Die Gesetzentwürfe der Bundesregierung zur Errichtung eines „Sondervermögens Bundeswehr“ (20/1409) und der damit zusammenhängenden Änderung des Grundgesetzes (20/1410) sind bei einer Expertenanhörung im Haushaltsausschuss sehr unterschiedlich bewertet worden. Die Bundesregierung will vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges ein kreditfinanziertes Sondervermögen von hundert Milliarden Euro außerhalb des regulären Verteidigungshaushaltes einrichten, um die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit zu stärken. Durch eine Ergänzung des Grundgesetzes will sie festschreiben, dass das Sondervermögen von der Schuldenbremse ausgenommen wird.
Julia Berghofer vom European Leadership Network, einem Netzwerk bedeutender europäischer Persönlichkeiten mit Sitz in London, geht davon aus, dass Deutschland im Gegensatz zu osteuropäischen, baltischen und nordischen Staaten die Bedrohung durch Russland lange unterschätzt habe. Daher müsse die Bundesregierung nun „schnell und entschlossen handeln“. Sie hob bei der Anhörung hervor, dass die Mittel aus dem Sondervermögen nicht ausschließlich für die Beschaffung von militärischem Großgerät verwendet werden sollten, sondern auch, um Fähigkeitslücken etwa im Bereich der Cybersicherheit zu schließen. Ziel müsse zudem sein, innerhalb der Nato und der EU Waffensysteme zu harmonisieren beziehungsweise gebündelt zu beschaffen.
Rüdiger Wolf, ehemaliger beamteter Staatssekretär im Bundesverteidigungsministerium, attestierte der Bundeswehr tiefe Lücken in der Einsatzfähigkeit aufgrund zurückliegender politischer Entscheidungen. Er hält es angesichts dessen für „unabdingbar“, die vorgesehenen 100 Milliarden Euro „ausschließlich“ für die Ausstattung der deutschen Streitkräfte zu verwenden. Allerdings seien diese Mittel „für sich allein nicht geeignet“, das international zugesagte Zwei-Prozent-Ziel zu erreichen. Vielmehr müsse diese Finanzierung „dauerhaft über den Kernhaushalt abgesichert werden“.
Nach Einschätzung von Generalleutnant Markus Laubenthal, Stellvertreter des Generalinspekteurs der Bundeswehr, würde diese mit Hilfe des Sondervermögens „deutlich leistungsfähiger“. Eine Voraussetzung für schnelle Bedarfsdeckung sei aber, dass die Rüstungsindustrie ihre Kapazitäten zeitnah erweitert und Lieferfristen einhält. Die Laufzeit des Sondervermögens müsse durch die Laufzeit der daraus finanzierten Vorhaben bestimmt sein. Und schließlich müsse der reguläre Verteidigungshaushalt nachhaltig erhöht werden, „um eine solide Grundlage für die zukünftige Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr zu schaffen“.
Annette Lehnigk-Emden, Vizepräsidentin des Bundesamtes für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, sieht ihr Amt aufgrund bereits erfolgter Anpassungen und laufender Optimierungsprozesse in der Lage, das Sondervermögen effektiv für eine höhere Einsatzbereitschaft der Streitkräfte zu nutzen. Für eine noch effizientere Nutzung der Ressourcen seien allerdings „weitere Anpassungen des Vergaberechts“ erforderlich. Auch Lehnigk-Emden wies im Übrigen auf die Notwendigkeit hin, mittelfristig den Erhalt der Einsatzfähigkeit der aus dem Sondervermögen beschafften Ausrüstung finanziell abzusichern.
Ulrich Hufeld, der an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg Öffentliches Recht lehrt, wies darauf hin, dass die geplante Grundgesetzänderung das Haushaltsverfassungsrecht und die Schuldenbremse des Grundgesetzes durchbreche. Dies sei allerdings „begründet und gerechtfertigt“. Denn die Verfassungsorgane regierten damit auf einen Versuch Russlands, „die europäische Friedensordnung zu zerstören“, wie es in einem vom Bundestag beschlossenen Entschließungsantrag heiße. Falls politisch gewollt, könne man die geplante neue Verfassungsnorm dahingehend konkreter zu formulieren, dass „ausschließlich Ausrüstungsvorhaben“ aus dem Sondervermögen finanziert werden dürfen.
Dagegen hält Dirk Meyer, Volkswirt ebenfalls an der Helmut-Schmidt-Universität, ein Sondervermögen für den falschen Weg zur Sicherstellung der Landes- und Bündnisverteidigung. Damit werde gegen die Haushaltsgrundsätze der Einheitlichkeit, Klarheit und Jährlichkeit verstoßen. Eine Alternative sei die Finanzierung aus dem Kernhaushalt bei Einsparungen an anderer Stelle und gegebenenfalls einem „Solidaritätsbeitrag Landesverteidigung“ als zeitlich befristeter Sondersteuer. Eine dauerhafte Aufstockung des regulären Verteidigungshaushaltes sei auch wegen der Folgekosten einer besseren Ausstattung der Bundeswehr „einem einmaligen Sondervermögen vorzuziehen“.
Christian Mölling, Forschungsdirektor der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, argumentierte, dass die hundert Milliarden Euro lediglich für die Finanzierung der großen Rüstungsprojekte ausreichten. Darauf solle man sich deshalb konzentrieren und „die Vermischung mit Zielen wie etwa die Ertüchtigung von Partnern“ vermeiden. Zudem sollte ein Wirtschaftsplan mit Zeit- und Kostenabschätzung für die Rüstungsprojekte vorliegen, bevor der Bundestag dem Gesetz zur Errichtung des Sondervermögens zustimmt. Damit die Beschaffungen auch nachhaltig genutzt werden können, müsse zudem der reguläre Verteidigungsetat laufend erhöht werden.
Entschieden gegen das Sondervermögen wandte sich Ingar Solty vom Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung, welche der Partei Die Linke nahesteht. Es mache „die Welt nicht sicherer und friedlicher, es gefährdet die Demokratie, wird Sozialabbau nach sich ziehen und entfremdet Mittel, die dringend für den sozialökologischen Umbau gebraucht werden“. Solty bemängelte, dass der von Bundeskanzler Olaf Scholz verkündeten „Zeitenwende“ keine breite gesellschaftliche Diskussion vorausgegangen sei. Da Beschaffungen aus dem Sondervermögen wegen des „Anschaffungszeitraums keinen Einfluss auf den Kriegsverlauf“ hätten, bestehe auch kein „unmittelbarer sicherheitspolitischer Handlungsdruck“. Tatsächlich lägen die Entscheidungen über wesentliche Rüstungsvorhaben schon weit zurück, und die Kriegsbilder würden nun „als Vorwand“ genutzt, um sie umzusetzen. Nach Soltys Einschätzung würde die Bundeswehr schon heute über genügend Mittel zur Landesverteidigung verfügen, wenn diese einzig dafür eingesetzt würden.
Auch drei Staatsrechtler waren zu der Anhörung geladen, die sich besonders mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens befassten. Für Alexander Thiele von der BSP Business and Law School – Hochschule für Management und Recht in Berlin gibt es keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die vorgesehene Grundgesetzänderung. Bei der Verwendung der Mittel aus dem Sondervermögen sei eine laufende Einbindung des Bundestages, wie sie der Gesetzentwurf vorsieht, „sinnvoll, wenngleich verfassungsrechtlich wohl nicht zwingend“. Ebenfalls „nicht zwingend“, aber möglich sei ein Tilgungsplan als Bestandteil des Gesetzes. Dieser ist im vorliegenden Entwurf nicht vorgesehen.
Joachim Wieland von der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer hält die geplante Ergänzung des Grundgesetzes für „verfassungsrechtlich nicht erforderlich“. Der Angriffskrieg Russlands habe zu einer „außergewöhnlichen Notsituation“ geführt, „die sich der Kontrolle des Staates entzieht“, und für einen solchen Fall enthalte die Schuldenbremse ausdrücklich eine Ausnahmeregelung. Ohne das Sondervermögen sei nicht gesichert, dass „die Bundeswehr ihre Aufgabe der Verteidigung Deutschlands wirkungsvoll wahrnehmen kann“.
Dagegen ist nach Ansicht von Christian Waldhoff von der Humboldt-Universität zu Berlin die Verfassungsänderung zur Nichtanwendung der Schuldenbremse notwendig, da deren Ausnahmebestimmung für unvorhersehbare Notfälle hier nicht greife. Sowohl der Zustand der Bundeswehr sei seit Jahren bekannt als auch das „seit langem völkerrechtswidrige Verhalten von Putin-Russland“. Allerdings sei jedes Sondervermögen „ein Systembruch, weil es die verfassungsrechtlich vorausgesetzten und garantierten Haushaltsfunktionen unterminiert“. So sei „die parlamentarische Finanzkontrolle erschwert“. Sondervermögen seien daher „extrem rechtfertigungsbedürftig“. Alles in allem sieht Waldhoff das geplante Vorgehen vom Grundgesetz gedeckt, plädiert aber für Klarstellungen in beiden Gesetzestexten, dass das Geld „ausschließlich für komplexe überjährige Maßnahmen zur Ausstattung der Streitkräfte“ eingesetzt wird un Kredite des Sondervermögens binnen zwanzig Jahren zu tilgen sind.
Warum für Herrn Alexander Thiele von der BSP/ Berlin ein Tilgungsplan für das Bundeswehrsondervermögen nicht zwingend ist bleibt mir unverständlich; denn in Art. 115 Abs. 2 heißt es zum Schluß:“Im Falle von Naturkatastrophen oder außergeöhnlichen Notsituationen….können diese Kreditobergrenzen aufgrund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestags überschritten werden. Der Beschluß ist mit einem Tilgungsplan zu verbinden.“ Es ist keine kann- Bestimmung!
Der Artikel geht im letzten satz noch weiter und fordert die „Rückführung“ der Kredite „in einem angemessenen Zeitraum“.