Bei vielen Vergabestellen, aber auch bei Bietern herrscht nach wie vor häufig der Irrglaube, dass die zehntägige Angebotsfrist des § 10 Abs. 1 VOB/A bei der Freihändigen Vergabe von Bauleistungen keine Anwendung findet. Dieser Irrtum kann teuer werden, wie der nachfolgende Rechtsbeitrag verdeutlicht.
I. Einleitung
Regelmäßig gehen Vergabestellen, Fördermittelempfänger sowie Bieter davon aus, dass die Angebotsfrist von zehn Kalendertagen nach § 10 Abs. 1 VOB/A bei der Vergabe von Bauleistungen lediglich für die Öffentliche und Beschränkte Ausschreibung zu beachten ist, für die Freihändige Vergabe jedoch nicht. Begründet wird dies in der Regel damit, dass bei einer Anwendung der Mindestfrist von zehn Kalendertagen auf die Freihändige Vergabe die Flexibilität dieses Vergabeverfahrens mit Verhandlungsmöglichkeit eingeschränkt werde und die Vorschrift lediglich die Ausschreibungen umfasse.
Die Annahme, die Angebotsfrist von zehn Kalendertagen müsse bei einer Freihändigen Vergabe nicht eingehalten werden, führt jedoch zu einem Vergabefehler, der für Vergabestellen eine Beanstandung durch die Rechnungshöfe, für Fördermittelempfänger eine Rückforderung der Zuwendung nach sich ziehen und zudem Bieter in die Lage versetzen kann, unter Umständen Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche gegen den öffentlichen Auftraggeber geltend zu machen.
II. Regelung des § 10 Abs. 1 VOB/A
§ 10 Abs. 1 VOB/A regelt, dass für die Bearbeitung und Einreichung der Angebote eine ausreichende Angebotsfrist vorzusehen ist, die auch bei Dringlichkeit nicht weniger als zehn Kalendertage betragen darf.
Sinn und Zweck der Regelung ist, dass die Bieter, die Angebote abgeben, ausreichend Zeit haben, die Entscheidung zur Teilnahme an dem Vergabeverfahren zu treffen, ein qualitativ hochwertiges Angebot zu erarbeiten und dieses bei der Vergabestelle auch form- und fristgerecht einzureichen. Es sollen insbesondere nicht ordnungsgemäße Angebotskalkulationen vermieden werden.
Darüber hinaus setzt die Norm eine Untergrenze. Die Angebotsfrist darf selbst bei Dringlichkeit nicht auf unter zehn Kalendertagen festgelegt werden. Damit wird der Bezug zur einfachen Dringlichkeit hergestellt, bei der überhaupt noch Vergleichsangebote eingeholt werden können. Bei der besonderen Dringlichkeit, bei der unter Umständen eine Direktvergabe des öffentlichen Auftrags zulässig ist, wäre die Einhaltung der Angebotsfrist nicht sachgerecht, weil die Vergabestelle aufgrund unvorhersehbarer Umstände auf die unverzügliche Beschaffung angewiesen ist und wegen der zeitlichen Enge kein Raum für die Aufforderung von Unternehmen zur Angebotsabgabe bleibt. Die strikte Untergrenze verdeutlicht die Bedeutung der Mindestfrist, die zugunsten einer sorgfältigen Angebotsbearbeitung- und -einreichung der Bieter bezweckt, dass selbst bei dem ohnehin sehr eng auszulegenden Tatbestand der einfachen Dringlichkeit die zu setzende Angebotsfrist 10 Kalendertage keinesfalls unterschreiten darf.
III. Anwendung des § 10 Abs. 1 VOB/A bei der Freihändigen Vergabe
Dass die Angebotsfrist auch bei Freihändiger Vergabe gilt, zeigt sich insbesondere daran, dass der § 10 Abs. 1 VOB/A keine Einschränkung auf Ausschreibungen vornimmt. Wenn dies gewollt wäre, dann wäre eine Formulierung wie in § 10 Abs. 3 VOB/A aufgenommen worden, der die Vergabeart explizit nennt, für die der Absatz gelten soll. Die allgemeine Formulierung lässt den Schluss zu, dass die Regelung für alle Vergabearten der VOB/A gelten soll.
Auch die Regelung des § 10 Abs. 1 S. 2 VOB/A, die bei der Bemessung einer ausreichenden Angebotsfrist insbesondere auch auf den zusätzlichen Aufwand für die Besichtigung von Baustellen oder die Beschaffung von Unterlagen für die Angebotsbearbeitung abstellt, spricht für die Anwendung der Mindestfrist auch bei der Freihändigen Vergabe. Denn ein solcher zusätzlicher Aufwand kann durchaus auch bei einer Bauleistung vorhanden sein, die aufgrund ihres geschätzten Auftragswertes lediglich freihändig vergeben wird.
Zuweilen wird aus § 10 Abs. 6 VOB/A, der die Absätze 4 bis 5 auch bei der Freihändigen Vergabe für entsprechend anwendbar erklärt, im Umkehrschluss gefolgert, dass § 10 Abs. 1 VOB/A gerade nicht für entsprechend anwendbar erklärt wird, weil dieser nicht genannt ist, und die Angebotsfrist von zehn Kalendertagen daher nicht gilt.
Aus § 10 Abs. 6 VOB/A kann jedoch nach Ansicht des Autors nicht gefolgert werden, dass eine 10-tägige Angebotsfrist bei Freihändigen Vergaben nicht gilt. § 10 Abs. 6 VOB/A besagt lediglich, dass die Regelungen zur Bindefrist in den Absätzen 4 – 5 für die Freihändige Vergabe „entsprechend“ gelten. Hier ist aus dem Umkehrschluss nicht zu folgern, dass die Regelungen zur Angebotsfrist in § 10 Abs. 1 VOB/A nicht gelten, weil eine „entsprechende“ Anwendung nicht geregelt wird.
Vielmehr knüpfte die Regelung bereits in der alten Fassung in § 10 Abs. 5 VOB/A 2012, für die § 10 Abs. 8 VOB/A 2012 die entsprechende Anwendung auf die Freihändige Vergabe festlegte, den Beginn der Zuschlagsfrist an den Eröffnungstermin. Da es bei der Freihändigen Vergabe jedoch keinen formellen Eröffnungstermin gibt, musste hier eine „entsprechende“ Anwendung festgelegt werden. Bei § 10 Abs. 1 VOB/A 2012 demgegenüber, der die Länge der Angebotsfrist regelte, wurde demgegenüber nicht an Umstände geknüpft, die bei der Freihändigen Vergabe nicht zu finden waren, sodass hier ohne Weiteres eine direkte Anwendung stattfand, ohne dass es überhaupt einer „entsprechenden“ Anwendung bedurfte.
In der neuen Fassung ordnet die Regelung des § 10 Abs. 6 VOB/A weiterhin die „entsprechende“ Anwendung der Abs. 4 und 5 an, obwohl der Begriff des Eröffnungstermins entfallen ist. Diese Absätze treffen nunmehr Regelungen zur Bindefrist.
Grundsätzlich muss für die Angebote im Rahmen einer Freihändigen Vergabe wie bei den Ausschreibungen ebenfalls eine Bindefrist festgelegt werden. Da sich mangels bestehenden Verhandlungsverbots bei der Freihändigen Vergabe die Angebotsinhalte regelmäßig ändern, soll die entsprechende Anwendung dafür Sorge tragen, dass auch bei der Freihändigen Vergabe mit sich ändernden Angeboten ein fester Beginn sowie ein festes Ende der Bindefrist festgelegt sein müssen. Ansonsten könnte der Rechtsanwender auf die Idee kommen, dass bei aufgrund von Verhandlungen neuem Inhalt des Angebots eine Bindefrist des Angebots erneut zu laufen beginnt, sodass die Verhandlungsmöglichkeit bei der Freihändigen Vergabe die Vorgaben zu der Bindefrist aufweichen würde. Durch die entsprechende Anwendung wird lediglich dies verhindert. Einer entsprechenden Anwendung des § 10 Abs. 1 VOB/A bedarf es wegen der schon direkten Anwendung aber nicht.
Der mit § 10 Abs. 1 VOB/A verfolgte Sinn und Zweck muss auch bei der Freihändigen Vergabe von Bauleistungen erfüllt werden. Bauleistungen sind Arbeiten, durch die eine bauliche Anlage hergestellt, instandgehalten, geändert oder beseitigt wird. Zwar können Bauleistungen einen geringen Umfang einnehmen, bei dem ein Angebot aufgrund des geringen Aufwands qualitativ hochwertig auch in einer Frist unter zehn Kalendertagen erarbeitet werden kann. Für diese Bauleistungen bietet aber bereits § 3 Abs. 5 S. 2 VOB/A die Erleichterung, dass unter Umständen sogar eine Direktvergabe des Auftrags ohne Einhaltung einer Angebotsfrist bis zu einem geschätzten Auftragswert in Höhe von 10.000,00 Euro vorgenommen werde darf.
Regelmäßig erfordern die Bauleistungen über diesem Wert im Vergleich zu reinen Liefer- und Dienstleistungen jedoch umfangreiche Planungs- und Konzeptarbeiten. Hierfür benötigen die Bieter ausreichende Angebotsfristen, sodass zum Schutz der Bieter zugunsten qualitativ hochwertiger Angebote eine Mindestfrist sachgerecht erscheint. An dieser Stelle darf für die Anwendung der Angebotsfrist die konkrete Vergabeart keinen Unterscheid ausmachen, da dieses Bedürfnis bei der Freihändigen Vergabe ebenso wie bei der Öffentlichen und Beschränkten Ausschreibung besteht.
IV. Beginn, Länge und Ende der Angebotsfrist bei der Freihändigen Vergabe
Eine ausdrückliche Regelung zum Beginn der Angebotsfrist bei der Freihändigen Vergabe einer Bauleistung ist nicht normiert. Wie bereits in § 10a Abs. 1 Nr. 1 EG VOB/A als Pendant zu § 10 Abs. 1 VOB/A geregelt, ist es jedoch sachgerecht, dass die Angebotsfrist vom Tag nach der Angebotsaufforderung gerechnet wird.
§ 187 BGB ist wie stets in Rechtsgebieten außerhalb des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch auf die Angebotsfristen anwendbar. Die Angebotsfrist ist eine Ereignisfrist. § 187 Abs. 1 BGB setzt für eine Ereignisfrist voraus, dass für den Beginn einer Frist ein Ereignis oder ein in den Lauf eines Tages fallender Zeitpunkt maßgebend sein soll. In diesem Fall wird bei der Berechnung der Frist der Tag nicht mitgerechnet, in welchen das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Im Gegensatz dazu regelt § 187 Abs. 2 BGB, dass, wenn der Beginn eines Tages der für den Anfang einer Frist maßgebende Zeitpunkt ist, dieser Tag bei der Berechnung der Frist mitgerechnet wird.
Bei der Freihändigen Vergabe stellt die Absendung der Aufforderung zur Angebotsabgabe das in den Tag fallende Ereignis im Sinne des § 187 Abs. 1 BGB dar, das den Beginn der Angebotsfrist auslöst. Es ist kein Beginn eines Tages im Sinne des § 187 Abs. 2 BGB vorgesehen. Folglich ist die Angebotsfrist eine Ereignisfrist, sodass die Frist mit dem Tag nach Angebotsaufforderung beginnt.
Dies wird auch durch die EU-Verordnung Nr. 1182/71 (EWG, EURATOM) gestützt, die Grundregeln für Fristen, Daten und Termine regelt. In Artikel 3 Absatz 1 dieser Verordnung wird ebenfalls festgelegt, dass bei der Berechnung derjenige Tag der Frist nicht mitgerechnet wird, in den das Ereignis fällt, wenn der Zeitpunkt, in den das Ereignis fällt, für den Beginn der Frist wie vorliegend maßgebend ist. Zwar kann über die Anwendung dieser Verordnung auf das unterschwellige Vergaberecht gestritten werden, im Sinne eines immer weiter zunehmenden Gleichlaufs zwischen dem nationalen und dem europäischen Vergaberecht kann sie jedoch als stützendes Argument dienen.
Die Regelung des § 10 Abs. 1 VOB/A setzt eine Angebotsfrist von „zehn Kalendertagen“ voraus. Das bedeutet, die Regelung setzt zehn „volle“ Kalendertage für die Einreichung und Bearbeitung der Angebote fest. Gegenteiliges kann weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik der Regelung abgeleitet werden. Gerade um „angebrochene“ Tage zu vermeiden, weil eine rechtssichere Mindestfrist gleichberechtigt für eine sorgfältige Angebotsbearbeitung und -einreichung zugunsten aller Bieter gewährleistet sein soll, wird der Beginn der Frist auf den darauffolgenden Tag gesetzt, um mindestens volle zehn Kalendertage bis zu der in den Bewerbungsbedingungen terminlich festgelegten Öffnung der Angebote, dem Ende der Angebotsfrist, für eine sachgerechte Angebotsbearbeitung sicherzustellen. Das bedeutet auch: Wenn die Öffnung der Angebote in den Lauf eines Tages fällt, dass dieser kein voller Kalendertag im Sinne der Angebotsfrist gemäß § 10 Abs. 1 VOB/A ist.
V. Praxistipp
Vergabestellen, Bietern und Fördermittelempfängern ist anzuraten, sich zwingend an die Angebotsfrist von mindestens 10 vollen Kalendertagen zu halten. Selbst bei Vorliegen von einfacher Dringlichkeit, deren enger Tatbestand selbst bereits nur in Ausnahmefällen erfüllt ist, darf die Angebotsfrist nämlich zehn Kalendertage keinesfalls unterschreiten. Lediglich in äußersten Ausnahmefällen, bspw. bei einer zulässigen Direktvergabe wegen besonderer Dringlichkeit, wird die Mindestfrist unterschritten werden dürfen. Darüber hinaus sollte die Mindestfrist nicht zuletzt zugunsten qualitativ hochwertiger Angebote und damit der späteren Leistungsqualität gewahrt werden. Besonders darauf zu achten ist, dass die Tage der Absendung der Aufforderung sowie der Öffnung der Angebote grundsätzlich nicht als volle Kalendertage der Mindestfrist hinzugerechnet werden. Wenn die Mindestfrist im Übrigen nicht eingehalten wird, drohen Rückforderungen, Unterlassungs- und Schadenersatzansprüche sowie Beanstandungen.
Michael Pilarski
Der Autor Michael Pilarski ist als Volljurist bei der Investitions- und Förderbank des Landes Niedersachsen – NBank – in Hannover tätig. Als Prüfer, insbesondere der Vergaberechtsstelle, lag sein Schwerpunkt mehrere Jahre in den Bereichen Zuwendungs- und Vergaberecht. Er hat die Einhaltung des Zuwendungs- und Vergaberechts durch private und öffentliche Auftraggeber, die Förderungen aus öffentlichen Mitteln erhalten, geprüft und Zuwendungsempfänger bei zuwendungs- und vergaberechtlichen Fragestellungen begleitet. Nunmehr ist er in der Rechtsabteilung der NBank in den Bereichen Vergabe-, Vertrags- sowie Auslagerungsmanagement beschäftigt. Darüber hinaus sitzt er der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr in Lüneburg bei, ist zugelassener Rechtsanwalt und übernimmt Referententätigkeiten sowie Schulungen im Zuwendungs- und Vergaberecht.
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