Der Zusammenschluss mehrerer Bieter zu einer Bietergemeinschaft ist überaus praxisrelevant, insbesondere in komplexen und/oder großvolumigen Vergabeverfahren, unterliegt jedoch wettbewerbsrechtlichen Grenzen. Der VGH Bayern hat kürzlich zu der Zulässigkeit horizontaler Bietergemeinschaften in einer Sonderkonstellation, der Vergabe von Rettungsdienstleistungen, entschieden, dass horizontale Bietergemeinschaften für einen Wettbewerbsverstoß sprechen.
BayGO Art. 49; BayRDG Art. 13; GWB § 1; VgV § 60
1. Bilden zwei Unternehmen, die beide hinreichend leistungsfähig sind und die mit Blick auf den Gegenstand der Ausschreibung in unmittelbarer Konkurrenz stehen, eine sog. horizontale Bietergemeinschaft, besteht die Vermutung einer unzulässigen wettbewerbsbeschränkenden Absprache, die von den beteiligten Unternehmen zu entkräften ist.
2. Dient die Beteiligung an einer Bietergemeinschaft lediglich dem Zweck, die Chancen auf einen Zuschlag zu steigern oder mit Hilfe der Bietergemeinschaft Synergiepotenziale oder -effekte zu realisieren, ist eine unzulässige wettbewerbsbeschränkende Absprache zu bejahen.
Der Antragsgegner (Auftraggeber) veröffentlichte im Amtsblatt der Europäischen Union ein Verfahren über die Stationierung und den Betrieb von Notarzt-Einsatzfahrzeugen (NEF) und Krankentransportwägen (KTW). Auf zwei der vier Lose reichten insgesamt drei Bieter ein Angebot ein, unter anderem auch die Antragstellerin und die Beigeladene, bei der es sich um eine Bietergemeinschaft handelt.
Der Antragsgegner teilte der Antragstellerin mit Vorabinformation über die Auswahlentscheidung vom 13.02.2024 mit, dass Sie jeweils nicht das wirtschaftlichste Angebot einreichte. Der Antragsgegner teilte zudem in der als Bescheid ergangenen Vorabinformation mit, dass er beabsichtigt, den Zuschlag auf das Angebot der beigeladenen Bietergemeinschaft zu erteilen. Der Bescheid enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung, die die Klage zum VG Regensburg vorsah.
Die Antragstellerin erhob gegen den Bescheid Verpflichtungsklage und beantragte, den Bescheid des Beklagten vom 13.02.2024 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin den Zuschlag (…) zu erteilen. Die Antragstellerin beanspruchte zugleich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes den Erlass einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, den Antragsgegner zu verpflichten, zu unterlassen, der (…) GbR (Bietergemeinschaft) oder einem anderen Dritten den Zuschlag in dem Auswahlverfahren zu (…) zu erteilen und es zu unterlassen, die interimsweise Beauftragung (…) auszuführen / zu vollziehen, ohne die Antragstellerin zu beteiligen.
Das VG Regensburg lehnte die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung als zulässig, aber unbegründet ab. Die Antragstellerin habe zwar einen Anordnungsgrund, nicht jedoch einen Anordnungsanspruch glaubhaft machen können.
Den Anordnungsgrund habe die Antragstellerin glaubhaft gemacht, da durch den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrages mit der Beigeladenen ein möglicher Vertragsabschluss mit der Antragstellerin vereitelt oder zumindest wesentlich erschwert werde, so das VG.
Dagegen entschied das VG, das die Antragstellerin keinen Anordnungsanspruch geltend gemacht habe, sodass es den Antragsgegner nicht zur vorläufigen Unterlassung der Zuschlagserteilung verpflichtete. Das Gericht erkannte keine Fehler im Auswahlverfahren, auf das sich die Antragstellerin berufen könnte und dass zu seiner Fehlerhaftigkeit führte. Insbesondere bestünde kein Verstoß gegen die Auswahlunterlagen und § 1 GWB, der zu einem Ausschluss des Angebots der Beigeladenen hätte führen müssen. Das VG stellte fest, dass keine Parallelbewerbung einer der beiden Organisationen vorlag, aus denen sich die Bietergemeinschaft der Beigeladenen zusammensetze. Zudem sei der Zusammenschluss der Bietergemeinschaft auch nicht deshalb als wettbewerbsbeschränkende Abrede unzulässig, weil jeder der Bietergemeinschaftsmitglieder den Auftrag allein ausführen könne.
Aus der in den Auswahlunterlagen zitierten Rechtsprechung ergebe sich, dass drei Fallgruppen bestünden, in denen keine kartellrechtlichen Bedenken gegen die Bildung von Bietergemeinschaften vorliegen, sodass diese wettbewerbsunschädlich seien. Dies sei unter anderem dann der Fall, wenn die beteiligten Unternehmen jedes für sich nicht an der Ausschreibung teilnehmen könnten, weil ihnen allein die Leistungsfähigkeit fehlt und sie erst durch den Zusammenschluss zu der Bietergemeinschaft erfolgreich an der Ausschreibung teilnehmen können. Ein anderer Fall liege vor, wenn die beteiligten Unternehmen jedes für sich leistungsfähig seien, ihre Kapazitäten aber aufgrund anderweitiger Bindung nicht verfügbar wären. Schließlich sei die Bietergemeinschaft zulässig, wenn die Bieter sich aufgrund einer wirtschaftlich zweckmäßigen und kaufmännisch vernünftigen Entscheidung zusammenschließen, um ein erfolgreiches Angebot abgeben zu können.
Der VGH hob den Beschluss des VG teilweise auf und entschied, dass die Beschwerde der Antragstellerin nicht nur zulässig, sondern auch zum weit überwiegenden Teil begründet sei. Die Auswahlentscheidung des Antragsgegners sei auf eine neue Grundlage zu stellen.
Aus Sicht des VGH bestehen Bedenken an der Rechtmäßigkeit der Auswahlentscheidung zugunsten der Bietergemeinschaft aufgrund eines möglichen Kartellverstoßes nach § 1 GWB. Der Zusammenschluss zweier Bieter könne auch in einem verwaltungsrechtlichen Vergabeverfahren wie bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen eine unzulässige Wettbewerbsbeschränkung darstellen. Der Antragsgegner habe diese Rechtsprechung zwar in seinen Auswalkriterien rezipiert, aber die Tatbestandsvoraussetzungen für das Eingreifen der Ausnahmetatbestände für die Zulässigkeit der Bildung einer Bietergemeinschaft nicht abgefragt.
Die erste Fallgruppe der wettbewerbsrechtlich zulässigen Bildung von Bietergemeinschaften betreffe den Fall, wenn jedes der beteiligten Unternehmen aufgrund der betrieblichen und geschäftlichen Verhältnisse zur Abgabe eines eigenständigen Angebots nicht in der Lage wäre, die Bildung der Bietergemeinschaft aber die Abgabe eines erfolgsversprechenden Angebotes ermöglicht (vgl. OLG Schleswig, Beschluss vom 15.04.2014 1 Verg 4/13). Diese Fallgruppe sei nicht einschlägig, da es sich bei den beteiligten Unternehmen um bundesweit im Rettungswesen tätige Organisationen handele, die eigenständig ein Angebot abgeben können.
Die Voraussetzungen der anderen beiden Fallgruppen einer wettbewerbsrechtlich zulässigen Bildung einer Bietergemeinschaft zwischen zwei leistungsfähigen Unternehmen, die jedes für sich hinreichend leistungsfähig sind, lägen ebenfalls nicht vor.
Der Antragsgegner habe weder abgefragt, ob die Bietergemeinschaftsmitglieder 1. derzeit anderweitig gebunden seien und daher ihre vorhandenen Kapazitäten nicht einsetzen können oder ob es 2. eine wirtschaftlich zweckmäßige und kaufmännisch vernünftige Entscheidung sei, die erst ein erfolgsversprechendes Angebot ermöglicht habe.
Dann hätte die Bietergemeinschaft die objektiven Umstände sowie die kaufmännischen und die Zweckmäßigkeitsüberlegungen, die zur Gründung der Bietergemeinschaft geführt haben, darlegen müssen (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 08.07.2016 13 Verg 2/16). Das VG habe dies auch nicht aufgeklärt, sondern lediglich auf die vom Antragsgegner durchgeführte Prüfung verwiesen und die Zulässigkeit der Bildung der Bietergemeinschaft bejaht. Diese Prüfung müsse das VG wiederholen und dabei die Vermutung beachten, dass ein Verstoß nach § 1 GWB besteht, wenn zwei Unternehmen, die hinreichend leistungsfähig und im Hinblick auf den Auftragsgegenstand Konkurrenten sind, eine Bietergemeinschaft bilden. Diese Vermutung müssen die an der Bietergemeinschaft beteiligten Unternehmen entkräften. Verfolge die Beteiligung an einer Bietergemeinschaft lediglich den Zweck, die Chancen auf den Zuschlag zu steigern oder Synergiepotenziale oder -effekte zu realisieren, liege eine unzulässige wettbewerbsbeschränkende Absprache vor (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 08.07.2016 13 Verg 2/16).
Die Entscheidung des VGH Bayern ist konsequent und richtig.
Die (vergaberechtliche) Rechtsprechung hat über Jahre Fallgruppen herausgearbeitet, wonach mehrere Unternehmen wettbewerbsrechtlich zulässig Bietergemeinschaften bilden dürfen. Sollte keine der Fallgruppen einschlägig sind, liegt eine wettbewerbsbeschränkende Absprache vor.
Die Fallgruppen sind auch auf verwaltungsrechtliche Vergabeverfahren wie die Vergabe von Rettungsdienstleistungen anwendbar. Der Auftraggeber hätte vor seiner Zuschlagsentscheidung die Umstände und Gründe für die Bildung der Bietergemeinschaft näher prüfen und dokumentieren müssen.
Auftraggeber müssen anhand der Umstände des Einzelfalls vor der Zuschlagsentscheidung prüfen, ob die Bildung der Bietergemeinschaft zulässig war. Die Rechtsprechung hat hierzu die dargestellten Fallgruppen entwickelt.
Auftraggeber sollten bereits mit den bereitgestellten Vergabeunterlagen abfragen, welche Umstände der Bildung der Bietergemeinschaft zugrunde liegen. Ergeben sich nicht ausreichend Informationen aus dem Angebot des Bieters, müssen Auftraggeber die Umstände aufklären und den Verlauf und das Ergebnis ihrer Prüfung ausreichend dokumentieren.
Bieter dürfen die Umstände und die Motivation für die Bildung der Bietergemeinschaft im Regelfall auch bereits transparent in ihrem Angebot darstellen.
Wieder zeigt sich: Wer schreibt, der bleibt.
Reinhard Böhle, LL.M. ist Fachanwalt für Vergaberecht und Partner von WR Legal. Herr Böhle ist auf die Konzeption und Begleitung komplexer wettbewerblicher Verfahren und förmlicher Vergabeverfahren für öffentliche Auftraggeber spezialisiert. Er berät Auftraggeber auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene. Darüber hinaus vertritt er private Unternehmen insbesondere in Nachprüfungsverfahren. Herr Böhle wurde von mehreren Fachzeitschriften für das Gebiet Public Law empfohlen.
Wichtige Ergänzung: Das Auswahlverfahren fand unter der Ägide der Bereichsausnahme Gefahrenabwehr/Rettungsdienst (§ 107 Abs. 1 Nr. 4 GWB) statt. Nur deswegen war das VG zuständig.
Unklar ist, ob in solchen Auswahlverfahren nach „Verwaltungsvergaberecht“ ebenfalls Wertungen aus dem GWB wirklich 1:1 übernommen werden können/sollen/müssen.
In der Sache wurde vermutlich vom Auftraggeber (ZRF) und VG unzureichend geklärt, ob der pauschale und weitreichende Verdacht einer „Wettbewerbsbeschränkung“ wirklich valide ist. Gerade im Rettungsdienst sind lokal/regional Kooperationen möglich und notwendig (oft historisch gewachsen), bei welchen durch Verbindung der Personalpools zweier Bewerber eine Leistung erst sinnvoll möglich wird. Intelligenterweise sollten Bewerbergemeinschaften die technisch-organisatorische Erklärung und Rechtfertigung schon im Verfahren (z.B. mit Angebotsabgabe) dokumentieren, um den Vorwurf schon von vornherein zu entkräften. Dies ist wohl nicht hinreichend geschehen, was wiederum die Entscheidung des VGH erklärt. Insofern ist die Bewertung richtig: „Wer schreibt, der bleibt.“ 😉