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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 30/10/2023 Nr. 54792

Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Reichen Zusicherungen aus? (VK Südbayern, Beschl. v. 13.06.2023 – 3194.Z3-3_01-23-11)

EntscheidungWollen Auftraggeber qualitative Zuschlagskriterien in der Auswahlentscheidung berücksichtigen, müssen sie sich oftmals auf die Zusicherungen der Bieter verlassen. So können häufig technische Merkmale eines noch zu entwickelnden Produkts, ein zugesicherter Fertigstellungszeitpunkt oder auch Inhalte eines Personalkonzepts naturgemäß nicht im laufenden Vergabeverfahren auf deren spätere Einhaltung hin überprüft werden. Ob dieses Dilemma überhaupt mit den vergaberechtlichen Rahmenbedingungen vereinbar ist, hatte jüngst die Vergabekammer Südbayern zu entscheiden.

§ 127 GWB

Leitsatz

§ 127 Abs. 4 Satz 1 GWB verlangt, dass die Zuschlagskriterien so festgelegt werden, dass der Auftraggeber eine wirksame Überprüfung vornehmen kann, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Ist – wie hier bei Energieverbrauchsdaten eines noch zu entwickelnden Triebzugs – oder bei einer Konzeptbewertung eine Überprüfung mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit während des Vergabeverfahrens nicht möglich, ist zumindest zu verlangen, dass das für die Zuschlagsbewertung maßgebliche Leistungsversprechen in eine einklagbare Leistungsverpflichtung oder in eine solche Leistungsverpflichtung mündet, bei deren Verletzung eine vertragliche Sanktion zur Verfügung steht.

Sachverhalt

Ein Auftraggeber schrieb die Herstellung und Lieferung von S-Bahn-Triebwagen aus. Er sah für die Auswahl des Bestbieters als Zuschlagskriterium auch das Kriterium „Energieverbrauch“ vor. Nach einer detailliert vorgegeben Formel wurde anhand von Bieterangaben der (voraussichtliche) spätere Energieverbrauch des angebotenen Triebzugs in seiner bieterindividuellen Konfiguration ermittelt. Dies wurde entsprechend in Wertungspunkte umgerechnet. In einem sehr komplexen Nachprüfungsverfahren hatte sich die Vergabekammer Südbayern unter anderem auch mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die Bewertung von Kriterien, deren Erfüllung (noch) nicht überprüfbar ist, zulässig ist.

Die Entscheidung

Die Vergabekammer hält die Bewertung des Energieverbrauchs anhand von (nicht vollständig verifizierbarer) Bieterangaben im Ergebnis für zulässig. Dabei führt sie instruktiv aus, welche Vorgaben eine Vergabestelle machen muss, um das Kriterium nach Zuschlagserteilung nicht nur in „leere Versprechungen“ münden zu lassen.
Mit Verweis auf § 127 Abs. 4 Satz 1 GWB sieht die Vergabekammer Südbayern das Erfordernis, dass die theoretische Möglichkeit der Überprüfung der Bieterangaben bestehen muss. § 127 Abs. 4 GWB verlangt, dass die Zuschlagskriterien so festgelegt werden, dass der Auftraggeber eine wirksame Überprüfung vornehmen kann, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen. Dabei erkennt die Vergabekammer die Problematik, dass bei noch zu entwickelnden Lösungen (oder noch umzusetzenden Konzepten) keine Überprüfung dahingehend möglich ist, ob die zugesicherten Eigenschaften später im Falle der Beauftragung tatsächlich eingehalten werden. Vielmehr können die Bieterangaben allenfalls auf Plausibilität überprüft werden.
Die Vergabekammer Südbayern hält es in solchen Fällen für zwingend erforderlich, dass „das für die Zuschlagsbewertung maßgebliche Leistungsversprechen in eine einklagbare Leistungsverpflichtung oder in eine solche Leistungsverpflichtung mündet, bei deren Verletzung eine vertragliche Sanktion zur Verfügung steht“.

Rechtliche Würdigung

Im Ergebnis ist der Vergabekammer zuzustimmen, dass Zuschlagskriterien sich auch auf solche Tatsachen und Zusicherungen beziehen dürfen, die während des Vergabeverfahrens im Angebot versprochen werden, deren Erfüllung aber noch nicht abschließend nachgewiesen werden kann. Die von § 127 Abs. 4 GWB geforderte Überprüfung ist letztlich auch gerade dann möglich, wenn es sich „nur“ um eine zugesicherte Eigenschaft bzw. einen zugesicherten Leistungsbestandteil handelt. Bei Leistungsversprechen, die sich auf eine in der Zukunft zu erbringende Leistung beziehen, kann es stets nur auf die „Erfüllbarkeit“ ankommen. Selbst eine Teststellung oder der Nachweis mittels Konformitätsbescheinigung bescheinigt im laufenden Vergabeverfahren nicht, dass die Anforderungen im späteren Auftragsfall tatsächlich „erfüllt“ werden, sondern lediglich, dass sie „erfüllbar“ sind.

Ob dann die Erfüllung – wie die Vergabekammer meint – für den Auftragsfall zwingend dadurch vertraglich abgesichert sein muss, dass es sich um eine einklagbare Leistungsverpflichtung handelt oder die Nichteinhaltung zumindest sanktioniert sein muss, ist hingegen fraglich. Auch wenn dies dem Auftraggeber im Eigeninteresse häufig zu empfehlen ist, ergibt sich dies nicht zwingend aus dem Wortlaut des § 127 Abs. 4 GWB. Eine spätere Sanktionierung ist nämlich gerade keine „Überprüfung“ im Vergabeverfahren, sodass diese von der VK Südbayern definierte Anforderung deutlich über den Wortlaut hinausgeht.

Da die Ausführungen bzw. Zusicherungen des Bieters Teil seines Angebots sind, sind sie mit Zuschlagserteilung in jedem Fall Vertragsbestandteil und damit Leistungssoll. Es sollte dem Auftraggeber aber freistehen, sich dabei auch auf die „normalen“ Vertrags- und Mängelrechte zu beschränken, ohne einen Katalog an Vertragsstrafenregelungen definieren zu müssen.

Praxistipp

Will der Auftraggeber neben dem Preis weitere Kriterien zulassen, muss er sich inhaltlich häufig auf vertragliche Zusicherungen der Bieter verlassen. Dies kann beispielsweise technische Merkmale bei noch zu entwickelnden Leistungen betreffen, aber auch Konzepte für zu erbringende Dienstleistungen oder einen zugesicherten Liefertermin. Die Kriterien sollten stets so ausgestaltet sein, dass die Vergabestelle die Möglichkeit hat, die Angaben zumindest auf Erfüllbarkeit hin zu überprüfen. Darüber hinaus empfiehlt es sich in der Regel, vertraglich explizit vorzusehen, dass die zugesicherten Merkmale bei Leistungserbringung geschuldet sind. Ob die Nichteinhaltung mit Vertragsstrafen pönalisiert wird oder beispielsweise auch eine außerordentliche Vertragskündigung ermöglicht, sollte im Einzelfall geprüft werden.

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Dr. Alexander Dörr

Dr. Alexander Dörr ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Er berät bundesweit in erster Linie die öffentliche Hand bei der Konzeption und Abwicklung von Beschaffungsprojekten sowie bei komplexen vergaberechtlichen Fragestellungen. Ein Schwerpunkt bildet dabei die rechtliche und strategische Begleitung von großvolumigen Ausschreibungsvorhaben öffentlicher Auftraggeber, überwiegend im Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb. Daneben vertritt Herr Dörr regelmäßig öffentliche Auftraggeber in Nachprüfungsverfahren. Zudem hält er zu unterschiedlichen vergaberechtlichen Themen Schulungen und Seminare. Dr. Dörr ist unter anderem Dozent am Bildungszentrum der Bundeswehr. Er publiziert darüber hinaus zahlreiche Beiträge in Fachzeitschriften und ist regelmäßiger Autor auf vergabeblog.de.

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Eine Antwort zu „Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser: Reichen Zusicherungen aus? (VK Südbayern, Beschl. v. 13.06.2023 – 3194.Z3-3_01-23-11)“

  1. Avatar von Michael Pilarski
    Michael Pilarski

    Sehr geehrter Herr Kollege,

    zwar habe ich die Entscheidungsgründe selbst noch nicht gelesen. Ich habe aber so ein wenig meine Verständnisprobleme mit der Entscheidung.

    Hätte sich das Ergebnis der Entscheidung nicht schon quasi wie selbstverständlich „kraft Natur der Sache“ ergeben und auf der Hand liegen müssen?

    Ein Vergabeverfahren ist dem Zuschlag und damit dem Vertragsschluss, aufgrund dessen die spätere Leistung erbracht wird, denklogisch vorgelagert. Die Vergabeentscheidung nach außen durch Zuschlag, erfolgt anhand von Zuschlagskriterien, vgl. § 127 GWB. Hier besagt § 127 Abs. 1 GWB, dass Grundlage für das wirtschaftlichste Angebot eine Bewertung des Auftraggebers ist, ob und inwieweit das Angebot die vorgesehenen Zuschlagskriterien erfüllt. Auch § 127 Abs. 4 GWB legt fest, dass im Rahmen der Zuschlagskriterien eine wirksame Überprüfung möglich sein muss, ob und inwieweit die Angebote diese Zuschlagskriterien erfüllen.

    An keiner Stelle ist, auch wenn das natürlich der optimale Fall wäre, unter diesem Aspekt die Rede davon, dass die später zu erbringende, tatsächliche Leistung diese Zuschlagskriterien erfüllen müsse. Da das Vergabeverfahren der Vergabeentscheidung vorgelagert ist, kann diesbezüglich doch stets nur eine „Prognose“ des Auftraggebers unter Verwendung von Kriterien erfolgen, ob das abgegebene Angebot eine erst später tatsächlich zu erbringende Leistung ordnungsgemäß erwarten lässt. An dieser Stelle wird ja nicht auf die tatsächliche Leistung selbst abgestellt, weil diese de facto mangels Erbringung noch nicht beurteilt werden kann. Denn das ist eine spätere vertragliche bzw. vertragsrechtliche Beurteilung. Daher fordert § 127 Abs. 4 GWB eine wirksame Überprüfung der Angebote (nicht der tatsächlichen Leistung), die Zuschlagskriterien zu erfüllen.

    Insoweit tue ich mich schwer damit, dass eine wesentliche, durch die Vergabekammer zu beantwortende Frage sein soll, ob eine wirksame Überprüfung der in Bezug auf Zuschlagskriterien erklärten Zusicherung des Bieters möglich ist, ob die spätere tatsächliche Leistung die Kriterien erfüllt. Meiner Ansicht nach werden an dieser Stelle in der Entscheidung ein wenig die unterschiedlichen Ebenen zwischen Beurteilung des Angebots einerseits und der Beurteilung der später tatsächlich zu erbringenden Leistung andererseits vermengt, oder wie sehen Sie das?

    Hätte also die Vergabekammer eine solche Bewertung für unzulässig gehalten, so hätte sie doch im Wesentlichen dem gesamten Vergabeverfahren mit seiner prognostischen Natur eine Absage erteilt, oder nicht? Keine der Angaben im Vergabeverfahren lässt sich doch grundsätzlich zum Zeitpunkt der Wertung im Vergleich zu und um Hinblick auf die tatsächliche Leistungserbringung sicher überprüfen bzw. verifizieren. Ob die Leistungserbringung der Ausschreibung entspricht oder ob es sich um „leere Versprechungen“ gehandelt hat, wird später vertragsrechtlich geklärt. Daher wird eine Überprüfung, ob die tatsächliche Leistung selbst die Zuschlagskriterien erfüllt, im Vergabeverfahren in den Vorschriften nicht gefordert, wobei es für den Auftraggeber ja auch unmöglich wäre.

    „Dass das für die Zuschlagsbewertung maßgebliche Leistungsversprechen in eine einklagbare Leistungsverpflichtung münde, bei deren Verletzung eine vertragliche Sanktion zur Verfügung stehe“, ist daher auch meiner Meinung nach eine nicht sachgerechte und zweifelhafte Forderung.

    Wenn darunter die einklagbare Primärverpflichtung einer „Hauptleistungspflicht“ und „Erfüllungsverpflichtung“ gemeint sein soll, dann würden etwaige unwesentlichere Pflichten in Form von Nebenleistungspflichten nicht davon umfasst, da sie in dem Sinne nicht primär einklagbar sind. Wenn aber eine einklagbare Leistungsverpflichtung für die Möglichkeit der wirksamen Überprüfung notwendig ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen, wären sämtliche Zuschlagskriterien im Vergabeverfahren, die sich auf Nebenleistungspflichten beziehen, wegen dieser Unzulänglichkeit per se unzulässig oder nicht?

    Sollte der Begriff der „einklagbaren Leistungsverpflichtung“ durch die Vergabekammer nur unglücklich formuliert und nicht im Sinne einer „Erfüllungsverpflichtung“ gemeint sein und sollten damit auch Sekundärverpflichtungen wie Schadenersatz gemeint sein, so käme es nach Ansicht der Vergabekammer dennoch auf Sanktionsmöglichkeiten an, deren Prüfung auch ins Vergabeverfahren vorverlagert werden würde. Mit der „einklagbaren Leistungsverpflichtung“ würde man erneut die vertragsrechtliche Ebene sehr auf die vergaberechtliche verlagern, wobei sich dann wiederum die Frage stellen würde, ob eine Vergabekammer diese nicht vergaberechtlichen Punkte überhaupt prüfen müsste bzw. würde, also ob sie hierfür zuständig wäre.

    Wenn im Rahmen des einklagbaren Leistungsversprechens dann auf die Erfüllbarkeit der Zuschlagskriterien abgestellt wird, dann wird bereits im Vergabeverfahren im Zweifel z. B. geprüft werden müssen, ob nicht unter Umständen eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit im Endeffekt der Leistung vorliegt. Wäre diese gegeben und die Leistungsverpflichtung nicht einklagbar und im Hinblick auf die Leistungsanforderungen nicht erfüllbar, dann müsste der Auftraggeber zur Unzulässigkeit der entsprechend gewählten Zuschlagskriterien kommen. Dies würde wiederum eine Überprüfung der seinerzeit diskutierten „rechtlichen Leistungsfähigkeit“ im Hinblick auf die Bietereignung, der aus meiner Erinnerung eine Absage erteilt wurde, gleichkommen.

    Jetzt sehen Sie mir die langen Ausführungen nach. Ich bin aber auf andere Meinungen sehr gespannt ; auch auf diejenigen, die meine Erwägungen als abwegig erachten😉.

    Grüße