Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, bei der Softwarebeschaffung und -entwicklung in der Verwaltung auf Open Source Software zu setzen, um die digitale Souveränität zu stärken. Bisher fehlen aber noch konkrete Ansätze, dieses Ziel umzusetzen. Ein von der Open Source Business Alliance in Auftrag gegebenes juristisches Gutachten macht Vorschläge, wie ein Vorrang von Open Source Software bei der Beschaffung im Sinne des Koalitionsvertrages rechtssicher gesetzlich verankert werden kann.
Im Koalitionsvertrag und in der Digitalstrategie bekräftigt die Bundesregierung, dass sie bei Beschaffung und Vergabe besonders auf Open Source Software und offene Standards setzen will, um so die digitale Souveränität der Verwaltung zu stärken. Denn Open Source Software stellt sicher, dass die verwendeten Systeme unabhängig überprüfbar, gestaltbar und austauschbar sind. Open Source Lizenzen ermöglichen es allen Menschen, die entsprechende Software zu verstehen (Einblick in den Quellcode zu nehmen), diese uneingeschränkt zu verwenden, zu verändern und auch in einer veränderten Form wieder weiterzuverbreiten. Das ermöglicht für die öffentliche Verwaltung ein höheres IT-Sicherheits- sowie Datenschutzniveau und eine größere Unabhängigkeit von einzelnen Softwareherstellern. Außerdem entspricht der Einsatz von Open Source Software dem Prinzip „Public Money, Public Code“, demzufolge öffentlich finanzierte Software auch wieder der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt werden muss.
Daher heißt es im Koalitionsvertrag:
„Für öffentliche IT-Projekte schreiben wir offene Standards fest. Entwicklungsaufträge werden in der Regel als Open Source beauftragt, die entsprechende Software wird grundsätzlich öffentlich gemacht.“
Bisher gibt es allerdings noch keine Gesetzesinitiative, dieses Vorhaben auch umzusetzen.
Einzelne Bundesländer sind da schon weiter. In Schleswig-Holstein ist der Vorrang für Open Source Software und offene Standards bei der Beschaffung bereits verbindlich im § 7 Abs. 1-3 E-Government-Gesetz geregelt, in Thüringen sowohl im § 4 Abs. 1-3 E-Government-Gesetz als auch im § 4 Abs. 2 Vergabegesetz. Andere Bundesländer wie beispielsweise Baden-Württemberg haben diesen Vorrang für Open Source Software in Verwaltungsvorschriften verankert (weitere Informationen hierzu auf www.cio-bw.de). Auf Bundesebene fehlt eine solche gesetzliche Regelung bislang.
Vor diesem Hintergrund hat die Open Source Business Alliance – Bundesverband für digitale Souveränität e.V. bei Prof. Dr. Andreas Wiebe von der Georg-August-Universität Göttingen ein juristisches Gutachten in Auftrag gegeben. Die Fragestellung lautete: Wie kann das im Koalitionsvertrag formulierte Ziel der Bundesregierung, zur Stärkung der digitalen Souveränität auf Open Source Software und offene Standards zu setzen, mit Blick auf Vergabe-, Wettbewerbs-, Kartell- und Verfassungsrecht rechtssicher umgesetzt und in Gesetzesform gegossen werden?
Mit dem nun vorliegenden Gutachten möchte die Open Source Business Alliance einen Impuls für die politische Debatte geben und den Austausch über die verschiedenen Umsetzungsmöglichkeiten eröffnen. Gleichzeitig soll mithilfe des Gutachtens die Diskussion rund um das im Koalitionsvertrag formulierte Vorhaben auf eine juristisch fundierte Basis gestellt werden. Immer wieder wird z.B. die Behauptung angeführt, ein genereller Vorrang von Open Source Software bei der Beschaffung sei gar nicht mit dem Gleichbehandlungsgebot in §97 Abs. 2 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) vereinbar. Dieser Einwand wird vom Gutachten ausführlich adressiert und entkräftet.
Das Gutachten fokussiert sich darauf, die Bundesebene und die hier möglichen gesetzlichen Regelungsoptionen zu betrachten. Länder und Kommunen werden außer Acht gelassen. Zum einen wegen der eingeschränkten Gesetzgebungskompetenz des Bundes und zum anderen, weil einzelne Bundesländer wie oben erwähnt bereits weitergehende Regelungen haben als der Bund.
Das Gutachten will zudem nicht die Frage beantworten, ob eine Ausschreibung oder Beschaffung von Open Source Software in einzelnen Vergabeverfahren grundsätzlich überhaupt möglich ist, weil das bereits von der Rechtsprechung geklärt ist. Der Gutachter erläutert jedoch, inwiefern sachliche, technische oder wirtschaftliche Gründe ins Feld geführt werden können, um explizit Open Source Software auszuschreiben bzw. inwiefern nach geltendem Vergaberecht unter finanziellen sowie weiteren Kriterien Open Source Software vorrangig der Zuschlag erteilt werden kann.
Open Source Software wird heute schon regelmäßig auf allen Verwaltungsebenen und durchaus auch in größerem Umfang beschafft. In dem Gutachten steht daher die Frage im Zentrum, ob eine systematische Bevorzugung von Open Source Software auf Bundesebene gesetzlich rechtssicher geregelt werden kann, um damit strategische Ziele wie beispielsweise die digitale Souveränität der öffentlichen Verwaltung zu erreichen.
Der Gutachter untersucht ausführlich verschiedene Aspekte des Gleichbehandlungsgrundsatzes in §97 Abs. 2 GWB („Die Teilnehmer an einem Vergabeverfahren sind gleich zu behandeln, es sei denn, eine Ungleichbehandlung ist aufgrund dieses Gesetzes ausdrücklich geboten oder gestattet“). Dabei betrachtet er unter anderem, welche möglichen Ungleichbehandlungen § 97 Abs. 2 GWB zulässt – etwa bei Vorliegen eines wichtigen Gemeinwohlbelangs.
Nach Auffassung des Gutachters gibt es zahlreiche sachliche Gründe, die aus Sicht der öffentlichen Verwaltung für eine Priorisierung von Open Source Software sprechen. Hierzu zählen beispielsweise die Vermeidung von Abhängigkeiten und Lock-In-Effekten, die ökonomische und technische Nachhaltigkeit von Open Source Software, die Öffnung von Folgemärkten, ein verbesserter Wettbewerb, langfristige wirtschaftliche Vorteile, technische Aspekte wie IT-Sicherheit, Synergieeffekte und Kompatibilität in der Verwaltung, Vorteile in gesamtwirtschaftlicher und gesamtgesellschaftlicher Hinsicht sowie positive Rückwirkungen auf die Privatwirtschaft. Zudem sei die Stärkung der digitalen Souveränität ein legitimes Ziel für den Gesetzgeber und rechtfertige somit eine vorrangige Beschaffung von Open Source Software zur Innovationsförderung im Rahmen der gesetzlich möglichen strategischen Beschaffung (§ 97 Abs. 3 GWB). Der Gutachter konstatiert:
„Wegen des Systemcharakters von Software mit dem besonderen Aspekt der offenen Standards, der Kompatibilität und den Gesichtspunkten von Kooperation und Nachhaltigkeit erscheint eine generelle Bevorzugung [von Open Source Software] nicht nur sinnvoll, sondern erforderlich, um insbesondere Lock-In-Effekten bei Einsatz proprietärer Software entgegenzuwirken und eine langfristige Umstellung der Verwaltung zu bewirken, die für die Erreichung des Ziels der Herstellung digitaler Souveränität der Verwaltung am effektivsten erscheint.“ (Seite 30)
Das Gutachten zeigt somit eindeutig auf, dass der Gesetzgeber eine rechtliche Basis und ausreichend Spielraum hat, um einen grundsätzlichen Vorrang von Open Source Software bei der Beschaffung auf Bundesebene gesetzlich zu verankern.
Der Gutachter zeigt sechs unterschiedliche Optionen auf, wie eine vorrangige Beschaffung von Open Source vor proprietärer Software gesetzlich verankert werden könnte und beleuchtet jeweils die juristischen Vor- und Nachteile der unterschiedlichen Varianten:
Nach Abwägung aller Aspekte kommt der Gutachter zu dem Fazit, dass eine Verankerung der Open-Source-Priorisierung in der Vergabeverordnung (VgV) oder im E-Government-Gesetz die vielversprechendsten Optionen wären. Das entspricht auch den Lösungsansätzen, die die Bundesländer gewählt haben. Thüringen beispielsweise hat sich dafür entschieden, den Vorrang für Open Source Software sowohl im E-Government-Gesetz als auch im Vergabegesetz des Landes zu verankern. Analog dazu könnte auch eine Umsetzung auf Bundesebene angegangen werden. Der Gutachter macht zuletzt noch einen konkreten Formulierungsvorschlag für eine gesetzliche Regelung für den Vorrang von Open Source Software.
Die Open Source Business Alliance freut sich darauf, auf der Basis des vorliegenden Gutachtens jetzt mit Politik, Verwaltung und interessierter Öffentlichkeit in die Diskussion über die verschiedenen möglichen Umsetzungswege zu gehen. Möglicherweise gibt es auch noch über das Gutachten hinausgehende weitere Aspekte oder Lösungsansätze, die bisher noch nicht beleuchtet wurden.
Auch bei der Debatte über den konkreten Formulierungsvorschlag gibt es unterschiedliche Fragen, über die sich ein Austausch lohnt. So setzt sich der Gutachter in seiner Untersuchung u.a. mit der Frage auseinander, ob eine Einschränkung des Vorrangs für Open Source Software (bei ansonsten gleicher Eignung nur dann, wenn es technisch möglich und wirtschaftlich ist), wie sie in Thüringen und Schleswig-Holstein in den E-Government-Gesetzen zu finden ist, sinnvoll ist, und lehnt dies ab. Ob und welche Einschränkungen also in einer konkreten Formulierung berücksichtigt werden sollten, ist noch diskussionswürdig.
Das vollständige Gutachten von Professor Wiebe finden Sie in der Bibliothek des Deutschen Vergabenetzwerks, die für alle Mitglieder des Netzwerks zur Verfügung steht. Sie sind noch kein Mitglied? Zur kostenlosen Mitgliedschaft geht es hier.
Bei Interesse an einem Austausch mit der Autorin können Sie sich gerne bei Ihr per Mail unter seyffarth@osb-alliance.com melden.
Miriam Seyffarth leitet seit Februar 2022 das Ressort Politische Kommunikation der Open Source Business Alliance. Von 2016 bis 2021 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Büroleiterin der Bundestagsabgeordneten Tabea Rößner und betreute in dieser Funktion diverse bundespolitische Digitalthemen.
Wir haben eine besorgniserregende digitale Abhängigkeit von Big Tech und befinden uns auf dem Weg in die DIGITALE KOLONIE.
https://www.sueddeutsche.de/kultur/datenkolonialismus-datenraub-nick-couldry-ulises-mejias-ki-lux.VnHydde8ZMKRyQsiuqSvjb?reduced=true
Es besteht dringender Handlungsbedarf.
Mit Open Source ist die Wende machbar