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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 18/07/2022 Nr. 50321

„Geschwärztes“ darf von den Nachprüfungsinstanzen nicht berücksichtigt werden! (KG Berlin, Beschl. v. 18.05.2022 – Verg 7/21)

Entscheidung„Geschwärzte“ Unterlagen oder Schriftsätze, die anderen Verfahrensbeteiligten nicht zugänglich gemacht werden sollen, werden weder Gegenstand der Akten der Vergabekammer noch Bestandteil der Gerichtsakten, so dass diese weder Gegenstand der Verhandlung sein können und bei der Entscheidung der Nachprüfungsinstanzen keine Rolle spielen dürfen. Den Nachprüfungsinstanzen ist es nicht erlaubt, Vorbringen, das den übrigen Verfahrensbeteiligten aufgrund der Schwärzung unbekannt bleibt und zu dem sie sich deswegen nicht äußern können, zum Gegenstand des Verfahrens und ihrer Entscheidung zu machen. Andernfalls wäre das Grundrecht der betroffenen Verfahrensbeteiligten auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

Art. 103 Abs. 1 GG, §§ 70, 165 GWB

Leitsatz

Schriftsätze und sonstige Unterlagen, die Beteiligte im Vergabenachprüfungsverfahren mit der Maßgabe zu den Akten reichen, dass sie ganz oder teilweise den übrigen Beteiligten oder einem Teil von ihnen nicht zur Kenntnis gelangen sollen (sog. „geschwärzte“ Unterlagen), werden insoweit weder Gegenstand der Akten der Vergabekammer noch Bestandteil der Gerichtsakten, welcher Entscheidung und Verhandlung zugrunde gelegt erklärten Willen des Beteiligten, der sie eingereicht hat, Einsicht in diese Unterlagen zu gewähren. Im Hinblick auf das Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) der übrigen Beteiligten bleiben diese Unterlagen bei der Verhandlung und Entscheidung der Nachprüfungsinstanzen unberücksichtigt (vgl. auch Senat, Beschluss vom 01.07.2020 – Verg 1001/20).

Sachverhalt

In einem europaweiten Ausschreibungsverfahren hatten Antragstellerin und Beigeladene jeweils Anlagen zu ihren Schriftsätzen beigefügt, die sie als geheimhaltungsbedürftig bezeichnet hatten und die dem jeweils anderen Verfahrensbeteiligten nicht zur Kenntnis gegeben werden sollten.

Die Vergabekammer hatte dann in einem Zwischenverfahren beschlossen, beiden Verfahrensbeteiligten Einsicht in die geschwärzten Unterlagen des jeweils anderen Verfahrensbeteiligten zu gewähren.

Gegen diesen Beschluss wandte sich die Beigeladene mit einer sofortigen Beschwerde. Sie trug im Wesentlichen vor, dass dem ihre vorrangigen Geheimhaltungsinteressen entgegenstünden.

Die Antragstellerin hielt den Beschluss der Vergabekammer für rechtmäßig, weil sie ansonsten gehindert sei, ihre Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB effektiv wahrzunehmen.

Nach Anhängigkeit des Beschwerdeverfahrens hat die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag zurückgenommen. Daraufhin haben Antragstellerin und Beigeladene das Beschwerdeverfahren mit widerstreitenden Kostenanträgen in der Hauptsache für erledigt erklärt.

Die Entscheidung

Das KG, Beschluss vom 18.05.2022 – Verg 7/21, gab im Ergebnis der Beigeladenen recht.

Wegen der Antragsrücknahme musste es nur noch über die Kostentragung entscheiden und legte der Antragstellerin die Kosten auf, weil die Beigeladene mit ihrer sofortigen Beschwerde erfolgreich gewesen wäre.

Da geschwärzte Unterlagen nicht Gegenstand der Gerichtsakte werden, stelle sich die Frage einer Akteneinsicht daher hier von vornherein nicht. Allerdings liegt es in der autonomen Entscheidung eines Beteiligten, ob er Sachvortrag zur Grundlage des Nachprüfungsverfahrens machen möchte oder im Hinblick auf ein von ihm als überwiegend wichtig angesehenes Geheimhaltungsinteresse verbergen möchte.

Wenn nur ein Teil der Verfahrensbeteiligten oder nur die Nachprüfungsinstanzen von bestimmten Sachverhalten Kenntnis erlangen sollen, könne derartiger Vortrag nicht berücksichtigt werden. Denn die von der Information ausgeschlossenen Verfahrensbeteiligten könnten sich dazu nicht äußern und seien daher in ihrem Grundrecht auf rechtliches Gehör aus Art. 103 GG verletzt, wenn derartiger Vortrag dennoch berücksichtigt würde.

Dem stünde auch nicht entgegen, dass möglicherweise die Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und 14 GG eine Geheimhaltung begründen könnten. Denn das Grundrecht aus Art. 103 GG gehe als konstitutives objektivrechtliches Verfahrensprinzip vor. Etwas anderes könne im Hinblick auf § 164 Abs. 1 GWB unter Umständen gelten, wenn übergeordnete öffentliche Geheimhaltungsinteressen vorliegen. Dies war vorliegend nicht der Fall.

Rechtliche Würdigung

Die Entscheidung ist wohl begründet, allerdings setzt sie sich m.E. nicht mit dem Verhältnis zu den Grundsätzen des Geheimwettbewerbs gem. §§ 3 UVgO, 5 VgV auseinander. Auch hinterfragt das KG nicht, ob nicht ggf. eine Differenzierung dahingehend erforderlich sein könnte, welche Relevanz die geschwärzten Angaben für den Ausgang des Verfahrens haben.

Am Ende vertröstet das KG jeden Verfahrensbeteiligten mit dem Hinweis, er müsse eben entscheiden was ihm wichtiger sei: Sachvortrag oder Geheimhaltungsschutz? Aber ist dies nicht auch eine Beschneidung des effektiven Rechtsschutzes, wenn im Zweifel Rechtsschutzziele hinter Geheimhaltungsinteressen zurückstehen müssen?

Es bleiben zumindest Fragen.

Praxistipp

Was soll man nun den Verfahrensbeteiligten in Nachprüfungsverfahren raten? Im Moment ist wohl in der Tat nur eine Abwägung zwischen der Offenlegung geheimhaltungsbedürftiger Informationen und dem angestrebten Rechtsschutzziel möglich. So muss sich also jeder fragen, wie die Offenlegung geheimer Informationen seine Chancen auf das Obsiegen beeinflusst; mit anderen Worten: Ob es das wert ist?

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Martin Adams, Mag. rer. publ.

Herr Martin Adams, Mag. rer. publ. ist Rechtsanwalt und Inhaber der Kanzlei _teamiur_Rechtsanwälte, Mannheim. Herr Adams berät bundesweit öffentliche Auftraggeber bei Ausschreibungen und in vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren, insbesondere im Bereich der Abfallwirtschaft. Darüber hinaus veröffentlicht er regelmäßig Beiträge in entsprechenden Fachmedien und tritt als Referent in Fachseminaren auf.

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