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Gründung eines Zweckverbandes: Voraussetzungen für die Vergaberechtsfreiheit geklärt (EuGH, Urt. v. 21.12.2016, C-51/15 – Remondis)

Der Europäische Gerichtshof hat sich kurz vor Weihnachten 2016 zu den Voraussetzungen geäußert, unter denen die Gründung eines Zweckverbandes durch mehrere öffentliche Auftraggeber einen vergaberechtsfreien Vorgang darstellt. Kernproblem des Falles war, wie die Gründung des Zweckverbandes rechtlich einzuordnen ist: Soll es sich hierbei um einen ausschreibungspflichtigen öffentlichen Auftrag handeln? Liegt ein Ausnahmetatbestand vom Anwendungsbereich des Vergaberechts vor, etwa öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit nach § 108 Abs. 6 GWB, um eine Inhouse-Vergabe nach § 108 Abs. 1-5 GWB? Diese Frage hat der EuGH seinen konkreten Einzelfall dahingehend beantwortet, dass die Gründung des Zweckverbandes keinen öffentlichen Auftrag darstellt. Hierfür müssen jedoch bestimmte Voraussetzungen erfüllt werden. Dies soll im Folgenden dargestellt werden.

§ 103 GWB; § 108 GWB; Art. 12 RL 2014/24/EU; Art. 1 Abs. 6 RL 2014/24/EU

Leitsatz

  1. Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31.03.2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge ist dahin auszulegen, dass es sich bei einer Vereinbarung zwischen zwei Gebietskörperschaften, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht und auf deren Grundlage diese eine Satzung über die Gründung eines Zweckverbands – einer juristischen Person des öffentlichen Rechts – erlassen und dieser neuen öffentlichen Einrichtung Befugnisse zuweisen, die bisher diesen Körperschaften oblagen und fortan zu eigenen Aufgaben dieses Zweckverbands werden, nicht um einen öffentlichen Auftrag handelt.
  2. Eine solche die Erfüllung öffentlicher Aufgaben betreffende Kompetenzübertragung liegt jedoch nur vor, wenn die Übertragung sowohl die mit der übertragenen Kompetenz verbundenen Zuständigkeiten als auch die damit einhergehenden Befugnisse betrifft, so dass die neuerdings zuständige öffentliche Stelle über eine eigene Entscheidungsbefugnis und eine finanzielle Unabhängigkeit verfügt. Das vorlegende Gericht wird zu prüfen haben, ob dies der Fall ist.

Sachverhalt

Zum 01.01.2003 gründeten die Region Hannover und die Landeshauptstadt Hannover, jeweils öffentliche Auftraggeber, den Zweckverband Abfallwirtschaft Region Hannover. Der Zweckverband erhielt vormals den beteiligten Auftraggebern obliegende Rechte und Pflichten, insbesondere wurde der Zweckverband zum Entsorgungsträger nach dem damals gültigen KrW-/AbfG. Die Verbandsordnung des Zweckverbandes sieht unter anderem vor, dass sich dieser zur Erfüllung seiner Aufgaben Dritter bedienen kann (§ 22 KrWG) und dass er Satzungen und Verordnungen, etwa über Gebühren, erlassen darf. Außerdem brachte die Region Hannover 94,9 % der zuvor vollständig in ihrem Eigentum stehenden Abfallentsorgungsgesellschaft Region Hannover mbH ein. Der Zweckverband erwirtschaftete im Jahr 2011 einen Umsatz von ca. 189 Millionen .

Die Firma Remondis, welche als privates Unternehmen Abfallentsorgungsleistungen erbringt, war der Ansicht, dass die Gründung des Zweckverbandes sowie die Beauftragung des Zweckverbandes mit der Durchführung der Entsorgungsaufgaben einen öffentlichen Auftrag im Sinne des Vergaberechts darstellen. Nach Ansicht von Remondis habe der Zweckverband ab dem Jahr 2011 Umsätze mit Dritten in einer Größenordnung von mehr als 10 % seines Gesamtumsatzes erzielt. Die ursprünglich bestehenden Voraussetzungen einer vergaberechtsfreien Inhouse-Vergabe (der Region und der Landeshauptstadt Hannover an den Zweckverband) seien somit entfallen. Das entfallen dieser Voraussetzungen habe dazu geführt, dass die weiterhin fortbestehende Beauftragung des Zweckverbandes eine rechtswidrige de-facto-Vergabe darstelle.

Aus diesem Grund beantragte Remondis zunächst erfolglos vor der VK Lüneburg die Feststellung der Nichtigkeit des Auftrages von Landeshauptstadt und Region Hannover an den Zweckverband nach § 101a Abs. 2 GWB a.F. (§ 134 Abs. 2 GWB n.F.). Das in der 2. Instanz angerufene OLG Celle legte dem EuGH die nunmehr entschiedene Frage zur Vorabentscheidung vor, ob die Gründung eines Zweckverbandes überhaupt einen öffentlichen Auftrag darstellt.

Die Entscheidung

Nach Ansicht des EuGH stellt die Gründung und die damit einhergehende Beauftragung des Zweckverbandes mit der Durchführung von Entsorgungsleistungen keinen öffentlichen Auftrag im Sinne des Vergaberechts dar.

Ein Vorgang, welcher sich stufenweise vollzieht (vorliegend zunächst die Gründung des Zweckverbandes mit anschließender Schaffung der Verbandssatzung und Übertragung der Zuständigkeiten) ist nach den Ausführungen des EuGH in seiner Gesamtheit unter Berücksichtigung seiner Zielsetzung zu prüfen. Im Zuge dieser Gesamtbetrachtung muss hierbei beachtet werden, dass die Aufteilung der Zuständigkeiten innerhalb eines Mitgliedstaats vom Schutzbereich des Art. 4 Abs. 2 EUV erfasst ist. Das Europarecht darf folglich rein innerstaatliche Vorgänge, welche die Umverteilung von Zuständigkeiten betreffen, nicht beeinträchtigen. Eine mit einer solchen Kompetenzverteilung einhergehende finanzielle Ausstattung der die Zuständigkeit empfangenden Einrichtung stellt demzufolge auch kein Entgelt dar, welches für die Annahme eines öffentlichen Auftrags im Sinne des Vergaberechts notwendig ist.

Der EuGH legt jedoch Wert darauf, dass nicht jede Kompetenzübertragung zwischen öffentlichen Stellen automatisch aus dem Anwendungsbereich des Vergaberechts ausgenommen ist. Vielmehr hat eine solche Zuständigkeitsübertragung konkreten Erfordernissen zu genügen: Zunächst muss die empfangende Einrichtung nicht nur die Zuständigkeit, sondern auch die damit einhergehenden Befugnisse erhalten. Der neue Zuständigkeitsinhaber muss somit die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Aufgaben selbständig organisieren und den hierfür erforderlichen rechtlichen Rahmen selbst schaffen können. Außerdem muss die neue Einrichtung über eine finanzielle Unabhängigkeit verfügen, welche es ihr erlaubt, die Finanzierung der neuen Aufgaben sicherzustellen. Der EuGH ist der Ansicht, dass in solcher Fall dann nicht vorliegt, wenn die ursprünglich zuständige Stelle die Hauptverantwortung für die Aufgaben behält, sich die finanzielle Kontrolle über die Aufgaben vorbehält oder Entscheidungen, die die neue Einrichtung treffen möchte, vorab zustimmen muss. Dies bedeutet nach Ansicht des EuGH jedoch nicht, dass die neu zuständige Einrichtung dem Einfluss des ursprünglichen Aufgabeninhabers vollständig entzogen sein müsste. Ein gewisses Überwachungsrecht sei diesen Einrichtungen weiterhin zuzubilligen.

Rechtliche Würdigung

Mit erfreulicher Klarheit stellt der EuGH die Ausschreibungsfreiheit der Gründung eines Zweckverbandes fest. Wenn die weiter von dem EuGH aufgestellten Anforderungen an einen solchen Gründungsakt erfüllt werden, kann die Beauftragung des Zweckverbandes durch seine Verbandsmitglieder zu einem späteren Zeitpunkt nicht angegriffen werden. Insbesondere sind weder die Voraussetzungen für eine Inhouse-Vergabe, noch die Voraussetzungen einer öffentlich-öffentlichen Zusammenarbeit zu beachten. Das vom EuGH gefundene Ergebnis deckt sich mit dem Wortlaut des Art. 1 Abs. 6 der Vergabekoordinierungsrichtlinie 2014/24/EU, welchen der deutsche Gesetzgeber jedoch nicht in das deutsche Vergaberecht übernommen hat.

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Praxistipp

Die Entscheidung schafft Rechtssicherheit für Zweckverbände und deren Verbandsmitglieder. Werden die vom EuGH aufgestellten Voraussetzungen erfüllt, droht auch bei einer Erhöhung des Drittumsatzes oder einer Veränderung der Tätigkeit des Zweckverbandes keine erfolgreiche vergaberechtliche Beanstandung. Es ist jedoch dringend anzuraten, dass die Zweckverbände oder ähnlichen kommunalen Einrichtungen ihre eigene Struktur, insbesondere den Inhalt und Umfang der Kompetenzübertragung mit einem besonderen Augenmerk auf den Umfang der Entscheidungsbefugnis und die finanzielle Unabhängigkeit, überprüfen. Gegebenenfalls müssen hier weitere Befugnisse vorgesehen oder übertragen sowie für eine weitergehende finanzielle Ausstattung gesorgt werden, um die vom EuGH geforderte Vollständigkeit der Kompetenzübertragung herbeizuführen. Entsprechende Rechtsgrundlagen sind in den jeweiligen Landesgesetzen über die kommunale Gemeinschaftsarbeit vorhanden.

Hinweis der Redaktion:
Der Autor Rechtsanwalt Oskar Maria Geitel hält in unserer DVNW-Akademie das Seminar „Die UVgO – Reform des Vergaberechts unterhalb der Schwellenwerte“ am 23.03.2017 in Berlin sowie am 09.05.2017 in Düsseldorf. Weitere Informationen sowie eine Möglichkeit zur Anmeldung finden Sie hier.

Das Thema Auftragswertermittlung wird unter anderem auch Gegenstand eines Workshops auf dem 1. Bau-Vergabetag 2017 am 16. Februar in Berlin sein.

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Über Dr. Oskar Maria Geitel

Dr. Oskar Maria Geitel ist Partner, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für Bau- und Architektenrecht und Rechtanwalt bei Kapellmann und Partner Rechtsanwälte mbB in Berlin. Er berät öffentliche Auftraggeber bei der Vorbereitung, Konzeption und Gestaltung sowie der anschließenden Durchführung von Vergabeverfahren. Einen weiteren Schwerpunkt seiner Tätigkeit stellt die rechtliche Begleitung von Bauvorhaben bezüglich aller Fragen des Baurechts dar, welche sich unmittelbar an die Begleitung des Vergabeverfahrens anschließt. Herr Geitel ist Kommentarautor, Lehrbeauftragter für Vergaberecht und Dozent bei diversen Bildungseinrichtungen.

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