Die Zulässigkeit und die Wertung mündlicher Präsentationen stellt ein vergaberechtliches Dauerthema dar, mit dem sich die Nachprüfungsinstanzen immer öfter auseinandersetzen, teilweise mit unterschiedlichen Ergebnissen. Siehe dazu etwa die Beiträge von Ortner (Vergabeblog.de vom 19/08/2019, Nr. 41767) und Gielen (Vergabeblog.de vom 10/02/2020, Nr. 43258). Nun liegt hierzu auch eine jüngere Entscheidung des OLG Düsseldorf vor, die sich Dr. Roderic Ortner für unsere Leserschaft näher angeschaut hat.
GWB § 97; VgV § 58
Sachverhalt
Gegenstand der Vergabe war die Beschaffung von Planungsleistungen für die Erweiterung und Umplanung einer Deponie. Die zu erbringenden Planungsleistungen umfassten sämtliche Grundleistungen der Leistungsphasen 1 bis 9 gemäß Anlage 12.1 HOAI sowie zusätzlich als Besondere Leistung die örtliche Bauüberwachung. Vergabeart war ein Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Zuschlagskriterien waren der Preis und die Qualität gewichtet mit jeweils 50 %. Qualitative Kriterien waren das Projektteam sowie ein Leistungskonzept. In den Vergabeunterlagen legte der Auftraggeber weiter fest, dass für die qualitative Bewertung des Projektteams neben der Erfahrung auch die Qualifikation maßgeblich ist. Beides sollte vorliegend anhand der Angaben aus dem Bewertungsbogen und ergänzender Unterlagen, namentlich des beruflichen Werdegangs, einschlägiger Studien- und Fortbildungsnachweise und persönlicher Referenzen erfolgen. Ebenfalls enthielten die Vergabeunterlagen die Erwartungshaltung und ein Schulnotensystem.
Vor den Bietergesprächen erstellte der Auftraggeber einen Bewertungsbogen, nach dem das schriftliche Leistungskonzept mit 6 %, das mündlich präsentierte Kurzkonzept mit 30 % und die Beantwortung von insgesamt neun vorbereiteten Fragen im Rahmen eines Fachgesprächs mit 64 % gewichtet werden sollten. Diese Gewichtung war zuvor nicht bekannt gewesen.
Für das Fachgespräch sollte jedes Mitglied eines aus insgesamt sieben Personen bestehenden Wertungsgremiums die Bewertung der im einzelnen aufgelisteten Unterpunkte anhand einer nach Punkten in den Stufen 0, 2, 5 und 10 festgelegten Wertungsmethode vornehmen, wobei die Wertung mit 0 Punkten „ungenügend, entspricht nicht den Vorstellungen des Auftraggebers“ und mit 10 Punkten „sehr gut, entspricht in vollen Maßen den Wünschen und Vorstellungen des Auftraggebers“ bedeutete. In dem Wertungsbogen war auch eine Rubrik für die qualitative Wertung des Projektteams vorgesehen. Bewertet werden sollten danach anhand einer Punkteskala zwischen 0 und 4 Punkten die Professionalität der Gestaltung der Präsentation, das Auftreten des Projektteams und die Vollständigkeit des Projektteams. Im Anschluss an das jeweilige Bietergespräch trugen die Mitglieder des Bewertungsgremiums ihre Wertungspunkte jeweils in den Bewertungsbogen ein, aus denen sodann ein Mittelwert gebildet wurde. Eine weitere Dokumentation fand nicht statt. Diese Bewertungsmethode wurde erst nach Eingang der indikativen Angebote erstellt.
Das Ergebnis war dann Folgendes:
Beigeladene:
– Projektteam 22,05
– Leistungskonzept 14,50
– Preis 50
– Summe 86,55
Antragstellerin:
– Projektteam 50
– Leistungskonzept 50
– Preis 17,68
– Summe 67,68
Aufgrund des hohen Preisunterschieds erfolgte eine Auskömmlichkeitsprüfung nach § 60 VgV. Da der Preis danach für auskömmlich befunden wurde, sollte die Beigeladene den Zuschlag erhalten. Hiergegen wendete sich die Antragstellerin und hatte im Ergebnis Erfolg.
Die Entscheidung
Der Vergabesenat führte zunächst aus, dass die nachträgliche Festlegung der Wertungsmethode keinen Vergabefehler darstellte. Die Richter erinnerten in diesem Zusammenhang an die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Sachen Dimarso. Danach sei der öffentliche Auftraggeber nicht verpflichtet, die Bewertungsmethode in der Auftragsbekanntmachung oder den Vergabeunterlagen anzugeben, wenn die Bewertungsmethode die Zuschlagskriterien und deren Gewichtung nicht verändert (Urteil v. 14.07.2020, Rs C-6/15). Anhaltspunkte für eine Manipulation zum Nachteil der Antragstellerin lägen nicht vor.
Die Wertungsmethode sei aber deshalb als vergaberechtsfehlerhaft zu kritisieren, weil der Antragsgegner die Qualifikation der Teammitglieder, also ihre berufliche Befähigung zur Erbringung der ausgeschriebenen Planungsleistungen entgegen seiner Bekanntmachung in den Vergabeunterlagen nicht gesondert anhand des persönlichen beruflichen Werdegangs, der Fort- und Weiterbildung sowie persönlicher Referenzen bewertet habe.
„Die Qualifikation ist die berufliche Befähigung des Personals, die nachgefragte Leistung auszuführen (Gnittke/Hattig in Müller-Wrede, VgV § 58 Rn. 9; Lausen in Burgi/Dreher, Vergaberecht, VgV § 58 Rn. 78). Bei der Erfahrung geht es hingegen darum, ob das bei der Leistungsausführung konkret einzusetzende Personal bereits in der Vergangenheit vergleichbare Leistungen erbracht hat (vgl. Pauka NZBau 2015, 18, 21). Beides soll vorliegend anhand der Angaben aus dem Bewertungsbogen und ergänzender Unterlagen, namentlich des beruflichen Werdegangs, einschlägiger Studien- und Fortbildungsnachweise und persönlicher Referenzen erfolgen. Dass der Antragsgegner nun lediglich die Angaben im Wertungsbogen zur Grundlage der qualitativen Wertung des Projektteams gemacht hat und nicht auch die Angaben in den ergänzenden Unterlagen, verstößt gegen den Transparenzgrundsatz und ist vergaberechtswidrig.“
Das Gericht kritisiert weiterhin, dass sich die Gewichtung der Unter-Unterkriterien weder aus der Bekanntmachung noch aus den Vergabeunterlagen ergaben. Diese unterlassene Bekanntgabe sei auch nicht ausnahmsweise vergaberechtsgemäß gewesen, da die nachträglich festgelegten Gewichtungskoeffizienten ihrer Art nach geeignet gewesen seien die Präsentation des Leistungskonzepts im Bietergespräch zu beeinflussen. Allerdings drang die Antragstellerin mit ihrer Rüge deshalb nicht durch, da der Vergabefehler die Zuschlagschancen der Antragstellerin nicht feststellbar geschmälert habe.
Schließlich sah das Gericht einen weiteren Vergaberechtsverstoß darin, dass der Auftraggeber die qualitative Bewertung des Leistungskonzepts nicht ausreichend dokumentiert und damit gegen § 8 VgV verstoßen habe.
„Nach ständiger Rechtsprechung des Senats müssen die im Vergabevermerk enthaltenen Angaben und die in ihm mitgeteilten Gründe für getroffene Entscheidungen so detailliert sein, dass sie für einen mit der Sachlage des jeweiligen Vergabeverfahrens vertrauten Leser nachvollziehbar sind. Dabei sind die Anforderungen an den Detaillierungsgrad aus Gründen der Nachvollziehbarkeit größer, wenn es um die Dokumentation von Entscheidungen geht, die die Ausübung von Ermessen oder die Ausfüllung eines Beurteilungsspielraums enthalten (…). Die Dokumentation des Antragstellers genügt diesen Anforderungen nicht. Es ist insbesondere nicht nachvollziehbar, welche Gründe für die Bewertung mit mangelhaft, befriedigend oder sehr gut maßgeblich waren (…).“
Im Ergebnis ordnete das Gericht an, dass das Verfahren in den Stand vor Aufforderung zur Abgabe eines Angebots zurückzuversetzen ist.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidungserwägungen des OLG Düsseldorf sind nachvollziehbar. Es ist jedoch zu betonen, dass Unterkriterien und Unter-Unterkriterien nach Veröffentlichung einer Vergabe ausnahmsweise noch festgelegt und gewichtet werden dürften. Dies scheint das OLG Düsseldorf auch nicht per se abzustreiten, so klar ist dies aber aus den Erwägungen nicht abzulesen. Maßstab ist und bleibt die Lianakis-Entscheidung des EuGH, den der Vergabesenat auch zitiert. Nachstehend nochmal die wesentliche Stelle bei Lianakis (Rechtssache C‑532/06, Rn. 42 ff.):
„(…). Der betreffende öffentliche Auftraggeber hatte allerdings im Nachhinein, kurz vor der Öffnung der Umschläge, Gewichtungskoeffizienten für die Unterkriterien festgelegt. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil entschieden, dass [die Vergaberichtlinie] einer solchen Vorgehensweise unter drei ganz bestimmten Voraussetzungen nicht entgegensteht, nämlich sofern [die Vorgehensweise]
– die in den Verdingungsunterlagen oder in der Vergabebekanntmachung bestimmten Zuschlagskriterien für den Auftrag nicht ändert,
– nichts enthält, was, wenn es bei der Vorbereitung der Angebote bekannt gewesen wäre, diese Vorbereitung hätte beeinflussen können,
– nicht unter Berücksichtigung von Umständen gewählt wurde, die einen der Bieter diskriminieren konnten (vgl. in diesem Sinne Urteil ATI EAC e Viaggi di Maio u. a., Randnr. 32).“
Dahinter verbirgt sich der Transparenz- und Nichtdiskriminierungsgrundsatz. Gerade bei komplexeren Vergaben, die im Verhandlungsverfahren, wettbewerblichen Dialog oder als Innovationspartnerschaft durchgeführt werden, kann es nämlich vorkommen und sogar erforderlich sein, dass der Auftraggeber nach Auswertung der Erstangebote und nach Durchführung von Bietergesprächen feststellt, dass er weitere Unterkriterien bzw. Unter-Unterkriterien bilden muss, was dann zwangsläufig zu einer Änderung der Gewichtung auf den unteren Ebenen führt. Verhandlungen dienen nach dem Gesetz dem Zweck, „die Angebote zu verbessern“, daher muss meines Erachtens diese Möglichkeit dem öffentlichen Auftraggeber auch offen bleiben und er muss davon auch ausgehen können. Diese Möglichkeit steht ihm auch offen, solange die o.g. Lianakis-Grundsätze beachtet werden. Wichtig ist, dass diese Festlegungen den Bietern vor Einreichung der weiteren Angebote bekannt gemacht werden. In dem hier vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall war dies jedoch gerade nicht bekannt gemacht worden, auch zu einem späteren Zeitpunkt nicht.
Weiterhin ist zu konstatieren, dass der Vergabesenat mit keinem Wort thematisiert, ob die Wertung einer Bieterpräsentation als solche problematisch ist. Daraus darf meines Erachtens der Schluss gezogen werden, dass der Vergabesenat Bieterpräsentationen und deren Bewertung als solche als vergaberechtskonform akzeptiert. Freilich muss die Bewertung (Punktevergabe) ordnungsgemäß begründet und dokumentiert werden. Das letzte Wort ist hier meines Erachtens aber noch nicht gesprochen, weder der BGH noch der EuGH haben sich zu dem Thema abschließend geäußert. Eine Bieterpräsentation dürfte jedoch, solange die Voraussetzungen erfüllt sind, in allen Verfahren mit Verhandlungen zulässig sein. Schließlich führt auch die Europäische Kommission solche wertenden Präsentationen bei ihren Vergaben durch. Eine Angebotspräsentation dürfte selbst in einem offenen oder nicht offenen Verfahren zulässig sein, aber wohl nur solange es sich, ähnlich einer Teststellung, um eine rein verifizierende Präsentation handelt.
Praxistipp
Zunächst einmal sollte man vielleicht besser von einer Angebotspräsentation sprechen als von einer Bieterpräsentation. Denn der Bieter als solcher wurde bereits bei der Eignung „präsentiert“ und geprüft. Bei der Angebotspräsentation geht es aber doch meist darum, wie überzeugend der Bieter sein Konzept (Vorgehen/Umsetzung/Mittel) vorstellt und er auf leistungsbezogene Fragen antwortet.
Eine Angebotspräsentation als Bewertungskriterium erscheint vor allem dann sinnvoll, wenn es für die Qualität der Leistung auf die Fachkenntnisse und Erfahrung des einzusetzenden Personals ankommt. Dies sind oft Architekten- und Ingenieursleistungen, Beratungsleistungen in Spezialfeldern oder auch Rechtsdienstleistungen (der EuGH sprach einmal von „intellektuellen“ Leistungen). Der Auftraggeber muss dann im Vorhinein mitteilen, welche Gesichtspunkte er erwartet und er muss die Bewertungsmethode bekannt machen („Schulnotensystem“). Wichtig ist, dass er dann die Bewertung auch ordnungsgemäß dokumentiert. Es genügt nicht, dass man nur eine Note vergibt, die Note selbst muss – wie bei einer Klausur – auch textlich begründet sein („Warum“ wurde diese Note vergeben?). Wie der Auftraggeber intern letztlich zu der Wertung gelangt, ist ihm im Prinzip überlassen, also etwa, ob sich ein Gremium zusammensetzt (physisch oder virtuell) und gemeinsam eine Entscheidung findet oder ob erstmal jedes Gremiummitglied für sich selbst benotet und dann eine Durchschnittsnote errechnet wird, allerlei Wege sind denkbar. Dies muss den Bietern auch nicht bekannt gemacht werden, weder vorher noch nachher, wichtig ist aber, dass am Ende die vergebene Note auch plausibel begründet ist.
In dem vom OLG Düsseldorf entschiedenen Fall wurden Preis und Qualität jeweils mit 50 % gewichtet. Ob diese Gewichtung bei der Beschaffung von intellektuellen Dienstleistungen sinnvoll ist, erscheint mir fraglich. Der Ausgangsfall veranschaulicht dies gut. Dort hatte der Antragsteller sowohl mit einer erstklassigen Mannschaft als auch mit einem überzeugenden Konzept sehr gut abgeschnitten, deutlich besser als der Wettbewerber, scheiterte dann aber am geringeren Preis des Wettbewerbers. „Wer billig kauft, kauft zwei Mal“ surrt dann in meinen Ohren oder, wenn man das Zitat aus Schillers Glocke im Titel dieses Beitrags weiterliest: „Der Wahn ist kurz, die Reu‘ ist lang“; eine höhere Gewichtung der Leistung oder aber Mindesterfüllungsgrade hätten dieses Ergebnis vermeiden können.
Ein weiterer Praxistipp: Die Angebots-/Bieterpräsentation als solche sollte neben dem schriftlichen Konzept und den schriftlichen Lebensläufen nicht allzu hoch gewichtet werden und schon gar nicht mit einem Kriterium wie der „Vollständigkeit des Teams“. Denn ob an dem vom Auftraggeber festgelegten (und in aller Regel nicht zur Disposition stehenden) Tag alle angebotenen Mitarbeiter/-innen auch da sind, kann man als Bieter oft nicht beeinflussen (geplanter Jahresurlaub, Krankheit, Unglücksfall in der Familie). Dazu kommt, dass der Auftraggeber nie eine Garantie bekommt, dass das Personal dann auch bei dem bezuschlagten Unternehmen bleibt, daher sollte übrigens stets auch die Vertretung mit in die Wertung einfließen.
Roderic Ortner ist Rechtsanwalt, Fachanwalt für Vergaberecht sowie Fachanwalt für IT-Recht. Er ist Partner in der Sozietät BHO Legal in Köln und München. Roderic Ortner ist spezialisiert auf das Vergabe-, IT und Beihilferecht und berät hierin die Auftraggeber- und Bieterseite. Er ist Autor zahlreicher Fachbeiträge zum Vergabe- und IT-Recht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt.
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