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Das Ende der Prüfung der „rechtlichen Leistungsfähigkeit“ im Vergabeverfahren – OLG Düsseldorf gibt bisherige Rechtsprechung auf (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 14.10.2020 – Verg 36/19)

EntscheidungBislang hatten öffentliche Auftraggeber nach der Auffassung des Düsseldorfer Vergabesenats im Rahmen der Eignungsprüfung auch die „rechtliche Leistungsfähigkeit“ des Bieters zu untersuchen, die beispielsweise aufgrund möglicher Patentverletzungen, unklarer Genehmigungssituationen oder kommunalrechtlicher Betätigungsverbote fraglich sein konnte. Mit seiner Entscheidung vom 14.10.2020 gibt der Vergabesenat seine bisherige Rechtsprechung auf. Was folgt hieraus für öffentliche Auftraggeber, privatrechtliche Bieter und öffentliche Unternehmen?

§ 97 Abs. 1 GWB, §§ 122 ff. GWB, §§ 42 ff. VgV

Leitsätze (nicht amtlich)

  1. Die Eignungs- und Ausschlusstatbestände sind in §§ 122 GWB i.V.m. §§ 123, 124 GWB, §§ 42 ff. VgV abschließend geregelt. Für ein Eignungsmerkmal der „rechtlichen Leistungsfähigkeit“ ist kein Raum.
  2. Öffentlich-rechtliche Betätigungsbeschränkungen eines Bieters stehen dessen Eignung nicht entgegen.
  3. Aus dem Wettbewerbsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 GWB lassen sich keine Ausschlusstatbestände herleiten.

Sachverhalt

Eine Gemeinde schreibt die Vergabe der Gründung einer Planungs- und Beratungsgesellschaft mit einem privaten Partner aus. Die privatrechtliche Gesellschaft soll sich mit der Planung, dem Bau und ggf. dem Betrieb von städtischen Gebäuden, insbesondere von Schulgebäuden befassen.

Mit ihrem Nachprüfungsantrag wendet sich die Antragstellerin gegen die vorgesehene Erteilung des Zuschlags auf das Angebot der Beigeladenen. Die Beigeladene ist eine GmbH, deren alleinige Gesellschafterin eine Universitätsklinik ist. Die Antragstellerin macht in ihrem Nachprüfungsantrag u.a. geltend, dass die Beigeladene wegen fehlender Eignung vom Vergabeverfahren auszuschließen sei. Aus der landesrechtlichen Universitätsklinikum-Verordnung i.V.m. der Satzung der Beigeladenen ergebe sich, dass dieser aufgrund öffentlich-rechtlicher Betätigungsbeschränkungen die „rechtliche Leistungsfähigkeit“ fehle.

Ferner macht die Antragstellerin geltend, dass sich aus der öffentlich-rechtlichen Tätigkeitsbeschränkung ein Marktzutrittsverbot der Beigeladenen und damit ein Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz nach § 97 Abs. 1 GWB ergebe.

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf hält den Nachprüfungsantrag für unbegründet, soweit die Antragstellerin die fehlende Eignung der Beigeladenen beanstandet. Eine etwaige öffentlich-rechtliche Beschränkung des Tätigkeitsfelds der Beigeladenen lasse deren Eignung nicht entfallen. Die Eignungs- und Ausschlusstatbestände seien in §§ 122 GWB i.V.m. §§ 123, 124 GWB, §§ 42 ff. VgV abschließend geregelt. Ein Eignungsmerkmal der „rechtlichen Leistungsfähigkeit“ sei dort nicht aufgeführt. Ein Ausschluss der Beigeladenen wegen fehlender Eignung komme daher nicht in Betracht.

Die Beigeladene sei auch nicht wegen eines Verstoßes gegen den Wettbewerbsgrundsatz nach § 97 Abs. 1 GWB auszuschließen. Ein entsprechender Ausschlusstatbestand sei gesetzlich nicht vorgesehen. Aus dem Wettbewerbsgrundsatz gemäß § 97 Abs. 1 GWB seien keine konkreten normativen Folgen abzuleiten. Wer zur Teilnahme am Vergabewettbewerb berechtigt sei, ergebe sich aus den Einzelbestimmungen über das Vergabeverfahren.

Rechtliche Würdigung

Ein weiteres Mal (vgl. Schneider, ) gibt der Vergabesenat unter der neuen Vorsitzenden Frau Dr. Maimann eine frühere Rechtsprechung ausdrücklich auf, dieses Mal hinsichtlich zwei verschiedener Aspekte.

Zunächst verwirft der Senat das von ihm in früheren Entscheidungen geforderte Eignungsmerkmal der „rechtlichen Leistungsfähigkeit“. Bislang durfte und musste die Vergabestelle nach der Rechtsprechung des Vergabesenats im Rahmen der Eignungsprüfung prüfen, ob aus rechtlichen Gründen Zweifel an der Leistungsfähigkeit eines Bieters bestehen. In der bisherigen Rechtsprechung des Senats stellte sich diese Frage beispielsweise im Zusammenhang mit der Frage des Fortbestands einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zum Betrieb einer Recyclinganlage (Beschluss vom 10.08.2011 – Verg 34/11), dem Vorliegen einer möglichen Patentverletzung (Beschluss vom 01.12.2015 – Verg 20/15) und dem Vorliegen eines kommunalrechtlichen Betätigungsverbots (Beschluss vom 09.11.2011 – Verg 35/11; Beschluss vom 04.05.2009 – Verg 68/08). Für eine solche Prüfung sieht der Senat nun im Rahmen der Vorschriften zur Eignungsprüfung und den vergaberechtlichen Ausschlusstatbeständen keinen Anknüpfungspunkt mehr.

Ferner hält der Senat auch seine frühere Rechtsprechung nicht mehr aufrecht, nach der sich aus einem Verstoß gegen ein kommunalwirtschaftliches Betätigungsverbot ein vergaberechtlicher Ausschlussgrund ergeben kann (Beschluss vom 09.11.2011 – Verg 35/11; Beschluss vom 4.5.2009 – Verg 68/08; Beschluss vom 29.03.2006 – Verg 77/05; Beschluss vom 27.06.2002 – Verg 18/02). Aus der Verpflichtung, dass Leistungen nach § 97 Abs. 1 GWB im Wettbewerb zu vergeben sind, hatte der Senat bislang abgeleitet, dass der Auftraggeber keine Wettbewerbsverfälschungen zulassen darf, die dadurch entstehen, dass ein Unternehmen der öffentlichen Hand bestimmte wirtschaftliche Tätigkeiten auf einem bestimmten Markt nicht aufnehmen darf. Unter Verweis auf Erwägungsgrund 1 der Richtlinie 2014/24/EU stellt der Senat nun fest, dass Wettbewerb im Sinne der Vergaberichtlinien im Sinne der Öffnung des öffentlichen Auftragswesens für einen möglichst umfassenden Wettbewerb zu verstehen sei. Hiermit sei unvereinbar, den Marktzutritt von öffentlichen Unternehmen „gleich ob nach nationalem Recht zulässig oder nicht“ als Verstoß gegen den Wettbewerbsgrundsatz anzusehen.

Praxistipp

Auf den ersten Blick führt die Kehrtwende des Vergabesenats zu Erleichterungen für die öffentliche Hand. Nach der geänderten Rechtsprechung des Vergabesenats müssen öffentliche Auftraggeber im Rahmen der Eignungsprüfung nun nicht mehr untersuchen, ob der Bieter rechtlich leistungsfähig ist. Jedenfalls vergaberechtlich besteht danach keine Verpflichtung zur Auseinandersetzung mit u.U. schwierigen Rechtsfragen, die sich in der Vergangenheit (insbesondere bei im Raum stehenden Patentverletzungen) teilweise wohl nur unter Einbeziehung von Sachverständigen beantworten ließen. Die vom Vergabesenat vorgenommene Eingrenzung des Prüfungsmaßstabs entschlackt das Vergabeverfahren wie auch das Nachprüfungsverfahren.

Die Kehrseite der neuen Rechtsprechung des Vergabesenats: die Themen werden verlagert, jedoch nicht erledigt. Denn selbstverständlich wird ein Bieter, der sich in seinen Patentrechten verletzt sieht, auch weiterhin Rechtsschutz suchen (müssen). Unterlassungsansprüche des Patentinhabers können auch zukünftig nicht nur das Unternehmen treffen, dass die Leistung unter Verletzung von Patentrechten erbringt, sondern u.U. auch den öffentlichen Auftraggeber, der die patentverletzende Leistung bezieht. Öffentliche Auftraggeber dürften daher auch weiterhin gut beraten sein, patentrechtliche Risiken zu erkennen, möglichst im Vorfeld der Ausschreibung zu klären oder jedenfalls vertraglich zu adressieren.

Auch in Bezug auf Fragen des kommunalwirtschaftlichen Betätigungsverbots ist eine Verlagerung der Problematik zu erwarten. Zwar müssen öffentliche Unternehmen, die auf Bieterseite aktiv sind, sich jedenfalls auf Basis der geänderten Rechtsprechung des OLG Düsseldorf im Vergabenachprüfungsverfahren nicht mehr mit dem Einwand auseinandersetzen, dass ihre Tätigkeiten die kommunalwirtschaftlichen Grenzen überschreiten. Vor den Verwaltungsgerichten droht ihnen jedoch auch weiterhin eine uneingeschränkte Überprüfung der kommunalwirtschaftlichen Betätigungsgrenzen (vgl. OVG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 01.04.2008 – 15 B 122/08).

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Über Dr. Tobias Schneider

Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.

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