Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hatte einen Fall zu entscheiden, bei dem es preisrechtlich u.a. darum ging, ob ein öffentlicher Auftraggeber i. S. d. § 2 Abs. 1 VO PR Nr. 30/53 durch „geschickte“ Privatisierungskonstruktionen das Preisrecht umgehen kann.
Geklagt hatte ein Gebührenschuldner gegen seinen Abfallgebührenbescheid. Er machte geltend, die Berechnung der Gebühren sei rechtswidrig, weil u.a. die beklagte Kommune die Gründung zweier neuer Gesellschaften veranlasst habe, um dem Preisrecht zu entgehen, wodurch eine korrekte Berechnung des Fremdleistungsanteils im Gebührenbescheid nicht habe erfolgen können.
Sachverhalt
In die Berechnung der Abfallgebühren flossen Kosten für Verbrennung als Fremdleistungen ein. Die Verbrennung erfolgte durch die H. GmbH, an der die Beklagte über die T. GmbH beteiligt war. Bis 2013 beauftragte die Beklagte die H. GmbH unmittelbar mit der Verbrennung. Dieser (Fremdleistungs-) Auftrag unterlag den Bestimmungen der VO PR Nr. 30/53.
Im Zuge einer Neustrukturierung erfolgte die Gründung der H. GmbH & Co. KG. Diese wurde von der Beklagten ab 2014 mit der Verbrennung beauftragt. Die H. GmbH & Co. KG ihrerseits wiederum beauftragte die H. GmbH mit der Verbrennung.
Vertraglich wurde zwischen der Beklagten sowie der H. GmbH und der H. GmbH & Co.KG vereinbart, dass die H. GmbH & Co. KG in die Verpflichtungen (insbesondere zur Müllverbrennung) der H. GmbH eintritt. Die H. GmbH sollte jedoch weiterhin ggü. der Beklagten „solidarisch“ für alle Verpflichtungen der H. GmbH & Co. KG haften. Hintergrund dieser Vereinbarung war insbesondere ein vergaberechtlicher. Es sollte nämlich durch die Umstrukturierung keine Ausschreibungspflicht der Verbrennungsleistung ausgelöst werden. Gleichzeitig sollte jedoch durch die Zwischenschaltung der H. GmbH & Co. KG als „neuer privater Auftraggeber“ der Verbrennungsleistungen die Geltung der VO PR Nr. 30/53 vermieden werden.
Entscheidung des Gerichts
Hierzu hat das VG Düsseldorf wie folgt entschieden:
- Dem öffentlichen Auftraggeber ist bei der Gestaltung seiner Privatisierungsmaßnahmen ein Spielraum einzuräumen.
- Liegt kein unmittelbarer öffentlicher Auftrag nach der VO PR Nr. 30/53 vor, sondern eine Unterbeauftragung, so gilt die VO PR Nr. 30/53 nur, wenn der öffentliche Auftraggeber (in diesem Fall die Beklagte) die Geltung der VO PR Nr. 30/53 verlangt und der Auftragnehmer (hier ab 2014: H. GmbH & Co. KG) dieses Verlangen an den Unterauftragnehmer (ab 2014 die H. GmbH) weitergibt.
- Die Ausdehnung des Preisrechts auf Unteraufträge in den Fällen, in denen ein Verlangen des öffentlichen Auftraggebers nicht erfolgt, aus haushaltsrechtlichen oder allgemeinen Grundsätzen geht über den Regelungsgehalt des § 2 Abs. 4 VO PR Nr. 30/53 hinaus und ist abzulehnen.
Diesen grundsätzlichen Aussagen des Verwaltungsgerichtes ist aus preisrechtlicher Sicht uneingeschränkt zuzustimmen. Das VG Düsseldorf ist hier jedoch nicht stehengeblieben, sondern hat das Problem weiter aufgeschlüsselt und erkannt, dass die Neustrukturierung bewusst in einer Art gestaltet wurde, die einerseits eine Ausschreibungspflicht der Verbrennungsleistung vermeiden und andererseits die Anwendung des Preisrechts unmöglich machen sollte.
Zunächst stellte das Verwaltungsgericht fest, dass Fremdleistungen dem Grunde nach gebührenrechtlich ansatzfähige Kosten sind. Dies seien aber nur solche Kosten, die nach Vorschriften des öffentlichen Preisrechts gefordert und angenommen werden dürfen und deren Bemessung dem Äquivalenzprinzip entspricht. Zwar komme bei fehlendem Verlangen des öffentlichen Auftraggebers eine Ausdehnung des Preisrechts aus den genannten Gründen auf den Unterauftrag nicht in Betracht, allerdings bedürfe es im vorliegenden Falle gar keiner Ausdehnung:
Die H. GmbH werde nach den vertraglichen Vereinbarungen in fortwirkender Erfüllung eigener Rechtspflichten ggü. der Beklagten tätig. Insbesondere sei sie in einer „solidarischen“ Haftung sämtlicher vertraglicher Pflichten aus der Vereinbarung zwischen der Beklagten und der H. GmbH & Co. KG. Hieraus ergebe sich keine wesentliche Veränderung des ursprünglichen Vertragsverhältnisses mit der H. GmbH, sondern es liege – in Anlehnung der EuGH-Rechtsprechung zur vergaberechtlichen „Inhouse-Problematik“ – lediglich eine interne Neuorganisation des Vertragspartners vor. Die Identität des Auftrages sei – was auch die Absicht der Vertragspartner war – nicht infrage gestellt. Dies wirke sich auch bei der Beurteilung der Frage aus, ob die Beteiligten eine Bindung an das Preisrecht auflösen könnten.
- „Wird der vollständige Auftrag en bloc an eine 100-prozentige Tochter – oder wie hier die Mutter – des unmittelbaren Auftragnehmers weitergereicht und haftet diese als bisherige Auftragnehmerin vollständig für die gesamte Leistung, ist sie weder aus der Leistungsbeziehung vollständig ausgeschieden noch bedarf es der Ausdehnung preisrechtlicher Vorgaben auf sie als Dritte.
- Bleibt die Identität des Auftragsverhältnisses erhalten, gilt auch die preisrechtliche Bindung fort.“
- In diesem Fall sei nicht die Anwendung des Preisrechtsrechts rechtfertigungsbedürftig sondern dessen Dispens.
Das Verwaltungsgericht ging sogar noch einen Schritt weiter, indem es feststellte, dass selbst im Falle eines eigenständigen mittelbaren Auftrages die Beklagte hier zu einer Berücksichtigung der von der mittelbaren Auftragnehmerin (H. GmbH) in Rechnung gestellten (Fremdleistungs-) Kosten nur im Rahmen des Preisrechts befugt gewesen wäre.
Die Bindung des Preisrechts liefe leer, wenn bereits die vertragliche „Zwischenschaltung“ eines eigens zu diesem Zweck gegründeten Rechtssubjekts ausreichen würde, den öffentlichen Auftraggeber in den Stand zu versetzen, sich von der bestehenden Bindung zu lösen und nicht preisrechtskonforme Kosten zu akzeptieren. Dies führe zur Funktionslosigkeit des Preisrechts und ließe sich mit dem Sinn und Zweck der Regelung nicht mehr vereinbaren.
Schließlich setzte sich das Verwaltungsgericht noch mit der Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit auseinander und folgerte, wenn die zivilrechtliche Umgestaltung des Auftragsverhältnisses allein der vorsorglichen Lösung von Bindungen des Preisrechts dient, stellt dies einen Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten dar, der dazu führt, dass die vereinbarten Kosten jedenfalls nicht in frei vereinbarter Höhe als Entgelte für die in Anspruch genommene Fremdleistung in die Gebührenrechnung einbezogen werden können.
Fazit
Zwar sind die Gestaltungsspielräume öffentlicher Auftraggeber in Bezug auf Privatisierungsmaßnahmen unbestritten, sie dürfen aber nicht mit dem Ziel vorgenommen werden, sich von rechtlichen Bindungen lösen zu wollen. Dies wog vorliegend besonders schwer, weil die Absicht auf dem Rücken der Gebührenzahler verwirklicht werden sollte.
Die Entscheidung macht deutlich, dass dem Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen nicht nur beim allgemeinen öffentlichen Einkauf sondern auch im Bereich des öffentlichen Gebührenwesens eine besondere Funktion (Referenzfunktion) zukommt. Öffentlichen Auftraggebern ist die Beachtung des Preisrechts deshalb uneingeschränkt zu empfehlen.
Die Aussagen des Verwaltungsgerichts zu der Frage der Rechtsmissbräuchlichkeit schließlich erscheinen wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung auf öffentliche Vertragsverhältnisse außerhalb von öffentlichen Unternehmensstrukturen, übertragbar.
Hans-Peter Müller
Der Autor Hans-Peter Müller war über 20 Jahre im für die VO PR Nr. 30/53 federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für deren Inhalt und Anwendung zuständig. Zudem wirkte er maßgeblich im Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2004 und 2014 in nationales Recht mit. Er ist Mitherausgeber des Standardkommentars „Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller“ zum Preisrecht und er fungierte im April 2016 als Sachverständiger des Bundes vor dem zuständigen Senat des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen eines Verwaltungsstreitverfahrens zum Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen. Mittlerweile ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Kunz Rechtsanwälte, Koblenz/Mainz.
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