Trotz zum Teil schwerer Vergaberechtsverstöße erklärte der 5. Senat des Schleswig-Holsteinischen Oberverwaltungsgerichts die Rückforderung einer Zuwendung für rechtswidrig (siehe hierzu bereits ). Rückforderungen müssen verhältnismäßig sein und auch ein sog. „intendiertes Ermessen“ muss fehlerfrei ausgeübt werden.
§ 117ff LVwG (Allgemeines Verwaltungsgesetz für das Land Schleswig-Holstein, Landesverwaltungsgesetz – mit § 49 (L)VwVfG vergleichbar); § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO; § 31 Finanzausgleichsgesetz (FAG), § 203 BGB (analog); § 44 LHO; § 97 GWB; VOL/A, § 3 Nr. 4 lit. m VOL/A, § 23 Nr. 2 VOL/A; ANBest-K, Art. 114 Abs. 2 GG iVm Art. 109 GG, § 6 Abs. 1, 2 Haushaltsgrundsätzegesetz – HGrG
Sachverhalt
Eine Gemeinde in Schleswig-Holstein (daher die Abweichung mit dem LVwG zu den sonst verbreiteten Verwaltungsverfahrensgesetzen auf Bund- und Länderebene) beschafft mit mehreren anderen Kommunen ein Feuerwehrfahrzeug. Sie erhält dafür über Anteilsfinanzierung Mittel aus der Feuerschutzsteuer, höchstens 49.000 € (35% der zuwendungsfähigen Gesamtkosten).
Das Löschgruppenfahrzeug (LF 10/6) wird über eine beschränkte Ausschreibung Ende Mai 2008 gekauft. Bis Januar 2011 werden die Fördermittel ausgezahlt. Im November 2012 moniert das Rechnungs- und Gemeindeprüfungsamt des Kreises (GPA) diverse Vergabefehler. Nach diversen Gesprächen und Stellungnahmen widerruft das GPA Mitte September 2015 den Bewilligungsbescheid und fordert die Zuweisung zuzüglich Zinsen von über EUR 10.000 zurück.
Die Entscheidung
Der Rückforderungsbescheid wird aufgehoben. Die Revision wird nicht zugelassen.
Rechtliche Würdigung
Das OVG erzeugt mit gesundem Menschen-/Juristenverstand einen Ausgleich zwischen formalen Vorgaben und sachgerechter Beschaffung – schon fast ungewohnt für das oft sehr formalistische Zuwendungsvergaberecht. Nachvollziehbar kritisiert das OVG diverse Punkte der Vergabe (dazu im Einzelnen nachfolgend):
1) Vergabefehler im Einzelnen
Die Vergabestelle hat gegen die Auflage verstoßen, Vergaberecht zu beachten (hier die Verdingungsordnung für Leistungen – Teil A, Stand 6. April 2006 (VOL/A), Abschnitt 1).
Die falsche Verfahrensart (hier eine beschränkte Ausschreibung statt der Öffentlichen Ausschreibung nach § 3 Nr. 2 VOL/A) wird grundsätzlich als schwerer Verfahrensfehler angesehen, so auch hier (zur Wahl der Verfahrensart vgl. Koch, Vergaberecht im Zeitalter der Digitalisierung – Praktikerhandbuch, Kap. 2.IV, S. 75 ff.).
Das Vorführfahrzeug soll nach Ansicht der Gemeinde eine günstige/vorteilhafte Gelegenheit gem. § 3 Nr. 4 lit. m VOL/A gewesen sein. Diese Argumentation trug jedenfalls nicht für das Fahrgestell; für den Aufbau wurde sie nicht widerlegt, war aber (wie auch die behauptete Markterkundung) leider nicht dokumentiert. Ebenfalls war der Bieterkreis von Anfang an beschränkt und wurde noch weiter eingeschränkt. Kritisch gesehen wurden auch diverse Informationen, die zu einer Ungleichbehandlung führen konnten.
Diverse Dokumentationsmängel wurden kritisiert, neben den o.g. Punkten eine Verlängerung der Zuschlagsfrist, die Öffnung von Angeboten nur durch eine Person, die Korrektur rechnerischer Fehler oder die Frage, inwieweit Nachverhandlungen stattfanden. Erstaunlich war, dass auch im Verfahren nicht versucht wurde nachzudokumentieren – dies ist ja in gewissen Grenzen teilweise möglich (vgl. zur Heilung von Dokumentationsfehlern: Fülling in: Müller-Wrede, VgV-Kommentar, 5. Aufl. 2017, § 8 VgV, Rn. 87 ff; zu den Anforderungen an die Dokumentation: Mentzinis in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 3. Aufl. 2019, § 8 VgV, Rn. 4 ff.).
2) Ausgleich zwischen formalen Vorgaben und Wirtschaftlichkeit
Das OVG tritt erfreulicherweise der Wertung der Behörden und der ersten Instanz entgegen. Dort wurde formalistisch zugrundegelegt, dass auch bei kleineren Vergaberechtsverstößen die Zuwendung zu 100% zurückgefordert werden müsse.
Dies stellt einen Ermessensfehler dar („Ermessensnichtgebrauch“). Diesen hat das OVG nach § 114 Satz 1 VwGO zu Recht moniert. Strittig war, wie mit dem sog. „intendierten Ermessen“ umzugehen ist. Dabei handelt es sich um eine Rechtsfigur, die v.a. im Fördermittelrecht angewendet wird. Grundlage ist die richtige Erkenntnis, dass das Ermessen beim Widerruf von Zuwendungsbescheiden bestimmten Regeln unterliegt. Es ist nicht frei. Beachtet werden muss einerseits der haushaltsrechtliche Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Dies führt normalerweise (und nicht völlig frei wählbar, so der Gedanke des „intendierten Ermessens“) zu Widerruf und Rückforderung der Zuwendungen. Verstöße gegen Vergaberecht indizieren einen Verstoß gegen diese Grundsätze. Dies gilt allerdings nur für den Regelfall, so auch das OVG: „Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verlangt, dass die Behörde auch in Fällen des intendierten Ermessens den ihr zustehenden Ermessensspielraum erkennt und prüft, ob ausnahmsweise eine andere Entscheidung als der vollständige Widerruf des Zuwendungsbescheides in Betracht kommt.“. Eigentlich einfach – der verfassungsrechtliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und die Bindung an Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG werden damit umgesetzt. Dabei muss auch „u.a. auch die Schwere der Pflichtverstöße“ gewürdigt werden, schreibt der Senat unter Verweis auf einen eigenen Beschluss vom 18. Dezember 2020 – 5 LA 179/20 – juris Rn. 4, mit Verweis auf BVerwG, Urteil vom 10. Dezember 2003 – 3 C 22.02 – juris Rn. 36.
Teilweise gibt es in anderen Bundesländern oder Kontexten Leitlinien, wie das Ermessen auch bei Rückforderungen auszuüben ist. Dies war hier nicht der Fall. Genau diese Situation wurde von den Behörden nicht beachtet: Fehlende behördliche Leitlinien bedeuten nicht, dass es kein Ermessen gibt. Das Ermessen wird nur ohne Leitlinien im normalen Rahmen ausgeübt. Diesen Rahmen definieren Gesetz und sonstige Vorgaben. Somit hatte das GPA einen Ermessensausfall: Es war der Meinung, es müsse stets zu 100% zurückgefordert werden. Es hätte zumindest deutlich werden müssen, „dass die Behörde erkannt hat, dass ihr überhaupt ein Ermessen zusteht.“ – dies macht auch ein Dilemma für den Zuwendungsempfänger deutlich: In den Fällen des intendierten Ermessens kann sogar „von einer weiteren Begründung der Entscheidung abgesehen werden, soweit nicht atypische Umstände vorliegen, die eine andere Entscheidung rechtfertigen könnten.“ Wenn die Behörde kurz formuliert hätte, dass ein Fall des intendierten Ermessens vorliege und keine atypische Konstellation, wäre es ggf. bei der erheblichen Rückforderung geblieben… „Wer schreibt, der bleibt.“
Um das Thema Rückforderung und „intendiertes Ermessen“ näher einzukreisen und sachgerecht zu behandeln, bietet sich ein Blick auf den Zweck der Regelungen an: Aufgrund der Bindung an Recht und Gesetz (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG) müssen Verwaltungen und Gerichte rechtskonform handeln. Zuwendungsrecht ist Haushaltsrecht, ergänzt durch Vergaberecht (hier im Unterschwellenbereich ohne den Schutz der Vergabekammer). Das Ziel ist somit, wirtschaftlich und sparsam zu beschaffen.
Dieses Ziel soll das Regelwerk des Zuwendungsvergaberechts sicherstellen. Geschützt wird somit primär der Fiskus, weniger die Interessen von Konkurrenten (deren Schutz unterhalb der Schwellen bekanntlich deutlich reduziert ist). Vgl. hierzu allgemein Michael Pilarski in: Vergaberecht bei Zuwendungen, 1. Aufl. 2020, Kap. B.I.1. Anwendung vergaberechtlicher Regelungen aufgrund von Nebenbestimmungen zum Zuwendungsbescheid.
Dies hat konkret vermutlich die Gemeinde gerettet. Trotz der oben besprochenen teilweise schweren Vergabefehler war das Endergebnis einerseits wirtschaftlich, andererseits wurde der Zweck der Zuwendung erfüllt: Das Feuerwehrfahrzeug war beschafft und im Dienst. Es (bzw. der Aufbau) war als Vorführfahrzeug ca. 25% günstiger als vergleichbare Beschaffungen. Es gab zwar Einschränkungen des Wettbewerbs (Ausschluss eines Konkurrenten ohne weitere Begründung, beschränkte Ausschreibung usw.), diese haben aber offensichtlich den Preisvorteil nicht aufgehoben. Auch die monierte Korrektur des Rechenfehlers führte zu einer Ersparnis für die Gemeinde.
Somit wurde die vorteilhafte Gelegenheit gem. § 3 Nr. 4 lit. m VOL/A zwar formal verneint, in der Sache aber durch den Verzicht auf Rückforderung im Ergebnis bestätigt.
Das Erfüllen der Auflagen und der vergaberechtlichen Vorgaben ist kein Selbstzweck, sondern hat „eine dienende Funktion“.
Sprachlich irritiert das „Gendern“ (Urteilstext des OVG: „Marktteilnehmer*innen“, „Bieter*innen“, „Anbieter*innen“). Ohne pro und contra hier generell erörtern zu wollen: Das jeweilige Genus im hiesigen Kontext ist meist feminin („die GmbH“) oder Neutrum („das Unternehmen“). Transgender-Unternehmen sind bislang nicht bekannt. Unklar bleibt, ob diese sprachliche Fehlleistung (der Plural ist geschlechtsneutral einfach „Bieter“, „Marktteilnehmer“ o.ä.) auf Formulierungen der Behörden oder des Gerichtes beruht.
Praxistipp
Wer schreibt, der bleibt: Vergabeentscheidungen müssen dokumentiert werden. Dies lohnt vor allem dann, wenn man von formalen Vorgaben abweicht. Daher gilt für Zuwendungsempfänger:
- Vorgaben (Förderbescheid, Zuwendungsvertrag, Bedingungen wie ANBest-P) genau lesen und einhalten; intern im 4-Augen-Prinzip überwachen.
- Bei geplanten Abweichungen ggf. mit Zuwendungsgeber abstimmen (falls möglich – oft wird ein Austausch formalistisch verweigert)
- Vergabeprozess dokumentieren; bei Abweichungen rechtfertigende Ausnahmetatbestände subsumieren und Wirtschaftlichkeit belegen.
Rettung für Zuwendungsempfänger gibt es nach der Rechtsprechung v.a. dann, wenn die Verstöße gegen das Vergaberecht überwiegend formaler Natur sind, wenn es sich um Fehler, „insbesondere um Dokumentationsmängel handelt, bei welchen Auswirkungen auf den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nicht annähernd erkennbar sind.“ (so ebenfalls das OVG Schleswig-Holstein im früheren Beschluss zu einer Feuerwehrbeschaffung vom 18.12.2020 – 5, LA 179/20). Insofern muss man als Zuwendungsempfänger prüfen, ob die Rückforderung hinreichend begründet ist.
Für Zuwendungsgeber ist wichtig (wie auch für Vergabestellen), Entscheidungen und deren Überlegungen hinreichend zu dokumentieren. Dies ist auch eine wichtige Selbstkontrolle, durch die verhältnismäßiges Verwaltungshandeln und eine gesunde Zuwendungspraxis – hoffentlich abseits rein formaler Überlegungen – gefördert werden.
Kontribution
Der Beitrag wurde gemeinsam mit Herrn Rechtsanwalt Dr. Mathias Pajunk verfasst.
Dr. Mathias Pajunk
Dr. Mathias Pajunk ist ist Rechtsanwalt in der Sozietät SKW Schwarz Rechtsanwälte. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt in der Beratung von öffentlichen Auftraggebern bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen und Dienstleistungskonzessionen. Zu seinen weiteren Tätigkeitsfeldern zählt die Bearbeitung komplexer Fragestellungen auf den Gebieten des Beihilfen- und Kartellrechts.
René M. Kieselmann
René M. Kieselmann ist Rechtsanwalt und verantwortet als Partner der Sozietät SKW Schwarz Rechtsanwälte das Dezernat Vergaberecht. Er berät zusammen mit seinem Team bundesweit vor allem die öffentliche Hand, aber auch Bieter. Schwerpunkte sind u.a. IT-Vergaben und Rettungsdienst/Bevölkerungsschutz. Er ist Mitglied der Regionalgruppe Berlin/Brandenburg des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW)
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