
§ 125 Selbstreinigung NEU | Art. 57 Abs. 6 | ||
§ 126 Höchstdauer eines Ausschlusses NEU | Art. 57 Abs. 7 S. 2 und 3 |
Anmerkung der Redaktion
Dieser Beitrag ist Teil der Serie: Gesetz zur Modernisierung des Vergaberechts (Entwurf). Weitere Beiträge zu der Thematik finden Sie auf der Serienseite, hier.
Die Vergaberechtsreform ist das Schwerpunktthema des 2. Deutschen Vergabetages 2015 – ausführliches Programm und Anmeldemöglichkeit hier.
Aline Fritz
Frau Fritz ist seit 2000 im Bereich des Vergaberechts tätig und seit 2002 Rechtsanwältin bei FPS Rechtsanwälte und Notare, Frankfurt. Sie berät sowohl die öffentliche Hand bei der Erstellung von Ausschreibungen als auch Bieter in allen Phasen des Vergabeverfahrens. Frau Fritz hat umfassende Erfahrungen in der Vertretung vor diversen Vergabekammern und Vergabesenaten der OLGs. Des Weiteren hat sie bereits mehrere PPP-Projekte vergaberechtlich begleitet. Frau Fritz hält regelmäßig Vorträge und Schulungen zum Vergaberecht und hat zahlreiche vergaberechtliche Fachbeiträge veröffentlicht. Vor ihrer Tätigkeit bei FPS war Frau Fritz Leiterin der Geschäftsstelle des forum vergabe e.V. beim BDI in Berlin.
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