Bei der Vergabe von Planungsleistungen ist nach wie vor nicht abschließend geklärt, ob unterschiedliche Planungsdisziplinen bei der Ermittlung des Auftragswerts zusammenzurechnen sind. In diesem Zusammenhang hat die Vergabekammer Nordbayern entschieden, dass eine Addition der Auftragswerte unterschiedlicher Leistungsbilder nur in Betracht kommt, wenn eine besonders enge Verzahnung zwischen den unterschiedlichen Planungsleistungen vorliegt, wie es für komplexe oder hochtechnische Anlagen typisch ist.
VgV, § 3 Abs. 7 S. 2
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb die Planungsleistungen des Leistungsbildes Objektplanung Gebäude und Innenräume zur Neuerrichtung eines Kindergartens im Verhandlungsverfahren mit vorgeschaltetem Teilnahmewettbewerb aus. Die Kostenschätzung des Auftraggebers für die Objektplanungsleistungen lag unterhalb des derzeit geltenden Schwellenwerts in Höhe von 221.000,00 netto. Eine konkretisierte Kostenschätzung für die Planungsgewerke der Tragwerksplanung und der technischen Gebäudeausrüstung lag noch nicht vor. Eine Addition der geschätzten Planungskosten der drei Planungsdisziplinen insgesamt hätte zur Folge gehabt, dass der Schwellenwert erheblich überschritten wäre. Der Auftraggeber beabsichtigte jedoch, zunächst nur den Architekten mit dem Projekt zu befassen. Die übrigen Fachplaner seien erst nach grober Einschätzung des Architekten in der Folge hinzuzuziehen.
Die Antragstellerin war im Nachprüfungsverfahren der Auffassung, dass die Objektplanungsleistungen dem europäischen Vergaberecht unterfallen, weil bei einer Addition der für die Errichtung des Kindergartens erforderlichen Planungsdisziplinen der Schwellenwert erheblich überschritten wäre.
Die Entscheidung
Ohne Erfolg. Die Vergabekammer stellte fest, dass der Rechtsweg nicht eröffnet sei, weil der geschätzte Auftragswert der Objektplanungsleistungen den Schwellenwert nicht erreiche.
Die Vergabekammer ist der Auffassung, dass es an einer Dokumentation einer funktionalen, wirtschaftlichen und technischen Einheit der Planungsleistungen fehlt. In diesem Zusammenhang nimmt die Kammer Bezug auf den Beschluss des Oberlandesgerichts München (Beschl. v. 13.03.2017 Verg 15/16), das in einem ähnlich liegenden Fall zu einer gegenteiligen Einschätzung gelangte (siehe den Beitrag des Autors, Vergabeblog.de vom 03/04/2017, Nr. 30404). Der Beschluss des Oberlandesgerichts München bezog sich nach Ansicht der Vergabekammer Nordbayern jedoch auf Planungsleistungen, bei denen der Auftraggeber in der Bekanntmachung ausdrücklich auf die funktionale, wirtschaftliche und technische Einheit hingewiesen hatte.
Eine Anlage mit durchschnittlicher Komplexität, wie es einen Kindergarten darstellt, erfordere zwar standardmäßig eine Integration der anderen Planungsleistungen. Diese Integrationsleistung sei für sich genommen allerdings nicht bereits als funktionelle, wirtschaftliche und technische Einheit der einzelnen Planungsleistungen zu sehen.
Rechtliche Würdigung
Zum Hintergrund: Ausgangspunkt im deutschen Recht ist die Vorschrift des § 3 Abs. 7 S. 2 VgV (inhaltsgleich: § 2 Abs. 7 S. 2 SektVO), wonach die Werte gleichartiger Planungsleistungen zusammenzurechnen sind. Die alte Rechtslage stellte vor dem 18. April 2016 in § 3 Abs. 7 S. 3 VgV a. F. noch auf Teilaufträge derselben Leistung ab und ließ sich daher eher im Sinne einer leistungsbezogene Betrachtung (entsprechend der Leistungsbilder der HOAI) interpretieren.
Ebenso wie das Oberlandesgericht München stellt die Vergabekammer Nordbayern klar, dass eine funktionale Betrachtung im Einzelfall maßgebend dafür ist, ob unterschiedliche Planungsdisziplinen für die Berechnung des Auftragswerts gemäß § 3 Abs. 7 S. 2 VgV addiert werden müssen. Allein die Tatsache, dass dem Objektplaner gemäß der HOAI (Anlage 10, 10.1 Leistungsbild Gebäude und Innenräume) eine Integration der Planungsleistungen der anderen Fachplaner aufgegeben ist, genügt für eine funktionale Einheit alleine noch nicht. Sofern nach dem Willen des Auftraggebers oder aus den Vergabeunterlagen eine enge Verzahnung der Planungsleistungen nicht hervorgeht, handelt es sich um Einzelplanungsgewerke.
Praxistipp
Öffentliche Auftraggeber sollten bei der Vergabe von Planungsleistungen jeweils sorgfältig prüfen, ob eine Addition unterschiedlicher Planungsdisziplinen vorzunehmen ist oder im Einzelfall doch von Einzelplanungsgewerken ausgegangen werden kann. Die Rechtsentwicklung, insbesondere die Auslegung des Begriffs der funktionalen Einheit ist noch nicht abgeschlossen. Ob die dem Objektplaner aufgegebene Integration der weiteren Fachplanungsdisziplinen in der Regel zu einer funktionalen Betrachtungsweise führt, konnte das Oberlandesgericht München im vergangenen Jahr offen lassen. Eine besonders enge Verzahnung liegt nach Auffassung der Vergabekammer Nordbayern jedenfalls bei komplexen oder technisch anspruchsvollen Anlagen nahe.
Besondere Vorsicht müssen kommunale Auftraggeber bei der Verwendung von Fördermitteln walten lassen. Denn bei Vergaberechtsverstößen droht eine (Teil-) Zurückforderung gewährter Zuwendungen. Diese Risiken bestehen auch noch fort, nachdem das Vergabeverfahren abgeschlossen ist und nicht mehr von nicht berücksichtigten Wettbewerbern angegriffen werden kann.
Hinweis der Redaktion
Die Planungskosten sind ein häufig diskutiertes Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW). So wird z.B. derzeit das Thema: “Sind Planungskosten bei der Schätzung des Gesamtauftragswertes einer Baumaßnahme einzubeziehen?” diskutiert. Interessante und lehrreiche Diskussion im Mitgliederbereich des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW) hier. Noch kein Mitglied? Zur kostenlosen Mitgliedschaft geht es hier.
Der Autor Dr. Martin Ott ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Herr Dr. Ott berät und vertritt bundesweit in erster Linie öffentliche Auftraggeber umfassend bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsvorhaben. Auf der Basis weit gefächerter Branchenkenntnis liegt ein zentraler Schwerpunkt in der Gestaltung effizienter und flexibler Vergabeverfahren. Daneben vertritt Herr Dr. Ott die Interessen der öffentlichen Hand in Nachprüfungsverfahren. Er unterrichtet das Vergaberecht an der DHBW und der VWA in Stuttgart, tritt als Referent in Seminaren auf und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichen. Er ist einer der Vorsitzenden der Regionalgruppe Stuttgart des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
Sehr geehrter Herr Ott,
interessant wäre nun der umgekehrte Fall. Wenn die Vergabestelle (vorsorglich) eine Planungsleistung EU weit ausschreibt, obwohl diese einzelne Leistung unterschwellig ist, wäre dann eine Zuständigkeit der Vergabekammer „automatisch“ und „zwangsläufig“ gegeben ? Für die Bieter ist es jedenfalls dann nicht transparent, wenn das Verfahren so gewählt wurde, im Rügefalle sich jedoch die Vergabestelle oder die Kammer dann wieder auf den Standpunkt zurückzieht es wäre der Rechtsweg nun doch nicht möglich, weil das Verfahren nur „vorsorglich“ gewählt wurde.