Zur Absicherung von Meilensteinen und Fertigstellungsterminen enthalten Verträge öffentlicher Auftraggeber über die Beschaffung von Lieferungen oder Leistungen oftmals Vertragsstrafenvereinbarungen. Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs gibt öffentlichen Auftraggebern Anlass, die Wirksamkeit ihrer AGB-Vertragsstrafenklauseln zu prüfen.
§ 307 Abs. 1 BGB
Leitsätze (nicht amtlich)
- Eine Vertragsstrafe für die Frist zur Vertragsvollendung, die auf insgesamt 5% der vereinbarten Netto-Auftragssumme begrenzt ist, beeinträchtigt bei einem Einheitspreisvertrag den Auftragnehmer als Vertragspartner des Verwenders nach § 307 Abs. 1 BGB entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen.
- Der Begriff „Auftragssumme“ kann grundsätzlich unterschiedliche Bedeutungen haben. Je nach den Gegebenheiten kann hierunter die nach der Abwicklung des Vertrags geschuldete Vergütung zu verstehen sein, aber auch der Wert der von den Parteien vor Ausführung des Auftrags vereinbarten Vergütung.
Sachverhalt
Nach vorangegangener Ausschreibung schließt der Auftraggeber mit dem Auftragnehmer einen Vertrag über die Erbringung von Leistungen zur Erschließung von 1.583 Haushalten mit Glasfaserkabeln. Dem Einheitspreisvertrag liegen Allgemeine Geschäftsbedingungen („Besondere Vertragsbedingungen“ – „BVB“) des Auftraggebers zugrunde. Die BVB sehen vor, dass der Auftragnehmer bei Überschreitung der vertraglichen Einzelfristen oder der Frist für die Vollendung als Vertragsstrafe für jeden Werktag des Verzugs 0,2 % „der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer“ zahlen muss. Die Vertragsstrafe ist auf insgesamt 5% „der im Auftragsschreiben genannten Auftragssumme ohne Umsatzsteuer“ begrenzt.
Das von dem Auftraggeber beauftragte Angebot des Auftragnehmers weist eine Angebotssumme von EUR 5.680.275,54 netto aus. Die Schlussrechnung des Auftragnehmers für die beauftragten Leistungen sowie für Nachträge beläuft sich auf insgesamt EUR 5.126.412 netto. Der Auftraggeber zahlt die Schlussrechnung mit Ausnahme eines als Vertragsstrafe einbehaltenen Betrags i.H.V. EUR 284.013,78. Daraufhin erhebt der Auftragnehmer Klage auf den restlichen Werklohn.
Die Entscheidung
Der BGH sieht die Werklohnforderung als berechtigt an. Die von der Beklagten verwendete Vertragstrafenklausel benachteilige die Klägerin unangemessen und sei daher gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam. Durch eine Vertragsstrafe von über 5% der Auftragssumme werde ein Auftragnehmer typischerweise unangemessen belastet. Bei dem Einheitspreisvertrag müsse die maßgebliche Bezugsgröße die tatsächlich an den Auftragnehmer zu zahlende Vergütung und nicht die bei ursprünglich vereinbarte Netto-Auftragssumme sein.
Nach dem eindeutigen Wortlaut sei mit dem in der Klausel verwendeten Begriff der „Auftragssumme“ die vor der Ausführung des Auftrags vereinbarte Netto-Auftragssumme gemeint. Die Klausel könne nicht dahingehend ausgelegt werden, dass mit der „Auftragssumme“ die nach Abwicklung des Vertrags geschuldete Vergütung gemeint gewesen sei.
Rechtliche Würdigung
Der BGH prüft das Vorliegen einer unangemessenen Benachteiligung des Auftragnehmers mit Blick auf die Funktion der Vertragsstrafe. Mit einer Vertragsstrafe solle Druck auf den Auftragnehmer ausgeübt werden, die Leistungen ordnungsgemäß zu erbringen. Zudem solle sich der Auftraggeber bei Verletzung der sanktionierten Vertragspflichten bis zur Höhe der Vertragsstrafe ohne Einzelnachweis schadlos halten können. Diese Druck- und Kompensationsfunktion müsse aber in einem angemessenen Verhältnis zum Werklohn des Auftragnehmers stehen. Bei einem Einheitspreisvertrag könnten unterschiedliche Gründe (z.B. Mindermengen) zu einer nachträglichen Absenkung des Auftragsvolumens führen. Eine Anknüpfung der Vertragsstrafe an die vor Auftragsausführung vereinbarte Netto-Auftragssumme könne dann dazu führen, dass die Vertragsstrafe die Grenze von 5% des Vergütungsanspruchs des Auftragnehmers unter Umständen erheblich übersteige.
Praxistipp
Die Entscheidung des BGH ist für öffentliche Auftraggeber von erheblicher Bedeutung. Bei öffentlichen Bauaufträgen ist der Einheitspreisvertrag die Regel (§ 4 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A). Pauschalverträge werden seltener ausgeschrieben. In der Vertragspraxis der öffentlichen Hand wird bei Vertragstrafen in Einheitspreisverträgen bisher als Bezugsgröße oftmals die Netto-Auftragssumme vereinbart. Solche Klauseln sind nach der Entscheidung des BGH jedenfalls dann unwirksam, wenn nicht durch Vorkehrungen (z.B. einen Vorbehalt) sichergestellt wird, dass die für die Vertragsstrafe nach der Rechtsprechung des BGH maßgeblichen Grenzen eingehalten werden. Öffentliche Auftraggeber sollten ihre Besonderen Vertragsbedingungen daher nicht nur im Baubereich auf Anpassungsbedarf prüfen. Bei der Formulierung der Vertragsstrafenklausel bei einem Einheitspreisvertrag wird dabei auch zu beachten sein, dass die Abrechnungssumme des Auftragnehmers nicht zwangsläufig der tatsächlichen geschuldeten Vergütungssumme entspricht. Denn oftmals nimmt die Auftraggeberseite Kürzungen in der Schlussrechnung des Auftragnehmers vor.
Um den Bogen zum Vergaberecht zu spannen: Der Umstand, dass ein Auftragnehmer im Vergabeverfahren die Unwirksamkeit einer Vertragsstrafenklausel nicht beanstandet hat, steht der Geltendmachung der Unwirksamkeit nicht entgegen. § 160 Abs. 3 GWB ist außerhalb eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens nicht analog anwendbar. Zwar hat das OLG Celle im Jahr 2018 (Urteil v. 18.1.2018 – 11 U 121/17) entschieden, dass ein Auftragnehmer sich in einem Vergütungsprozess nicht auf die Unwirksamkeit einer Vertragsklausel berufen könne, wenn er diese Frage zuvor nicht zum Gegenstand eines vergaberechtlichen Nachprüfungsverfahrens gemacht habe. Dabei berief sich das OLG Celle auf eine ältere Entscheidung des BGH aus dem Jahr 2016 (BGH, Urteil v. 19.4.2016– X ZR 77/14). Dort hatte sich ein Architekt an einem VOF-Verfahren beteiligt, in dem für die Bearbeitung der Angebotsunterlagen eine pauschale Vergütung als abschließende Zahlung vorgesehen war. Der BGH entschied, dass der Architekt sich nicht auf die Unangemessenheit der Vergütung i.S.d. § 20 Abs. 3 VOF berufen könne, wenn er keine Rüge erhoben und bei Nichtabhilfe kein Nachprüfungsverfahren durchgeführt habe. Die vorstehende Rechtsprechung des OLG Celle dürfte jedoch infolge neuerer Entscheidungen des BGH überholt sein. Denn der BGH hat mittlerweile mehrfach entschiedenen, dass es der Verpflichtung des Auftraggebers zur Erfüllung zivilrechtlicher Ansprüche nicht entgegensteht, wenn der zugrundeliegende Rechtsverstoß nicht zum Gegenstand eines Nachprüfungsverfahrens gemacht wurde (vgl. BGH, Urteil, v. 17.9.2019 – X ZR 124/18, Rn. 15; Urteil v. 18.6.2019 – X ZR 86/17, Rn. 28 ff.).
Dr. Tobias Schneider
Der Autor Dr. Tobias Schneider ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht im Berliner Büro der Kanzlei Dentons. Er berät Unternehmen und öffentliche Auftraggeber bei allen vergaberechtlichen Fragestellungen und vertritt deren Interessen in Vergabeverfahren und vor den Nachprüfungsinstanzen.
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