Sehr geehrter Herr Kollege,

zwar habe ich die Entscheidungsgründe selbst noch nicht gelesen. Ich habe aber so ein wenig meine Verständnisprobleme mit der Entscheidung.

Hätte sich das Ergebnis der Entscheidung nicht schon quasi wie selbstverständlich „kraft Natur der Sache“ ergeben und auf der Hand liegen müssen?

Ein Vergabeverfahren ist dem Zuschlag und damit dem Vertragsschluss, aufgrund dessen die spätere Leistung erbracht wird, denklogisch vorgelagert. Die Vergabeentscheidung nach außen durch Zuschlag, erfolgt anhand von Zuschlagskriterien, vgl. § 127 GWB. Hier besagt § 127 Abs. 1 GWB, dass Grundlage für das wirtschaftlichste Angebot eine Bewertung des Auftraggebers ist, ob und inwieweit das Angebot die vorgesehenen Zuschlagskriterien erfüllt. Auch § 127 Abs. 4 GWB legt fest, dass im Rahmen der Zuschlagskriterien eine wirksame Überprüfung möglich sein muss, ob und inwieweit die Angebote diese Zuschlagskriterien erfüllen.

An keiner Stelle ist, auch wenn das natürlich der optimale Fall wäre, unter diesem Aspekt die Rede davon, dass die später zu erbringende, tatsächliche Leistung diese Zuschlagskriterien erfüllen müsse. Da das Vergabeverfahren der Vergabeentscheidung vorgelagert ist, kann diesbezüglich doch stets nur eine „Prognose“ des Auftraggebers unter Verwendung von Kriterien erfolgen, ob das abgegebene Angebot eine erst später tatsächlich zu erbringende Leistung ordnungsgemäß erwarten lässt. An dieser Stelle wird ja nicht auf die tatsächliche Leistung selbst abgestellt, weil diese de facto mangels Erbringung noch nicht beurteilt werden kann. Denn das ist eine spätere vertragliche bzw. vertragsrechtliche Beurteilung. Daher fordert § 127 Abs. 4 GWB eine wirksame Überprüfung der Angebote (nicht der tatsächlichen Leistung), die Zuschlagskriterien zu erfüllen.

Insoweit tue ich mich schwer damit, dass eine wesentliche, durch die Vergabekammer zu beantwortende Frage sein soll, ob eine wirksame Überprüfung der in Bezug auf Zuschlagskriterien erklärten Zusicherung des Bieters möglich ist, ob die spätere tatsächliche Leistung die Kriterien erfüllt. Meiner Ansicht nach werden an dieser Stelle in der Entscheidung ein wenig die unterschiedlichen Ebenen zwischen Beurteilung des Angebots einerseits und der Beurteilung der später tatsächlich zu erbringenden Leistung andererseits vermengt, oder wie sehen Sie das?

Hätte also die Vergabekammer eine solche Bewertung für unzulässig gehalten, so hätte sie doch im Wesentlichen dem gesamten Vergabeverfahren mit seiner prognostischen Natur eine Absage erteilt, oder nicht? Keine der Angaben im Vergabeverfahren lässt sich doch grundsätzlich zum Zeitpunkt der Wertung im Vergleich zu und um Hinblick auf die tatsächliche Leistungserbringung sicher überprüfen bzw. verifizieren. Ob die Leistungserbringung der Ausschreibung entspricht oder ob es sich um „leere Versprechungen“ gehandelt hat, wird später vertragsrechtlich geklärt. Daher wird eine Überprüfung, ob die tatsächliche Leistung selbst die Zuschlagskriterien erfüllt, im Vergabeverfahren in den Vorschriften nicht gefordert, wobei es für den Auftraggeber ja auch unmöglich wäre.

„Dass das für die Zuschlagsbewertung maßgebliche Leistungsversprechen in eine einklagbare Leistungsverpflichtung münde, bei deren Verletzung eine vertragliche Sanktion zur Verfügung stehe“, ist daher auch meiner Meinung nach eine nicht sachgerechte und zweifelhafte Forderung.

Wenn darunter die einklagbare Primärverpflichtung einer „Hauptleistungspflicht“ und „Erfüllungsverpflichtung“ gemeint sein soll, dann würden etwaige unwesentlichere Pflichten in Form von Nebenleistungspflichten nicht davon umfasst, da sie in dem Sinne nicht primär einklagbar sind. Wenn aber eine einklagbare Leistungsverpflichtung für die Möglichkeit der wirksamen Überprüfung notwendig ist, ob und inwieweit die Angebote die Zuschlagskriterien erfüllen, wären sämtliche Zuschlagskriterien im Vergabeverfahren, die sich auf Nebenleistungspflichten beziehen, wegen dieser Unzulänglichkeit per se unzulässig oder nicht?

Sollte der Begriff der „einklagbaren Leistungsverpflichtung“ durch die Vergabekammer nur unglücklich formuliert und nicht im Sinne einer „Erfüllungsverpflichtung“ gemeint sein und sollten damit auch Sekundärverpflichtungen wie Schadenersatz gemeint sein, so käme es nach Ansicht der Vergabekammer dennoch auf Sanktionsmöglichkeiten an, deren Prüfung auch ins Vergabeverfahren vorverlagert werden würde. Mit der „einklagbaren Leistungsverpflichtung“ würde man erneut die vertragsrechtliche Ebene sehr auf die vergaberechtliche verlagern, wobei sich dann wiederum die Frage stellen würde, ob eine Vergabekammer diese nicht vergaberechtlichen Punkte überhaupt prüfen müsste bzw. würde, also ob sie hierfür zuständig wäre.

Wenn im Rahmen des einklagbaren Leistungsversprechens dann auf die Erfüllbarkeit der Zuschlagskriterien abgestellt wird, dann wird bereits im Vergabeverfahren im Zweifel z. B. geprüft werden müssen, ob nicht unter Umständen eine rechtliche oder tatsächliche Unmöglichkeit im Endeffekt der Leistung vorliegt. Wäre diese gegeben und die Leistungsverpflichtung nicht einklagbar und im Hinblick auf die Leistungsanforderungen nicht erfüllbar, dann müsste der Auftraggeber zur Unzulässigkeit der entsprechend gewählten Zuschlagskriterien kommen. Dies würde wiederum eine Überprüfung der seinerzeit diskutierten „rechtlichen Leistungsfähigkeit“ im Hinblick auf die Bietereignung, der aus meiner Erinnerung eine Absage erteilt wurde, gleichkommen.

Jetzt sehen Sie mir die langen Ausführungen nach. Ich bin aber auf andere Meinungen sehr gespannt ; auch auf diejenigen, die meine Erwägungen als abwegig erachten😉.

Grüße

Reply