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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 03/12/2020 Nr. 45778

Bieter kann auf Preisanpassungsmöglichkeit verzichten, Fixkostenangebot darf nicht ausgeschlossen werden (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 01.10.2020 – 11 Verg 9/20)

EntscheidungPreisanpassungsklauseln verringern bei Aufträgen mit langen Laufzeiten und einem hohen Anteil von variablen Kostenfaktoren – wie etwa Rohstoff-, Kraftstoff-, und/oder Personalkosten – das kalkulatorische Risiko des Bieters im Hinblick auf die zukünftige Kostenentwicklung. Sie verschaffen den Bietern Kalkulationssicherheit. Möchte ein Bieter trotz der eingeräumten Anpassungsmöglichkeit ein reines Fixkostenangebot abgeben, ist dies nur dann vergaberechtlich unzulässig, wenn sich aus den Ausschreibungsbedingungen unzweideutig ergibt, dass der Auftraggeber ausschließlich Angebote mit variablen Preisanteilen verlangt.

Leitsatz

Ist nach den Ausschreibungsbedingungen die Möglichkeit eröffnet, bei einem längerfristigen Auftrag zur Sammlung unterschiedlicher Abfallfraktionen, bestimmte Kostenbestandteile mit variablen Kosten zu kalkulieren, kann das Angebot eines Bieters, in dem sämtliche Kostenbestandteile für den gesamten Vertragszeitraum mit Festkosten kalkuliert worden sind, nur dann vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn sich aus den Ausschreibungsbedingungen aus objektivierter Sicht eines verständigen Bieters zwingend ergibt, dass die Vergabestelle eine Kalkulation mit variablen Preisanteilen verlangt hat.

Sachverhalt

Mit europaweiter Bekanntmachung schrieb der Antragsgegner die Sammlung und den Transport verschiedener Abfallfraktionen im offenen Verfahren aus.

Der Vertrag sah eine Laufzeit von 4 Jahre, der optional zweimal um je 2 Jahre verlängert werden könnte, vor.

Nach den Bewerbungsbedingungen war, im Hinblick auf eine im abzuschließenden Entsorgungsvertrag vorgesehene Preisanpassungsklausel, die tatsächliche prozentuale Gewichtung einzelner Kostenbestandteile anzugeben. Die Summe der anzugebenden Zahlenwerte musste dabei einschließlich eines Fixkostenanteils, der mindestens 30 % betragen musste, 100 % ergeben.

Die Beigeladene trug in ihrem Angebot unter der Rubrik Fixkosten 100 %, bei den anderen Kostengruppen jeweils 0 % ein.

Der Antragsgegner beabsichtigte auf das Angebot der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen.

Auf Antrag einer unterlegenen Bieterin entschied die 2. Vergabekammer des Landes Hessen (VK Hessen, Beschluss vom 01.07.2020, 69d VK2-32/2020), dass die Beigeladene zwingend auszuschließen sei, da sie von den Vorgaben des Antragsgegners abgewichen sei.

Die kalkulierten Kosten hätten den vom Antragsgegner vorgegebenen Kostenbestandteilen zugeordnet und anschließend im Verhältnis zu ihrem Anteil an den angebotenen Entgelten gewichtet angegeben werden müssen. Die Beigeladene hätte in ihrem Angebot Personalkosten, Dieselkraftstoffkosten und „Technische Kosten LKW“ kalkuliert. Diese habe sie auch den vorgesehenen Kostengruppen zuordnen und in ihrem Angebot als variable Preisanteile ausweisen müssen.

Gegen die Entscheidung der Vergabekammer hat die Beigeladenen Beschwerde erhoben.

Die Entscheidung

Das Angebot der Beigeladenen war nicht wegen unzulässiger Änderung der Vergabeunterlagen gemäß §§ 57 Abs. 1 Nr. 4, 53 Abs. 7 VgV von der Wertung auszuschließen gewesen.

Entgegen der Auffassung der Vergabekammer habe keine Abweichung zwischen der tatsächlichen und der angegebenen Gewichtung im Angebot der Beigeladenen bestanden, da die Beigeladene ausweislich ihrer Urkalkulation für alle Teilbereiche und alle Kostengruppen den Anteil von Fixkosten auch mit 100 % angenommen habe.

Auch wenn ein Fixangebot für eine Vertragslaufzeit von bis zu 8 Jahren auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheine, sei zu berücksichtigen, dass hinsichtlich dieses Punktes das Angebot aufgeklärt worden sei, und die Beigeladenen bestätigt habe, dass sie ihre Preise für die gesamte Vertragslaufzeit (einschließlich des sich gegebenenfalls anschließenden Optionszeitraums) als Festpreis anbiete.

Eine Abweichung von den Vergabeunterlagen liege auch deshalb nicht vor, weil nicht zwingend variable Preisanteile gefordert worden wären.

Ein Ausschluss nach §§ 57 Abs. 1 Nr. 4, 53 Abs. 7 VgV käme nur dann in Betracht, wenn die Angaben in den Vergabeunterlagen, von denen das Angebot eines Bieters abweiche, eindeutig seien. Verstöße gegen interpretierbare oder missverständliche bzw. mehrdeutige Angaben rechtfertigen keinen Ausschluss.

Hieran gemessen ergebe sich aus den Vergabeunterlagen nicht, dass zwingend mit variablen Kosten zu kalkulieren war.

Der Wortlaut der Bewerbungsbedingungen lasse auch die Auslegung zu, dass eine entsprechende Aufteilung nur dann erforderlich wäre, wenn der Bieter tatsächlich von der Möglichkeit von Preisanpassungen Gebrauch machen wolle. Denn die Aufteilung der variablen Kostenbestandteile sei für den Antragsgegner offensichtlich nur insoweit von Bedeutung, als auf diese Bestandteile unterschiedliche Preisgleitformeln zur Ermittlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages angewandt werden sollten. Sollte jedoch während der Vertragslaufzeit keine Erhöhung stattfinden, erübrige sich die Aufteilung in verschiedene Kostenbestandteile.

Es obliege der Kalkulationshoheit des einzelnen Bieters, welche Kostenbestandteile er in welchem Verhältnis fix setze.

Soweit die Antragstellerin meine, das Angebot der Beigeladenen verstoße gegen die vom Antragsgegner beabsichtigte Wertung, weil damit die Prognose des Gesamtpreises entgegen den Vorgaben des Antragsgegners nicht ausschließlich auf der Grundlage der vorgegebenen Preisgleitklausel und der prognostizierten gesetzlichen Änderungen der relevanten Kostenbestandteile ermittelt werde, überzeuge dies nicht.

Eine absolute Vergleichbarkeit der Angebote in dem von der Antragstellerin vorgestellten Sinne wäre nur dann gegeben, wenn der Antragsgegner feste Vorgaben gemacht hätte, welche Prozentsätze auf welche Kostengruppen zu entfallen hätten. Dies ist jedoch schon deshalb ausgeschlossen, weil es jedem Bieter freistand, entsprechend seiner individuellen Kostenstruktur zu kalkulieren. Dazu komme, dass bei einem vorgegebenen Fixkostenanteil von mindestens 30% zwangsläufig auch ein gewisser Anteil von Personal-, Kraftstoff- und/oder LKW-Kosten in diesen Fixkostenanteil hineinzuziehen wären. Auch insoweit gäbe es keine Vorgaben des Auftraggebers, mit welchem Anteil welche Kostengruppe als fix angesetzt werden durfte/musste. Die gewünschte Prozentangabe diente offensichtlich nur dazu, für den Auftraggeber klarzustellen, in welchem Umfang er während der Vertragslaufzeit mit Preisänderungen entsprechend den für die jeweiligen Kostengruppen vorgesehenen Indizes zu rechnen hätte. Das von der Antragstellerin angesprochene Interesse des Antragsgegners, eine wirtschaftliche, von mehr oder weniger willkürlichen Risikozuschläge befreite Kalkulation zu ermöglichen würde durch ein reines Fixkostenangebot wesentlich leichter erreicht als durch Angebote mit variablen Preisbestandteilen.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. ist richtig. Der Bieter hat aufgrund seiner Kalkulationsfreiheit das Recht, allein mit Fixkosten für die gesamte Vertragslaufzeit zu kalkulieren und dementsprechend auch das Recht, auf vertragliche Preisanpassungsmöglichkeiten zu verzichten.

Zutreffend ist aber, dass der Auftraggeber zumindest grundsätzlich auch Verträge mit variablen Preisen schließen kann. In diesem Fall benötigt er die Angabe der variablen Preisanteilen und kann diese Angabe auch von den Bietern verlangen. Ergibt sich ein solches Verlangen des Auftraggebers aus den Ausschreibungsbedingungen, dann muss die Vergabestelle reine Fixkostenangebote zwingend gemäß §§ 57 Abs. 1 Nr. 4, 53 Abs. 7 VgV ausschließen. Ob eine solche Angabe zwingend erforderlich ist, ist aus der objektivierten Sicht eines verständigen Bieters zu beurteilen.

Praxistipp

Bewerbungsbedingungen müssen, wenn Bietern die Möglichkeit nicht eingeräumt werden soll, auf vertragliche Preisanpassungsmöglichkeiten zu verzichten, eindeutig sein. Sind sie es nicht, dürfen Angebote, bei denen variablen Kostenbestandteile nicht ausgewiesen sind, nicht ausgeschlossen werden.

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Dominik R. Lück

Der Autor Dr. Dominik R. Lück ist Rechtsanwalt und Partner der Sozietät Köhler & Klett Rechtsanwälte in Köln. Dort ist er Leiter des vergaberechtlichen Fachbereichs und verfügt über langjährige Erfahrung im Vergaberecht und in den Bereichen des Umweltrechts, insbesondere des Abfallrechts.

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