Bald ist es wieder soweit: das Jahr neigt sich dem Ende zu. Manche Bieter argwöhnen, dass Auftraggeber die Feiertage zwischen den Jahren mitunter geschickt für ihre Informationsschreiben nach § 134 GWB nutzen. Die Mindeststillhaltefrist bis zum Zuschlag ist nämlich in Kalendertagen, nicht in Arbeitstagen bemessen. Wer die vollen 10 Tage für die Erstellung eines Nachprüfungsantrags nutzen möchte, muss dann nicht nur am Wochenende, sondern auch unter dem Weihnachtsbaum arbeiten. Die Vergabekammer Südbayern weist in einer aktuellen Entscheidung zudem auf ihre dienstfreien Zeiten hin, die zum zusätzlichen Problem werden können – möglicherweise aber auch für Auftraggeber…
§§ 134, 168 Abs. 2 Satz 1 GWB
Nachdem das Bayrische Innenministerium im November 2021 erneut den Katastrophenfall ausgerufen hatte, wollte ein Auftraggeber in einem verkürzten offenen Verfahren mobile Raumluftreinigungsgeräte für Kindertagesstätten beschaffen. Nach Auswertung der eingereichten Angebote versendete er das Informationsschreiben nach § 134 GWB am 23. Dezember 2021. Nach Ablauf von genau 10 Kalendertagen erteilte er am 3. Januar 2022 den Zuschlag.
Im Nachgang stellte sich heraus, dass der Auftraggeber das Informationsschreiben in einem Fall nicht an die im Angebotsschreiben aufgeführte E-Mail-Adresse des zuständigen Sachbearbeiters, sondern an die allgemeine E-Mail-Adresse gesendet hatte. Feiertagsbedingt wurde die Nachricht erst am 27. Dezember 2021 an diesen Sachbearbeiter weitergeleitet. Der kehrte erst am 3. Januar 2022, also dem Tag des Zuschlags, aus dem Urlaub zurück. Noch am selben Tag versendete der Bieter seine erste Rüge. Am Folgetag, dem 4. Januar, präzisierte er diese und zwei weitere Tage später, am 6. Januar 2022, reichte der Bieter einen Nachprüfungsantrag ein.
Zu spät!
Der Nachprüfungsantrag war bereits unzulässig, da der Vertrag wirksam geschlossen worden war. Das Informationsschreiben des Auftraggebers hatte die 10-Kalendertagesfrist des § 134 GWB im Ergebnis wirksam in Gang gesetzt.
Allerdings erklärte die Vergabekammer Südbayern, dass der Auftraggeber die Frist in kritischer Weise verkürzt hätte, indem er das Informationsschreiben am 23. Dezember 2021 versendet habe.
Die Kammer rechnete vor, dass außer den insgesamt vier Sonn- und Feiertagen auch der 24. und der 31. Dezember 2021 nicht effektiv für die Einreichung eines Nachprüfungsantrags in Betracht gekommen seien, weil die Vergabekammer an diesen Tagen (beides Werktage) dienstfrei hatte. Sie hätte an diesen Tagen daher einen Nachprüfungsantrag nicht übermittelt und das Zuschlagsverbot ausgelöst. Außerdem könne auch der 30. Dezember 2021 nicht als voller Tag berücksichtigt werden, da ein Nachprüfungsantrag bis zur Mittagszeit hätte übermittelt werden müssen, damit die Vergabekammer an diesem Tag noch die erforderliche Prüfung auf offensichtliche Unzulässigkeit und Unbegründetheit hätte durchführen können, bevor sie den Nachprüfungsantrag zugestellt hätte. Dadurch ergab sich nach der Rechnung der Vergabekammer aus Gründen ihrer eigenen eingeschränkten Dienstzeiten zusätzlich zu den Sonn- und Feiertagen eine weitere effektive Verkürzung der 10-Tagesfrist um 2,5 Tage.
Dabei relativierte die Vergabekammer allerdings auch wieder sogleich, dass der Bieter wahrscheinlich ohnehin nicht bereits am 24. Dezember 2021 einen Nachprüfungsantrag eingereicht hätte.
Im Ergebnis kommt die Vergabekammer auf effektive „ca. 4,5 Arbeitstage (unter Einschluss des 24.12.2021)„, die zur Einreichung des Nachprüfungsantrags zur Verfügung gestanden hätten. Dies bewege sich „an der alleruntersten Grenze der nach der Rechtsprechung noch tolerierbaren faktischen Verkürzung“.
Letztlich war diese faktische Verkürzung im konkreten Fall allerdings nicht ausschlaggebend, da der Bieter tatsächlich ohne große Überlegungs- und Entscheidungsfrist kurzfristig in der Lage war, Vergaberechtsverstöße zu rügen und einen Nachprüfungsantrag zu stellen. Ursache der verspäteten Stellung war damit aus Sicht der Vergabekammer letztlich die mangelnde eigene Organisation in der Urlaubszeit des Bieters, nicht die faktische Verkürzung der Wartefrist.
Zu Recht kam die Vergabekammer Südbayern zu dem Ergebnis, dass der Nachprüfungsantrag aufgrund des wirksam erteilten Zuschlags unzulässig war. Nachdem die Vergabekammer an dem Informationsschreiben und dessen Übermittlung als solches nichts auszusetzen hatte, setzte dieses Schreiben die Frist von 10 Kalendertagen wirksam in Gang.
Alle weiteren Überlegungen zur Fristverkürzung durch Feiertage und dienstfreie Zeiten der Vergabekammer sowie zur Frage deren Ursächlichkeit für einen verspäteten Nachprüfungsantrag sind dogmatisch fragwürdig. Nachvollziehbar sind sie nur, wenn man einer durch das OLG Düsseldorf geprägten Auffassung folgt, derzufolge Informationsschreiben die Stillhaltefrist nicht wirksam auslösen, wenn sie so versendet werden, dass innerhalb dieser Frist dem Bieter effektiv nur wenige Tage verbleiben, um über einen Nachprüfungsantrag zu entscheiden und diesen einzureichen. In Entscheidungen des OLG Düsseldorf verblieben dem Bieter lediglich drei (Beschluss vom 5.11.2014, Az.: VII Verg 20/14) bzw. vier bis fünf Tage (Beschluss vom 5.10.2016, Az.: VII Ver 24/16). Die Vergabekammer Südbayern hielt hier offenbar eine Verkürzung auf 4,5 Tage für gerade noch zulässig.
Man mag es nicht nett finden, wenn Vergabestellen bei Auftragsvergaben zwischen den Jahren nur die 10-Kalendertages-Mindestfrist für Nachprüfungsverfahren gewähren und keine bieterfreundlichen Sicherheitszuschläge vorsehen. Diese Praxis ist aber durch die geltende Rechtslage gedeckt.
Das OLG Rostock bringt es im Beschluss vom 7. 11. 2018 (Az.: 17 Verg 2/18) auf den Punkt:
„Der Gesetzgeber hat bei Vorabinformation per Fax oder auf elektronischem Weg eine Frist von 10 Kalender- (nicht Arbeits- oder Werk-) tagen für angemessen und ausreichend angesehen, ohne dass es auf den Zugang bei dem betroffenen Bieter ankäme. Er hat dabei – wie am Fehlen einer an § 222 Abs. 2 ZPO angelehnten Regelung deutlich wird – auch in Kauf genommen, dass je nach Lage der Wochenenden regelmäßig nur 6 bis maximal 8 Arbeitstage und bei Fristablauf am Wochenende faktisch nur 8 oder 9 Kalendertage zur Verfügung stehen. Berücksichtigt man zudem die für das Zuschlagsverbot nach § 169 Abs. 1 GWB erforderliche Bekanntgabe des Nachprüfungsantrags durch die Vergabekammer (dazu OLG Frankfurt, Beschluss vom 06. März 2013 – 11 Verg 7/12 -, Rn. 36, juris; Summa in: Heiermann/Zeiss/Summa, jurisPK-Vergaberecht, 5. Aufl. 2016, § 169 GWB, Rn. 11), kann am letzten Arbeitstag der Frist der Antrag nur innerhalb der üblichen Geschäftszeiten und nicht bis Mitternacht eingereicht werden. Darüberhinaus können im Einzelfall Feiertage eine zusätzliche Begrenzung der effektiv zur Verfügung stehenden Zeit bewirken, ohne dass der Gesetzgeber Anlass für eine Berücksichtigung gesehen hat.“
Hinzufügen ließe sich dem noch, dass die Kalendertagesfrist des § 134 GWB auf der Vorgabe der EU- Rechtsmittelrichtlinie beruht, die in Art. 2 a) Abs. 2 bzw. 2 c) RL 2007/66/EG ebenfalls explizit eine Frist von 10 Kalendertagen vorsieht. Hätte der EU-Gesetzgeber gewollt, dass es auf den Zeitraum ankommen soll, der den Bietern tatsächlich für eine Nachprüfung zur Verfügung stehen soll, dann hätte er ohne weiteres eine nach Werk- bzw. Arbeitstagen bemessene Stillhaltefrist vorsehen können.
Aller Kritik zum Trotz: zur Vermeidung rechtlicher Risiken sollten Auftraggeber bei Beschaffungen in Feiertagszeiten nach Möglichkeit lieber einen kleinen Sicherheitszuschlag auf die Stillhaltefrist von 10 Kalendertagen gewähren. Denn natürlich darf die Mindestfrist auch überschritten werden.
Bieter, die sich um Aufträge bewerben, die zwischen den Jahren vergeben werden (können), sollten hingegen unbedingt auf eine funktionierende Organisation während der Feiertage achten und sich über dienstfreie Zeiten der für sie zuständigen Vergabekammer informieren. Das gilt zumindest dann, wenn sie sich die Möglichkeit eines Nachprüfungsverfahrens rechtssicher offen halten wollen.
Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.
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