Zur zweifelhaften Vertrauenswürdigkeit von Sozialsiegeln gegen Kinderarbeit. Die Forderung nach einem Zertifikat einer anerkannten Organisation darüber, dass Grabsteine ohne Kinderarbeit hergestellt wurden, kann unverhältnismäßig sein, wenn es keine hinreichend gesicherte Verkehrsauffassung dazu gibt, welche Zertifikate vertrauenswürdig sind.
Art. 12 Abs. 1 GG
Leitsatz
Sachverhalt
Die Friedhofssatzung einer Gemeinde sieht vor, dass nur Grabsteine verwendet werden dürfen, die nachweislich ohne ausbeuterische Kinderarbeit hergestellt sind, und dass der Nachweis mittels Zertifikat einer anerkannten Organisation erbracht wird. Gegen diese Satzung haben verschiedene Steinmetzbetriebe geklagt. Sie seien nicht in der Lage, die Wertschöpfungskette der verwendeten Steine darzustellen. Die Gemeinde hat dagegen vorgetragen, es gebe Organisationen, wie z.B. XeritifiX und fair stone, die vertrauenswürdige Zertifikate ausstellen würden.
Die Entscheidung
Der VGH Baden-Württemberg hat sich eingehend mit der Frage befasst, ob es eine hinreichend gesicherte Verkehrsauffassung dazu gebe, welche Organisationen vertrauenswürdige Zertifikate ausstellen würden. Er kam zu dem Ergebnis, das es zwar im Internet und in der Presse durchaus Positives über einige Organisationen zu lesen gebe. Das reiche aber nicht aus, um eine hinreichend gesicherte Verkehrsauffassung zu begründen. Auch gebe es keine gesetzliche Regelung dazu, welche Zertifikate als verlässlich anzusehen seien. Wenn also nicht hinreichend sicher festzustellen sei, welche Nachweise oder Zertifikate verlässlich sind, sei eine Forderung nach einem solchen Nachweis unverhältnismäßig. Die Friedhofssatzung verstoße daher gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und sei daher rechtswidrig.
Rechtliche Würdigung
Hinter der angegriffenen Friedhofssatzung steht die anerkennenswerte Absicht der betroffenen Gemeinde, sicherzustellen, dass in Steinbrüchen und Weiterverarbeitungsbetrieben die Anforderungen der ILO-Konvention 182 (Verbot von Kinderarbeit) tatsächlich eingehalten werden. Gleichwohl darf diese Absicht nicht dazu führen, dass Unternehmen verpflichtet werden, verlässliche Nachweise beizubringen, die es gar nicht gibt. Die Entscheidung ist daher nachvollziehbar.
Öffentliche Auftraggeber stehen vielfach vor der gleichen Herausforderung wie die betroffene Gemeinde. Denn zahlreiche Landesvergabegesetze schreiben vor, dass bei der Ausführung öffentlicher Aufträge keine Waren verwandt werden dürfen, die unter Missachtung der in den ILO-Kernarbeitsnormen festgelegten Mindeststandards gewonnen oder hergestellt worden sind (vgl. etwa § 18 TVgG NRW). Öffentliche Auftraggeber des Landes NRW verlangen dazu von den Bietern die Abgabe einer Verpflichtungserklärung, dass bei Auftragsausführung die ILO-Kernarbeitsnormen eingehalten werden. Wer diese Erklärung nicht abgibt, wird wegen Unvollständigkeit des Angebots von der Vergabe ausgeschlossen. Diese Vorgehensweise ist vom OLG Düsseldorf (Verg 28/13 und Verg 39/13) als vergaberechtskonform angesehen worden.
Problematisch dürfte es dagegen sein, wenn öffentliche Auftraggeber, ähnlich wie im Fall der Friedhofssatzung, anstatt oder neben einer Verpflichtungserklärung zur Auftragsausführung nunmehr die Abgabe eines verlässlichen Nachweises einer anerkannten Organisation darüber verlangen würden, dass die von ihnen eingesetzten Produkte ILO-konform sind. Denn diese Forderung könnte nach der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg ebenfalls unverhältnismäßig sein. Öffentliche Auftraggeber sind in aller Regel auch an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebunden, da dieser jedenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgt (und nicht nur aus den Grundrechten). Das Rechtsstaatsprinzip müssen öffentliche Auftraggeber bei fiskalischen Maßnahmen beachten (BGH, Urteil vom 17.12.1999 X ZR 101/97).
Praxistipp
Öffentliche Auftraggeber sollten primär Eigenerklärungen (hier: Verpflichtungserklärung zur Auftragsausführung) verlangen. Eigenerklärungen darf grundsätzlich vertraut werden.
Dr. Michael Sitsen ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte in Düsseldorf und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er berät und begleitet seit vielen Jahren Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen aller Art. Neben dem Vergaberecht gehört auch das Beihilfenrecht zu seinen Beratungsschwerpunkten. Er hält Schulungen zum Vergaberecht, u.a. für den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war er mehrere Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des bekannten Vergaberechtlers Prof. Dr. Jost Pietzcker in Bonn.
Laut Sachverhalt haben die Kläger dargelegt, „sie seien nicht in der Lage, die Wertschöpfungskette der verwendeten Steine darzustellen.“
Eine Eigenerklärung würde demnach auch nicht weiter führen, sondern die Anbieter im Grunde nötigen, die Unwahrheit zu sagen.
Zu einem ganz ähnlich gelagerten Fall gibt es auch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts:
Urteil vom 16.10.2013, Az. BVerwG 8 CN 1.12.
Auch hier ging es um die ILO-Konvention 182 am Beispiel der Bestattungs- und Friedhofssatzung einer bayerischen Kommune.
Beste Grüße