Vergaberechtsreform, E-Vergabe, Einführung der UVgO…, der Gesetzgeber hat der öffentlichen Beschaffung in den letzten Jahren einiges zugemutet. Nachdem sich nun der erste Staub gelegt hat, die neuen Regeln verinnerlicht und die Prozesse eingespielt sind, wird der Kopf frei für Neues: In jüngster Zeit ist zu beobachten, dass einige öffentliche Auftraggeber die elektronische Auktion als innovatives Beschaffungsinstrument entdeckt haben. Die elektronische Auktion ist kein eigenständiges Vergabeverfahren. Sie ist vielmehr ein Prozess, in dessen Verlauf sich die Bieter im Preis unterbieten (umgekehrte Ebay-Auktion). Sie kann insbesondere in offenen Verfahren/öffentlichen Ausschreibungen und nichtoffenen Verfahren/beschränkten Ausschreibungen zum Einsatz kommen und damit etwas ermöglichen, was das Vergaberecht für diese Verfahrensarten eigentlich ausschließt: Nachverhandlungen.
1. Rechtlicher Rahmen
Geregelt ist die elektronische Auktion im Wesentlichen in §§ 24, 25 VgV. Diese Vorschriften gelten für alle Verfahren oberhalb der Schwellenwerte, also auch für Bauvergaben (§§ 2 VgV, 4b EU Abs. 2 VOB/A). Für die Vergabe von Liefer- und Dienstleistungsaufträgen unterhalb der Schwellenwerte verweist § 18 UVgO auf diese Vorschriften. Für Bauvergaben unterhalb der Schwellenwerte fehlt dagegen ein solcher Verweis. Die elektronische Auktion ist aber auch hier möglich: Denn grundsätzlich ist alles, was das Vergaberecht für Verfahren oberhalb der Schwellenwerte erlaubt, unterhalb der Schwellenwerte erst recht zulässig.
2. Technische Voraussetzungen
Zur Durchführung einer elektronischen Auktion bedarf es einer entsprechenden Software. Von den derzeit am deutschen Markt operierenden Anbietern von E-Vergabe-Lösungen und Vergabemanagementsoftware bieten die Administration Intelligence AG, die Healy Hudson GmbH und die Vortal S.A. ein entsprechendes Modul an. Die kommunale Einkaufsgemeinschaft Kubus GmbH aus Schwerin verwendet für die Beschaffung von Strom und Gas eine eigens für diese Produkte entwickelte Software der enPortal GmbH (hierzu später mehr). Alle diese Lösungen genügen den allgemeinen vergaberechtlichen Sicherheitsstandards und sorgen insbesondere dafür, dass die Angebote in der laufenden Auktion elektronisch bewertet und automatisch in eine Rangfolge gebracht werden (§ 25 Abs. 2 S. 1 VgV).
3. Einbettung in das Vergabeverfahren
Die elektronische Auktion kann in jeder gängigen Vergabeverfahrensart (offenes, nichtoffenes, Verhandlungsverfahren usw.) zum Einsatz kommen (§ 25 Abs. 1 S. 1 VgV). Sie wird zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebots eingesetzt. Die elektronische Auktion ist also in ein Vergabeverfahren eingebettet. In der Auftragsbekanntmachung ist mitzuteilen, dass eine elektronische Auktion beabsichtigt ist (§ 26 Abs. 1 VgV). Das Vergabeverfahren ist sodann nach den allgemeinen hierfür geltenden Regeln durchzuführen. Die Bieter haben vollwertige Angebote einzureichen und insbesondere auch einen Preis anzugeben. Die formell ordnungsgemäßen Angebote geeigneter Bieter werden einer vollständigen erste Bewertung anhand der Zuschlagskriterien und der jeweils dafür festgelegten Gewichtung unterzogen (§ 25 Abs. 1 S. 3 VgV).
Im Anschluss hieran ist die elektronische Auktion durchzuführen. Die Bieter können in dessen Verlauf ihre Angebote in Bezug auf Zuschlagskriterien modifizieren, die einer automatisierten Bewertung zugänglich sind. Das wird fast immer den Preis betreffen. In erster Linie wird sich hier ein Unterbietungswettbewerb anbieten.
Hierzu ein Beispiel: Alleiniges Zuschlagskriterium für eine Lieferleistung ist der Preis. Es gehen vier Angebote ein, von denen drei wertbar sind. Die in den wertbaren Angeboten genannten Preise belaufen sich auf 8.000 € (Bieter A), 8.300 € (Bieter B) und 8.800 € (Bieter C). Die drei verbleibenden Bieter erhalten nun die Möglichkeit, ihren Preis zu senken, um sich in der Wertung nach vorne zu schieben bzw. ihren ersten Platz zu halten. Im Verlauf der Auktion reduziert der erstplatzierte Bieter A sein Angebot um weitere 200 € auf 7.800 €. Da Bieter B sein Angebot von 8.300 € aber um 600 € auf 7.700 € reduziert, erhält er letztendlich den Zuschlag.
Das Beispiel macht deutlich, dass die elektronische Auktion wirtschaftlich auf eine Nachverhandlung des Preises hinausläuft. Sie ermöglicht es den Auftraggebern, den im Markt herrschenden Wettbewerb in einem transparenten und rechtskonformen Verfahren konsequent für sich zu nutzen.
4. Ausgestaltung der elektronischen Auktion
Bei der Ausgestaltung der elektronischen Auktion hat der öffentliche Auftraggeber eine Reihe von Möglichkeiten. Für welche Variante er sich entscheidet, muss er vorab mitteilen.
a) Dauer der Auktion
Die Dauer der Auktion kann auf zweierlei Weise festgelegt werden: Der öffentliche Auftraggeber kann die Zahl der Gebotsrunden festlegen, die ihrerseits zeitlich bestimmt sind. Beispiel: Es werden zwei Gebotsrunden von jeweils einer Stunde festgelegt. Die Gesamtdauer der Auktion beträgt dann zwei Stunden. In der ersten Gebotsrunde reduziert nur Bieter B sein Angebot von 8.300 auf 7.900 €. In der zweiten Gebotsrunde reduziert Bieter A sein Angebot von 8.000 € auf 7.800 € und Bieter B sein Angebot nochmals von 7.900 € auf 7.700 €.
Die Dauer der Auktion kann alternativ auch ohne Festlegung einer Zahl von Gebotsrunden bestimmt werden. Beispiel: Die Dauer der Auktion wird auf zwei Stunden festgelegt. In dieser Zeit können die Bieter beliebig viele, sich unterbietende Angebote abgeben. Nach Ablauf der zwei Stunden hat Bieter B mit 7.700 € das niedrigste Angebot abgegeben, er erhält den Zuschlag.[i]
Der Auftraggeber kann auf die Festlegung einer bestimmten Dauer aber auch verzichten. Hier ist die Auktion dann beendet, wenn das beste Angebot nicht innerhalb einer bestimmten Frist weiter unterboten wird („Zum ersten, zum zweiten, zum dritten…“). Beispiel: Es wird festgelegt, dass das beste Angebot innerhalb von 5 Minuten weiter unterboten werden muss. 5 Minuten, nachdem Bieter B 7.700 € geboten hat, erhält er den Zuschlag, da Bieter A und C keine besseren Angebote abgegeben haben.
b) Informationen für die Bieter
Den Bietern muss mindestens ihr Rang mitgeteilt werden (§ 26 Abs. 5 S. 1 VgV). Beispiel: Vor Beginn der Auktion erhält Bieter A die Information, dass er auf dem ersten Rang liegt, Bieter B, dass er auf dem zweiten Rang liegt und Bieter C, dass er auf dem dritten Rang liegt. In der ersten Gebotsrunde reduziert Bieter B sein Angebot von 8.300 auf 7.900 €. Nunmehr erfährt A, dass er auf den zweiten Platz zurückgefallen ist, B, dass er nunmehr auf dem ersten Platz liegt und C, dass er immer noch auf dem dritten Rang liegt. Weitere Veränderungen werden den Bietern fortlaufend mitgeteilt, bis die Auktion beendet ist.
Möglich ist auch die Preisgabe weiterer Informationen. So kann der öffentliche Auftraggeber zusätzlich das Bestangebot offenbaren. Beispiel: Die Bieter erfahren ihren Rang und zusätzlich, dass das Bestangebot bei 8.000 € liegt. Nach der ersten Gebotsrunde erfahren sie neben ihrem neuen Rang, dass das Bestangebot bei 7.900 € liegt. In der Auktion können weitergehend auch die Gebote aller Mitbieter offengelegt werden. Dann haben die Bieter während der gesamten Auktion den gleichen Wissensstand wie der öffentliche Auftraggeber.[ii]
c) Sonstiges
Um das Verfahren nicht unnötig in die Länge zu ziehen, kann der öffentliche Auftraggeber einen Mindestabstand zwischen dem Bestgebot und einem neuen Gebot festlegen (Beispiel: 100 €).
Anstatt eines absteigenden Verfahrens ist auch ein aufsteigendes Auktionsverfahren möglich. Hier steigt der Preis nach einem festgelegten Prinzip, bis einer der Bieter ein Angebot abgibt. Dann ist die Auktion abgeschlossen. Beispiel: Der öffentliche Auftraggeber schätzt den Marktpreis der Leistung auf 8.000 € und hält einen Preis von unter 7.000 € für unangemessen niedrig. Ab 9.500 € würde er das Vergabeverfahren wegen Unwirtschaftlichkeit aufheben. Er legt 7.000 € als Ausgangspreis fest und bestimmt, dass sich dieser Preis alle 10 Minuten um 100 € erhöht, bis 9.500 € erreicht sind. Bei 7.500 € gibt Bieter B ein Angebot ab. Die Auktion ist damit beendet, B erhält den Zuschlag zum Preis von 7.500 €.
Eine Auktion kann auch Teil eines Vergabeverfahrens sein, bei dem der Preis nicht das alleinige Zuschlagskriterium ist. Beispiel: Der Preis fließt zu 70 % in die Wertung ein, die Qualität zu 30 %. Vor Durchführung der Auktion wird die Qualität der einzelnen Angebote bewertet. In der Auktion gibt A ein Angebot von 7.900 €, B von 7.800 € und C von 8.800 € ab. Diese Preise fließen in die Angebotswertung ein.
In der Praxis behalten sich öffentliche Auftraggeber in einem Verhandlungsverfahren/einer Verhandlungsvergabe/freihändigen Vergabe häufig die Durchführung einer elektronischen Auktion vor und führen sie nur bei Bedarf durch. Diese Vorgehensweise ist im Gesetz nicht geregelt, dürfte aber zulässig sein.[iii]
5. Einsatzmöglichkeiten in der Praxis
Gegen den Einsatz elektronischer Auktionen wird gelegentlich eingewandt, dass er die Bieterseite ungebührlich unter Druck setze und damit keine Akzeptanz finde. Dies entspricht aber nicht den Rückmeldungen, die der Verfasser von öffentlichen Auftraggebern erhalten hat, die mit der elektronischen Auktion arbeiten. Die elektronische Auktion schafft zwar einen gewissen Druck, sorgt für den Bieter aber auch für ein erhöhtes Maß an Transparenz. Er weiß, wo er im Markt steht.
In Deutschland ragt ein Beispiel für den Einsatz elektronischer Auktionen in der öffentlichen Beschaffung heraus: der Einkauf vom Strom und Gas durch die Einkaufsgemeinschaft Kubus GmbH. Dieses wirtschaftlich sehr erfolgreiche Modell wird derzeit von ca. 2.000 Kommunen in Anspruch genommen. Die hierfür eingesetzte Software bildet dabei den gesamten Beschaffungsprozess von der Erstellung des Leistungsverzeichnisses bis zur Abrechnung der einzelnen Abnahmestellen ab. Die elektronische Auktion ist dabei nur ein Baustein, wenn auch ein zentraler. Für Strombeschaffungen bietet sich die elektronische Auktion in besonderem Maße an, weil sie eine deutliche Verkürzung der Zeit zwischen der Abgabe eines verbindlichen Angebots und dem Zuschlag ermöglicht. Für die Bieter ist dies attraktiv, weil die Marktpreise für Strom und Gast relativ starken Schwankungen ausgesetzt sind. Je schneller der Auftraggeber den Zuschlag auf ein Angebot erteilen kann, desto größer ist die Kalkulationssicherheit für die Bieter. Dies wirkt sich günstig auf die Preise aus.
Ansonsten ist zu beobachten, dass das Verfahren derzeit in erster Linie von kommunalen Unternehmen (Energieversorgungsunternehmen, Verkehrsbetriebe) und der Deutschen Bahn genutzt wird. Dem Verfasser wurde vom erfolgreichen Einsatz des Instruments bei Beratungsleistungen, der Lieferung von Werkzeug und von Baumaterialen berichtet. Auch bei Bauleistungen ist es schon zum Einsatz gekommen und zwar sowohl bei Pauschalpreis- wie auch bei Einheitspreisverträgen. Im letztgenannten Fall war ein Rabatt Gegenstand der Auktion. Beispiel: Die Summe der Einzelpreise beläuft sich bei Bieter A auf 101.000 €, bei Bieter B auf 100.000 €. Im Zuge der Auktion räumt Bieter A dem Auftraggeber einen Pauschalrabatt von 3 % ein, Bieter B von 1 %. Bieter A erhält den Zuschlag. Rechnet er hinterher 104.000 € ab, wird er den Rabatt auf diesen Betrag gewähren.
Bei der Vergabe geistig-schöpferischer Leistungen (z.B. Planungsleistungen eines Ingenieurs) darf die elektronische Auktion nicht zum Einsatz kommen (§ 25 Abs. 1 S. 2 VgV).[iv]
6. Fazit
Die elektronische Auktion bietet gute Chancen zur Erzielung besserer Einkaufspreise. Für welche Produkte sie geeignet ist und für welche nicht, wird sich mit der Zeit herauskristallisieren. Deshalb sollten öffentliche Auftraggeber das Verfahren einfach mal testen und ihre diesbezüglichen Erfahrungen untereinander austauschen.
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[i] Das entspricht dem Verfahren bei Ebay.
[ii] Das entspricht dem Verfahren bei Ebay.
[iii] Sie entspricht im Ergebnis der gesetzlich ausdrücklich zulässigen Möglichkeit, den Zuschlag in einem Verhandlungsverfahren/einer freihändigen Vergabe auf Grundlage eines Erstangebots zu erteilen (§§ 17 Abs. 11 VgV, 8 Ab4. 4 S. 2 UVgO).
[iv] Diese Einschränkung ist nach Ansicht des Verfassers fragwürdig, aber derzeit geltendes Recht. Ein kommunaler Energieversorger hat dem Verfasser berichtet, dass er die elektronische Auktion für die Vergabe von Ingenieurleistungen erfolgreich eingesetzt hat. Da es sich um einen Auftrag unterhalb der Schwellenwerte handelte und der Auftraggeber nicht an Vergaberecht gebunden war, war das Verbot für ihn nicht relevant.
Hinweis der Redaktion
Der Beitrag des Autors wurde im Supply Magazin 0519 erstveröffentlicht.
Prof. Dr. Matthias Einmahl
Prof. Dr. Matthias Einmahl ist seit 2005 Professor an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW in Köln. Er lehrt dort Zivilrecht, öffentliche Beschaffung/Vergaberecht und juristische Methodik. Prof. Dr. Matthias Einmahl hat zudem einen Lehrauftrag im Masterstudiengang New Public Management der FH Dortmund für das Modul öffentliche Beschaffung/Vergaberecht. Er war zwischen 1996 und 2004 Richter und kurzzeitig Staatsanwalt in Halle/Saale. Prof. Dr. Matthias Einmahl forscht und publiziert auf den Gebieten der öffentlichen Beschaffung und der Korruptionsprävention. Zu diesen Themen führt er auch Fortbildungen durch und berät Kommunen.
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