Der öffentliche Auftraggeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet zu überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten werden. Vielmehr darf er sich auch ohne Überprüfung grundsätzlich auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen. Eine Überprüfungspflicht des Auftraggebers ergibt sich allerdings dann, wenn konkrete Tatsachen das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen lassen.
Ein Wettbewerb durch sog. Newcomer, die aus früherer Tätigkeit ihrer Mitarbeiter bei einem anderen Unternehmen erworbenes Know-how mitbringen, ist jedenfalls dann nicht ausgeschlossen, wenn der Auftraggeber dies explizit zugelassen hat. Für die Zurechnung früherer Referenzen zu einem neuen Unternehmen ist erforderlich, dass eine weitgehende Personenidentität zwischen den Personen, die für die Referenzaufträge zuständig waren und den Mitarbeitern in dem neu gegründeten Unternehmen besteht.
§ 122 GWB; §§ 42 Abs. 1, 46 Abs. 3 Satz 1, 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV
Der Auftraggeber (AG) betreibt ein elektronisches Erfassungs- und Abrechnungssystem bzw. Kassensystem (nachfolgend: EAS). Dieses EAS wurde ursprünglich von der Antragstellerin (ASt) geliefert und in den Jahren 2003 bis 2007 bei dem AG installiert. Auf Grundlage eines IT-Systemvertrags wurde dieses System sodann von der ASt zu einem zentralisierten Gesamtsystem weiterentwickelt und sodann ab dem Jahr 2019 ausgerollt. Wartungsleistungen waren nicht Gegenstand des IT-Systemvertrags. Diesbezüglich wurde zwischen dem AG und dem ASt ein (erster) Wartungsvertrag (Bestandsvertrag) abgeschlossen.
Gegenstand der streitgegenständlichen Vergabe ist die beabsichtigte Vergabe eines Anschlussvertrags als Rahmenvereinbarung über Wartungsleistungen im Rahmen eines offenen Verfahrens. Als Eignungsnachweis verlangte der AG in der Bekanntmachung u.a. 3 Referenzen für eine Betreuung des EAS-Systems mit EKS-Software über jeweils 2 Jahre kontinuierlich, unter Angabe der Auftraggeber.“ Während des Vergabeverfahrens machte die ASt den AG darauf aufmerksam, dass die ausgeschriebene Leistung nur durch die ASt als Herstellerin des EAS erbracht werden könne, da für die Wartungsdienstleistungen Spezialwissen und eine Ausstattung mit Firmware und Spezialwerkzeug erforderlich sei. Neben der ASt interessierte sich auch der neu gegründete, zum Verfahren beigeladene Bieter B für den Auftrag. Geschäftsführer von B ist ein ehemaliger Mitarbeiter der ASt. Im Angebot hat B zum einen angegeben und im Rahmen einer Angebotsaufklärung bestätigt, dass die in Rede stehenden Wartungsleistungen von B erbracht werden können. Zum anderen hat B zum Nachweis der drei Referenzen die bisherigen Tätigkeiten der Mitarbeiter angegeben. Diese waren früher für die ASt tätig und haben u.a. die in der Ausschreibung geforderten Wartungsarbeiten als Angestellte der ASt bereits langjährig im Bestandsvertrag umgesetzt. Unter den benannten Personen befand sich auch der Geschäftsführer von B.
Nachdem der AG die ASt darüber informiert hatte, dass dieser beabsichtige, B zu beauftragten, rügte die ASt, dass B die aufgestellten Eignungskriterien zum Nachweis der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit durch Referenzen nicht erfüllen könne. Diese Rüge wies der AG zurück, woraufhin die ASt einen Nachprüfungsantrag stellte.
Ohne Erfolg!
Im Hinblick auf die in Rede stehenden Wartungsleistungen stellt die VK Bund klar, dass der Auftraggeber grundsätzlich nicht verpflichtet ist, zu überprüfen, ob die Bieter ihre mit dem Angebot verbindlich eingegangenen vertraglichen Verpflichtungen auch einhalten werden können. Vielmehr darf er sich grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen. Eine Überprüfungspflicht des Auftraggebers ergibt sich nur dann, wenn konkrete Tatsachen das Leistungsversprechen eines Bieters als nicht plausibel erscheinen lassen. In diesen Fällen muss aus Gründen der Transparenz und der Gleichbehandlung der Bieter (§ 97 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 GWB) der Auftraggeber bereit und in der Lage sein, das Leistungsversprechen der Bieter effektiv zu verifizieren. Diesem Maßstab hat der AG im vorliegenden Verfahren genügt. Der AG hat das Angebot von B, die von der ASt geltend gemachten Alleinstellungsmerkmale und die daraufhin eingeholten Erläuterungen von B eingehend überprüft und ist zu der Einschätzung gelangt, B werde das Leistungsversprechen erfüllen. Im Rahmen einer weitergehenden Sachverhaltsüberprüfung hat die VK Bund die Plausibilität des Leistungsversprechens von B überprüft und keinerlei Beurteilungsfehler des AG bei deren durchgeführter Verifizierung feststellen können.
Sodann thematisiert die VK Bund die Frage, ob B die Eignung für den Auftrag im Hinblick auf die geforderten Referenzen mittels der Angaben zu den Mitarbeitern nachgewiesen hat. Denn die ASt beanstandete, dass die Erfahrungen im Rahmen ihrer früheren, langjährigen Tätigkeit für die ASt erworben wurden und mit dem personellen Wechsel nun von einem konkurrierenden Unternehmen geltend gemacht werden. Ein solcher Wettbewerb durch sogenannte Newcomer, die aus früherer Tätigkeit ihrer Mitarbeiter bei einem anderen Unternehmen erworbenes Know-how mitbringen, ist nach Auffassung der VK Bund aber durch die Eignungsanforderungen der vorliegenden Ausschreibung nicht ausgeschlossen. Nach den Grundsätzen der Rechtsprechung, darauf weist die VK Bund zutreffend hin, ist es für die Zurechnung früherer Referenzen zu einem neuen Unternehmen erforderlich, dass – wie hier – eine weitgehende Identität zwischen den Personen, die für die Referenzaufträge zuständig waren und den Mitarbeitern in den neu gegründeten Unternehmen festgestellt werden kann. In dieser Fallkonstellation kann der Auftraggeber sicher sein, dass das neu gegründete Unternehmen die Gewähr dafür bietet, dass die bisherigen Leistungen des vorherigen Unternehmens und Referenzgebers auch weiterhin erbracht werden. Diese Anforderungen sind vorliegend nach Ansicht der VK Bund erfüllt. In der Person des Geschäftsführers von B ist auch institutionell gewährleistet, dass B über diese personelle Ressource auch verfügen kann.
Die Entscheidung überzeugt nur bedingt.
Richtig ist zunächst, dass sich ein Auftraggeber grundsätzlich auch ohne Überprüfung auf die Leistungsversprechen der Bieter verlassen darf. Wenn wie vorliegend dies in Abrede gestellt wird, ist ein Auftraggeber gehalten, hierzu nähere Erkundigungen einzuholen und Plausibilitätsprüfungen anzustellen. Vorliegend war B auf die von der ASt geltend gemachten Alleinstellungsmerkmale mit konkret substantiiertem Vortrag eingegangen und hat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass sie die Gesamtheit der Wartungs-, Instandhaltungs- und Instandsetzungsleistungen wie in der Leistungsbeschreibung vorgesehen, erbringen kann, ohne Urheberrechte der ASt zu verletzen. Darauf konnte und durfte sich der AG vorliegend verlassen; zumal dieser den Geschäftsführer von B aus dem Bestandsvertrag kannte.
Zweifelhaft ist nach dem bekannten Sachverhalt allerdings, ob B tatsächlich die Eignung in Gestalt der in der Bekanntmachung geforderten „3 Referenzen für eine Betreuung des EAS-Systems mit EKS-Software über jeweils 2 Jahre kontinuierlich, unter Angabe der Auftraggeber“ nachgewiesen hat. B hat in dem Angebot die geforderten Unternehmensreferenzen durch eine Auflistung der Qualifikationen der Mitarbeiter ersetzt. Die VK Bund sieht dies vorliegend als unbedenklich an und führt hierzu in der Entscheidung Folgendes aus:
„Nach der Bekanntmachung waren lediglich drei Referenzen für eine Betreuung des verfahrensgegenständlichen EAS über zwei Jahre unter Angabe des Auftraggebers verlangt. Dies wurde durch das Hinweisblatt „Qualifikation des AN“ dahingehend präzisiert, dass der Auftragnehmer das EAS/EKS betreut“ haben und das Gesamtsystem inklusive der Software im Detail kennen muss“.
Diese Vorgaben sind nach dem objektiven Empfängerhorizont des fachkundigen Bieters dahingehend auslegungsfähig, dass es dem Auftraggeber hier in erster Linie und für die Bieter erkennbar auf (persönliche) Erfahrung und Detailkenntnisse im Umgang mit dem Ausschreibungsgegenstand ankam. Solche Kenntnisse werden den Bietern als Unternehmen nur über die zur Verfügung stehenden personellen Ressourcen vermittelt.
Mit Beantwortung der Bieterfrage 1 der Bg hat die Ag dieses Verständnis der Eignungsanforderungen auch noch einmal ausdrücklich noch während der Angebotsphase für alle Bieter transparent klargestellt und ausgeführt, dass auch neugegründete Unternehmen ausdrücklich zum Wettbewerb zugelassen sind. Hiermit brachte die Ag vorliegend ihr Verständnis zum Ausdruck, dass die im vorliegenden Verfahren geforderten Referenzen auch von anderen Unternehmen grundsätzlich übertragbar sind, weil kein neu gegründetes Unternehmen schon begrifflich für sich genommen über keine eigenen früheren Referenzen verfügen kann.
Damit war für alle Bieter des angesprochenen Bieterkreises klar ersichtlich, dass nicht zwingend unternehmensspezifische Referenzen gefordert waren, sondern der Nachweis des den Bietern konkret zur Verfügung stehenden, qualifizierten Personals ebenso tauglich sein sollte.“
Diese Ausführungen halten einer vergaberechtlichen Prüfung nicht stand:
Gemäß § 122 Abs. 4 Satz 2 GWB sind Eignungskriterien (besser: Eignungsnachweise) beim offenen Verfahren ohne Vorinformation in der Auftragsbekanntmachung aufzuführen. Vorliegend hat der AG 3 Referenzen für eine Betreuung des EAS-Systems mit EKS-Software über jeweils 2 Jahre gefordert, mithin eindeutig unternehmensbezogene und keine personenbezogenen Referenzen. Insofern sind Angaben zur Qualifikation und Erfahrung der Mitarbeiter nicht geeignet, die Forderung nach unternehmensbezogenen Referenzen quasi zu ersetzen. Die Schlussfolgerung der Vergabekammer, wonach, nicht zwingend unternehmensspezifische Referenzen gefordert waren, sondern der Nachweis des den Bietern konkret zur Verfügung stehenden, qualifizierten Personals ebenso tauglich sein sollte, ist falsch. Hätte der Auftraggeber vorliegend (später) etwas anderes gewollt, hätte er die Bekanntmachung während des laufenden Vergabeverfahrens korrigieren müssen.
Der Auffassung der Vergabekammer wohnt zugleich ein Verstoß gegen das Transparenzprinzip inne. Denn es war entgegen der Sichtweise der Vergabekammer gerade nicht für alle Bieter des angesprochenen Bieterkreises klar ersichtlich, dass nicht zwingend unternehmensspezifische Referenzen gefordert waren, sondern allenfalls für die Bieter, welche zusätzlich zur Bekanntmachung die Vergabeunterlagen sowie die Antworten auf Bieterfragen aufmerksam gelesen haben.
Viel spricht ferner dafür, dass in der Auffassung der Vergabekammer zugleich eine unzulässige Vermischung von Eignungs- und Zuschlagskriterien zu erachten ist. Denn das Zuschlagskriterium Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV wird von der Vergabekammer in den Eignungsnachweis geeignete Referenzen über früher ausgeführte Liefer- und Dienstleistungsaufträge gemäß § 46 Abs. 3 Nr. 1 VgV integriert.
Dass der Auftraggeber schließlich in der Beantwortung einer Bieterfrage sein Verständnis zum Ausdruck gebracht hat, dass die im vorliegenden Verfahren geforderten Referenzen auch von anderen Unternehmen grundsätzlich übertragbar sind, ändert daran selbstredend nichts. Denn wie die Vergabekammer insofern zutreffend ausführt gibt es zur Frage der Zurechnung früherer Referenzen zu einem neuen Unternehmen Spruchpraxis. Diese ist maßgeblich für die Zurechnung und gilt unabhängig davon, ob der Auftraggeber dies ebenso oder anders sieht.
Auftraggeber tun gut daran sich vor dem Beginn der Vergabemaßnahme sehr genau zu überlegen, worauf es Ihnen bei der bieterbezogenen Eignungsprüfung und der auftragsbezogenen Angebotswertung ankommt. Kommt es dem Auftraggeber maßgeblich wie wohl vorliegend auf das dem Bieter konkret zur Verfügung stehende, qualifizierte Personal an, sollte neben dem Preis als weiteres Zuschlagskriterium Organisation, Qualifikation und Erfahrung des mit der Ausführung des Auftrags betrauten Personals Berücksichtigung finden (§§ 58 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VgV, 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 UVgO, 16d EU Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 lit b) VOB/A). Bei der Eignung sollte das Personal, die Mitarbeiter der Bieter, dann keine Bedeutung mehr haben. In jedem Fall ist zwischen unternehmensbezogenen Referenzen (als klassischer Eignungsnachweis) und personenbezogenen Referenzen (als Erfahrung Bestandteil des vorgenannten Zuschlagskriteriums) sehr genau zu differenzieren.
Der Autor Peter Michael Probst, M.B.L.-HSG, ist Fachanwalt für Vergaberecht, Fachanwalt für Verwaltungsrecht und Partner der Wirtschaftskanzlei LEXTON Rechtsanwälte in Berlin. Er berät seit über 20 Jahren öffentliche Auftraggeber und Bieterunternehmen umfassend bei allen vergabe-, zuwendungs-, haushalts- und preisrechtlichen Fragestellungen. Neben seiner anwaltlichen Tätigkeit veröffentlicht er regelmäßig Fachaufsätze und führt laufend Seminare und Workshops im Vergaberecht durch.
Soweit verständlich, aber hier wäre doch auch die Thematik „Newcomer“ zu berücksichtigen. Newcomer dürfen nicht grundsätzlich von Vergabeverfahren ferngehalten werden. Zumal wenn Sie die Aufgabe vermutlich erledigen können – was hier wohl gegeben wäre.
Das ist völlig zutreffend. Dann muss der Auftraggeber allerdings auch Eignungsnachweise aufstellen, welche die Zulassung ermöglichen. Dies war vorliegend nicht der Fall.
Die VK-Entscheidung ist offensichtlich falsch. Es geht nicht um ein Leistungsversprechen, sondern um die vom Auftraggeber nach geschriebenen Spielregeln (§ 122 GWB; § 42 VgV) vorzunehmende Prüfung der technischen LF. Wenn der Auftraggeber es sich nach Einleitung des Vergabeverfahrens anders überlegt, ist eine Änderungsbekanntmachung – hier mit einer Öffnungs- oder Newcomerklausel – unerlässlich.
Völlig zutreffend! Wie es anders gemacht werden kann, kann einer Entscheidung des OLG Frankfurt (Beschluss vom 01.10.2020 zum Az. 11 Verg 9/20) entnommen werden. Richtig ist danach, dass zu Gunsten von Newcomern auch alternative Eignungsnachweise zu vergleichbaren Unternehmensreferenzen von dem Auftraggeber zugelassen werden können. Wenn – wie vorliegend – dies aber nicht geschieht, können die „Spielregeln“ nicht während des laufenden Vergabeverfahrens angepasst werden.