Der Geschäftsführer der Maut-Betreiberfirma Autoticket hat bestätigt, dass das Betreiberkonsortium Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) angeboten habe, mit der Unterzeichnung des Vertrags bis nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu warten. Klaus-Peter Schulenberg, der Chef von CTS Eventim, habe ihn am Abend des 29. November 2018 in einem Telefonat von diesem am selben Tag unterbreiteten Angebot berichtet, sagte Dr. Michael Blum am Donnerstag, 26. November 2020, im 2. Untersuchungsausschuss („Pkw-Maut“).
Damit bestätigte der Autoticket-Geschäftsführer in der abwechselnd von der stellvertretenden Ausschussvorsitzenden Nina Warken (CDU) und vom Ausschussvorsitzenden Udo Schiefner (SPD) geleiteten Sitzung die Darstellung, die sein Geschäftsführer-Kollege Volker Schneble sowie Schulenberg selbst in der Sitzung vom 1. Oktober 2020 gegeben hatten. Dagegen hatte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer in derselben Sitzung erklärt, sich nicht an ein solches Angebot erinnern zu können.
Zum Zeitpunkt des Telefonats mit Schulenberg war Blum noch in leitender Position beim Lkw-Maut-Betreiber Toll Collect tätig. Am 23. April 2019 wechselte er als Geschäftsführer zu der von CTS Eventim und Kapsch TrafficCom gegründeten Autoticket GmbH. Zu diesem Zeitpunkt habe die Projektampel auf grün gestanden, sagte der Zeuge. Die Zusammenarbeit mit dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) und dem Bundesverkehrsministerium bezeichnete er als „konstruktiv“. Auch die Feinplanungsdokumentation sei in sachgerechter und freigabefähiger Form abgegeben worden. Zwar habe es am 7. Juni 2019 ein „sehr deutliches Gespräch“ über Verbesserungswünsche des KBA an der Feinplanungsdokumentation gegeben; das Gespräch sei aber auch „deutlich konstruktiv“ gewesen.
Doch am 18. Juni 2019, dem Tag des Urteils des Europäischen Gerichtshofs (EuGH), sei „regelrecht der Schalter umgelegt“ worden, führte der Zeuge weiter aus. Das Bundesverkehrsministerium kündigte nämlich den Vertrag und begründete dies nicht nur mit dem EuGH-Urteil, sondern auch mit einer Schlechtleistung bei der Feinplanungsdokumentation. Die Kündigungsgründe sind entscheidend für die Festlegung der Entschädigungsansprüche der Betreiber, die derzeit Gegenstand eines Schiedsverfahrens sind.
„Wir waren von der Kündigung mehr als überrascht“, sagte der Zeuge. Sie sei „offensichtlich überhastet“ und „aus rein politischen Erwägungen“ erfolgt. Zudem schilderte Blum – wie zuvor bereits andere Vertreter des Bieterkonsortiums – den Verlauf des Treffens zwischen den Spitzen der Betreiberfirma und Minister Scheuer am 19. Juni 2019, dem Tag der Kündigung. Scheuer habe darauf hingewiesen, dass der Zuschlag an die Betreiber unbedingt noch im Jahr 2018 habe erfolgen müssen. Er habe deshalb den Betreibern vorgeschlagen, auf Presseanfragen zu antworten, sie hätten ebenfalls einen Vertragsabschluss im Jahr 2018 gewünscht. Je nachdem könne seine Aussage über die Kündigungsgründe im Verkehrsausschuss dann „so oder so“ ausfallen. Dies interpretiert Blum nach eigenen Angaben so, dass dann eine Fortführung des Maut-Projekts in veränderter Form möglich gewesen wäre.
Nichts zur Aufklärung der Frage, ob es im November 2018 ein Angebot zur Verschiebung der Vertragsunterzeichnung gab, konnte ein weiterer Zeuge beitragen. Der PR-Berater Michael Kucharski bestätigte zwar, sich am Abend des 29. November 2018 in London mit Klaus-Peter Schulenberg getroffen zu haben. Es sei auch möglich, dass Schulenberg damals ein solches Angebot erwähnt habe. Er könne sich aber „schlicht nicht daran erinnern“, zumal er auf Kunden aus dem Sport- und Kulturbereich spezialisiert sei und sich für die Pkw-Maut nicht interessiert habe.
Von den Ausschussmitgliedern gar nicht befragt werden konnte der ebenfalls als Zeuge geladene André Laux, Mitglied des Vorstands der österreichischen Kapsch TrafficCom AG, die zusammen mit CTS Eventim den Zuschlag für die Mautbetreibung erhalten hatte. Laux hatte am Tag vor der Sitzung über seinen Rechtsbeistand mitgeteilt, weder nach Berlin zu kommen noch für eine Videovernehmung zur Verfügung zu stehen.
Quelle: Bundestag
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