Mit dieser zweiteiligen Analyse widmet sich Hans-Peter Müller dem Thema: Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen.Teil 1 finden Sie hier. In diesem Teil 2 wird die marktwirtschaftliche Preisbildung im Rahmen von Vergabeverfahren untersucht.
Das Verhältnis der Verordnung PR Nr. 30/53 zu den Regelungen des Vergaberechts
Der Notwendigkeit, neben dem Vergaberecht ein Preisrecht für das öffentliche Auftragswesen überhaupt einzuführen liegen verschiedene Faktoren zugrunde. Zunächst ist zu nennen, dass die Vorschriften der Verordnung dazu dienen sollen, den Preisstand zu wahren. Dies ergibt sich aus ihrer Rechtsgrundlage, § 2 Preisgesetz.[1] Geht man davon aus, dass bundesweit jährlich öffentliche Aufträge im Wert von geschätzt etwa 250 – 400 Mrd. Euro vergeben werden, liegt unstreitig ein Volumen zugrunde, welches geeignet ist, den Preisstand nicht nur unmaßgeblich zu beeinflussen. Hierdurch möglichen inflationären Tendenzen wirkt die Verpflichtung zur marktwirtschaftlichen Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen entgegen.
Die Regelungen zur Vergabe öffentlicher Aufträge sind darauf ausgerichtet, ein transparentes, diskriminierungsfreies und wettbewerbliches Verfahren zu gewährleisten. Durch die hierdurch bezweckte Gleichbehandlung aller sowohl deutscher als auch grenzüberschreitender Unternehmen sollen die Märkte für öffentliche Aufträge geöffnet und allen Unternehmen gleiche Chancen auf einen öffentlichen Auftrag eingeräumt werden.
Ziel der Vergaberegeln ist es schließlich, das wirtschaftlichste Angebot, also dasjenige mit dem besten Preis-Leistungsverhältnis, zu ermitteln. Dieses erhält den Zuschlag.
Es zeigt sich, dass die Vergaberegeln diejenigen Grundsätze regeln, nach denen die Auswahl des Unternehmens vorgenommen wird, welches den öffentlichen Auftrag erhalten soll.[2] Die Vergaberegeln enthalten keinerlei Vorgaben in Bezug auf die Preisbildung an sich. Grundsätzlich ist es Auftraggebern und Unternehmen sogar untersagt, während des Vergabeverfahrens in einer Weise zu agieren oder zu reagieren, wie es im privaten Auftragswesen selbstverständlich ist. Insbesondere Verhandlungen und Anpassungen jeglicher Art sind unzulässig. Sie können sogar einen schweren Vergabeverstoß darstellen. Lediglich im Verhandlungsverfahren/Verhandlungsvergabe, welches allerdings als Ausnahmeverfahren konzipiert ist und nur bei Vorliegen gesetzlich vorgegebener Voraussetzungen gewählt werden darf, ist ein solches Verhalten von Auftraggeber und Unternehmen statthaft.
Der öffentliche Einkauf ist also Regeln unterworfen, die ein Verhalten, wie es im privaten Auftragswesen selbstverständlich ist, nahezu unmöglich machen. Vor allem diese besonderen Gründe haben den Gesetz-/Verordnungsgeber dazu veranlasst, den Wettbewerbsgedanken auf die Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen selbst auszuweiten.
Die marktwirtschaftliche Preisbildung im Rahmen von Vergabeverfahren
Die Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, den Einkauf von Leistungen in einem Vergabeverfahren zu organisieren und auszuschreiben hat eine preisrechtlich nicht unwesentliche Folge. Durch die Ausschreibung wird nämlich ein besonderer Markt geschaffen. Nur ausnahmsweise darf der öffentliche Auftraggeber außerhalb des zu schaffenden besonderen Marktes einkaufen, wenn ihm die Vergaberegeln dies ausdrücklich durch vorhandene Ausnahmen gestatten.
Der für die Auftragsvergabe speziell geschaffene besondere Markt ist ein statischer. Das Handeln der Akteure wird allein bestimmt durch das Vergaberecht. Die Preisgestaltung erfolgt im Rahmen einer einmaligen Angebotskalkulation durch den Anbieter, sofern er nicht von vorneherein einen Marktpreis für die anzubietende Leistung auf dem allgemeinen Markt nachweisen kann. Demgegenüber ist der allgemeine Markt einer ständigen Dynamik ausgesetzt, geprägt durch Aktion und Reaktion der Marktteilnehmer. Dem Vergaberecht bei öffentlichen Aufträgen vergleichbare Regeln gibt es hier nicht.
Die Tatsache, dass folglich preisrechtlich zu unterscheiden ist zwischen dem allgemeinen und dem besonderen Markt bedeutet jedoch nicht, dass sich im Rahmen einer Ausschreibung auch ein besonderer Typ von Preis herausbildet oder dass die Maßstäbe, wann sich ein Marktpreis i.S.d. Verordnung bildet, unterschiedlich wären. Sowohl für den allgemeinen als auch für den besonderen Markt gilt, dass die Marktpreisvoraussetzungen der Verordnung dieselben sind, ja sein müssen. Dies hat bereits der Erste Runderlass betr. Durchführung der VO PR Nr. 30/53 vom 22. Dezember 1953 (MinBlBMWi 1953 S. 515) unter Nr. 5 Buchst. b) klargestellt: „Preise, die durch öffentliche oder beschränkte Ausschreibung ermittelt worden sind, sind Preise nach § 4, wenn der Wettbewerb der Anbieter alle ausreichenden Garantien für ein ordnungsgemäßes Zustandekommen der Preise geboten hat. Freihändige Vergabe besagt nicht, dass Selbstkostenpreise anzuwenden sind.“
Der Wortlaut „wenn“ stellt eine conditio sine qua non[3] dar. Ein Marktpreis ergibt sich im Rahmen einer Ausschreibung nur, wenn durch den vergaberechtlichen Wettbewerb der Anbieter ein preisrechtlich ordnungsgemäßes Zustandekommen des Preises möglich war. Der Hinweis auf die Freihändige Vergabe ist besonders bedeutsam. Macht er doch deutlich, dass die vergaberechtliche Verfahrensart keinesfalls für das Zustandekommen eines bestimmten Preistyps maßgeblich ist.
Der Wortlaut besagt nicht, dass allein ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren für eine ordnungsgemäße Preisbildung ausreichend ist. Ein ordnungsgemäßes Zustandekommen des Preises kann und darf nur an den preisrechtlichen Vorgaben gemessen werden. Nicht mehr und nicht weniger bedeutet die zitierte Stelle des Runderlasses von 1953. Dies schließt eine Marktpreisbildung in einem Vergabeverfahren natürlich nicht aus, solange im Rahmen der Vergabe ein echter Angebotswettbewerb entsteht und der sich ergebende Preis als Marktpreis im preisrechtlichen Sinne feststellen lässt,[4] nämlich dann, wenn die Leistung marktgängig ist und für sie ein verkehrsüblicher Preis nachweisbar ist.
Leistungen, für die durch eine Ausschreibung ein besonderer Markt geschaffen wird sind marktgängig, wenn sie im Rahmen der Ausschreibung angeboten und vom Auftraggeber als zuschlagsfähig in das Vergabeverfahren einbezogen werden.[5] Desweiteren muss der besondere Markt funktionieren und durch einen tatsächlichen Angebotswettbewerb, d.h. durch das Vorliegen von Konkurrenzangeboten eine wettbewerbliche Preisbildung ermöglichen. Dies ist regelmäßig der Fall, wenn mehrere zuschlagsfähige Angebote eingegangen sind und das Vergabeverfahren ordnungsgemäß durchgeführt wird sowie die entsprechenden Regeln des Vergaberechts eingehalten sind.
Etwas komplexer stellt sich die Angelegenheit bezüglich der Verkehrsüblichkeit des Preises dar. Grundsätzlich gilt, der im Verkehr übliche Preis ist der Preis, für welchen die Leistung auf dem für den betreffenden öffentlichen Auftrag in Frage kommenden Markt umgesetzt wird.[6] Wird eine Leistung zum Gegenstand einer Ausschreibung, wird man bei der Beurteilung der Verkehrsüblichkeit des Preises darauf abstellen müssen, ob der im Ausschreibungswettbewerb entstandene Preis auch dem sonst üblicherweise erzielten Preis (betriebssubjektiver Preis) des Anbieters entspricht.[7] Gefordert werden eine Mehrzahl von Umsatzakten sowie eine kontinuierliche und aktuelle Preisgestaltung des Anbieters.[8] Dies ist im Falle eines besonderen Marktes aufgrund dessen Natur nicht darstellbar. Der besondere Markt wird ausschließlich für einen Beschaffungsvorgang geschaffen und mit dem Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot beendet. Mehrere Umsatzakte sowie eine kontinuierliche Preisgestaltung sind nicht möglich. Zum Nachweis der Verkehrsüblichkeit des Preises bleiben dem Anbieter deshalb folgende Alternativen:
Der Anbieter kann für die betreffende Leistung, d.h. für den gleichen, wie in der Ausschreibung geforderten Leistungsgegenstand, einen auf dem allgemeinen Markt erzielten Marktpreis nachweisen. In diesem Fall stellt es kein Problem, diesen Preis als Marktpreis für den besonderen Markt heranzuziehen.
Zwar beschränkt sich die Preisgestaltung grundsätzlich auf das konkrete Vergabeverfahren, der Auslegungsmaxime des Marktpreisvorrangs folgend, ist jedoch auf vergleichbare Ausschreibungen, an denen sich der Anbieter mit einem Preisangebot beteiligt hat, zurückzugreifen. Es kommt darauf an, dass der Anbieter im relevanten zeitlichen Umfeld der Auftragserteilung seinen Preis gegenüber dem Auftraggeber in mehreren sachlich nicht voneinander abhängigen Umsätzen unter Wettbewerbsbedingungen durchsetzen konnte.[9] Infrage kommen können auch Angebotspreise bei vergleichbaren gegenüber anderen Auftraggebern ausgeführten Aufträgen.
Ein potenzieller Wettbewerb, in welchem sich der Anbieter im Wettbewerb mit Konkurrenten glaubt, genügt den preisrechtlichen Anforderungen allerdings nicht.[10] Entscheidend sind vielmehr die im Einzelfall vorliegenden Nachweise der Verkehrsüblichkeit des im Vergabeverfahren entstandenen Preises.[11]
Es bleibt die Frage, wie bei sogenannten Newcomern auf dem Markt zu verfahren ist. Er wird mangels Umsätze einen betriebssubjektiven Preis nicht nachweisen können. Hier gilt zunächst, dass wo immer möglich, aufgrund des Marktpreisvorrangs die Marktentwicklung des Newcomers abzuwarten ist.[12] Im Rahmen der grundsätzlich nachträglich durchgeführten Preisprüfung kann anhand nachfolgender weiterer Umsätze des Anbieters beurteilt werden, ob dieser den beim ersten Vertragsabschluss vereinbarten Preis für die marktgängige Leistung auch bei späteren Abschlüssen durchsetzen konnte. Welche Zeiträume dabei in den Blick zu nehmen sind, richtet sich nach den zeitlichen Grenzen des Marktes für die umgesetzte Leistung; regelmäßig werden mindestens die Umsätze innerhalb eines Jahreszeitraums zu betrachten sein.[13]
Die Komplexität und der Schwierigkeitsgrad der Feststellung eines Marktpreises gerade in einem Vergabeverfahren stellen die Beteiligten häufig vor Probleme. Abgesehen davon, dass es widersprüchlich erscheint, bei einem ordnungsgemäß abgelaufenen vergaberechtlichen wettbewerblichen Verfahren nicht ohne Weiteres einen Marktpreis feststellen zu können.
Die dogmatische Herleitung der jeweiligen Preistypen, insbesondere des Marktpreises i.S.d. Verordnung, ist jedoch aus systematischen Gründen nicht abänderbar. Ein solches Vorgehen würde nicht nur dem Wortlaut des § 4 VO PR Nr. 30/53 zuwiderlaufen sondern vor allem den Sinn und Zweck des Preisrechts bei öffentlichen Aufträgen untergraben.
Um dennoch eine praxistaugliche Lösung für dieses komplexe Problem zu finden, sollte in der Gesamtschau preisrechtlich nichts dagegen sprechen, wenn im Rahmen eines ordnungsgemäß abgelaufenen Vergabeverfahrens eine marktgängige Leistung feststellbar ist und weder Leistungsgegenstand noch der Angebotspreis Anhaltspunkte für einen offensichtlichen Selbstkostenpreistyp oder gar preisrechtliche Unzulässigkeit bietet, als Preisbehörde auf eine Preisprüfung mit verbindlicher Feststellung des preisrechtlich zulässigen Preistyps im Rahmen des Aufgreifermessens zu verzichten.
[1] Preisgesetz vom 10.04.1948 in der vom im BGBl Teil III, Gliederungsnummer 720-1, veröffentlichten bereinigten Fassung, geändert durch Gesetz vom 18. Februar 1986 (BGBl. I S. 265).
[2] Vgl. Richtlinien für öffentliche Auftraggeber vom 01. Juli 1955 zur Anwendung der VO PR Nr. 30/53, Nr. 6.
[3] Lat.: Eine Bedingung, ohne die es nicht geht.
[4] Vgl. Rainer Müller, in: Preisgestaltung bei öffentlichen Aufträgen, NDV, Darmstadt 1993, Kap. 3.2, S. 42.; so auch Berstermann, in: ZfBR 2007, 767 (771).
[5] Hans-Peter Müller, in: 15 Jahre GWB-Vergaberecht, Festschrift für Fridhelm Marx, Beck Verlag 2013, Das Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen – nach wie vor von uneingeschränkter Bedeutung für einen öffentlichen Einkauf zu Marktpreisen.
[6] Richtlinien für öffentliche Auftraggeber vom 01. Juli 1955 zur Anwendung der VO PR Nr. 30/53, Nr. 18b.
[7] Müller/Waldmann, in: Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, § 4 Rn 69 ff.
[8] Müller/Waldmann, in: Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, § 4 Rn 47 ff.; Michaelis/Rhösa, Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen, R.v.Decker, 2017, § 4 B V.
[9] BVerwG, Urteil vom 13.04.2016 – 8 C 2.15 Rn 46.
[10] S. BVerwG, Urteil vom 13.04.2016 – 8 C 2.15 Rn 26, Rn 46.
[11] Müller/Waldmann, in: Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, § 4 Rn 80.
[12] Müller/Waldmann, in: Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, § 4 Rn 63, 65.
[13] S. BVerwG, Urteil vom 13.04.2016 – 8 C 2.15 Rn 25.
Der Autor Hans-Peter Müller war über 20 Jahre im für die VO PR Nr. 30/53 federführenden Bundesministerium für Wirtschaft und Energie für deren Inhalt und Anwendung zuständig. Zudem wirkte er maßgeblich im Gesetzgebungsverfahren zur Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien 2004 und 2014 in nationales Recht mit. Er ist Mitherausgeber des Standardkommentars „Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller“ zum Preisrecht und er fungierte im April 2016 als Sachverständiger des Bundes vor dem zuständigen Senat des Bundesverwaltungsgerichts im Rahmen eines Verwaltungsstreitverfahrens zum Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen. Mittlerweile ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Kunz Rechtsanwälte, Koblenz/Mainz.
Was passiert eigentlich, wenn eine Angebotsaufforderung als pdf.-Datei mit Preisen veröffentlicht wird?