Das für die Auftragsdurchführung erforderliche Personal muss nicht bereits im Zeitpunkt der Angebotsabgabe vorhanden sein; es genügt, wenn der Bieter nachweist, dass dieses zum Zeitpunkt des Leistungsbeginns zur Verfügung stehen wird.
GWB § 122 Abs. 1, § 128; VgV § 46
Sachverhalt
Der Auftraggeber schrieb im offenen Verfahren Instandsetzungsarbeiten von Stahltragpfählen in zwei Losen aus. 50% der auszuführenden Arbeiten bildeten Unterwasserschweißarbeiten, die durch Taucher vorzunehmen waren. Die Unterwasserschweißarbeiten durften nur von Personen mit der entsprechenden personengebundenen Qualifikation durchgeführt werden. Nach der Leistungsbeschreibung hatte der Auftragnehmer vor Beginn der Arbeiten die Personalien der mit der Ausführung betrauten Angestellten zu benennen und Nachweise für deren Qualifikation vorzulegen.
Der bestplatzierte Bieter legte auf Verlangen der Vergabestelle für sein eigenes angestelltes Taucherpersonal sowie für einzelne freiberufliche Taucher Befähigungsnachweise und andere Zertifikate vor. Im Rahmen eines Aufklärungsgesprächs benannte die Beigeladene noch weitere Personen für die Auftragsdurchführung und legte für die zuvor benannten freiberuflichen Taucher so bezeichnete Verpflichtungserklärungen vor. In diesen versicherten die Freiberufler, im Auftragsfall bei dem Bieter eine Festanstellung einzugehen.
Der Auftraggeber informierte daraufhin die übrigen Bieter, dass er beabsichtige, das Angebot des bestplatzierten zu bezuschlagen. Ein übergangener Bieter wandte sich dagegen mit einem Nachprüfungsantrag. E machte geltend, sein Konkurrent sei nicht geeignet, da er nicht über genug eigenes Taucherpersonal verfüge. Schließlich sei er bereits im Parallelverfahren für Los 1 beauftragt worden und benötige auch hierfür Taucher.
Die Entscheidung
Der Nachprüfungsantrag hatte keinen Erfolg.
Gemäß VK Bund hat die Vergabestelle die Leistungsfähigkeit des bestplatzierten Bieters fehlerfrei bejaht. Insbesondere hat sie zu Recht angenommen, dass dieser über genug qualifiziertes Personal verfügen würde. Nach den Ausschreibungsunterlagen müsse das Personal erst nach Zuschlagserteilung zu Beginn der Arbeiten vorhanden sein. Es sei gerade nicht schon mit Angebotsabgabe namentlich zu benennen bzw. dessen Qualifikation nachzuweisen gewesen. Vielmehr habe der Auftraggeber die namentliche Benennung der für die Auftragsdurchführung vorgesehenen Personen nur als sog. Bedingung für die Auftragsdurchführung vorgesehen.
Die Forderung, dieses Personal schon im Angebot anzugeben, wäre so die Vergabekammer möglicherweise vergaberechtlich auch unzulässig gewesen, da der Bieter ggf. und ohne zu wissen, ob er den Auftrag überhaupt erhält – Personal einstellen müsste, welches er später womöglich gar nicht brauchen würde (unzulässiges Wagnis zu Lasten der Bieter, § 7 EU Abs. 1 Nr. 3 VOB/A). Der bestplatzierte Bieter hätte durch die Vorlage der Verpflichtungserklärungen der freiberuflichen Taucher belegt, dass sie für den Fall der Auftragserteilung weitere Berufstaucher einstellen würde bzw. dass diese tatsächlich zu einer Festanstellung bereit wären. Die Verpflichtungserklärungen würden eine belastbare Prognose ermöglichen, dass der Bieter zum Zeitpunkt des Leistungsbeginns über die benötigten personellen Ressourcen verfügen würde.
Rechtliche Würdigung
Der Entscheidung ist beizupflichten. Denn sie berücksichtigt in gleichem Maße sowohl die Interessen der Vergabestelle als auch die des Bieters. Zum einen trägt sie der Erkenntnis Rechnung, dass manche Anforderung im Hinblick auf den Nachweis der personellen Ressourcen für den Bieter unverhältnismäßig sein kann. Zum anderen berücksichtigt sie den Umstand, dass der Auftraggeber einen Auftrag nur an einen zum letztlich entscheidenden Zeitpunkt der Ausführung leistungsfähigen Bieter vergeben darf. Auch in der Rechtsprechung anderer Vergabekammern und Vergabesenate ist anerkannt, dass ein Bieter auch dann geeignet ist, wenn er die erforderlichen Kapazitäten (wie z.B. technische Ausrüstung) rechtzeitig zum Leistungsbeginn beschaffen kann.
Gleichwohl muss der Auftraggeber bereits zum Zeitpunkt der Eignungsprüfung bejahen können, dass der Bieter zum Zeitpunkt der Ausführung die erforderlichen Kapazitäten hat. Die Grundlage für diese Prüfung können entsprechende Eigenerklärungen des Bieters oder aber sofern solche nicht ausreichen auch sonstige Nachweise, z.B. in Form von Verpflichtungserklärungen Dritter, bilden. Solche Verpflichtungserklärungen sind im Vergaberecht u.a. aus der Eignungsleihe hinreichend bekannt (vgl. § 47 Abs. 1 Satz 1 VgV). Es kann nur ausnahmsweise in besonderen Konstellationen zulässig sein, wenn der Auftraggeber verlangt, dass der Bieter über das notwendige Personal ganz oder teilweise schon zum Zeitpunkt der Eignungsprüfung verfügt oder dieses namentlich benennt.
Praxistipp
Gerade in den Fällen, in denen der Auftrag den Einsatz von hochspezialisiertem Personal erfordert, kann es den Bieter vor größte Schwierigkeiten stellen, wenn er das Personal bereits mit Angebotsabgabe benennen muss. Dies gilt erst recht dann, wenn die Anzahl der auf dem Arbeitsmarkt vorhandenen entsprechend qualifizierten Arbeitskräfte überschaubar ist. Eine Forderung in den Vergabeunterlagen, wonach bereits mit Angebotsabgabe das gesamte Personal anzugeben wäre, würde zahlreichen Unternehmen die Teilnahme an der Ausschreibung unmöglich machen. Dies ist sicherlich nicht im Sinne der Auftraggeber, die i.d.R. am größtmöglichen Wettbewerb interessiert sein dürften. Zugleich muss auch sichergestellt sein, dass der Bieter für den Fall der Auftragserteilung in der Lage ist, den Auftrag ordnungsgemäß auszuführen. Der Auftraggeber darf einen Auftrag schließlich nur an einen leistungsfähigen Bieter vergeben. In den Fällen, in denen der Auftrag sehr spezifisch ist, bietet sich die in dem vorliegenden Fall beschriebene Vorgehensweise an. Sie schafft einen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen der Beteiligten.
Dr. Michael Sitsen ist Rechtsanwalt bei Orth Kluth Rechtsanwälte in Düsseldorf und Fachanwalt für Verwaltungsrecht. Er berät und begleitet seit vielen Jahren Auftraggeber und Bieter bei Ausschreibungen aller Art. Neben dem Vergaberecht gehört auch das Beihilfenrecht zu seinen Beratungsschwerpunkten. Er hält Schulungen zum Vergaberecht, u.a. für den Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e.V. (BME), und ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen. Vor seiner anwaltlichen Tätigkeit war er mehrere Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter des bekannten Vergaberechtlers Prof. Dr. Jost Pietzcker in Bonn.
Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Dr. Sitsen,
was wäre, wenn ein öAG das o. g. Spezialpersonal (Taucher) als Wertungs- bzw. Zuschlagskriterium im Vergabeprozess gewählt hätte?
Dies ist ja mittlerweile möglich, wenn das „verlangte“ Personal auftragsbezogen erforderlich ist.
MfG
Andreas Schmidt