Ein Schulträger wollte preisgebundene Schulbücher und Arbeitshefte für das neue Schuljahr beschaffen. Innerhalb des Vergabeverfahrens kam es zwischen öffentlichem Auftraggeber und einer Bieterin zu Missverständnissen, wie die Vergabeunterlagen zu verstehen seien. So nahm die vergaberechtliche Nachprüfung ihren Lauf.
In der Entscheidung des OLG Rostock steht der Bieterschutz im Mittelpunkt. Das Gericht befasst sich mit der Frage, ob Bestimmungen des BuchPrG von der vergaberechtlichen Nachprüfung umfasst sind. Die Entscheidung ist jedoch nicht nur im Hinblick auf Sammelbestellungen von Schulbüchern/Arbeitsheften relevant: Der Vergabesenat legt Vergabeunterlagen aus und beschäftigt sich gar mit sachenrechtlichen Erwägungen zum Eigentumsbegriff. Eine lesenswerte Entscheidung, die sowohl Bietern als auch öffentlichen Auftraggebern wesentliche Grundsätze für eine erfolgreiche Vergabe (oder im Streitfall Nachprüfung) nochmals vor Augen führt.
§§ 97, 160 GWB; §§ 29, 57 VgV; § 7 BuchPrG
Der Auftraggeber (und spätere Antragsgegner) initiierte ein offenes Verfahren, um sich preisgebundene Schulbücher und Arbeitshefte für das Schuljahr 2022/23 liefern zu lassen. Es handelte sich um eine Vergabe von fünf Losen. In der Leistungsbeschreibung führte der Auftraggeber aus, die Vergabe erfolge ausschließlich an die Bieter, die bei Sammelbestellungen der Schulen den höchstzulässigen Nachlass gemäß § 7 Abs. 3 BuchPrG anbieten können. Die Zuschlagskriterien bestanden aus dem Preis (50 % Wertung) und Qualitätskriterien (Serviceleistungen). Die maßgebliche Anlage 4 in den Vergabeunterlagen wies den folgenden Text auf:
„Folgende kostenlose Serviceleistungen im Rahmen der Zuschlagserteilung biete ich an (zutreffendes ankreuzen):
- Nachweis über ressourceneinsparende, nachhaltige oder umweltschonende Verpackung oder Lieferung in Form einer Eigenerklärung oder entsprechenden Gütesiegeln
- fachliche Beratung […]
- kostenfreie Bereitstellung eines Firmenmitarbeiters […]“
Hinweis: Das Nichtabgeben dieser Anlage wird als Nichtanbieten aller drei genannten Serviceleistungen gewertet.“
Auf eine Bieteranfrage teilte der Antragsgegner mit, er behalte sich als Schulträger das Eigentum an den zu beschaffenden Arbeitsheften mindestens bis Ende des Schuljahres 2022/23 vor. Zum Schuljahresende gehe das Eigentum an den Arbeitsheften auf die Schüler über. Nach der Satzung des Antragsgegners haben die Erziehungsberechtigten bzw. die volljährigen Schüler die beschafften Unterrichts- und Lernmittel zu zahlen.
Die Antragstellerin reichte fristgemäß zu allen Losen Angebote ein. Sie kreuzte auf der Anlage 4 alle Serviceleistungen an, legte jedoch keinen Eigennachweis bzw. kein Gütesiegel zum ersten Unterkriterium (Verpackung oder Lieferung) vor.
Sie rügte gegenüber dem Antragsgegner, die geforderten Preisnachlässe für die Arbeitshefte in zwei Losen verstoße gegen § 7 Abs. 3 BuchPrG. Der Antragsgegner half der Rüge nicht ab.
Daraufhin stellte die Antragstellerin einen Nachprüfungsantrag. Die Vergabekammer Mecklenburg-Vorpommern (B. v. 05.08.2022 – AZ.: 3 VK 8/22) wies den Nachprüfungsantrag ohne mündliche Verhandlung zurück.
Gegen die Entscheidung der Vergabekammer legte die Antragstellerin sofortige Beschwerde ein und beantragte, die aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung zu verlängern. Sie führte aus, sie sei insbesondere antragsbefugt wegen eines Verstoßes gegen § 97 Abs. 6 GWB i.V.m. § 7 Abs. 3 BuchPrG. Ferner sei die sofortige Beschwerde begründet. Es bestehe kein dauerhaftes Eigentum des Antragsgegners an den Arbeitsheften, sodass der Preisnachlass nicht § 7 Abs. 3 BuchPrG entspreche. Sofern der Antragsgegner von vornherein davon ausgehe, die Arbeitshefte stehen schlussendlich im Eigentum der Schüler, sei ein vorübergehender Eigentumserwerbs durch die Schule oder den Schulträger unerheblich. Die durch § 7 Abs. 3 BuchPrG bezweckte Verbesserung, dass die Schulträger im Rahmen ihrer knappen Budgets mehr lernmittelfreie Schulbücher anschaffen könnten, werde nicht erreicht, wenn pro Schüler immer ein verlagsneues Arbeitsheft beschafft werden müsse. Außerdem habe die vom Antragsgegner durchgeführte Angebotswertung gegen das vergaberechtliche Wettbewerbsprinzip und das BuchPrG verstoßen. So habe der Antragsgegner sämtliche Angebote, die den unzulässigen Preisnachlass enthielten, aus der Wertung nehmen müssen. Insofern seien alle Angebote nicht zuschlagsfähig und auszuschließen, die im Rang vor dem der Antragstellerin liegen.
Mit Erfolg! Das OLG Rostock gab dem Antrag auf Verlängerung der aufschiebenden Wirkung statt. Nach summarischer Prüfung sei die sofortige Beschwerde zulässig und auch begründet.
Zunächst stehe der Zulässigkeit nicht entgegen, dass die Antragstellerin auf einen Verstoß gegen das BuchPrG abstellt. Dessen Bestimmungen seien zwar nicht unmittelbar von § 97 Abs. 6 GWB erfasst. Sie seien jedoch inzident im Hinblick auf vorgelagerte Rechtsfragen über vergaberechtliche Anknüpfungs- oder Brückennormen zu berücksichtigen. Das Gericht analysiert im Folgenden das Telos des Buchpreisbindungsrechts und stellt dies dem Telos des Vergaberechts gegenüber: Die Buchpreisbindung nach § 1 BuchPrG diene dazu, verbindliche Verkaufspreise an Endkonsumenten festzusetzen und damit das Kulturgut Buch zu schützen. Das Vergaberecht verfolge nach § 97 GWB u.a. das Ziel, Leistungen wirtschaftlich günstig im Wettbewerb zu beschaffen. Nach Ansicht des OLG Rostock stehen die beiden Gesetze – ob ihrer unterschiedlichen Ziele – gleichrangig nebeneinander. Insofern seien preisgebundene Schulbücher nach den vergaberechtlichen Grundsätzen auszuschreiben und gleichzeitig die Vorschriften des BuchPrG zu beachten.
Zudem liege ein öffentlicher Auftrag i.S.d. § 103 Abs. 1 GWB vor. Der Antragsgegner habe die Arbeitshefte zwar lediglich mittelbar für die Schüler erwerben wollen. Bei einer mittelbaren Stellvertretung sei der Vertreter im Außenverhältnis jedoch selbst Partei des Rechtsgeschäfts.
Die Antragstellerin sei auch antragsbefugt, insbesondere nicht präkludiert nach § 160 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 GWB. Es sei unerheblich, dass nach Kenntnis der Antragstellerin mehrere Schulträger in Mecklenburg-Vorpommern Arbeitshefte allein aus deren eigenen Mitteln finanzieren. Das reiche für eine Präklusion nicht aus. Insbesondere sei es der Antragstellerin nicht möglich, abweichende Finanzierungsmodelle rechtlich zutreffend zu beurteilen.
Die sofortige Beschwerde sei begründet.
Das Gericht stellt fest, die geforderten Preisnachlässe verletzen nicht die bieterschützenden Rechte aus § 97 Abs. 6 GWB i.V.m. § 7 Abs. 3 BuchPrG. Die Arbeitshefte würden zu Eigentum der öffentlichen Hand angeschafft, sodass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 3 BuchPrG vorliegen. Im Folgenden untersucht das OLG Rostock, ob § 7 Abs. 3 BuchPrG einen „dauerhaften“ Eigentumserwerb voraussetzt. Hierfür spreche – so das Gericht – die Auslegung des Wortes „Anschaffung“, demnach Eigentum von gewisser Dauer erworben werden müsse. Die Vorschrift sei eng auszulegen. Als Maßstab könne die Verwendungsdauer der Arbeitshefte dienen. Hierbei sei zu berücksichtigen, dass die Hefte nach Ende des Schuljahres durchgearbeitet und mit Eintragungen versehen seien. Ein bloßer Zwischenerwerb an den Arbeitsheften mit dem Ziel einer kurzfristigen Weiterveräußerung fiele jedenfalls nicht unter die Regelung.
In dem Zusammenhang sei es jedoch unerheblich, ob der Antragsgegner die Arbeitshefte schlussendlich den Schülern überlässt oder einem Entsorger übergibt. Jedenfalls werde das Anschaffungsmodell mit Preisnachlässen im konkreten Fall dem Ziel des § 7 Abs. 3 BuchPrG gerecht. Die Vorschrift diene dazu, das Kulturgut Buch in Schulen zu fördern. Der Schulträger trage dem Rechnung, wenn er sein (zunächst) an den Arbeitsheften bestehendes Eigentum (erst) nach dem Ende des Schuljahres auf die Schüler übertrage. Die Preisnachlässe dienen der Schulbuchfinanzierung, ansonsten werde u.U. auf den Einsatz des Lernmaterials verzichtet.
Demgegenüber habe der Antragsgegner die Antragstellerin in ihren Bieterrechten insoweit verletzt, soweit diese keine Wertungspunkte im Unterkriterium „Verpackung/Lieferung“ mangels Eigennachweises bzw. Gütesiegels erhalten habe. Die Vergabestelle sei verpflichtet, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüche zu vermeiden. Maßgeblich sei der objektive Empfängerhorizont eines potentiellen Bieters. Aus den konkreten Vergabeunterlagen gehe jedoch nicht ausreichend deutlich hervor, den genannten Nachweis bereits mit dem Angebot vorzulegen. Zunächst sei bei den aufgeführten – und erst nach Vertragsschluss fälligen – Serviceleistungen in Anlage 4 nur „zutreffendes an[zu]kreuzen“ gewesen. Der Fettdruck „in Form einer Eigenerklärung oder entsprechenden Gütesiegels“ könne auch so verstanden werden, es handele sich für den Antragsgegner um einen besonders bedeutsamen Punkt. Insofern sage die Passage für sich genommen nichts über den Zeitpunkt der Vorlage aus. Nichts anderes gelte hinsichtlich der Phrase „im Rahmen der Zuschlagserteilung“.
Die Zuschlagschancen der Antragstellerin seien beeinträchtigt, da sie bei Vorlage des Nachweises die weiteren Wertungspunkte für das betreffende Kriterium erhalten und folglich mit den zwölf anderen Bietern auf dem ersten Rang liegen würde. Daher sei das Vergabeverfahren in den Stand vor Beginn der Angebotswertung zurückzuversetzen. Außerdem sei der Antragstellerin Gelegenheit zu geben, einen Eigennachweis bzw. ein Gütesiegel vorzulegen.
Schließlich stehen die Interessen des Antragsgegners einer Verlängerung der aufschiebenden Wirkung der sofortigen Beschwerde nicht entgegen. Dieser habe für die Vergabe vielmehr einen verhältnismäßig knappen Zeitrahmen mit Blick auf das neue Schuljahr vorgesehen.
Die Entscheidung des OLG Rostock befasst sich aus vergaberechtlicher Sicht v.a. mit der relevanten Frage über die Anwendung außervergaberechtlicher Normen sowie den Vorgaben an Vergabeunterlagen.
Das OLG Rostock thematisiert, ob und wann außervergaberechtliche Normen von Nachprüfungsinstanzen zu berücksichtigen sind. Es stellt fest, dass Bestimmungen des Buchpreisbindungsrechts (BuchPrG) ein tauglicher Prüfungsgegenstand sein können.
Gemäß § 97 Abs. 6 GWB haben Unternehmen einen Anspruch darauf, dass die Bestimmungen über das Vergabeverfahren eingehalten werden. Für interessierte Unternehmen wird der Zugang zum vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahren eröffnet, vgl. § 160 Abs. 2 GWB (Antragsbefugnis). Die subjektiven Rechte der Unternehmen entstehen jedoch nicht aus den einzelnen Verfahrensbestimmungen, sondern werden durch § 97 Abs. 6 GWB begründet (Ziekow, in Ziekow/Völlink [Hrsg.], Vergaberecht, 4. Auflage 2020, § 97 GWB Rn. 108). Daneben dient die Vorschrift einem weitergehenden Bieterschutz im Rahmen des Sekundärrechtsschutzes: Die erfassten „Bestimmungen“ werden zu Schutzgesetzen im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Außerdem sind sie im Rahmen der Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 BGB) und des Anspruchs nach § 181 GWB relevant.
Es muss sich jedoch um Bestimmungen „über das Vergabeverfahren“ handeln. Der Begriff des Vergabeverfahrens ist grundsätzlich weit zu verstehen. Demnach sind alle Bestimmungen erfasst, die auch nur mittelbar die Verfahrensgestaltung beeinflussen. Den Kernbereich stellen die Vorschriften des Kartellvergaberechts in den §§ 97 ff. GWB, jedoch auch die weiteren vergaberechtlichen Verordnungen (VgV, SektVO, VSVgV, KonzVgV, VOB/A EU), sowie weitere Verfahrensgrundsätze dar. Soweit es sich jedoch um Bestimmungen handelt, die keine Rechtspflichten zwischen öffentlichem Auftraggeber und Unternehmen begründen, betreffen diese nicht das Vergabeverfahren. So werden Vertragsklauseln, die Bestandteil des ausgeschriebenen Auftrags sind, grundsätzlich nicht von den Nachprüfungsinstanzen auf ihre zivilrechtliche Wirksamkeit geprüft (OLG Düsseldorf, B. v. 22.12.2021 – AZ.: VII-Verg 16/21: Nachprüfbar ist hingegen, ob eine kaufmännisch vernünftige Kalkulation unzumutbar ist). Nichts anderes gilt für inneradministrativ wirkende Vorschriften, z.B. Erlasse eines Bundes- oder Landes-Ministeriums (aktuell zu Erlassen/Rundschreiben hinsichtlich der Folgen des russischen Angriffskrieges in der Ukraine auf gestiegene Preise: VK Westfalen, B. v. 12.07.2022 – AZ.: VK 3 – 24/22).
Schwieriger zu beurteilen, – und in der Praxis häufig relevant – ist die Frage, ob und inwiefern Bestimmungen außerhalb des (Kartell-)Vergaberechts vom Anwendungsbereich des § 97 Abs. 6 GWB erfasst sind. Darum dreht sich die vorliegende Entscheidung des OLG Rostock.
Grundsätzlich werden außervergaberechtliche Normen im Nachprüfungsverfahren nicht tiefer geprüft (OLG Düsseldorf, B. v. 07.11.2021 – AZ.: VII-Verg 69/11; OLG Karlsruhe, B. v. 01.04.2011 – AZ.: 15 Verg 1/11).
In der kartellvergaberechtlichen Praxis finden sich jedoch unterschiedliche Ansatzpunkte, um außervergaberechtliche Vorschriften im Wege einer Inzidenzkontrolle in den Überprüfungsrahmen des Nachprüfungsverfahrens einzubeziehen. Zum einen fungieren Vorschriften der §§ 97 ff. GWB, insbesondere die Vergabegrundsätze in § 97 Abs. 1 u. 2 GWB, als sog. Anknüpfungsnormen, durch die externe Regelungen in das vergaberechtliche Entscheidungs- und Nachprüfungsprogramm integriert werden. Innerhalb des Nachprüfungsverfahrens haben die Nachprüfungsinstanzen inzident zu prüfen, ob die Anknüpfungsnorm eingehalten ist (siehe nur OLG Düsseldorf, B. v. 22.12.2021 – AZ.: VII-Verg 16/21; VK Mecklenburg-Vorpommern, B. v. 19.03.2014 – AZ.: 2 VK 05/14). Vor allem der Wettbewerbsgrundsatz wirkt auf diese Weise integrierend. Über ihn können z.B. Verstöße gegen das Kartellrecht geltend gemacht werden. Zum anderen kann eine Rechtsfrage außerhalb des Vergaberechts für die Entscheidung über vergaberechtliche Ansprüche i.S.d. § 97 Abs. 6 GWB eine zwingende Vorfragenrelevanz haben, sodass sie inzident mitentschieden werden muss (vgl. Burgi, in NZBau 2013, 601, 603 zum EU-Beihilferecht, Abgaben- und Zuwendungsrecht). Es kommt auf die Entscheidungsrelevanz im konkreten Fall an (Dreher, in NZBau 2013, 665, 670).
Die bisherige vergaberechtliche Rechtsprechung ist sehr vielschichtig – tendenziell zurückhaltend – bezüglich der Prüfung von außervergaberechtlichen Normen. Bejaht wurde eine Vorfragenrelevanz u.a. hinsichtlich Aspekte des
Hervorzuheben sind in dieser Hinsicht die neuesten Entscheidungen zu Cloud-Dienstleistungen, in denen die Nachprüfungsinstanzen explizit die datenschutzrechtlichen Vorschriften der Art. 44 ff. DSGVO geprüft haben (VK Baden-Württemberg, B. v. 13.07.2022 – AZ.: 1 VK 23/22; i.Ü. kritisch zu dieser Entscheidung: Krohn, Vergabeblog.de vom 25/08/2022, Nr. 50676; OLG Karlsruhe, B. v. 07.09.2022 – AZ.: 15 Verg 8/22)
Demgegenüber hat die Rechtsprechung u.a. folgende Rechtsgebiete im Rahmen der Nachprüfung nicht als bieterschützend i.S.d. § 97 Abs. 6 GWB qualifiziert:
In der vorliegenden Entscheidung argumentiert der Vergabesenat – zu Recht – mit der wettbewerblichen Relevanz der gesetzlichen Buchpreisbindung. Demnach stellen die Bestimmungen des BuchPrG einen tauglichen Prüfungsgegenstand in der vergaberechtlichen Nachprüfung dar (so bereits zuvor OLG München, B. v. 19.12.2007 – AZ.: Verg 12/07).
Das OLG Rostock sah die Bieterrechte der Antragstellerin dennoch als verletzt an. Aus den Vergabeunterlagen ergebe nicht ausreichend deutlich, einen Nachweis bereits bei Angebotsabgabe vorzulegen.
Zunächst ist festzuhalten, dass die Vergabeunterlagen die zentrale Quelle für Bewerber bzw. Bieter im Vergabeverfahren darstellen. Die enthaltenen Informationen sind die Angebotsgrundlage, sodass der Vertrag schlussendlich allein durch den Zuschlag des öffentlichen Auftraggebers zustande kommt. Gemäß § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV sind Änderungen an den Vergabeunterlagen unzulässig und entsprechende Angebote auszuschließen.
Der öffentliche Auftraggeber hat die Vergabeunterlagen eindeutig und unmissverständlich zu formulieren (EuGH, U. v. 10.05.2012 – Rs. C-368/10 „EKO und MAX HAVELAAR“, Rn. 109). Es obliegt ihm außerdem klar und eindeutig festzulegen, welche Formulare, Unterlagen und Nachweise ein Bewerber bzw. Bieter abzugeben hat, sowie in welcher Form und zu welchem Zeitpunkt im Vergabeverfahren (OLG München, B. v. 10.09.2009 – AZ.: Verg 10/09). Insbesondere muss den Bietern klar kommuniziert werden, welche Erklärungen und Nachweise bei Angebotsabgabe verlangt werden. Fehlt dies, darf ein Angebot nicht ohne weiteres ausgeschlossen werden (vgl. BGH, U. v. 03.01.2012 – AZ.: X ZR 130/10).
Im Zweifelsfall sind die Vergabeunterlagen nach den zivilrechtlichen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB auszulegen. Zwar stellen sie keine Angebote i.S.d. §§ 145 ff. BGB dar, bilden jedoch spiegelbildlich den Inhalt der Angebote der Bieter ab. Maßgeblich ist der objektive Empfängerhorizont der potentiellen Bieter (BGH, U. v. 10.06.2008 – AZ.: X ZR 78/07). Hierbei ist auf einen verständigen und fachkundigen, sowie mit der betreffenden Beschaffung vertrauten Bieter abzustellen (vgl. nur OLG Frankfurt, B. v. 24.07.2012 – AZ.: 11 Verg 6/12; OLG Schleswig, B. v. 28.03.2022 – AZ.: 54 Verg 11/21, dazu auch Schneider, in Vergabeblog.de vom 30/05/2022, Nr. 49776). Es kommt insbesondere auf den Wortlaut, die konkreten Umstände des Einzelfalls, die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben (§ 242 BGB) an. Unerheblich sind dagegen das subjektive Verständnis des öffentlichen Auftraggebers oder der Bewerber bzw. Bieter (OLG Düsseldorf, B. v. 19.05.2010 – AZ.: VII-Verg 4/10). Bleiben dennoch Zweifel – etwa, weil eine Formulierung mehrdeutig ist – soll diese restriktiv zugunsten der Bewerber bzw. Bieter ausgelegt werden. Hintergrund ist der drohende empfindliche Nachteil durch einen (Angebots-)Ausschluss (vgl. nur Ohlerich, in Gabriel/Krohn/Neun [Hrsg.], Handbuch Vergaberecht, 3. Auflage 2021, § 20 Rn. 71 m.w.N.).
Auf dieser Grundlage hat das OLG Rostock die Vergabeunterlagen dahingehend ausgelegt, ein Eigennachweis/Gütesiegel als Nachweis zum Unterkriterium „Verpackung/Lieferung“ sei nicht bereits bei Angebotsabgabe erforderlich. Hervorhebungen durch Fettdruck oder die Phrase „im Rahmen der Zuschlagserteilung“ machen das nicht hinreichend deutlich. Dies zeigt – so das Gericht – lediglich, es handele sich um einen bedeutsamen Punkt oder Hinweis des Auftraggebers.
Diffiziler sind die Ausführungen des OLG Rostock im Hinblick auf § 7 Abs. 3 BuchPrG zu bewerten. Nach dieser Vorschrift sind die (Letzt-)Verkäufer gesetzlich verpflichtet, bei Sammelbestellungen von Büchern für den Schulunterricht, die zu Eigentum der öffentlichen Hand, eines Beliehenen oder allgemeinbildender Privatschulen, die den Status staatlicher Ersatzschulen besitzen, angeschafft werden, Nachlässe zu gewähren. Maßgeblich ist, dass die öffentliche Hand selbst kauft und Eigentum erwirbt. Sammelbestellungen von Schülern (auch im Klassenverbund) oder Eltern sind nicht erfasst (BT-Drs. 14/9196, Seite 12).
Umstritten ist insbesondere, ob sich § 7 Abs. 3 BuchPrG – entgegen dem Wortlaut – auch auf Arbeitshefte bezieht, soweit diese im Rahmen der Lernmittelfreiheit von der öffentlichen Hand beschafft werden. So wird z.T. die Auffassung vertreten, die öffentliche Hand habe kein erkennbares Interesse, das Eigentum an Arbeitsheften zu erwerben. Dafür spreche, dass eine weitere Nutzung von (bearbeiteten) Arbeitsheften – im Gegensatz zu Schulbüchern – nach Ablauf der Nutzungszeit (Schuljahr) nicht mehr möglich sei. Vielmehr handele es sich um ein sog. „Geschäft für den, den es angeht“, sodass Schüler bzw. Eltern Eigentümer werden (Wallenfels/Russ, in Wallenfels/Russ [Hrsg.], Buchpreisbindungsgesetz, 7. Auflage 2018, § 7 Rn. 18).
Dieser Ansicht folgt das OLG Rostock im konkreten Fall nicht und bezieht sich auf eine Entscheidung des LG Dresden (U. v. 02.10.2012 – AZ.: 42 HK O 218/12 EV). Das Gericht lehnte damals die Rechtskonstruktion des „Geschäfts für den, den es angeht“ ab: Voraussetzung hierfür sei, dass dem einen Geschäftspartner die Person des Kontrahenten gleichgültig sei und er außerdem mit Vertretungswillen handele. Ein Buchhändler habe jedoch ein erhebliches Interesse, den Kaufvertrag über Arbeitshefte mit einem solventen Schulträger abzuschließen. Ihm müsse er auch nur einmal und gesammelt abrechnen. Der Schulträger sei – nach dem Sächsischen Schulgesetz – verpflichtet, die Lernmittelfreiheit zu gewährleisten, sodass er auch nicht mit Vertretungswillen handele. Im Hinblick auf die Entscheidung des LG Dresden ist ferner zu berücksichtigen, dass dort der Schulträger die Schulleiter ausdrücklich angewiesen habe, die Eltern darauf hinzuweisen, dass die Arbeitshefte mindestens bis zum Schluss des Schuljahres im Eigentum der Schule verbleiben und die Rückforderung vorbehalten bleibe.
Die Entscheidung des OLG Rostock ist aus mehreren Aspekten sowohl für öffentliche Auftraggeber als auch für Bieter relevant:
1. Zunächst fügt sich der Vergabesenat in die Liste der Nachprüfungsinstanzen ein, welche sich zum bieterschützenden Charakter von Bestimmungen außerhalb des Kartellvergaberechts geäußert haben.
Für Bieter ist in erster Linie zu klären, ob ihnen überhaupt ein Rechtsschutz im Sinne der §§ 97 ff. GWB zusteht. Liegt ein Verstoß gegen eine außervergaberechtliche Bestimmung vor, hat der Bieter zunächst die betroffenen Vorschriften zu eruieren. Insbesondere ist die hierzu ergangene Rechtsprechung (s.o.) zu berücksichtigen: Ein Bieterschutz besteht, sofern die außervergaberechtliche Norm an das Vergaberecht anknüpft oder für deren Prüfung eine zwingende Vorfragenrelevanz besteht. Ist dies der Fall, liegt ein Nachprüfungsantrag nahe. Zuvor hat der Bieter jedoch die spezifischen Vorgaben für eine ordnungsgemäße Rüge zu beachten, um eine drohende Präklusion zu vermeiden. Zu den Anforderungen an eine ordnungsgemäße Rüge und der Darlegungs- und Beweislast des Bieters siehe den Beitrag des Verfassers in: Vergabeblog.de vom 14/12/2020, Nr. 46003.
2. Ferner zeigt die Entscheidung für öffentliche Auftraggeber die Konsequenz von missverständlichen Vergabeunterlagen auf. Eindeutige und unmissverständliche Unterlagen und Formulierungen sind Dreh- und Angelpunkt für eine transparente und diskriminierungsfreie Vergabe. Hervorhebungen durch Fettdruck deuten zunächst nur darauf hin, dass es sich um einen für die Vergabestelle besonders wichtigen Aspekt handelt. Möchte der Auftraggeber jedoch konkrete Vorgaben zum Verfahrensgang definieren (z.B. Nachweis bereits mit Angebotsabgabe einreichen), sind die entsprechenden Passagen in den Vergabeunterlagen entsprechend klar und ausdrücklich zu formulieren. Nur so ist gewährleistet, dass alle interessierten Bewerber und Bieter die Vergabeunterlagen gleichermaßen verstehen und das Gleichbehandlungsgebot gewährleistet ist.
3. Im Hinblick auf Schulbuchaufträge ist vergaberechtlich zu berücksichtigen, dass es aufgrund der Preisbindung keinen Preiswettbewerb gibt. Dennoch besteht (bislang) keine spezielle Bereichsausnahme für solche Aufträge – trotz mancher Bemühungen in der Vergangenheit. Sofern der maßgebliche Schwellenwerte für Liefer- und Dienstleistungen i.H.v. derzeit netto EUR 215.000 überschritten wird, ist EU-weit nach den §§ 97 ff. GWB auszuschreiben.
Um häufige Auslosungsverfahren ob der gleichwertigen Angebote zu vermeiden, kommt als zweckmäßiges Zuschlagskriterium die Bewertung von Service- und Kundendienstleistungen in Betracht. Hierbei ist § 7 Abs. 4 BuchPrG zu beachten: Demnach dürfen nur handelsübliche Nebenleistungen angeboten werden (etwa fachliche Beratung, bibliographische Nachweise etc.).
4. Öffentliche Auftraggeber haben das Buchpreisbindungsrecht zu beachten. Verstöße können nicht nur vergaberechtlich, sondern u.U. auch zivilrechtlich angegriffen werden. Außerdem kann auch der Börsenverein des Deutschen Buchhandels im Einzelfall gegen den öffentlichen Auftraggeber vorgehen, wenn dieser bei Ausschreibungen das BuchPrG verletzt und dadurch Buchhändler zu einem Verstoß gegen die Preisbindung veranlassen könnte (siehe LG Münster, B. v. 28.01.2013 – AZ.: 021 O 75/12).
Sven Müller ist Rechtsanwalt im Berliner Büro von Dentons. Sein Tätigkeitsschwerpunkt liegt in der Beratung zu allen Aspekten der öffentlichen Auftragsvergabe, einschließlich der Begleitung von Vergabeverfahren und Vertretung in Nachprüfungsverfahren. Er verfügt über mehrjährige Erfahrung im Vergaberecht und war als Mitarbeiter in internationalen Wirtschaftskanzleien in diesem Rechtsgebiet tätig.
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