Dieser Beitrag richtet sich an Personen, die mit der Erstellung von Vergabeunterlagen befasst sind. Es soll ein Einblick in verschiedene Problembereiche gegeben werden, die uns in unserem Beratungsalltag begegnet sind und welche eine erfolgreiche Beschaffung behindern können. Auch, wenn der Artikel die Vergabeunterlagen als Fehlerquelle in den Fokus rückt, soll in keinem Fall die Anerkennung für den Aufwand der Erstellung eines kompletten Satzes an Vergabe- oder Angebotsunterlagen geschmälert werden.
Vergabestellen und Fachbereiche berücksichtigen zahlreiche rechtliche und fachliche Rahmenbedingungen bei der Beschreibung des Beschaffungsgegenstandes – und schaffen ein komplexes Werk, welches für sich allein gestellt schon eine herausragende Leistung ist.
Wer von uns kennt es nicht
Bieter unterbreiten auf Grundlage dieses Werk ein Angebot, welches nicht nur fachlichen, sondern auch formalen und rechtlichen Anforderungen genügen muss. Während eines Verfahrens gibt es jedoch viele Fehlerquellen. Bei einer Beschaffung stellt es sich z.B. oft im Rahmen der Angebotsphase eines Vergabeverfahrens oder im Leistungszeitraum des bezuschlagten Angebots heraus, dass die Vergabeunterlagen unklare oder missverständliche Vorgaben oder Bezüge enthielten. Durch diese eröffnete sich ein ungewollter Interpretationsspielraum, der erst durch nachträglich zu Tage kommende Unstimmigkeiten auffällt. Im Vergabeverfahren besteht oftmals die Sorge einer Rüge und Nachprüfung, mit entsprechenden Risiken und Folgen. Im Leistungszeitraum hingegen besteht die Furcht nach einer, aus Sicht des Auftraggebers, ungenügenden Leistungserbringung.
Besonders interessant wird es, wenn ein Urteil einer Nachprüfungsinstanz ergeht, welches Auswirkungen auf die eigene, aktuell laufende Beschaffung hat. Dann gilt es, eine genaue Übertragbarkeit des Urteils auf die eigene Beschaffung zu prüfen. Hat das Urteil Auswirkungen auf die eigene Ausschreibung? Welche Möglichkeiten bestehen, die Unterlagen noch anzupassen, muss ich ggf. die Ausschreibung aufheben und neu ausschreiben?
In der Praxis begegnet uns häufig noch ein anderer Fall: Das Fehlen von Dokumenten oder Informationen. Dies kann alle Parteien eines Vergabeverfahrens betreffen: Bieter melden sich, weil Dokumente bei den Vergabeunterlagen fehlen. Aber auch Vergabestellen erkennen oftmals bei der Prüfung von Angeboten, dass angeforderte Informationen fehlen/nicht eingereicht worden sind. In beiden Fällen entstehen vermeidbare Situationen. Im ersten Fall geht die Nachreichung von Vergabeunterlagen oftmals mit einer Fristverlängerung einher, der zweite Fall führt im Zweifel zum Ausschluss eines ansonsten aussichtsreichen Angebotes.
Dies führt uns zum Kern unseres Beitrags. Es geht darum vermeidbare, wiederkehrende Fehlerquellen zu reduzieren. Insbesondere gehen wir auf Fehlerquellen ein, welche sich im eigenen Einflussbereich steuern lassen, nämlich demAufbau der Vergabeunterlagen.
Typische Fehlerquellen
1. Unklare Strukturierung
Ein fehlerbehaftetes Verfahren, bei dem wir vor Kurzem zu Rate gezogen wurden, ist ein gutes Beispiel für einfach zu vermeidende Fehlerquellen: Die Dokumente des Verfahrens waren unklar strukturiert. Im Dokument „Rahmenvereinbarung“ wurden neben vertraglichen Klauseln auch Hinweise zur Angebotswertung aufgeführt. Hinweise zu weiteren Verfahrensfragen waren nicht zu finden (z.B. Beantwortung von und der Umgang mit Mindest- und Zuschlagskriterien, Zuschlagsformeln, Terminen, Eignungsleitplanken). Das besagte Verfahren konnte nach notwendiger Aufhebung durch die Vergabestelle aufgrund keines zuschlagsfähigen Angebotes in modifizierter Form erfolgreich wiederholt werden.
Ein ähnliches Beispiel ist oftmals in entgegengesetzter Richtung zu finden, indem vertragliche Klauseln in der Verfahrensbeschreibung aufgeführt werden. Die Verfahrensbeschreibung wiederum ist keiner der benannten späteren Vertragsbestandteile. Dieses Malheur fällt im Zweifel erst bei Unstimmigkeiten zwischen den Parteien in der Leistungserbringung auf und führt in der Regel zu einem vom Auftraggeber unterwünschten Vertragsunsicherheit und zu vermeidbaren rechtlichen Folgen.
2. Einberechnung von Lebenszykluskosten
Manchmal drängt sich auch der Eindruck auf, dass der Zuschlagsformel bei Vergabeunterlagenerstellung nicht allzu viel Wert beigemessen wurde.
Ein Beispiel aus unserer Beratungspraxis:
In der Leistungsbeschreibung wird aufgeführt, dass die Lebenszykluskosten der angefragten Geräte in die Wertung einfließen. Den Bietern wird daraufhin eine Berechnungshilfe für die Lebenszykluskosten an die Hand gegeben, welche ausgefüllt und eingereicht werden muss. In der Beschreibung der Zuschlagsformel oder Preisermittlung wiederum sind keine Details zur Verwertung der Lebenszykluskosten zu finden. Man könnte sich fragen: Handelt es sich bei einer solchen Konstellation um ein Feigenblatt zum Nachweis nachhaltiger Beschaffung? Oder hofft die Vergabestelle hier Ermessenspielraum zu erlangen? Leider ist in den meisten Fällen die Antwort viel einfacher. Oft wird schlichtweg vergessen, die Lebenszykluskosten in der Zuschlagsformel zu berücksichtigen. Von einer umweltfreundlichen oder nachhaltigen Beschaffung kann man in diesem Fällen leider nicht mehr sprechen.
3. Fehlende Unterlagen
Fast schon Tagesgeschäft sind fehlende Unterlagen – und das gerne auf beiden Seiten einer Vergabe. Fällt dies früh genug auf, ist die Korrektur ein leichtes. Nach Submission sieht die Welt aber oftmals sehr traurig aus. Welche Vergabestelle kennt das nicht: Ein TOP-Angebot muss ausgeschlossen werden, weil eine nicht nachforderbare Information oder Unterlage fehlt.
4. Genauigkeit in der Nomenklatur
Wie rigide sind sie bei Unterlagenerstellung in der Unterscheidung der Begriffe Bieter und Auftragnehmer? Wie genau sind die Personen hier, die Ihnen Texte oder Leistungsbeschreibungen zuliefern? Wenn der Bieter eine Pflicht zur Erstellung eines Konzeptes hat (steht als Forderung in der Leistungsbeschreibung), trifft dies später auf den Auftragnehmer genau genommen nicht mehr zu. Uns begegnet immer noch oft der pauschale Ansatz, der beide Begriffe synonym stellt. Auf Nachfrage, warum hier keine Klarheit geschaffen wird, wird der gescheute Aufwand zur strengen Begriffstrennung genannt. Die Folgen trägt im Zweifel der Auftraggeber – sei es in einem Vergabeverfahren oder der Leistungserbringung, wenn ein Konzept nicht wirksam gefordert wurde.
5. Fehlende Unterschriften
Man würde denken, mit der eVergabe wäre das Thema der x-fachen Unterschrift erledigt. Dies ist aber tatsächlich immer noch Wunschdenken. Unterschriftsfelder finden sich auf Preisblättern, zusätzlichen Bedingungen, zusätzlichen Erklärungen etc. Ein Fehlen einer Unterschrift führt hier immer wieder zu Unsicherheiten in der Wertungs- und Zuschlagsphase.
6. Inflationäre Nutzung von Mindest- und Zuschlagskriterien
Von den praktischen und inhaltlichen Auswirkungen einmal abgesehen: die Konsequenzen für eine etwaig notwendige Verfahrensaufhebung und Überführung in ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb sind nicht tatsächlich gravierend. Unglücklich und unnötig gesetzte Mindestkriterien können genau genommen nicht mehr zurückgenommen werden. Denn wer kann mit Sicherheit behaupten, dass genau dieses Kriterium andere potenzielle Bieter nicht schon von vorneherein an einer Bewerbung oder Angebotsstellung gehindert hat?
Was haben die o.g. Punkte gemeinsam?
Im Grunde sind dies alles Beispiele, in welchen die Vergabeunterlagen intransparent waren und dies zu Fehlern führte.
Man könnte nun natürlich ansetzen und sagen: Diese Fehler lassen sich, jeder für sich, durch weitere Checklisten und Arbeitsanweisungen vermeiden. Dies wäre zwar im Einzelfall ggf. hilfreich, jedoch insgesamt zu kurz gesprungen und auf Dauer als Strategie nicht hilfreich.
Woher rühren die Fehler, direkt und ggf. auch indirekt? Was sind Gemeinsamkeiten oder die grundsätzlichen Wünsche, die zu diesen Situationen geführt haben? Bezogen auf die in diesem Beitrag genannten Beispiele sind die Gemeinsamkeiten
- Die Vermischung von Phasen in Dokumenten oder Kapitelbereichen
- Den Wunsch nach mehr bieterseitigen Bestätigungen (Unterschriften, Kriterienbestätigungen)
- Es besteht kein klares Konzept der Vertragslage ab Zuschlag
- Den Wunsch nach möglichst viel Ermessenspielraum und gleichzeitiger Sicherheit bei der Angebotsauswertung
Aus diesen Erkenntnissen lassen sich einige direkte Vorschläge für transparentere Vergabeunterlagen ableiten.
Vorschlag 1: Grenzen sie Unterlagen verschiedener Vergabephasen eindeutig voneinander ab
Stellen sie eine transparente Trennung von Vergabeunterlagen passend zu den Vergabephasen sicher:
- Inhalte, die bis zum Zuschlag entscheidend sind
- Inhalte die ab Zuschlag gelten
Hierbei ist es unerheblich, ob eine Trennung in Hauptkapiteln oder Dokumenten erfolgt. In beiden Fällen bietet sich folgende Struktur an:
- Teil A: Verfahrensbedingungen (mit Inhalten, die bis zum Zuschlag entscheidend sind)
- Teil B: Leistungsbeschreibung
- Vertragsrahmen (bei IT-Vergaben ein EVB-IT Mustervertrag)
- Anlagen zu den o.g. Teilen A und B
Im Grunde könnte man dem Vertragsrahmen auch die Bezeichnung „Teil B“ voranstellen – da er auch ab Zuschlag gilt. Im Sinne einer späteren Rangfolge gültiger Dokumente könnte es aber wiederum zu Missverständnissen führen, da viele Dokumente mit der Bezeichnung „Teil B“ existieren würden und eines dieser Dokumente tatsächlich die Spitze des Eisbergs wäre.
Vorschlag 2: Grenzen sie Bieterpflichten und Auftragnehmerpflichten klar voneinander ab
Stellen Sie Pflichten und Rechte, die der Bieter bis zur Unterschrift hat, und welche er als Auftragnehmer ab Unterschrift hat, transparent dar. Trennen sie die Begriffe Bieter und Auftragnehmer.
Auch wenn es im ersten Schritt aufwendig ist, alte Unterlagen in diesem Sinne zu überarbeiten: Es lohnt sich.
Vorschlag 3: Schaffen sie Transparenz über die Zuschlagsformel und deren Variablen
Stellen sie die Zuschlagsformel in den Verfahrensbedingungen dar, und erklären sie, welche Hauptkriterien mit welchen Unterkriterien in diese einfließen. Haupt- oder Unterkriterien können beispielsweise sein
- Preis
- Angebotene Leistung
- Bemusterungs- oder Testergebnisse
- Lebenszykluskosten
Vorschlag 4: Fügen Sie eine abschließende Liste einzureichender Unterlagen bei und sehen sie Platzhalter-Dateien für durch Bieter zu erstellende Dokumente vor. Sortieren Sie die Dateien in Ordner
Viele Vergabestellen sind dazu übergegangen Bietern eine Liste der Eignungskriterien und einzureichenden Eigenerklärungen mitzugeben.
Manche Vergabestellen fügen darüber hinaus eine Liste der mit dem Angebot einzureichenden Dokumente bei. Da diese Liste sich aber z.B. vermeintlich in Formular 633 des Vergabehandbuchs befindet, wird deren Anpassung auf die aktuelle Vergabe auch gerne vergessen, bzw. in der PDF-Version befinden sich nicht ausreichend Felder zur Erweiterung der Liste.
Vorschlag ist: Geben sie Bewerbern/Bietern eine separate Liste mit einzureichenden Unterlagen für die jeweilige Vergabephase mit an die Hand.
Darüber hinaus gibt es auf den Vergabeplattformen die Möglichkeit ZIP-Ordner beizufügen. So können sie den Bietern auch entsprechende Dateien strukturiert übergeben. Hierdurch können Bietern z.B. folgende Ordner mitgeben werden:
- Dokumente zum Verbleib beim Bieter
- beinhalten z.B. den Bewertungskriterienkatalog, AGB, ZVG etc.
- Mit Angebot einzureichende Dokumente
- beinhalten z.B. die Beantwortung der Bewertungskriterien (leere Datei als Erinnerung oder das Preisblatt)
Vorschlag 5: Verzichten Sie auf unnötige Unterschriften.
Lassen Sie Angebote in Textform zu und verzichten sie auf unnötige Unterschriftenfelder auf Preisblättern und weiteren Dateien.
Vorschlag 6: Konzentrieren Sie sich auf wenige, aber aussagekräftige Mindest- und Zuschlagskriterien.
Für Kriterien ist das Prinzip „Weniger ist mehr“ zu empfehlen. So verwässern Sie Ihre Anforderungen nicht, und gewinnen gleichzeitig eine überschaubarere Angebotsauswertung und wertungsrelevantere Kriterien.
Fragen, die Ihnen bei der Auswahl sinnvoller Ausschlusskriterien helfen können, sind:
- Welche Anforderungen sind in dem entsprechenden Markt entscheidend für die letztendliche Produktauswahl?
- Auf welche Anforderungen sollten die Bieter besonders aufmerksam gemacht werden?
Fragen, die Ihnen bei der Auswahl sinnvoller Bewertungskriterien helfen können, sind:
- An welchen Stellen können sich potenziell geeignete Angebote signifikant unterscheiden?
- Sind mit dem Angebot Konzepte einzureichen?
- Auf welche Kriterien kann verzichtet werden, da man bei allen Bietern mit der vollen Bewertungspunktzahl rechnet?
Vorschlag 7: Prüfen sie ergangene Urteile kritisch auf Übertragbarkeit und Auswirkungen
Die Rechtsprechung bezüglich Vergaberecht entwickelt sich in unserer Wahrnehmung stetig weiter. Manche Urteile haben weitreichende Auswirkungen, manche andere Urteile haben kaum oder keine Auswirkungen auf zukünftige Auslegungen des Vergaberechts, wieder andere münden in mittelfristigen Kontroversen.
Wenn ein aktuelles Urteil ergeht, prüfen sie kritisch: Ist das Urteil übertragbar auf die eigene Ausschreibung? Hat es akute Auswirkungen? Welche sind dies?
Bei der Ersteinschätzung können ihnen neben einer juristischer Unterstützung entsprechende Urteilsbesprechungen in Fachmedien, wie z.B. hier im Vergabeblog auf unterschiedliche Weise helfen.
Fazit
In diesem Beitrag wurden Beispiele aufgezeigt, die illustrieren wie erfolgreiche Beschaffungen behindert werden können. Für Leser, welche diese üblichen Fehlerquellen vermeiden möchten, haben wir praxisrelevante Vorschläge für die Erstellung und Zusammenstellung von Vergabeunterlagen aufgezeigt.
Auch wenn einige der aufgeführten Beispiele und Vorschläge vielleicht schon bekannt waren, hoffen wir, Ihnen den ein oder anderen Impuls mitgegeben zu haben, mit welchem sich Ihre Vergabepraxis weiterentwickeln wird.
Sebastian Hürthen
Sebastian Hürthen hält einen Master in Business Administration (MBA) und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in der IT- und Telekommunikationsbranche, davon über 10 Jahre als Vergabemanager und in der Leitung großer internationaler Vorhaben. Für die WeCon Beratungsgesellschaft mbH begleitet er öffentliche und private Auftraggeber bei der Konzeption und Durchführung von Beschaffungsvorhaben und IT-Projekten.
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