Die Vergabekammer Rheinland-Pfalz geht zur Schätzung des Auftragswertes bei der Verwertung von Altpapier von folgender Formel aus: Auftragswert = Wert des Altpapiers – Erlösauskehr + Handlingskosten. Ist die Ermittlung des Auftragswerts durch die Vergabestelle unzureichend, muss die Vergabekammer eine eigene Ermittlung des Auftragswerts von Amts wegen vornehmen.
§ 3 VgV
Sachverhalt
Die spätere Antragsgegnerin im Nachprüfungsverfahren schrieb im Rahmen einer beschränkten Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb gem. § 3 Abs. 4 VOL/A die Verwertung von Papier, Pappe und Kartonagen (PPK) aus der städtischen Altpapiertonne aus.
Im Preisblatt mussten die Bieter einerseits einen Betrag angeben, den sie an den Auftraggeber zurückzahlen (Erlösauskehr) sowie einen Preis für die sogenannten Handlingskosten (Nachtransport, Nachweiswesen, etc.).
Für die vorgesehene höchstens dreijährige Vertragslaufzeit hatte sie den Auftragswert wie folgt ermittelt: Ausgehend von einer Jahrestonnage in Höhe von 7.000 Mg und einer zu erwartenden Erlösbeteiligung für die Überlassung des PPK in Höhe von EUR 5,50/Mg und Handlingskosten in Höhe von EUR 4,50/Mg, saldierte die Vergabestelle die beiden Beträge und errechnete so Jahreskosten in Höhe von EUR 7.000, mithin für drei Jahre EUR 21.000.
Die Vergabestelle hatte also folgende Formel angewendet:
Auftragswert = Erlösauskehr Handlingskosten
Bei der Schätzung der Erlösbeteiligung hatte die Vergabestelle den Durchschnitt eines branchenüblichen Indexes zu Grunde gelegt, indem sie einen Mittelwert aus den letzten Jahren errechnet und verdoppelt hat, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Ausschreibungsergebnisse historisch immer oberhalb diese Indexes lagen. Die Handlingskosten hatte sie aus der vorhergehenden Ausschreibung fortgeschrieben.
Bei dem so ermittelten Auftragswert wäre ein beschränkte Ausschreibung nach den seinerzeit geltenden coronabedingten Ausnahmeregelungen statthaft gewesen.
Die spätere Antragstellerin wurde bei der beschränkten Vergabe zunächst nicht berücksichtigt, sondern erst auf Nachfrage zwei Tage vor dem Ende der Angebotsfrist zur Ausschreibung zugelassen. Sie gab dann noch ein Angebot ab, belegte damit allerdings nur den letzten Wertungsrang.
Die spätere Beigeladene erhielt den Zuschlag. Eine Information an die unterlegenen Bieter erfolgte nicht. In der Folge erkundigte sich die spätere Antragstellerin nach dem Ergebnis der Ausschreibung. Daraufhin erhielt sie die Nachricht, dass der Auftrag bereits an die spätere Beigeladene vergeben worden sei.
Nach erfolgloser Rüge leitete sie ein Nachprüfungsverfahren mit dem Ziel ein, feststellen zu lassen, dass die Auftragsvergabe von Anfang an unwirksam gewesen ist.
Die Entscheidung
Der Nachprüfungsantrag hatte Erfolg.
Die Vergabekammer kritisiert an der von der Antragsgegnerin angewandten Formel, dass diese nur berücksichtige, welcher Geldbetrag der Antragsgegnerin zufließt und somit außer Acht lässt, was sie tatsächlich aufwenden muss, um die von ihr ausgeschriebene Verwertungsleistung zu erhalten.
Daraus leitet die Vergabekammer ab, dass die Handlingskosten auf jeden Fall voll in den Auftragswert einfließen müssen. Darüber hinaus geht die Vergabekammer davon aus, dass die Bieter bei derartigen Ausschreibungen nicht 100% der von ihnen ihrerseits zu erzielenden Erlöse in Gänze auskehren, sondern einen Teil auch zur Deckung ihres Aufwands verwenden.
Daraus leitet die Vergabekammer dann folgende Berechnungsformel ab:
Auftragswert = Wert des Altpapiers – Erlösauskehr + Handlingskosten
Da die Berechnungsformel der Antragsgegnerin nach Auffassung der Vergabekammer damit fehlerhaft war, sah sich die Vergabekammer gezwungen, eine eigene Kostenschätzung vorzunehmen.
Hierzu hat die Vergabekammer in einem ersten Schritt die Handlingskosten anhand von bestimmten Leistungsannahmen ermittelt. Die Leistungsannahmen hatte sie zuvor im Rahmen der Amtsermittlung abgefragt und in der mündlichen Verhandlung weitere kalkulationsrelevante Ansätze bei den Verfahrensbeteiligten abgefragt.
Bei der Ermittlung der Handlingskosten errechnet die Vergabekammer so bereits einen Betrag, der geringfügig oberhalb des Schwellenwerts lag.
Es kam daher nicht mehr auf die Differenz zwischen Marktwert des Altpapiers und der Erlösbeteiligung an. Nach Auffassung der Vergabekammer ist der geschlossene Vertrag daher von Anfang an unwirksam und die Antragsgegnerin muss die Verwertungsleistungen in einem EU-weiten Verfahren neu ausschreiben.
Rechtliche Würdigung
Die Vergabekammer hat ihren Beschluss umfangreich und fundiert begründet. Dennoch sind zwei Aspekte zu hinterfragen:
Die Vergabekammer hat festgestellt, dass die von der Antragsgegnerin verwendete Berechnungsformel ihrer Ansicht nach fehlerhaft war und hat damit die gesamte Kostenschätzung der Antragsgegnerin verworfen und durch eine eigene ersetzt. Damit hat sie auch den Kostenansatz der Antragsgegnerin für die Handlingskosten verworfen. Diesen hatte die Antragsgegnerin aber aus der vorhergehenden Ausschreibung übernommen. Auf diese Möglichkeit der Kostenschätzung weist die Vergabekammer in ihrem Beschluss selbst hin. Meines Erachtens hätte die Vergabekammer diesen Kostenansatz daher nicht ersetzen dürfen.
Der zweite Kritikpunkt richtet sich gegen den Ansatz der Vergabekammer zu dem Auftragswert noch das Saldo zwischen Marktpreis des Altpapiers und der Erlösauskehr zu berücksichtigten. Denn dieses Delta hängt, was die Vergabekammer auch wiederum selbst beschreibt, von dem konkreten Angebot ab und kann 0 lauten. Vielleicht muss es vor dem Hintergrund der Grundsätze zum tauschähnlichen Umsatz zu Zwecken der Schätzung immer 0 lauten, da ja ansonsten eine MwSt.-Verkürzung erfolgen würde. Hinzu kommt die praktische Schwierigkeit einen Marktwert valide zu ermitteln. Die gängigen Indices kommen hierzu jedenfalls nicht in Frage; das lässt sich zutreffend bereits den Ausführungen der Vergabekammer in anderem Zusammenhang entnehmen.
Bei der Ermittlung des Auftragswerts sind daher meines Erachtens nur die Handlingskosten in Ansatz zu bringen.
Praxistipp
In der Beratungspraxis stellen wir immer wieder eine Scheu vor europaweiten Vergabeverfahren fest. Diese Scheu ist aber jedenfalls nach der Annäherung der Regelungen für die Unterschwellenvergaben an die Vorschriften der VgV unbegründet. Denn was ist denn abgesehen von Fristvorgaben und dem Rechtsschutz vor den Nachprüfungsinstanzen der Mehraufwand für EU-weite Verfahren?
Hinzu kommt natürlich die EU-Bekanntmachung und die Vorabinformationsschreiben nach § 134 GWB. Die Eignungsprüfung fällt zwar weg, dafür müssen aber Unternehmen vorab ausgewählt und angeschrieben werden. Bei einem offenen Verfahren muss zudem nur der Zuschlagsprätendent eingehend auf seine Eignung hin geprüft werden, nicht hingegen mehrere Unternehmen vorausgewählt werden.
Der zeitliche Aufwand für ein offenes Verfahren und eine beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb dürfte sich daher die Waage halten.
Im Zweifel daher lieber europaweit ausschreiben!
Anmerkung des Autoren
Der Verfasser hat in diesem Nachprüfungsverfahren die Antragsgegnerin vertreten.
Der Beschluss ist noch nicht rechtskräftig.
Martin Adams, Mag. rer. publ.
Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte, Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.
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