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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 17/07/2023 Nr. 53932

Änderung der Vergabeunterlagen: Alte Fragen – neue Antworten? (VK Westfalen, Beschl. v. 09.11.2022 – VK3-42/22)

EntscheidungDie Vergabekammer Westfalen musste in dem zugrundeliegenden Verfahren entscheiden, wann eine Änderung der Vergabeunterlagen vorliegt, die zum Ausschluss eines Unternehmens vom Vergabeverfahren führt und wie eine solche festgestellt werden kann. Zudem ließ die VK ihre Rechtsauffassung zu einigen immer wieder auftauchenden vergaberechtlichen Fragestellungen durchblicken, ohne hier jedoch eine abschließende Entscheidung zu treffen.

Leitsätze

  1. Eine Änderung der Vergabeunterlagen liegt regelmäßig dann vor, wenn das Unternehmen von den Vorgaben der Vergabeunterlagen inhaltlich abweicht, im Ergebnis ein Aliud, also eine andere als die ausgeschriebene Leistung anbietet.
  2. Maßgebliche Bedeutung kommt bei der Frage, ob Vergabeunterlagen geändert wurden, der Leistungsbeschreibung zu.
  3. Zwar muss die Leistungsbeschreibung eindeutig sein. Das bedeutet aber nicht, dass die Leistungsbeschreibung zwingend nur eine Auslegungsmöglichkeit enthält. Die Sprache selbst ist selten völlig eindeutig und ihr Verständnis stets auch vom Empfängerhorizont mitbestimmt. Auch bei einer sorgfältig erstellten Leistungsbeschreibung kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, dass geringe Unklarheiten auftreten.
  4. Nicht mehr eindeutig sind Vergabeunterlagen erst dann, wenn auch nach Auslegungsbemühungen durch fachkundige Unternehmen mehrere Auslegungsmöglichkeiten verbleiben.

Sachverhalt

Die öffentliche Auftraggeberin und Antragsgegnerin schrieb im offenen Verfahren die Lieferung einer Server- und Netzinfrastruktur für ein leistungsstarkes heterogenes Rechencluster für KI-Anwendungen aus. Die Leistungsbeschreibung enthielt unter anderem diverse Anforderungen an die Grafik Beschleunigerkarten. Hiernach mussten die Grafik-Beschleunigerkarten unter anderem „pro Karte“ die „Fähigkeit für eine Hochgeschwindigkeitsverbindung zwischen je mindestens zwei Grafikbeschleunigerkarten“ besitzen. Die entsprechende Hardware für die Hochgeschwindigkeitsverbindung des Grafik-Beschleunigerkarten musste „notwendiger Bestandteil des Angebots“ sein. Es wurde darüber hinaus unter Ziffer 2.5.2 (Virtualisierungs – Server) der Leistungsbeschreibung vorgegeben, dass dieser Server „vorbereitet für den Einbau mehrerer Grafikkarten oder Grafikbeschleunigerkarten für eine Virtual-Desktop-Infrastruktur“ sein müsse. Daneben war im Leistungsverzeichnis unter Ziffer 2.5.4 (GPU-Server) vorgesehen, dass in diesen Server „min. vier Grafik-Beschleunigerkarten mit Leistungsdaten gemäß Anforderungen aus Kap. 2.2., inkl. Hochgeschwindigkeitsverbindung“ eingebaut werden müssten.

Sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene gaben fristgerecht ein Angebot im Vergabeverfahren ab. Auf Anforderung der Antragsgegnerin reichte die Antragstellerin im Laufe des Verfahrens eine „detaillierte Darstellung der angebotenen Leistungen“ ein.

Das Angebot der Beigeladenen enthielt einen Zusatz, der lautete: „Die diesem Angebot zugrundeliegenden AGB finden Sie auf unserer Homepage; bei Bedarf werden wir sie Ihnen selbstverständlich zur Verfügung stellen“.

Im Hinblick auf den Hinweis auf die AGB der Beigeladenen vermerkte die Antragsgegnerin im Vergabevermerk unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 18.06.2019 – X ZR 86/17),

dass auch im Falle des Beifügens von AGB ein den Vergabeunterlagen entsprechende Angebot vorliegen könne, wenn der Bieter von diesen AGB später Abstand nehme. Der öffentliche Auftraggeber könne durch eine Angebotsaufklärung das missverständlich mit eigenen AGB versehene Angebot auf den maßgeblichen Teil der Vergabeunterlagen zurückzuführen[sic?], wenn ohne die beigefügten AGB ein vollständig den Vergabeunterlagen entsprechendes Angebot vorliege.“

Im Rahmen der darauffolgenden Aufklärung bei der Beigeladenen, teilte diese mit, dass sie an den AGB nicht festhalten wolle.

Mit Schreiben vom 15.09.2022 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin sodann mit, dass sie beabsichtige, den Zuschlag frühestens am Montag, den 26.09.2022, auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Das Angebot der Antragstellerin erfülle in mehrfacher Hinsicht nicht die verbindlich vorgegebenen Anforderungen der Leistungsbeschreibung. Es lägen mehrere Abweichungen vor, die bereits für sich genommen jeweils einzeln die Ausschlussentscheidung rechtfertigen würde. Die Auswertung des Angebots habe ergeben, dass die von der Antragstellerin angebotenen Grafik-Beschleunigerkarten in den von ihr angebotenen Server nicht so eingebaut werden könnten, dass die vier Grafik-Beschleunigerkarten mittels Hochgeschwindigkeitsverbindung miteinander verbunden werden. Zudem fehle in dem Angebot die entsprechende Hardware für die Hochgeschwindigkeitsverbindung. Ferner könnten die von der Antragstellerin angebotenen Virtualisierungs-Server nicht wie gefordert mehrere Grafik- oder Grafikbeschleunigerkarten eingebaut werden. Aus all diesen Gründen erfülle das Angebot der Antragstellerin nicht die Anforderungen der Leistungsbeschreibung.

Mit Schreiben vom 19.09.2022 rügte die Antragstellerin die Vergabeentscheidung. Die Entscheidung sei in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft:

Zunächst sei die Stillhaltefrist falsch berechnet worden. Da bei der Fristberechnung § 193 BGB Anwendung finde, sei der frühestmögliche Zuschlagstermin der 27.09.2022. Auch weiche sie mit ihrem Angebot nicht von der Leistungsbeschreibung ab. Das Leistungsverzeichnis habe keine Angaben bezüglich der Anzahl an Hochgeschwindigkeitsverbindungen enthalten. Die angebotenen Komponenten würden sämtliche notwendigen Verbindungskomponenten enthalten. Auch die Anforderungen im Hinblick auf den Virtualisierungs-Server seien erfüllt. Es sei keine konkrete Anzahl an möglichen Grafikkarten-Slots benannt worden.

Eine Reaktion auf die Rüge erfolgte seitens der Antragsgegnerin nicht. Die Antragstellerin reichte daher am 23.09.2022 einen Nachprüfungsantrag bei der Vergabekammer ein.

Über den Vortrag im Rahmen der Rüge hinaus, trägt die Antragstellerin vor, dass die Antragsgegnerin jedenfalls einen Aufklärungsversuch hätte unternehmen müssen. Zudem hätte das Angebot der Beigeladenen ausgeschlossen werden müssen, da durch den Hinweis auf die eigenen AGB eine Änderung der Vergabeunterlagen vorliege.

Die Antragsgegnerin ist der Ansicht, die Wartefrist sei vergaberechtskonform berechnet worden. § 193 BGB finde auf die Stillhaltefrist keine Anwendung. Es habe auch keine Aufklärungspflicht hinsichtlich des Angebots der Antragstellerin bestanden. Der Antragstellerin sei während des laufenden Verfahrens die Möglichkeit gegeben worden, eine Auflistung aller Teilkomponenten einzureichen. Im Übrigen ergebe sich aus der Leistungsbeschreibung eindeutig, dass ein Cluster-Rechenzentrum beschafft werden solle. Hieraus ergebe sich offensichtlich, dass sämtliche Komponenten als Einheit zu betrachten seien.

Im Laufe des weiteren Verfahrens schloss die Antragsgegnerin die Antragstellerin zudem nach § 57 Abs.1 Nr. 1 VgV vom Verfahren aus, da die Antragstellerin einer weiteren Bindefristverlängerung über den 10.10.2022 hinaus erst am 12.10.2022 zugestimmt hatte und das Angebot der Antragstellerin daher erloschen sei.

Die Entscheidung

Der Nachprüfungsantrag hat in der Sache keinen Erfolg. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig, aber unbegründet. Die Vergabekammer unterlässt es jedoch – mangels Entscheidungserheblichkeit – zu einzelnen vorgebrachten Argumenten abschließend Stellung zu nehmen.

Im Einzelnen:

Inwieweit § 193 BGB auf die Stillhaltefrist Anwendung finde, müsse vorliegend nicht entschieden werden, da die Antragstellerin vorliegend durch die Fristberechnung nicht in ihren Rechten verletzt sei, da die Antragsgegnerin vor dem 26.09.2022 den Nachprüfungsantrag gestellt, die Kammer den Antrag weitergeleitet und das Zuschlagsverbot ausgesprochen habe. Die Kammer weist jedoch der Vollständigkeit halber auf die neuere Rechtsprechung der VK Bund hin (VK Bund, Beschl. v. 28.06.2021 – VK 2-77/21), nach der § 193 BGB auf die Stillhaltefrist keine Anwendung finde.

Im Übrigen sei der auf § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV gestützte Ausschluss aufgrund einer Abweichung des Angebots von den Vergabeunterlagen nicht zu beanstanden. Eine Änderung der Vergabeunterlagen liege regelmäßig dann vor, wenn das Unternehmen inhaltlich von der beschriebenen Leistung abweiche und daher letztlich eine andere als die ausgeschriebene Leistung anbiete. Ob eine solche Änderung vorliege, sei durch eine Auslegung gemäß §§ 133, 157 BGB anhand eines objektiven Empfängerhorizontes zu ermitteln. Es müsse eine eindeutige Abweichung von den Vorgaben der Vergabeunterlagen vorliegen, um einen Ausschluss zu rechtfertigen. Dafür sei maßgeblich, wie der durchschnittliche Bieter des angesprochenen Bieterkreises die Leistungsbeschreibung verstehen musste oder durfte. Nicht mehr eindeutig seien die Vergabeunterlagen daher dann, wenn hiernach mehrere Auslegungsmöglichkeiten in Betracht kämen. Dies zugrunde gelegt, sei der Ausschluss aufgrund einer Abweichung von den Vergabeunterlagen vorliegend nicht zu beanstanden. Die Leistungsbeschreibung habe aus Sicht eines durchschnittlichen Bieters des angesprochenen Bieterkreises so verstanden werden müssen, dass jedenfalls immer zwei Grafik-Beschleunigerkarten verbunden werden können müssen. Dies ergebe sich aus einer Auslegung der Leistungsbeschreibung nach §§ 133, 157 BGB. Der Wortlaut führe isoliert betrachtet zwar nicht zwingend zu dem Verständnis der Antragsgegnerin. Für den Blick eines durchschnittlichen Bieters des angesprochenen Bieterkreises sei die Leistungsbeschreibung jedoch eindeutig gewesen.

Darüber hinaus weist die Vergabekammer unter Bezugnahme auf die jüngere BGH-Rechtsprechung (Urt. v. 18.06.2019 – X ZR 86/17) darauf hin, dass ihrer Ansicht nach die Aufklärung im Hinblick auf den Verweis auf die AGB der Beigeladenen vergaberechtskonform erfolgt sei. Durch die Abstandnahme von den eigenen AGB läge ein vollständig den Vergabeunterlagen entsprechendes Angebot vor.

Schließlich stellt die Vergabekammer klar, dass es auf die Frage, ob der Ausschluss des Angebots aufgrund der verspätet abgegebenen Bindefristverlängerungserklärung vergaberechtskonform erfolgt sei zwar nicht mehr ankomme, jedenfalls aber wohl eine fehlende Bindefristverlängerung während eines laufenden Nachprüfungsverfahrens die Antragsbefugnis nicht entfallen lasse.  Eine Zuschlagserteilung sei regelmäßig auch nach Ablauf der Bindefrist möglich.

Rechtliche Würdigung

Die Vergabekammer war in dem Verfahren mit typischen Fragen der Vergabepraxis konfrontiert. Zu einigen aufgeworfenen Rechtsfragen musste die Kammer keine abschließende Entscheidung treffen. Dennoch nutzt sie die Gelegenheit, um im Rahmen des Beschlusses Ihre Rechtsauffassung durchblicken zu lassen.

Die VK Westfalen spricht sich dafür aus, mit eigenen AGB eingereichte Angebote im Wettbewerb zu behalten, wenn im Wege der Aufklärung ermittelt werden kann, dass das Unternehmen nicht an seinen AGB festhält, weil es die AGB versehentlich mit dem Angebot eingereicht hat.

Hintergrund ist die in der Rechtsprechung zu beobachtende grundsätzliche Entwicklung, Angebote möglichst nicht aufgrund von reinen Formfehlern auszuschließen, sondern zulässige Wege zu finden, Angebote im Wettbewerb zu belassen. Dies ist begrüßenswert und aus praktischen Gesichtspunkten wohl auch angezeigt. Lässt sich durch eine Auslegung oder eine Aufklärung ermitteln, dass das Angebot den Vorgaben entspricht, ist nicht ersichtlich, warum dennoch ein Ausschluss erfolgen soll. Dies gilt einmal mehr vor dem Hintergrund einer häufig das Angebot übersteigenden Nachfrage der öffentlichen Auftraggeber.

Die sodann von der VK in den Blick genommene und in § 134 Abs. 2 GWB normierte „Wartefrist“ verhindert eine Zuschlagserteilung, solange die Frist läuft. Mit Ablauf der Frist, entfällt das bestehende Zuschlagsverbot. Der – wenn auch nur angedeuteten – ablehnenden Auffassung der Kammer, § 193 BGB auf die Stillhaltefrist anzuwenden – ist jedenfalls aus Gründen des Beitrags zu einer gewissen Rechtssicherheit zuzustimmen. Diese Auffassung wird vom Wortlaut des § 134 Abs. 2 GWB getragen, der ausdrücklich von „Kalendertagen“ und nicht wie etwa an andere Stelle von „Werktagen“ spricht. Von dem Begriff des Kalendertags ist aber auch ein Samstag, Sonntag oder Feiertag erfasst. Diese Auslegung entspricht ebenfalls Art. 2a Abs. 2 der Richtlinie 2007/66/EG, wo von „einer Frist von mindestens zehn Kalendertagen“ („a period of at least ten calender days“) die Rede ist. Im Einzelfall wird man sich aber dennoch vor dem Hintergrund des Sinns und Zwecks der Stillhaltefrist – sicherzustellen, dass wirksame Nachprüfungsverfahren angestrengt werden können (Art. 2a Abs. 1 Richtlinie 2007/66/EG) – fragen können, ob diese Auslegung pauschal gelten kann. Auch in der Rechtsprechung ist etwa anerkannt, dass Fristen, die derart gesetzt werden, dass möglichst wenig Zeit verbleibt, ein Nachprüfungsverfahren anzustrengen, nicht wirksam die Informationspflicht auslösen.

Zu der höchst umstrittenen Frage, ob der Ausschluss des Angebots aufgrund der verspätet abgegebenen Bindefristverlängerungserklärung vergaberechtskonform erfolgen könne, nimmt die Vergabekammer sodann keine abschließende Stellung mehr. Die Zulässigkeit eines solchen Ausschlusses wird man wohl – jedenfalls ohne ausdrücklichen Hinweis in den Vergabeunterlagen – verneinen müssen. Die Gründe, die zum Ausschluss eines Angebots führen, sind in § 57 VgV abschließend aufgeführt. Die fehlende Zustimmung zu einer Bindefristverlängerung ist dort nicht genannt. Ein rein auf die nicht abgegebene Bindefristverlängerungserklärung gestützter Ausschluss würde zudem gegen den in § 97 Abs. 1 GWB normierten Transparenzgrundsatz verstoßen. Zudem können dem Ausschluss des wirtschaftlichsten Angebots aufgrund der Nichtzustimmung zur Bindefristverlängerung im Einzelfall auch haushaltsrechtliche Bindungen entgegenstehen wonach öffentliche Auftraggeber – aufgrund der Verpflichtung zur sparsamen und effizienten Verwendung öffentlicher Mittel – dazu gehalten sein können, nach Ablauf der Bindefrist den Zuschlag auf das wirtschaftlichste Angebot zu erteilen.  Auch ist es nicht überzeugend, die fehlende, nachträglich angefragte Zustimmung als Änderung oder Ergänzung der Vergabeunterlagen im Sinne des § 57 Abs. 1 Nr. 4 VgV anzusehen. Vielmehr war die in einem solchen Fall nachträglich geforderte Verlängerung der Bindefrist nie Bestandteil der Vergabeunterlagen und kann daher durch ein Unterlassen der Zustimmung auch nicht geändert werden (siehe hierzu auch bereits OLG Celle, Beschl. v. 30.01.2020 – 13 Verg 14/19). Zudem muss man bedenken, dass die Bindefrist meist einen maßgeblichen Umstand der Kalkulationsgrundlage bildet und Unklarheiten über den Umfang der Bindefrist daher mit kalkulatorischen Risiken einhergehen.

Anders könnte der Fall gelagert sein, wenn in den Vergabeunterlagen bereits Hinweise für einen möglichen Ausschluss bei Nichtzustimmung zur Bindefristverlängerung enthalten sind. Dann jedenfalls wäre der Ausschluss zumindest gegenüber allen Bietern transparent gemacht worden. Auch hier dürften aber weiterhin Bedenken dahingehend bestehen, dass – trotz transparenter Bekanntmachung – letztlich ein neuer und in § 57 Abs. 1 VgV nicht vorgesehener Ausschlussgrund vom Auftraggeber konzipiert werden würde, obwohl es Sache des Auftraggebers ist, das Verfahren so auszugestalten, dass er die Angebote innerhalb der Bindefrist bezuschlagt.

Das OLG Celle hat unter Verweis auf ältere Rechtsprechung gleichwohl angedeutet, dass dies möglich sein könnte. Daraus ergäben sich aber weitere zu klärende Fragen. Dies betrifft etwa die Anforderungen an die Formulierung eines solchen Ausschlusses in den Vergabeunterlagen sowie das Vorgehen für den Fall, dass der Bestbieter einer Bindefristverlängerung nicht zustimmt.

Praxistipp

Die verschiedenen Rechtsfragen, mit denen sich die VK in diesem Verfahren beschäftigt hat, tauchen in der Vergaberechtspraxis der öffentlichen Auftraggeber regelmäßig auf.  Nicht in allen dieser Rechtsfragen hat die VK – mangels Entscheidungserheblichkeit – eine abschließende Entscheidung getroffen. Dennoch hat sie Hinweise auf Ihre Rechtsauffassung gegeben, was begrüßenswert ist und zu einer gewissen Rechtssicherheit im Bereich der Spruchpraxis der Vergabekammern führt.

Dies gilt insbesondere für den Hinweis auf die Rechtsprechung der VK Bund zur Anwendung des § 193 BGB auf die Stillhaltefrist und insoweit deren Zustimmung, da gerade diese Thematik in der Praxis häufig zu Unsicherheit bei der Bestimmung der Wartefrist führt. Die Entscheidung lässt durchblicken, dass auch die VK Westfalen eine Anwendung des § 193 auf die Stillhaltefrist ablehnt und die in § 134 Abs. 1 und 2 GWB normierte Informations- und Wartefrist daher beispielsweise auch an einem Samstag, Sonn- oder Feiertag und nicht erst am darauffolgenden Montag oder Wochentag ablaufen kann.

Die Frage, ob ein Bieter mangels Zustimmung zur Bindefristverlängerung ausgeschlossen werden kann, bleibt weiterhin ungeklärt. Auch hat die Rechtsprechung die Konstellation, in dem der Auftraggeber den Ausschluss des Angebots bei Nichtverlängerung der Bindefrist in den Vergabeunterlagen vorsieht, soweit ersichtlich noch nicht entschieden. Es besteht daher jedenfalls keine Rechtssicherheit, dass ein auf dieser Grundlage vorgenommener Ausschluss von der Rechtsprechung als wirksam anerkannt wird, wenn ein Bieter nicht rechtzeitig ausdrücklich (oder konkludent) seine Zustimmung zur Bindefristverlängerung erklärt.

Besteht seitens des öffentlichen Auftraggebers dennoch das Bedürfnis, sich vor Zuschlagserteilung Klarheit darüber verschaffen zu können, ob der Bieter weiterhin die Bereitschaft zu einem Vertragsschluss hat und soll daher die Grundlage für einen Ausschluss eines Angebots geschafft werden, wenn keine fristgerechte Rückmeldung zu einer Verlängerung der Bindefrist erfolgt, dürfte es aus Transparenzgesichtspunkten angezeigt sein, in den Vergabeunterlagen jedenfalls klarzustellen, dass in dem Fall der Nichtzurückmeldung ein Ausschluss zwingend erfolgt und sich dieser nicht lediglich vorbehalten wird. Es wäre im Einzelfall zu prüfen, inwieweit dies unter haushaltsrechtlichen Gesichtspunkten überhaupt zulässig ist und die Entwicklung der Rechtsprechung vor diesem Hintergrund weiter zu beobachten.

Dr. Christina Kreissl

Dr. Christina Kreissl ist Rechtsanwältin in der Sozietät BHO Legal in Köln. Sie ist seit Beginn Ihrer anwaltlichen Tätigkeit auf die Beratung im Vergabe- und Vertragsrecht spezialisiert und berät in diesem Zusammenhang sowohl öffentliche Auftraggeber als auch Bieter und vertritt diese vor den Nachprüfungsinstanzen. Zudem hält sie regelmäßig Schulungen im Vergaberecht.

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