Die EU Kommission hat vor kurzem einen Leitfaden für eine innovationsfördernde öffentliche Auftragsvergabe (2021/C 267/01) veröffentlicht (s. ). Die innovationsfördernde öffentliche Auftragsvergabe soll den Übergang zu einer grünen und digitalen Wirtschaft erleichtern und die wirtschaftliche Erholung nach der COVID-19-Krise beschleunigen. Der Leitfaden richtet sich in 5 Kapiteln und 72 Seiten sowohl an öffentliche Auftraggeber als auch an die politischen Akteure.
Der Leitfaden soll Antworten auf drei Fragen geben: Warum ist innovationsfördernde Auftragsvergabe wichtig, wer ist daran interessiert und wie kann sie gestaltet werden?
In Kapitel 1 wird der Begriff der innovationsfördernden Auftragsvergabe erklärt . Demnach seien davon Auftragsvergaben erfasst, bei denen Gegenstand der Vergabe ein Innovationsprozess ist (z.B.: Dienstleistungen im Bereich Forschung und Entwicklung mit partiellen Ergebnissen) und/oder Ergebnisse von Innovationsprozessen. Es geht also nicht um den Erwerb von Standardprodukten oder-dienstleistungen, sondern inkrementelle, disruptive oder transformative Innovationen. Die Kommission nennt eine Reihe von Zielen, denen innovationsfördernde Auftragsvergabe dienen soll. Neben der Stärkung der wirtschaftlichen Erholung und der grünen und digitalen Wende spielen die Resilienz der EU und Modernisierung öffentlicher Dienstleistungen eine Rolle. Beispielsweise bei der Beschaffung von Weltraumdiensten wurde eine vorkommerzielle Auftragsvergabe bereits erfolgreich genutzt. Ebenso konnten Investitionen in eine Kraft-Wärme-Kopplungsanlage in Vilnius zu grünerer und günstigerer Energie für die Bürger führen. Daneben sollen mit innovationsfördernden Aufträgen hochwertigere öffentliche Dienstleistungen zum bestmöglichen Preis-Leistungs-Verhältnis beschafft werden und auf einen steigenden Bedarf reagiert werden. Schulen in fünf Mitgliedsstaaten (u.a. in Magdeburg) haben sich beispielsweise zusammengetan, um technische Hilfsmittel zur Erhöhung der Lernbereitschaft zu sehr geringen Kosten entwickeln zu lassen. Darüber hinaus soll der Markteintritt und die Expansion von Start-ups und innovativen KMU unterstützt werden, sowie die Innovationsbereitschaft von Märkten gefördert werden. Die Ausschreibung von PVC-freien Medizinprodukten hat zum Beispiel innerhalb von acht Jahren zu einer enormen Vergrößerung des Marktes geführt.
In Kapitel 2 skizziert die Kommission einen politischen Rahmen, der für die praktische Umsetzung der innovationsfördernden Auftragsvergabe in der Breite von Nöten sei.
Zunächst sei ein eindeutiges politisches Mandat erforderlich. Eine klare politische Vision, Informationskampagnen und langfristige Mittelzuweisungen seien wichtige Stellschrauben. Kopenhagen strebt bis 2025 CO2-Neutralität an und habe durch die Beschaffung im wettbewerblichen Dialog Produkte beschafft, mit denen der Energieverbrauch um 57% verringert werden konnte. Innovation könne dabei als Mittel zur Verwirklichung verschiedener politischer Ziele genutzt werden, wie der Einbindung von KMUs oder der Stärkung der Resilienz der Wirtschaft. Entscheidend sei die Festlegung des Anspruchsniveaus und die Umsetzung von Zielvorgaben in Maßnahmen und Verpflichtungen. Ein Kapazitätsaufbau sowie Schulungen und Hilfestellungen schaffen eine innovationsfreundlichere Umgebung. Dabei können kooperative Auftragsvergaben erwägt werden und risikoaverses Verhalten sollte durch die Schaffung von Innovationsanreizen überwunden werden.
Allerdings müsse der Zugang zur Auftragsvergabe für Innovatoren, also vornehmlich KMU’s und Start-Ups erleichtert werden. Vorschläge hierzu macht die Kommission in Kapitel 3. Zunächst gelte es die Kommunikation mit dem Markt zu suchen. Ein solcher proaktiver Ansatz soll die Probleme des mangelnde Bewusstseins und Vertrauens bei den Innovatoren lösen. Für die Kontaktaufnahme finden sich in den Anhängen zum Leitfaden einige Muster. Darüber hinaus müsse der Verwaltungsaufwand verringert werden, dies gelinge beispielsweise durch die verstärkte Nutzung der EEE. Eine weitere Hürde sieht die Kommission in den Auswahlkriterien, welche an die Bedürfnisse und Gegebenheiten der Innovatoren angepasst werden müssten. Hierfür kommen folgende Ansätze in Frage: die Nutzung von Losen, Standards, offenen Daten, offene Schnittstellen und Open-Source-Software und die Entwicklung KMU-freundlicher Zahlungssysteme. Auch die Entwicklung eines Ökosystem-Ansatzes für Innovationen, zum Beispiel durch einen Hackathon oder die Mobilisierung von Innovationsmaklern als Schnittstelle böten Chancen für die innovationsfördernde Auftragsvergabe.
In Kapitel 4 geht es der Kommission darum, die tatsächliche Auftragsvergabe für Innovatoren attraktiver zu gestalten. Hierfür sollen die Instrumente des Vergabeverfahrens in allen Phasen genutzt werden. Bereits im Rahmen der Bedarfsermittlung und Marktkonsultation würden oftmals die Weichen gegen innovationsfördernde Aufträge gelegt. Hiergegen soll mit größtmöglicher Neutralität an die Bedarfsermittlung herangegangen werden, um neue, innovative Lösungen zu entdecken. Die Marktkonsultation soll den Auftraggeber in die Lage versetzen kreative Ideen auf dem Markt finden und die mit der Innovation verbundenen Risiken beleuchten können. Die Kommission umreißt den ganzen Konsultationsprozess in vier Schritten und nennt eine Reihe gelungener Beispiele.
Bei den technischen Spezifikationen eigne sich eher der funktionale Ansatz, der mehr Flexibilität biete als beschreibende Spezifikationen. Darüber hinaus könnten im Verfahren „Varianten“ zugelassen werden, um den Spielraum für Bieter zu erweitern.
Bei den Zuschlagskriterien sei der Preis als alleiniges Zuschlagskriterium generell wenig innovationsfördernd. Die Berücksichtigung von Kosten sei hier geeigneter, beispielsweise um ein besseres Verbrauchsverhalten, umweltfreundlichere Energiequellen oder längere Wartungsintervalle zu berücksichtigen. Ebenso könnten qualitative, ökologische oder soziale Aspekte bei der Qualitätsbewertung berücksichtigt werden.
Ebenfalls zentral sei die Auftragsausführung an sich. Vertragserfüllungsklauseln mit klaren Kriterien für die Ausführung (messbare Indikatoren für Qualitäts- und Leistungsziele), Ausstiegsklauseln bei unzureichender Erfüllung und Änderungsklauseln, die der Volatilität weiterer Innovationen Rechnung tragen, seien ein wichtiger Rahmen für Auftraggeber und Auftragnehmer.
Als besonders innovationsfreundlich schätzt die Kommission das Verhandlungsverfahren, den wettbewerblichen Dialog und die Innovationspartnerschaft ein. Gerade im Bereich der Forschungs- und Entwicklungsleistungen könnten Innovationen angestoßen werden. Entscheidend sei in diesem Bereich die Zuweisung von Rechten des geistigen Eigentums gerade auch für die Anwendbarkeit des Vergaberechts, insofern bestehe auch die Möglichkeit der vorkommerziellen Auftragsvergabe.
Kapitel 5 befasst sich mit staatlichen Beihilfen zur Innovationsförderung.
Fazit
Der Leser erkennt, dass das Vergaberecht bereits eine Reihe von Möglichkeiten zur innovationsfördernden Beschaffung bietet. Dies wird im Leitfaden anschaulich vorgestellt. Im Ergebnis muss die Umsetzung aber bei den Auftraggebern vor Ort stattfinden, damit die Paradebeispiele der Kommission keine Einzelfälle bleiben. Die Kommission bringt im Ergebnis vor allem Hinweise zur Markterkundung als entscheidende Stellschraube für die Innovationsförderung.
Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Frau stud. jur. Neele Schauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Kanzlei FPS Fritze Wicke Seelig, Frankfurt am Main / Berlin, verfasst.
Neele Schauer
Neele Schauer ist seit 2018 als wissenschaftliche Mitarbeiterin bei FPS Fritze Wicke Seelig, Frankfurt am Main im Bereich des Vergaberechts tätig. Zusammen mit Dr. Annette Rosenkötter, Aline Fritz und Tim Kuhn hat sie bereits zahlreiche Veröffentlichungen, insbesondere zur Sektorenverordnung und im Bereich der Verteidigung und Sicherheit, publiziert.
Aline Fritz
Frau Fritz ist seit 2000 im Bereich des Vergaberechts tätig und seit 2002 Rechtsanwältin bei FPS Rechtsanwälte und Notare, Frankfurt. Sie berät sowohl die öffentliche Hand bei der Erstellung von Ausschreibungen als auch Bieter in allen Phasen des Vergabeverfahrens. Frau Fritz hat umfassende Erfahrungen in der Vertretung vor diversen Vergabekammern und Vergabesenaten der OLGs. Des Weiteren hat sie bereits mehrere PPP-Projekte vergaberechtlich begleitet. Frau Fritz hält regelmäßig Vorträge und Schulungen zum Vergaberecht und hat zahlreiche vergaberechtliche Fachbeiträge veröffentlicht. Vor ihrer Tätigkeit bei FPS war Frau Fritz Leiterin der Geschäftsstelle des forum vergabe e.V. beim BDI in Berlin.
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