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Keine Rosinenpickerei bei der Markterkundung (VK Südbayern, Beschl. v. 08.11.2022 – 3194.Z3-3_01-22-6)

EntscheidungDie Voraussetzungen und Schwierigkeiten einer „Direktvergabe“ wegen einer vermeintlichen Alleinstellung sind wegen ihrer weitreichenden Folgen ein Dauerbrenner. In einer jüngeren Entscheidung unterstreicht die VK Südbayern, dass nur eine umfassende und gut dokumentierte Markterkundung die „Direktvergabe“ wegen einer technischen Alleinstellung rechtfertigt.

§§ 14 Abs. 4 Nr. 2 b), 14 Abs. 6 VgV, 135, 168 Abs. 2 S. 2 GWB

Leitsätz

  1. Bei einem Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit einem Wirtschaftsteilnehmer, das auf § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV gestützt wird, kann in vielen Fällen einzig eine umfassende Analyse bestehender Lösungen den Nachweis erbringen, dass die geforderte Lösung alternativlos i.S.d. § 14 Abs. 6 VgV ist und nicht das Ergebnis einer künstlichen Markteinschränkung durch den Auftraggeber.
  2. Eine „Marktanalyse“ bei der der Auftraggeber nur seinem gewünschten Vertragspartner die notwendigen Informationen zur Leistungserbringung zukommen hat lassen und weiteren Marktteilnehmern die exakten Rahmenbedingungen des Beschaffungsbedarfs nicht mitgeteilt hat, ist von vorneherein ungeeignet, Alleinstellungsmerkmale i.S.d. § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV i.V.m. § 14 Abs. 6 VgV zu begründen.

Sachverhalt

Ein Klinikum schrieb europaweit Laborgeräte und zugehörige Bauleistungen aus.

Es stellte jedoch im Nachgang fest, dass ein Asbestbefall Baumaßnahmen entgegenstand, und hob das Verfahren wieder auf.

Nahezu zwei Jahre später führte es mit gleichem Beschaffungszweck ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit nur einem Unternehmen wegen dessen Alleinstellung nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b), Abs. 6 VgV durch („Direktvergabe“), da aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden sei.

Nach dem Ergebnis der Markterkundung passte lediglich das Laborsystem eines bestimmten Anbieters ohne Umbauarbeiten in die vorhandenen Räumlichkeiten. Die Markterkundung erschöpfte sich jedoch im Wesentlichen in einer Unternehmenspräsentation und den Gesprächen des Klinikums mit diesem Anbieter.

Der Bestandsauftragnehmer und die an der ursprünglichen Ausschreibung beteiligten Unternehmen durften ihre Laborgeräte dem Klinikum zwar auch präsentieren. Im Gegensatz zum gewünschten Vertragspartner erhielten sie jedoch keine Informationen über die baulichen Vorgaben an das Laborsystem.

Auf Grundlage dieser Markterkundung „dokumentierte“ das Klinikum die Gründe für die Wahl des Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb mit einem einzigen Unternehmen.

Die Dokumentation ließ sich nicht dem Vergabevermerk entnehmen. Nur in den Terminsberichten zu den Präsentationen waren die Gründe für die Wahl der Verfahrensart enthalten.

In dem Vergabevermerk legte das Klinikum lediglich dar, dass die Laborstraße in jedem Fall ohne bauliche Anpassungen in die vorhandenen Räumlichkeiten eingebracht werden müsse. Umbauarbeiten seien wegen der Asbestverseuchung mit sehr hohen Folgeinvestitionen verbunden und kämen daher nicht in Frage.

In den Terminsberichten führte das Klinikum aus, dass einzig die platzsparende Laborstraße des vollständig über die Leistungsbeschreibung informierten Anbieters ohne Umarbeiten in die vorgesehenen Räume passe.

Nachdem das Klinikum den Auftrag an den gewünschten Vertragspartner vergeben hatte, gingen die anderen Anbieter vor die Vergabekammer und trugen vor, dass ihre Laborgeräte ebenfalls den baulichen Vorgaben entsprechen könnten.

Die Entscheidung

Mit Erfolg! Die Vergabekammer hat festgestellt, dass die „Direktvergabe“ der Laborgeräte nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam ist.

Auftraggeber dürfen nach § 14 Abs. 4 Nr. 2b), Abs. 6 VgV einen Auftrag im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb „direkt“ an ein bestimmtes Unternehmen vergeben, wenn aus technischen Gründen kein Wettbewerb vorhanden ist. Zulässig ist dieses Verfahren nur dann, wenn keine vernünftigen Alternativen oder Ersatzlösungen bestehen und der mangelnde Wettbewerb nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung der Auftragsvergabeparameter ist.

Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, handelt es sich um eine De-facto-Vergabe nach § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB. Der Vertrag ist (schwebend) unwirksam.

Die Vergabekammer führt aus, dass das Vorliegen eines Alleinstellungsmerkmals von den Anforderungen an die Leistung abhänge und daher dem Leistungsbestimmungsrecht des Auftraggebers unterfalle.

Der Auftraggeber bewege sich dabei nach ständiger Rechtsprechung in den Grenzen seines Leistungsbestimmungsrechts, wenn die Bestimmung des Auftragsgegenstands sachlich gerechtfertigt bzw. entsprechend dokumentiert sei und andere Wirtschaftsteilnehmer nicht diskriminiere.

Nach diesem Maßstab genügten die baulichen Vorgaben diesen Anforderungen. Das Klinikum habe die Räume für die Laborstraße vorgeben und dabei wegen der sonst drohenden Asbestverseuchung verbieten dürfen, dass der Auftragnehmer Umbauarbeiten durchführe. Das sei sachlich gerechtfertigt, denn andernfalls müsste das gesamte Klinikgebäude stillgelegt und mit extrem hohen Kosten asbestsaniert werden. Das Klinikum übe unter diesen Umständen selbst dann sein Leistungsbestimmungsrecht in zulässiger Weise aus, wenn aus technischen Gründen nur ein Unternehmen für den Auftrag in Frage käme.

Ein Verhandlungsverfahren ohne Teilnahmewettbewerb mit nur einem Unternehmen („Direktvergabe“) aufgrund eines technischen Alleinstellungmerkmals nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b), Abs. 6 VgV sei allerdings trotzdem nur zulässig, wenn der Auftrag dann auch tatsächlich aus technischen Gründen ausschließlich von einem bestimmten Unternehmen erbracht werden könne.

Der öffentliche Auftraggeber habe das objektive Fehlen von Wettbewerb darzulegen und zu beweisen. Hierzu habe er stichhaltige Belege beizubringen. Die Gründe für die Wahl des Verfahrens seien ordnungsgemäß und sorgfältig sowie vor allem nachvollziehbar vom öffentlichen Auftraggeber zu dokumentieren (EuGH, Urteil vom 15.10.2009, C-275/08; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 18.12.2013, VII-Verg 24/13).

Ob die baulichen Vorgaben des Klinikums zu einer Alleinstellung führen, ließe sich jedoch mangels einer ordnungsgemäßen Herleitung des Alleinstellungsmerkmals nicht feststellen.

Die (dokumentierten) Erkenntnisse aus der Markterkundung reichten hierfür nicht aus.

Möchte sich der Auftraggeber zur Rechtfertigung eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb auf die aus einer Markterkundung gewonnen Erkenntnisse berufen, müsse er dafür alle an der Markterkundung beteiligten Unternehmen über die konkreten Anforderungen informieren. Nur so könnten die Unternehmen ihre präsentierten Lösungen auf die konkreten Bedürfnisse zuschneiden und Auftraggeber analysieren, ob tatsächlich eine Alleinstellung bestehe.

Auch der ursprüngliche Auftragnehmer und die an der ursprünglichen Ausschreibung beteiligten Unternehmen müssten trotz etwaiger Kenntnisse über die Raumsituation nicht mutmaßen, welche Anforderungen die Laborstraße nunmehr erfüllen müsse.

Die vom Klinikum durchgeführte Markterkundung rechtfertige die „Direktvergabe“ also nicht.

Offengelassen hat die Vergabekammer die Frage, ob eine Markterkundung zwingend ist, um ein technischen Alleinstellungsmerkmal im Sinne von § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV annehmen zu dürfen.

Sie verweist darauf, dass nach § 14 Abs. 6 VgV jedenfalls einzig eine umfassende Analyse bestehender Lösungen den Nachweis erbringen könne, dass die geforderte Lösung alternativlos und nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung durch den Auftraggeber sei.

Aus prozessualer Sicht hat die Vergabekammer außerdem betont, dass sich die Nachprüfungsanträge durch den Einbau der Laborgeräte nicht nach § 168 Abs. 2 S. 2 GWB erledigt hätten. Mit dem Rückbau der Laborgeräte ließe sich der Vertrag ohne Schwierigkeiten rückabwickeln, zumal hier ein Mietvertrag über einen Zeitraum von sieben Jahren vorliege.

Den Auftraggeber treffe aber bei fortbestehender Beschaffungsabsicht gleichwohl keine Pflicht, ein wettbewerbliches Verfahren durchzuführen. Er dürfe insbesondere nochmals eine (ordnungsgemäße) Markterkundung durchführen, um beurteilen zu können, ob tatsächlich eine Alleinstellung vorliege.

Rechtliche Würdigung

Der Entscheidung ist zuzustimmen.

Nach Auffassung des Autors ist insbesondere zutreffend, dass das Klinikum sich mit den baulichen Vorgaben selbst dann in den Grenzen seines Leistungsbestimmungsrechts bewegt, wenn aus technischen Gründen tatsächlich nur ein Anbieter für den Auftrag in Frage käme.

Richtig ist auch, dass sich das in dem besprochenen Fall nicht anhand der durchgeführten Markterkundung beurteilen lässt.

Die offengelassene Frage, ob denn eine Markterkundung nach § 14 Abs. 4 Nr. 2 b) VgV immer zwingend sei, dürfte dogmatischer Natur sein. Nach § 14 Abs. 6 VgV kann der Auftraggeber jedenfalls nur mit einer umfassenden Analyse bestehender Lösungen den Nachweis erbringen, dass die geforderte Lösung alternativlos und nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung durch den Auftraggeber ist.

Es ist schwer vorstellbar, wie eine umfassende Analyse ohne eine repräsentative Marktanalyse aussehen soll.

Praxistipp

Worauf müssen Auftraggeber achten, wenn sie einen Auftrag im Wege eines Verhandlungsverfahrens ohne Teilnahmewettbewerb wegen eines technischen Alleinstellungsmerkmals „direkt“ vergeben möchten?

  1. Repräsentative und kritische Markterkundung

Zuallererst sollten Auftraggeber eine repräsentative und kritische Markterkundung durchführen. Das bedeutet, dass alle beteiligten Unternehmen über die konkreten Anforderungen zu informieren sind. Nach § 14 Abs. 6 VgV ist immer eine umfassende Analyse bestehender Lösungen erforderlich. Nur eine solche Analyse vermag den Nachweis zu erbringen, dass die geforderte Lösung alternativlos und nicht das Ergebnis einer künstlichen Einschränkung durch den Auftraggeber ist.

Es mag Fälle geben, in denen die bestehenden Lösungen allgemein bekannt sind und daher eine Markterkundung obsolet ist. Insbesondere bei komplexen Verfahren ist das aber ohne eine Markterkundung nicht immer sicher. Selbst die mittlerweile allgemein bekannten Lösungen entstammen meistens dem Markt, der einem stetigen Wandel und Fortschritt unterworfen ist. Unter Umständen liegen auf dem Markt mittlerweile neue Lösungen vor, die der Auftraggeber in seiner Analyse nicht berücksichtigt hat.

Auftraggeber sind daher gut beraten, eine umfassende Markterkundung durchzuführen, bevor sie ein Alleinstellungsmerkmal annehmen.

Mit den Antworten der Unternehmen sollten sich Auftraggeber sorgfältig auseinandersetzen.

Das Unternehmen mit der vermeintlichen Alleinstellung wird bei der Markterkundung meistens vorbringen, dass kein anderer Wettbewerber zu der benötigten Leistung in der Lage sei, ohne das vorab tiefgründig zu prüfen.

Andererseits werden (auch richtig informierte) Wettbewerber im Markterkundungsverfahren nicht selten auf eigene Alternativen bzw. Lösungsansätze verweisen, die bei genauerem Hinsehen nicht die Anforderungen an die Leistung erfüllen, obwohl der Auftraggeber sich mit den Anforderungen – wie im besprochenen Fall – in den Grenzen seines Leistungsbestimmungsrechts bewegt. Der Auftraggeber muss dann genauer nachforschen, denn „Augen zu und durch“ führt hier schlimmstenfalls zu einer langwierigen und kostspieligen Rückabwicklung des Vertrages.

  1. Sorgfältige Dokumentation

Unbedingt müssen Auftraggeber sorgfältig die Umstände dokumentieren, die die Annahme rechtfertigen, dass kein Wettbewerb aus technischen Gründen vorhanden ist.

Diese Dokumentation dürfen Auftraggeber keinesfalls mit der Dokumentation der Gründe gleichsetzen, die die Anforderungen in der Leistungsbeschreibung sachlich rechtfertigen, die zu einer technischen Alleinstellung führen (könnten).

Der Auftraggeber hat in einem zweiten Schritt zu analysieren und zu dokumentieren, ob wirklich nur ein einziges Unternehmen die benötigten Leistungen anforderungsgemäß erbringen vermag.

  1. Freiwillige Ex-ante-Transparenzbekanntmachung

Zusätzlich sollten sich Auftraggeber vorab mit einer freiwilligen Ex-ante-Transparenzbekanntmachung nach § 135 Abs. 3 Nr. 2 GWB absichern. Geht innerhalb von 10 Kalendertagen kein Unternehmen gegen die beabsichtigte „Direktvergabe“ vor, kann der Auftrag deutlich sicherer vergeben werden.

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Über Machmud Gadjisade

Machmud Gadjisade ist Rechtsanwalt in der Sozietät BHO Legal in Köln. Er ist seit Beginn seiner anwaltlichen Tätigkeit in einer Großkanzlei auf das Vergabe-, Verwaltungs- und IT-Recht spezialisiert und berät hierin Auftraggeber und Bieter. Er ist Autor in einem Praxiskommentar zum Vergaberecht und hat bereits eine Vielzahl von Schulungen durchgeführt

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