Zuletzt hatte sich im vergangenen Jahr unter anderem die VK Baden-Württemberg (vgl. Vergabeblog.de vom 18/10/2021, Nr. 48179) zu der aktuellen Thematik der Dokumentation von mündlichen Präsentationen im Vergabeverfahren geäußert. Nun hat die VK Bund abermals ihre bereits in der Vergangenheit skizzierte Linie bekräftigt, dass die Dokumentation von gewerteten Präsentationen gem. § 8 VgV sehr ernst zu nehmen ist.
Diesmal ging es nicht – wie sonst häufig bei der Thematik – um IT-Leistungen, sondern um Architektenleistungen (Objektplanung und Sanierung). Die Vergabeunterlagen sahen eine Präsentation von etwa 45 Minuten vor. Zudem gab es einen 20-minütigen Teil mit ergänzenden Fragen der Wertungskommission. Das Wertungsgremium bestand aus Vertretern des öffentlichen Auftraggebers, Gesellschafter-Vertretern und einer kommunalen Vertreterin. Die Bewertung der einzelnen Kriterien wurde von der Kommission teilweise direkt in die Matrix mit kurzen Ausführungen eingetragen, teilweise wurde das Ergebnis handschriftlich zur Vergabeakte genommen und lediglich ein Punktwert in der Matrix eingetragen.
Die Vergabeakte enthielt für jeden Bieter außerdem eine „Niederschrift des Vergabegesprächs“. Bei der Antragstellerin wurde in dieser Niederschrift eine Abfolge des Termins mit Uhrzeitangaben in kurzen Stichpunkten auf eineinhalb Seiten aufgelistet. Ein inhaltlicher Bezug zur Bewertungsmatrix wurde nicht hergestellt. Fragen der Antragsgegnerin an die Antragstellerin einschließlich Antworten wurden nicht protokolliert.
Bereits früh hatte die VK Bund (Beschluss vom 12.04.2019 – VK 1 – 11/19) festgehalten, dass bei der Dokumentation mündlicher Präsentationen gem. § 8 VgV zwischen dem Inhalt der Präsentation und dem Wertungsvorgang zu trennen sei, sodass die Vergabekammer nachvollziehen könne, wie das Wertungsergebnis zustande gekommen ist. Der Vergabevermerk müsse so detailliert sein, dass er für einen mit der Sachlage des Vergabeverfahrens vertrauten Leser nachvollziehbar ist. Wichtig dabei ist, dass – nach der Rechtsprechung – die Anforderungen an den Detaillierungsgrad größer sind, wenn es um die Dokumentation von Entscheidungen geht, die die Ausübung von Ermessen oder die Ausfüllung eines Beurteilungsspielraums enthalten. Dies ist bei der Bewertung mündlicher Präsentationen regelmäßig der Fall. Dazu die VK Bund:
„Dabei sind die Anforderungen an den Detaillierungsgrad des Vergabevermerks aus Gründen der Nachvollziehbarkeit besonders hoch, wenn die qualitative Bewertung im Wesentlichen auf einer mündlichen Vorstellung der zur Verhandlungsrunde zugelassenen Büros beruht. Ein hinreichendes Maß an Detaillierung ist insbesondere auch deshalb geboten, um den Nachprüfungsinstanzen eine Überprüfung der Wertungsentscheidung des Auftraggebers überhaupt erst zu ermöglichen.“
Die Kritik der Vergabekammer an der Dokumentation liest sich wie eine Liste an klassischen, praktischen Problemen bei der Dokumentation von Präsentationen und deren Wertungsentscheidungen.
Knapp zusammengefasst könnte man diese wie folgt darstellen:
1. | Im Vorfeld keine genauen Zielerreichungsgrade definiert, |
2. | keine hinreichende Dokumentation der gezeigten Präsentation selbst, |
3. | zu allgemeine, oberflächliche oder stichpunktartige Ausführungen bei der Bewertung, |
4. | keine inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Präsentierten, sondern vorwiegend Kommentierung der Darstellungsweise, |
5. | im Nachhinein nicht feststellbar, ob die aufgelisteten Aspekte positiv oder negativ gemeint waren, |
6. | unsaubere Formulierungen beim Wertungsvorgang, |
7. | intransparente Umrechnung von vergebenen Schulnoten in ein anderes Punktesystem, |
8. | Vergabe von „Zwischenpunkten“ bei „Ja/Nein-Fragen“, |
9. | fehlende Dokumentation von Ergänzungsfragen und -antworten. |
Die Lektüre der Entscheidung ist insofern instruktiv, als sich daraus eine Liste mit den größten Fallstricken bei der Dokumentation von mündlichen Präsentationen erstellen lässt, die es im Vorfeld auszuräumen gilt. Betrachtet man diese Beanstandungen sowie die sonstigen, bisherigen Ausführungen der VK Bund zu dieser Thematik (etwa Beschluss vom 12.04.2019 – VK 1 – 11/19) ergibt sich ein Gesamtbild, wie die Dokumentation rechtssicher gelingen kann. Leider ist die VK Bund nicht auf die praktisch naheliegende und bereits in der Richtlinie 2014/24/EU erwähnte Möglichkeit von Ton- oder Videomitschnitten eingegangen (vgl. dazu Könsgen/Czeszak, VergabeR 2020, 568, 577). In Art. 22 Abs. 2 Satz 3 RL 2014/24/EU ist bei der Aufzählung der Möglichkeiten zur Dokumentation unter anderem von einer „Tonaufzeichnung“ die Rede, ebenso im Erwägungsgrund 58 der Richtlinie 2014/24/EU.
Interessant ist zudem, dass sich die VK Bund auch mit dem häufig in der Praxis anzutreffenden Vorgehen von (ergänzenden) handschriftlichen Wertungszetteln der einzelnen Gremienmitgliedern auseinandersetzt:
„Als nicht zwingend, aber empfehlenswert wird in diesem Zusammenhang die Beifügung von Handzetteln der Mitglieder eines Wertungsgremiums zur Vergabedokumentation angesehen (vgl. OLG München, Beschluss vom 25. September 2014, Verg 9/14). Die beigefügten handschriftlichen Notizen mit zusätzlichen Ausführungen ergänzen vorliegend die Überlegungen des Wertungsgremiums zur reinen Punktbewertung in der Wertungsmatrix. Als Grundlage der Punktbewertung sind die Notizen für die Überprüfung der Wertungsentscheidung durch die Vergabekammer heranzuziehen, auch wenn sie selbst nicht gesondert von dem Protokollführer unterschrieben sind und die Anforderungen an den eigentlichen Vergabevermerk im Sinne des § 126a BGB nicht erfüllen. Die Notizen sind dem Vergabevermerk in der Anlage Ziffer 4.2 neben den Anwesenheitslisten des Bewertungsgremiums für beide Verhandlungstage beigefügt. Die Anwesenheitslisten sind mit Namen der Teilnehmer und den entsprechenden Unterschriften versehen. Ebenso liegen für alle Bieter die eingetragenen Punktwerte in der jeweiligen Wertungsmatrix vor.“
In diese Richtung hatte zuletzt auch die VK Niedersachsen (Beschluss vom 11.02.2021 – VgK-53/2020) geneigt. Die VK Bund bezeichnet es als empfehlenswert, die Handzettel der Mitglieder des Gremiums zur Vergabeakte zu nehmen. Ein solches Vorgehen kann aber auch die Gefahr bergen, dass sich in den verschiedenen handschriftlichen Aufzeichnungen Widersprüche untereinander und Inkonsistenzen zu der sonstigen Dokumentation ergeben. Insbesondere bei größeren Bewertungsgremien ist dies praktisch schwer in den Griff zu bekommen. Zudem kann es vorkommen, dass handschriftliche Notizen im Einzelfall nicht leserlich sind. Daher könnte es erfolgsversprechender sein, die Mitschriften unmittelbar in elektronischer Form z.B. am Laptop durchzuführen und eine einheitliche Begründung für die Wertungsentscheidung des gesamten Gremiums zu formulieren. Dies sollte allerdings unmittelbar im Anschluss an die Präsentation erfolgen.
Insgesamt zeigt sich durch diese Entscheidung erneut, dass die Durchführung von gewerteten Bieterpräsentationen praktisch nur mit einigem Dokumentationsaufwand rechtssicher durchzuführen ist. Gleichwohl sollten öffentliche Auftraggeber in wichtigen IT-Beschaffungen nicht davor zurückschrecken, diesen Weg zu beschreiten. Die Vorteile überwiegen in vielen Fällen deutlich die Herausforderungen. Wenn die Hinweise der Vergabekammern zur Dokumentation konsequent beachtet werden und entsprechender Sachverstand bei der Planung des Vergabeverfahrens hinzugezogen wird, lässt sich die Dokumentation gut in den Griff bekommen (vgl. dazu auch Bock in: Vergabeblog.de vom 27/02/2020, Nr. 43381).
Herr Elias Könsgen ist Rechtsanwalt in der Kanzlei kbk Rechtsanwälte, Hannover. Er berät bundesweit öffentliche Auftraggeber hauptsächlich im IT-Vergaberecht. Seine Schwerpunkte liegen dabei auf der Durchführung von komplexen Bieterpräsentationen und Assessments sowie datenschutzrechtlichen Fragestellungen. Daneben berät er Städte und Gemeinden bei der Durchführung von Konzessionierungsverfahren für Strom, Gas, Wasser und Fernwärme. Zudem ist Herr Könsgen Mitautor in einem vergaberechtlichen Kommentar.
Hallo Herr Könsgen,
können Sie ganz kurz darstellen, welche Möglichkeiten der An- bzw. Nachforderung Bieter hat, um eine ausführliche Dokumentation der Bewertung durch die Vergabestelle zu erhalten?
Ist es möglich, das gesamte Protokoll anzufordern oder muss die Vergabestelle lediglich ein detaillierte Bewertung vorlegen? Wie detailliert muss diese Bewertung in diesem Fall mindestens sein?
In der Rolle des Bieters ist es regelmäßig so, dass nur wage und nicht nachvollziehbare Angaben zur Bewertung der Bieterpräsentation gemacht werden. Welche Möglichkeiten hat ein Bieter konkret, bzw. wie kann er diese ausschöpfen?
Viele Grüße
HWit
Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Nachfrage!
Die Frage ist leider nicht so einfach zu beantworten, wie Sie daher kommt. Die maßgeblichen Normen sind hier (für die Oberschwelle) § 134 GWB sowie § 165 GWB. Der erforderlich Umfang der Informationspflicht wird von der Rechtsprechung leider etwas unterschiedlich beurteilt. Wenn Sie als unterlegener Bieter eine unzureichende Information nach § 134 GWB erhalten, dann steht Ihnen grundsätzlich die Möglichkeit der Rüge bzw. der Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens gem. § 160 GWB offen, in dem Sie dann ggfs. gem. § 165 GWB Einsicht in die Akten erhalten können. Ich befürchte Ihre Frage sprengt aber den Rahmen dieser Kommentarfunktion etwas. Ihre Frage wäre wohl ein Thema für einen weiteren Blogbeitrag. Ansonsten können Sie sich natürlich sehr gerne per E-Mail für weitere Details bei mir melden.
Mit besten Grüßen
Elias Könsgen