Am 6. und 7. Oktober 2016 findet in Berlin der 3. Deutsche Vergabetag des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) statt. Zur Vorbereitung und Auswahl der angebotenen Workshops stellen die Referenten ihren Workshop im Vorfeld des Kongresses vor; heute der Workshop A.2: “Flexible Beschaffung: Rahmenvereinbarungen richtig nutzen”:
Rahmenvereinbarungen: Bindende Verpflichtung oder Wahrung der Flexibilität?
Das Instrument der Rahmenvereinbarung – legal definiert u.a. in § 103 Abs. 5 GWB als „Vereinbarung zwischen einem oder mehreren öffentlichen Auftraggebern oder Sektorenauftraggebern und einem oder mehreren Unternehmen, die dazu dienen, die Bedingungen für die öffentlichen Aufträge, die während eines bestimmten Zeitraums vergeben werden sollen, festzulegen, insbesondere in Bezug auf den Preis.„ – ermöglicht es dem Auftraggeber, gleich mehrere Einzelaufträge in nur einem einzigen Vergabeverfahren zu bündeln und hierbei flexibel auf noch bestehende Ungewissheiten bei der Leistungsbeschaffung zu reagieren.
Fraglich ist nun, ob es dem Auftraggeber zur Sicherung der Leistungsbeschaffung auch möglich ist, zwei Rahmenvereinbarungen über dieselbe Leistung parallel abzuschließen – oder etwa zusätzlich zu einer bereits bestehenden Rahmenvereinbarung über dieselbe Leistung eine Einzelvergabe durchzuführen.
I. Zur bisher geltenden Rechtslage
Gem. § 4 EG Abs. 1 Satz 3 VOL/A a.F. war es unzulässig, über dieselbe Leistung mehrere Rahmenvereinbarungen abzuschließen.
1. Zunächst: Was ist unter „derselben Leistung“ idS zu verstehen?
Ob „dieselbe“ Leistung vergeben wird, ist durch wertenden Vergleich festzustellen; entscheidend ist, ob die jeweilige Leistung (respektive der jeweilige Leistungsteil) mit Blick auf ihre funktionale und wirtschaftliche Bedeutung in den Anwendungsbereich der Rahmenvereinbarung fällt[1], und nicht etwa, ob es sich um vollumfänglich kongruente Leistungsgegenstände handelt[2]. Fiel der betroffene Gegenstand ganz oder auch nur teilweise in den Anwendungsbereich, war es dem Auftraggeber nicht erlaubt, hierüber eine weitere Rahmenvereinbarung abzuschließen; unerheblich ist hierbei, ob die bestehende Rahmenvereinbarung neben dem Gegenstand noch andere Leistungen umfasst oder hinsichtlich einzelner Leistungen hinter diesem zurückbleibt.[3]
2. Reichweite des Verbots der Doppelvergabe
Sinn und Zweck des Verbots ist es, die Amortisierungschancen des Rahmenvertragspartners nicht durch eine nachträglich erfolgende separate Vergabe der identischen Leistung zu schmälern. Bereits durch das Wählen dieses spezifischen Vergabeverfahrens (also das Einsetzen einer Rahmenvereinbarung) tritt daher – obwohl eine Abrufverpflichtung in der Regel nicht steht[4] – eine Selbstbindung des Auftraggebers ein.
Dem Auftraggeber solle nicht die Möglichkeit eröffnet werden, gleichartige Leistungen aus mehreren, parallel bestehenden Rahmenvereinbarungen zu variierenden Bedingungen abzurufen; der Grundsatz der Gleichbehandlung gebiete es, für sämtliche Vertragspartner einen einheitlichen Rahmen festzulegen[5]. Aus diesen Gründen dürfte sich das Doppelausschreibungsverbot für den Regelfall bereits aus allgemeinen vergaberechtlichen Prinzipien ergeben.[6]
Fraglich ist, ob die Reichweite der Sperrwirkung jedwede Auftragsvergabe betrifft, so auch die Ausschreibung von Einzelleistungen; eine solche sperrt die Vorschrift jedenfalls nicht ausdrücklich, da sich diese von ihrem Wortlaut her nur auf den Abschluss paralleler Rahmenvereinbarungen bezieht.[7]
Teilweise wird die teleologische Extension der Vorschrift des § 4 EG Abs. 1 Satz 3 VOL/A gefordert; so habe der Auftraggeber seinen Bedarf doch bereits durch Abschluss einer Rahmenvereinbarung gedeckt[8] – für eine anderweitige nachfolgende Beschaffung bestehe also kein Anlass -; außerdem sollten die Rahmenvertragspartner darauf vertrauen dürfen, dass die betreffende Leistung nicht noch einmal im Wettbewerb vergeben werde.[9]
Diese Ansicht wird aber zum einen nicht vom engen Wortlaut der Vorschrift getragen; auch die Zielsetzung des Instruments der Rahmenvereinbarung – nämlich, den öffentlichen Auftraggeber bei Beschaffung wiederkehrender Leistung zu entlasten[10] – und das primäre Anliegen des Vergaberechts, einen offenen Wettbewerb bei der Waren- und Dienstleistungsbeschaffung durch die öffentliche Hand sicherzustellen[11], scheinen dem entgegenzustehen: Bejahte man eine generelle Sperrwirkung, würden die von der jeweiligen Rahmenvereinbarung erfassten Leistungen unwiderruflich und dauerhaft dem Wettbewerb entzogen. Das Doppelausschreibungsverbot soll aber lediglich eine mehrfache und damit über den bestehenden Bedarf hinausgehende Beschaffung ein- und derselben Leistung unterbinden; eine solche Situation ist aber dann nicht gegeben, wenn Einzelleistungen außerhalb einer insoweit bestehenden Rahmenvereinbarung beschafft werden[12]. Die Rahmenvereinbarung legt zwar die Bedingungen für Einzelaufträge, die auf ihrer Grundlage erteilt werden sollen, fest, die einzelnen Abrufe aber werden noch gar nicht konkretisiert. Die Beauftragung bestimmter Einzelleistungen außerhalb einer Rahmenvereinbarung stellt damit auch keine doppelte Deckung eines spezifischen Bedarfs dar.[13] Dies könnte allenfalls dann der Fall sein, wenn die von der Rahmenvereinbarung erfassten Leistungen gänzlich – oder jedenfalls überwiegend – außerhalb der Rahmenvereinbarung beschafft werden, sie also leerliefe.[14]
II. Neue Rechtslage
In § 21 VgV fehlt das o.g. Doppelvergabeverbot gänzlich. Hier lautet es nunmehr nur noch, dass eine Rahmenvereinbarung nicht missbräuchlich oder in einer Art angewendet werden darf, die den Wettbewerb behindert, einschränkt oder verfälscht.
Um die Sicherheit der Leistungsbeschaffung letztlich zu gewährleisten, müsste es nach alter sowie neuer Rechtslage zumindest möglich sein, einzelne Leistungen im Wege einer parallel zur bereits bestehenden Rahmenvereinbarung laufenden Einzelbeauftragung zu beschaffen.
Unklar bleibt zum jetzigen Zeitpunkt, ob durch den Wegfall des § 4 EG Abs. 1 Satz 3 VOL/A – und damit des ausdrücklich normierten Doppelvergabeverbotes – eine zusätzliche, sich auf denselben Leistungsgegenstand beziehende Rahmenvereinbarung zulässig ist, die dem Mandanten einen „Auffang-Pool“ an Unternehmen bieten würde, der dann zum Einsatz käme, sollte entweder der Fall des oben angedachten „Nichtleistenkönnens“ eintreten oder – als weitergehende Frage – sich ein dem Auftraggeber zusagendes Angebot durch die „Rahmenvereinbarung I“ nicht auftun.
Einladung
Ihre Fragen rund um diesen Themenkomplex werden im Workshop A.2: “Flexible Beschaffung: Rahmenvereinbarungen richtig nutzen” auf dem 3. Deutschen Vergabetag am 6. Oktober 2016 in Berlin von den Referenten Frau Rechtsanwältin Aline Fritz (FPS Fritze Wicke Seelig Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten mbB) und Herrn Dirk Eltus (IT-Einkauf, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR)) gerne beantwortet.
Der Workshop behandelt insbesondere die Themen:
- Was ist neu in GWB und VgV 2016?
- Arten von Rahmenvereinbarungen
- Einzelabrufe und Mini-Wettbewerbe
- Praxisfälle
Das vollständige Programm des 3. Deutschen Vergabetags 2016 sowie eine Anmeldemöglichkeit finden Sie unter:
Anmerkung der Redaktion
Das Thema Rahmenvereinbarung wird auch im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutiert. Aktuelle Themen sind u.a.:
Rahmenvertrag: Überschreitung kalkulierter Auftragswert sowie
Mehrere Rahmenvereinbarungen vs. dieselbe Leistung.
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[1] So Völlink in: Ziekow/Völlink, VergabeR, 2. Auflage 2013, § 4 VOL/A, Rn. 8; Schrotz in: Pünder/Schellenberg, VergabeR, 2. Auflage 2015, § 4 EG VOL/A, Rn. 83.
[2] Das Verbot könnte sonst leicht durch nur geringfügige Änderungen des Beschaffungsgegenstandes unterlaufen werfen, Schrotz in: Pünder/Schellenberg, VergabeR, 2. Auflage 2015, § 4 EG VOL/A, Rn. 83.
[3] Schrotz in: Pünder/Schellenberg, VergabeR, 2. Auflage 2015, § 4 EG VOL/A, Rn. 84.
[4] Dies ist zumindest der Fall bei der gängigsten Gestaltungsform, der einseitig verbindlichen Rahmenvereinbarung: Verweigert der Auftragnehmer die abgerufene Leistung, handelt er vertragswidrig; demgegenüber unterliegt der Auftraggeber keiner korrespondierenden Verpflichtung zum Leistungsabruf. Literatur und Praxis gehen überwiegend davon aus, dass Rahmenverträge ohne auftraggeberseitige Abrufverpflichtung idR zulässig sind, so etwa VK Bund v. 29.7.2009, VK 2-87/09; VK Bund v. 20.4.2006, VK 1-19/06; VK Bund v. 28.1.2005, VK 3-221/04; Dicks, Vergabe- und kartellrechtliche Aspekte von Rahmenvereinbarungen, S. 110; Graef, NZBau 2005, 561, 565.
[5] Poschmann in: Müller-Wrede, VOL/A, § 4 EG Rn 47.
[6] Schrotz in: Pünder/Schellenberg, VergabeR, 2. Auflage 2015, Rn. 77.
[7] Vgl etwa Schwetzel in: Heuvels/Höß/Kuß/Wagner, § 4 VOL/A-EG Rn 21.
[8] S. Graef, NZBau 2005, 561, 568; vgl auch Jakobi, VergabeR 2006, 768, 771.
[9] Vgl. Gröning, VergabeR 2005, 156, 158; Zeise in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 4 EG Rn 28; vgl auch BMI-Beschaffungsamt,Vergabehandbuch, S. 134
[10] Knauff, VergabeR 2006, 24, 32; Zeise in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, § 4 EG Rn 13.
[11] Fehling, § 97 GWB, Rn 52 ff.
[12] Sehen die Einzelausschreibung einer Leistung, die Gegenstand einer Rahmenvereinbarung ist, als erlaubt an: Schrotz in: Pünder/Schellenberg, § 4 EG VOL/A Rn. 69; Zeise in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß VOL/A, § 4 Rn. 21; Knauff VergabeR 2006, 24, 32; a.A. hingegen: Graef NZBau 2005, 561, 568; Gröning VergabeR 2005, 156, 158.
[13] Auch Poschmann in: Müller-Wrede, VOL/A, § 4 EG Rn 48
[14] Schrotz in: Pünder/Schellenberg, VergabeR, 2. Auflage 2015, Rn. 80.
Aline Fritz
Frau Fritz ist seit 2000 im Bereich des Vergaberechts tätig und seit 2002 Rechtsanwältin bei FPS Rechtsanwälte und Notare, Frankfurt. Sie berät sowohl die öffentliche Hand bei der Erstellung von Ausschreibungen als auch Bieter in allen Phasen des Vergabeverfahrens. Frau Fritz hat umfassende Erfahrungen in der Vertretung vor diversen Vergabekammern und Vergabesenaten der OLGs. Des Weiteren hat sie bereits mehrere PPP-Projekte vergaberechtlich begleitet. Frau Fritz hält regelmäßig Vorträge und Schulungen zum Vergaberecht und hat zahlreiche vergaberechtliche Fachbeiträge veröffentlicht. Vor ihrer Tätigkeit bei FPS war Frau Fritz Leiterin der Geschäftsstelle des forum vergabe e.V. beim BDI in Berlin.
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