Obwohl der EuGH (vgl. Urt. v. 21.3.2019 – C-465/17 – Falck) in seiner Grundsatzentscheidung zur Bereichsausnahme Rettungsdienst (vgl. § 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB) wichtige Streitfragen zum sachlichen und persönlichen Anwendungsbereich überzeugend geklärt hatte (vgl. Bühs, EuZW 2019, 414), fehlt es bislang an einer insoweit positiven Entscheidung der Verwaltungsgerichte bzw. der Nachprüfungsinstanzen. Grund hierfür ist, dass sich in der Zeit, in dem das betreffende Vorabentscheidungsgesuch (vgl. OLG Düsseldorf, Beschl. v. 12.6.2017 – VII Verg 34/16) beim EuGH anhängig war, eine Auslegung der Bereichsausnahme zu Recht durchsetzte, wonach dann kein Ausschluss vom GWB-Regime stattfindet, soweit der öffentliche Auftraggeber nicht den Kreis der Teilnehmer auf allein gemeinnützige Organisationen oder Vereinigungen von vornherein beschränkt hat (vgl. hierzu grundlegend VK Südbayern, Beschl. v. 14.2.2017 – Z3-3-3194-1-54-12/16). Zudem entstand ein Streit darüber, inwieweit hierzu eine entsprechende Privilegierung für gemeinnützige Organisationen im jeweiligen Landesrettungsdienstgesetz erforderlich ist (siehe hierzu unter Bewertung). Nun liegt die erste Entscheidung eines Vergabesenats vor, der für Hamburg die Voraussetzungen der Bereichsausnahme als erfüllt angesehen und das bei ihm anhängige Verfahren an das VG Hamburg verwiesen hat. Der Autor geht auf den Verweisungsbeschluss näher ein.
Sachverhalt
Gegenstand des Verfahrens ist eine angekündigte Vergabe für die Notfallrettung in Hamburg. In der hierzu erfolgten Bekanntmachung teilt der öffentliche Auftraggeber mit, dass die Zuschlagsentscheidung für den auf 100.000.000 Euro geschätzten Auftrag durch ein verwaltungsrechtliches Auswahlverfahren unter Anwendung der Bereichsausnahme erfolgen wird. Den Kreis der Leistungserbringer beschränkt die Behörde nach den Vorgaben des neuen hamburgischen Rettungsdienstgesetz (vgl. § 14 HmbRDG) auf gemeinnützige Organisationen. Danach kann – vereinfacht gesagt – die zuständige Behörde den Kreis auf diejenigen Leistungserbringer beschränken, die gemeinnützige Organisationen im Sinne der Bereichsausnahme sind, und deren Mitwirkung im Katastrophenschutz die zuständige Behörde zugestimmt hat. Nach erfolgloser Rüge erhebt die Antragstellerin vor der VK Hamburg einen Nachprüfungsantrag. Diese weist den Antrag zurück, weil die Voraussetzungen der Bereichsausnahme vorlägen (vgl. Beschl. v. 16.4.2020 – 1 Verg 2/20 –, nv). Insbesondere habe der öffentliche Auftraggeber den Kreis der Teilnehmer im Sinne der Bereichsausnahme rechtmäßig begrenzt. Im Übrigen komme es auch nicht darauf an, was diesbezüglich im hamburgischen Rettungsdienstgesetz geregelt sei, weil der Landesgesetzgeber insoweit keine Gesetzgebungskompetenz habe.
Die Entscheidung
Auf die sofortige Beschwerde hin verweist das OLG Hamburg das Verfahren an das VG Hamburg. Der Vergabesenat geht ebenso davon aus, dass die Voraussetzungen der Bereichsausnahme vorliegen. Nach den landesrechtlichen Vorgaben habe der öffentliche Auftraggeber ein Wahlrecht, ob er den Kreis der Teilnehmer entsprechend begrenzen kann. Dies habe er auch ordnungsgemäß ausgeübt. Vor diesem Hintergrund sei das Verfahren auch an das VG Hamburg zu verweisen, weil dieses hier zuständig sei. Auch hätte die Antragstellerin hinreichend zu erkennen gegeben, dass sie die Sache im Falle einer Verweisung weiterverfolgen will. Die Rechtsbeschwerde sei jedoch nicht zuzulassen, weil die entschiedene Rechtsfrage keine grundsätzliche Bedeutung habe: Es handle sich um eine landesrechtliche Frage, die sich mit Blick auf die Vielfalt der landesgesetzlichen Regelungen des Rettungsdienstwesens auch nicht bundeseinheitlich klären lasse.
Bewertung
Der Sache nach handelt es sich hier – etwas kompliziert gesagt – um eine zurückweisende Beschwerde gegen einen (hier nicht erfolgten) Verweisungsbeschluss der Vergabekammer an das Verwaltungsgericht, was sich dem Grunde nach auch bereits aus der gerichtlichen Tenorierung ergibt. Der Umstand, dass die Verweisung (erst) durch den Vergabesenat erfolgte, liegt darin, dass eine Vergabekammer bekanntlich kein Gericht iSv § 17a GVG ist, und daher weder Urheber noch Adressat eines Verweisungsbeschlusses in unmittelbarer Anwendung der betreffenden Vorschrift sein kann. Auch eine analoge Anwendung soll nach der herrschenden Meinung nicht möglich sein: Es fehle jedenfalls an einer planwidrigen Regelungslücke, da – wie auch hier – letztlich der Vergabesenat das Verfahren bindend an das Gericht des zuständigen Rechtsweges, d.h. hier das Verwaltungsgericht, verweisen könne (vgl. grundlegend OVG Weimar, Beschl. v. 18.11.2004 – 2 EO 1329/04). Hiergegen spricht jedoch, dass auch der Vergabesenat – wie ebenfalls hier – nicht von § 17a GVG in unmittelbarer Anwendung Gebrauch machen kann (vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf, Beschl. v. 20.03.2019 – Verg 65/18 –, juris Rn. 74 „entsprechender Anwendung“). Dies zeigt sich insbesondere daran, dass er sich diesbezüglich wohl als Erstinstanz und nicht als Rechtsmittelgericht im Sinne der Vorschrift versteht, weil dies der BGH erst kürzlich klargestellt hatte (vgl. Beschl. v. 10.12.2019 – XIII ZB 119/19 –, juris Rn. 15) und der hanseatische Vergabesenat auf die Rechtsprechung des BGH auch ausdrücklich Bezug nimmt (vgl. BeckRS Rn. 54). Damit müsste aber auch sein Beschluss streng genommen beschwerdefähig sein (vgl. § 17a Abs. 4 Satz 3 GVG), denn die Möglichkeit die weitere Beschwerde zuzulassen, also hierüber zu entscheiden, hat nur das Rechtsmittelgericht und nicht die Erstinstanz. Deshalb überzeugt es auch nicht, eine Verweisungsmöglichkeit nach § 17a Abs. 2 GVG in analoger Anwendung an die und von der Vergabekammer aufgrund einer fehlenden Regelungslücke abzulehnen, weil es diesbezüglich nicht darauf ankommen kann, wer die Regelungslücke schließt, sondern nur, ob eine solche vorliegt oder nicht (ausführlich hierzu Bühs, VergabeR 2020, 29).
Wie dem auch sei: Die Entscheidung des Vergabesenats ist dennoch überzeugend, weil die Vergabekammer noch keinen Verweisungsbeschluss gefasst hatte, und hier richtiger Weise auch nicht der Vergabe- sondern der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist. Grund hierfür ist, dass die Voraussetzungen der Bereichsausnahme Rettungsdienst vorliegen. Insbesondere hatte der öffentliche Auftraggeber rechtzeitig den Kreis der Teilnehmer auf allein gemeinnützige Organisationen beschränkt und sich insoweit an die landesrechtlichen Vorgaben gehalten, auf die es im Zweifel jedoch auch nicht angekommen wäre (vgl. Bühs, NVwZ 2019, 1410 aA Braun/Zwetkow, NZBau 2020, 219, 219; Stein/Terbrack in BeckOK Vergabe, 14. Ed. 31.10.2019, GWB § 107 Rn. 44 mwN). Auch war hier der Verwaltungs- und nicht der Zivilrechtsweg eröffnet, weil hier das Auswahlverfahren in den „Bahnen des öffentlichen Rechts“ (vgl. BGH, Beschl. v. 23.1.2012 – X ZB 5/11 –, juris Rn. 20) erfolgte, denn der öffentliche Auftraggeber hatte angekündigt, einen öffentlich-rechtlichen Vertrag nach einem verwaltungsrechtlichen Auswahlverfahren schließen zu wollen (vgl. auch hierzu Siegel/Eisentraut, VerwArch 2018, 454, 470).
Wie geht es jetzt weiter?
Auf das Verwaltungsgericht dürfte nun eine ganze Reihe von Rechtsfragen in prozessualer Hinsicht zukommen (zur Übersicht und mwN Bühs, Vergabeblog.de vom 11/05/2020 Nr. 43998). Daneben wird es um die Frage gehen, was sich als materielles Rettungsdienstvergaberecht jetzt überhaupt noch rügen lässt (vgl. hierzu ausführlich Bühs, EuZW im Erscheinen). Herausgegriffen sei hier nur zum einen, ob für das Verfahren, d.h. der Verwaltungsstreitsache, ein Eilbedürfnis besteht, sowie, ob neben der Bereichsausnahme zum anderen das Vergabeprimärrecht zu beachten ist.
1. Zum Eilbedürfnis
Spannend wird sein, ob das Verwaltungsgericht von einem Eilbedürfnis ausgeht. So ergibt sich aus den Entscheidungsgründen des Vergabesenats (vgl. BeckRS Rn. 5), dass der öffentliche Auftraggeber beabsichtigt, mit dem Zuschlagsbieter einen öffentlich-rechtlichen Vertrag zu schließen. In diesem Fall sind Teile der Rechtsprechung der Ansicht, dass dann auch § 58 Abs. 1 VwVfG zur Anwendung kommt (vgl. VG Düsseldorf, Beschl. v. 15.9.2016 – 7 L 2411/16 –, juris, VG Mainz, Beschl. v. 21.5.2019 – 1 L 153/19.MZ –, nv). Danach wird ein öffentlich-rechtlicher Vertrag, der in Rechte eines Dritten eingreift, erst wirksam, wenn der Dritte schriftlich zustimmt. Ist dies der Fall bestünde auch kein Grund zur Eile, weil der Vertrag ohnehin nicht wirksam sei, bis eine Zustimmungserklärung vorliege. Hiergegen spricht jedoch, dass die Vorschrift für das Vergabeverwaltungsrecht nicht passt, weil dies nicht mit dem allgemeinen vergaberechtlichen Grundsatz in Einklang zu bringen ist, dass sich ein einmal ergangener Zuschlag grundsätzlich nicht mehr rückgängig machen lässt (vgl. ausführlich Bühs, NdsVBl. 2017, 40; ders. NVwZ 2017, 440, 440). Der öffentliche Auftraggeber hat im Übrigen wohl schon klargestellt, dass er nicht beabsichtigt, vor einer gerichtlichen Entscheidung einen Vertragsschluss vorzunehmen (vgl. BeckRS Rn. 25), weshalb wohl auch hier kein Hängebeschluss erfolgen wird (vgl. zu den Voraussetzungen ausführlich VGH Mannheim, Beschl. v. 14.10.2019 – 9 S 2643/19).
2. Zum Vergabeprimärecht
Daneben wird zu klären sein, ob neben der Bereichsausnahme das Vergabeprimärrecht zu prüfen ist. Auch wenn die konkreten Voraussetzungen an die hierfür notwendige Binnenmarktrelevanz sicherlich noch konkretisierungsbedürftig sind (vgl. Friton in BeckOK VergabeR, 14. Ed. 15.4.2017, GWB EU und GPA Rn. 46), dürfte es hier insbesondere mit Blick auf das geschätzte Auftragsvolumen von 100.000.000 Euro sowie dem geographischen Standort Hamburg, d.h. vor allem der Grenznähe zu Dänemark sowie den Niederlanden, wohl ausreichend sein, um eine solche anzunehmen. Ist dies der Fall, stellt sich die derzeit noch umstrittene Frage, ob die Bereichsausnahme Rettungsdienst eine abschließende Harmonisierungsmaßnahme darstellt (vgl. Jaeger, NZBau 2020, 7, 12; Kieselmann/Pajunk, Vergabeblog.de vom 11/07/2019, Nr. 41399), was sich nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH anhand der fraglichen Harmonisierungsmaßnahme und nicht anhand des Primärrechts beurteilt (vgl. Urt. v. 27.02.2019 – C-563/17 –, juris Rn. 49 mwN). Gegen eine Vollharmonisierung spricht jedoch insbesondere, dass nach dem allgemeinen Erwägungsgrund 1 der Vergaberichtlinie (2014/24/EU) das Vergabeprimärrecht grundsätzlich anzuwenden ist und sich aus dem besonderen Erwägungsgrund 28 insoweit nur ergibt, dass sich der spezielle Charakter der gemeinnützigen Organisationen nicht wahren lässt, soweit sie der öffentliche Auftraggeber nach dem strengen EU-Vergaberecht auswählen müsste und nicht auch, wenn er dies unter Beachtung der allgemeinen Grundsätze tun müsste (ausführlich Bühs, EuZW, im Erscheinen). Vor diesem Hintergrund dürfte es bereits schon an einem entsprechenden Willen des Richtliniengebers fehlen, die Rettungsdienstvergabe anhand der Bereichsausnahme vollständig zu harmonisieren. Überdies dürfte auch mit Blick auf eine kürzlich ergangene Entscheidung des EuGH zur Inhouse-Vergabe (vgl. Urt. v. 3.10.2019 – C-285/18 – Irgita, m. Amn. Schröder, Vergabeblog.de vom 27/01/2020, Nr. 43178) einiges dafür sprechen, dass neben der Bereichsausnahme auch die allgemeinen Grundsätze zu beachten sind. So heißt es hier an entsprechender Stelle relativ allgemein, dass die Beschaffungsfreiheit der Mitgliedstaaten nicht grenzenlos, sondern unter Beachtung der Grundregeln des AEUV auszuüben ist (vgl. Rn. 48). Der Grund dafür, dass sich der EuGH im Unterschied zur Rechtssache Falck zur Anwendung des Primärrechts geäußert hat, dürfte im Übrigen allein darin liegen, dass ihn das dortige vorlegende Gericht diesbezüglich gefragt hat (vgl. Rn. 29). Mit anderen Worten: Die Tatsache, dass sich der EuGH in der Rechtssache Falck zum Vergabeprimärrecht nicht geäußert hat, spricht weder für noch gegen eine Anwendbarkeit (aA Jaeger, NZBau 2020, 7, 12). Es ist vielmehr ein gutes Beispiel dafür, dass der EuGH bei Vorabentscheidungsverfahren keine allgemeinen Rechtsgutachten erstattet, sondern auf entscheidungserhebliche Streitfragen konkret antwortet (vgl. hierzu auch ABl. 2016 C-439/1 v. 25.12.2016, Rn. 11).
Praxistipp
Die Vergabe von Rettungsdienstleistungen wirft weiterhin viele ungeklärte Rechtsfragen auf. Aus diesem Grund müssen sich die Beteiligten auch weiterhin auf längere und komplexere Gerichts- bzw. Nachprüfungsverfahren einstellen, bis endgültig und rechtssicher feststeht, wer den Auftrag bzw. die Konzession bekommen soll. Im vorliegenden Verfahren ist zudem nicht ausgeschlossen, dass die Sache noch das BVerfG erreichen wird: Die Antragstellerin hält die Bereichsausnahme Rettungsdienst wie auch die entsprechende Regelung im hamburgischen Rettungsdienstgesetz für verfassungswidrig (vgl. BeckRS Rn. 31). Gleichzeitig hat das BVerfG erst kürzlich eine Rechtssatzverfassungsbeschwerde gegen entsprechende neue Regelungen in Sachsen-Anhalt nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie nicht dem Grundsatz der Subsidiarität genüge und die dortigen Beschwerdeführerinnen darauf verwiesen, zunächst den Rechtsweg voll auszuschöpfen (vgl. Beschl. v. 30.03.2020 – 1 BvR 843/18 m. Anm. Bühs, jurisPR-VergR im Erscheinen).
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