Eine hohe Unterauftragnehmerquote führt in der öffentlichen Beschaffungspraxis nicht selten zu mangelhaften, nicht ordnungsgemäßen Leistungen. Solche nachteiligen Folgen zu vermeiden, ist ein legitimes Ziel öffentlicher Auftraggeber. Sie dürfen deshalb von den Bietern verlangen, die Teile des Auftrages zu benennen, die im Wege der Unterauftragsvergabe an Dritte vergeben werden sollen. Eine prozentuale Beschränkung von Subunternehmern sieht das EU-Vergaberecht aber nicht ausdrücklich vor. In Italien ist hingegen geregelt, dass der Nachunternehmeranteil höchstens 30% betragen darf. Dadurch will Italien dem Phänomen der Infiltration durch die Mafia bei öffentlichen Aufträgen vorbeugen. Zu Recht?
§§ 36, 47 Abs. 5 VgV; § 6d EU Abs. 4 VOB/A; Art. 63 Abs. 2, 71 RL 2014/24/EU
Leitsatz
Die RL 2014/24/EU ist dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, die den Teil eines öffentlichen Auftrages auf 30% beschränkt, den der Bieter als Unterauftrag an Dritte vergeben darf.
Sachverhalt
Der größte Betreiber mautpflichtiger Straßen in Italien (Autostrade per lItalia S.p.A.) hat im nicht offenen Verfahren Autobahnbauarbeiten europaweit ausgeschrieben. Ein Bieter (Vitali) wurde vom Vergabeverfahren ausgeschlossen, weil er die im italienischen Recht vorgesehene Grenze von 30% für die Vergabe von Unteraufträgen überschritten hat.
Die Entscheidung
Art. 71 Abs. 2 RL 2014/24/EU (bzw. § 36 Abs. 1 Satz 2 VgV) bestimmt, dass der öffentliche Auftraggeber den Bieter auffordern kann, in seinem Angebot den Anteil des Auftrages anzugeben, den er gegebenenfalls im Wege von Unteraufträgen an Dritte zu vergeben gedenkt. Dadurch soll der Wettbewerb, insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen, stärker geöffnet werden (Rdnr. 27).
Aus dieser Vorschrift kann aber nicht abgeleitet werden, dass die EU-Mitgliedstaaten den Unterauftragnehmereinsatz auf einen prozentual abstrakt festgelegten Marktanteil beschränken könnten (Rdnr. 30, 43).
Eine solche Beschränkung verstößt vor allem gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Zwar ist die Bekämpfung des Phänomens der Infiltration der organisierten Kriminalität im Bereich der öffentlichen Aufträge ein legitimes Ziel, um Gleichbehandlung und Transparenz sicherzustellen. Allerdings geht eine quantitative Beschränkung des Unterauftragnehmereinsatzes über das hinaus, was zur Zielerreichung erforderlich ist (Rdnr. 37 ff.).
Denn das allgemeine und abstrakte Verbot des Nachunternehmereinsatzes über einen festen Prozentsatz hinaus, lässt unberücksichtigt, (1.) welcher Wirtschaftsbereich berührt ist, (2.) um welche Art von Arbeiten es sich handelt und (3.) welche Identität die Unterauftragnehmer haben. Eine Einzelfallprüfung durch den öffentlichen Auftraggeber ist wegen der Subunternehmerquote ausgeschlossen (Rdnr. 40).
Eine quantitative bzw. prozentuale Beschränkung hätte somit zur Folge, dass für alle öffentlichen Aufträge ein erheblicher Teil der ausgeschriebenen Leistungen vom Bieter selbst erfüllt werden muss, weil er andernfalls automatisch vom Vergabeverfahren ausgeschlossen wird. Das würde selbst dann gelten, wenn der Bieter die Identität der vorgesehenen Subunternehmer selbst überprüfen kann, und wenn er nach dieser Prüfung der Ansicht ist, dass ein solches Verbot nicht erforderlich ist, um im Rahmen des fraglichen Auftrages gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen (Rdnr. 41).
Eine Beschränkung des Einsatzes von Unterauftragnehmern verstößt deshalb gegen die RL 2014/14/EU (Rdnr. 43, 45).
Rechtliche Würdigung
Die Luxemburger Richter bestätigen, dass das EU-Vergaberecht grundsätzlich kein Gebot der Selbstausführung kennt. Schon vor über 20 Jahren hat der Gerichtshof entschieden, dass ein Bieter nicht allein deshalb von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden kann, weil er Nachunternehmer zur Auftragsausführung einsetzen will (EuGH, Urt. v. 14.04.1994 C-389/92 Ballast Nedam Groep; Urt. v. 02.12.1999 C-176/78 Holst Italia).
An dieser Spruchpraxis halten die europäischen Richter unbeirrt fest. Auch die Bekämpfung der organisierten Kriminalität kann eine prozentuale Subunternehmerquote nicht rechtfertigen. Die Nachteile, die eine abstrakte Quote auf den Wettbewerb bei der Vergabe öffentlicher Aufträge hätte, erscheinen dem EuGH letztlich als unverhältnismäßig. Damit kommt nicht nur dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der EU-Vergaberechtsprechung wiederholt große Bedeutung zu. Zugleich ist der Richterspruch ein Votum für Wettbewerb und freie Märkte.
Eine starre Subunternehmerquote (vgl. dazu auch EuGH, Urt. v. 14.07.2016 C-406/14 Wroclaw Miasto na prawach powiatu) würde das ökonomische Ziel einer Nachunternehmerschaft konterkarieren. Zum einen wäre der Bieter in seiner unternehmerischen Entscheidung eingeschränkt, fehlende technische, personelle, wissensgetragene oder kapazitätsbedingte Ressourcen über Dritte zu erschließen. Zum anderen wäre den Unterauftragnehmern die Möglichkeiten genommen, überhaupt an öffentlichen Aufträgen teilzuhaben. Das von öffentlichen Auftraggebern in diesem Zusammenhang – häufig auch zu Recht – reklamierte Risiko, dass ihnen teils ungeeignete und kaum kontrollierbare Nachunternehmer untergeschoben werden können, hat hingegen die richterliche Entscheidungsfindung noch nicht nachhaltig beeinflussen können.
Praxistipp
Kein Grundsatz ohne Ausnahme. § 47 Abs. 5 VgV und § 6d EU Abs. 4 VOB/A räumen die Möglichkeit ein, ausnahmsweise dem Bieter die Selbstausführung vorzugeben. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich um kritische Aufgaben handelt. Das Vergaberecht zählt dazu etwa Verlege- oder Installationsarbeiten bei einem Lieferauftrag.
Übrigens: Nach § 26 Abs. 6 UVgO kann der öffentliche Auftraggeber bei der Vergabe von Dienstleistungs- und Lieferaufträgen unterhalb der EU-Schwellenwerte ausdrücklich vorschreiben, dass alle oder bestimmte Aufgaben vom Bieter selbst erbracht werden müssen. Bei unterschwelligen Bauaufträgen wird aus § 6 Abs. 3 VOB/A ein Gebot der Selbstausführung gefolgert. Bei Unterschwellenvergaben mit Binnenmarktbezug können nachunternehmerbezogene Restriktionen allerdings mit den zu beachtenden Grundfreiheiten des AEUV in Konflikt stehen (Vgl. EuGH, Urt. v. 05.04.2017 C-298/17 Borta).
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss "Fachanwalt für Vergaberecht" der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.
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