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Zitierangaben: Vergabeblog.de vom 01/04/2025 Nr. 70540

Wie du mir, so ich dir: Ausschluss von Bietern aus Drittstaaten wie China

EuGH, Urt. v. 13.3.2025 – C-266/22 – CRRC Qingdao Sifang

Entscheidung-EUDer Markt für öffentliche Aufträge in der EU gehört zu den größten und zugänglichsten weltweit. Unternehmen aus Drittstaaten, die kein Freihandelsabkommen mit der EU im Bereich des öffentlichen Auftragswesens geschlossen haben, können sich jedoch nicht auf das Prinzip der Gleichbehandlung berufen. Dies entschied die Große Kammer des EuGH im wegweisenden Kolin-Urteil (Rs. C-652/22) im Jahr 2024. Die Luxemburger Richter bestätigten nun ihre Rechtsansicht, die den Binnenmarkt schützt.

Art. 25 RL 2014/24/EU; § 97 Abs. 2 GWB

Leitsatz

Der öffentliche Auftraggeber hat die Entscheidungskompetenz, ob Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das keine internationale Übereinkunft mit der EU gemäß Art. 25 RL 2014/24/EU über den gleichen und wechselseitigen Zugang zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, zu einem Vergabeverfahren zugelassen werden. Falls dies bejaht wird, liegt es ebenfalls in seiner Verantwortung, ob er eine Bewertungsanpassung bei den Angeboten dieser Wirtschaftsteilnehmer im Vergleich zu denen anderer Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere aus der EU, vorsieht.

Sachverhalt

Im Jahr 2020 schrieb die rumänische Eisenbahnbehörde im offenen Verfahren die europaweite Beschaffung von Triebwagenzügen sowie deren Wartung und Reparatur aus. Das Angebot einer rumänisch-chinesischen Bietergemeinschaft, angeführt von der CRRC Qingdao Sifang Co. Ltd., einem Hersteller von Schienenfahrzeugen mit Sitz in Qingdao, China, wurde 2021 ausgeschlossen. Der Ausschluss wurde damit begründet, dass in China ansässige Unternehmen nicht unter den im rumänischen Vergaberecht zur Umsetzung von Art. 25 RL 2014/24/EU definierten Begriff des Wirtschaftsteilnehmers fallen. Nach rumänischem Recht zählen dazu nur die Mitgliedstaaten der EU und deren Beitrittskandidaten, die Mitgliedsländer des EWR sowie Drittstaaten, die das GPA oder andere internationale Beschaffungsübereinkommen mit der EU abgeschlossen haben.

Die Entscheidung

Der Gerichtshof stellt einleitend fest, dass seine Entscheidungsgründe sowohl für klassische Vergabeverfahren gemäß der RL 2014/24/EU als auch für solche nach der Sektoren-RL 2014/25/EU gelten. Denn Art. 25 RL 2014/24/EU hat einen dem Wortlaut von Art. 43 RL 2014/25/EU entsprechenden Wortlaut (Rdnr. 54 f.). Vorliegend könnte die Sektoren-RL durchaus anwendbar sein, da die Beschaffung von Triebwagenzügen für den Schienenverkehr sowie Wartungs- und Reparaturdienstleistungen betroffen ist.

Art. 25 RL 2014/24/EU und Art. 43 RL 2014/25/EU spiegeln die internationalen Verpflichtungen der EU wider. Demnach dürfen Auftraggeber in der EU, sofern sie durch das GPA oder andere für die EU rechtsverbindliche internationale Übereinkommen erfasst sind, keine ungünstigeren Bedingungen auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern anwenden, die ein solches Übereinkommen unterzeichnet haben, als auf Wirtschaftsteilnehmer aus der EU. Andere Drittländer, wie China (Rdnr. 57) und die Türkei (EuGH, Urt. v. 22.10.2024 C-652/22 Kolin, Rdnr. 48), haben bislang keine solche internationale Übereinkunft mit der EU geschlossen.

Der Umstand, dass bei einem offenen Verfahren jeder interessierte Wirtschaftsteilnehmer (Art. 27 Abs. 1 UA 1 RL 2014/24/EU; § 119 Abs. 3 GWB, § 15 Abs. 1 Satz 2 VgV) berechtigt ist, ein Angebot abzugeben, schließt Unternehmen aus Drittländern, die keine Beschaffungsübereinkommen mit der EU abgeschlossen haben, nicht ein. Solche Wirtschaftsteilnehmer können entweder von diesen Vergabeverfahren ausgeschlossen oder dazu zugelassen werden. Sie können sich jedoch nicht auf die RL 2014/24/EU berufen, insbesondere auf die Vergabegrundsätze des Art. 18 RL 2014/24/EU, und deshalb keine Gleichbehandlung ihres Angebots mit den Angeboten fordern, die Bieter aus der EU und Bieter aus abkommensgebundenen Drittländern gemäß Art. 25 RL 2014/24/EU abgegeben haben (Rdnr. 59).

Dementsprechend ist nach Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV ausschließlich die EU und nicht ihre Mitgliedstaaten dafür zuständig, Rechtsakte mit allgemeiner Geltung zu erlassen, welche die Ausschluss- oder Zugangsmodalitäten von Wirtschaftsteilnehmern aus Drittländern regeln, die keine Übereinkunft mit der EU über den gleichen und wechselseitigen Zugang zu öffentlichen Aufträgen geschlossen haben. Die Mitgliedstaaten der EU sind bislang weder dazu ermächtigt, selbst gesetzgeberisch tätig zu werden, noch können sie mangels entsprechender verbindlicher Rechtsakte der EU solche durchführen (Rdnr. 61 f.).

Aus diesen Gründen obliegt es der Beurteilung des öffentlichen Auftraggebers, ob Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das keine internationale Übereinkunft mit der EU über den gleichen und wechselseitigen Zugang zu öffentlichen Aufträgen geschlossen hat, zu einem Vergabeverfahren zugelassen werden. Falls dies bejaht wird, liegt es ebenfalls in seiner Verantwortung, gegebenenfalls eine Bewertungsanpassung bei den Angeboten dieser Wirtschaftsteilnehmer im Vergleich zu denen anderer Wirtschaftsteilnehmer vorzusehen (Rdnr. 63).

Da es im vorliegenden Fall keine unionsrechtliche Bestimmung gab, die vorschreibt, dass Wirtschaftsteilnehmer aus einem Drittland, das mit der EU kein Beschaffungsübereinkommen geschlossen hat, zu Vergabeverfahren zugelassen oder davon ausgeschlossen werden müssen, durften die rumänischen Rechtsvorschriften, die den öffentlichen Auftraggeber verpflichten, diese Wirtschaftsteilnehmer auszuschließen, nicht angewandt werden. Es lag allein in der Verantwortung des öffentlichen Auftraggebers zu entscheiden, ob die Bietergemeinschaft zuzulassen oder auszuschließen war. Dabei steht es dem öffentlichen Auftraggeber frei, in den Vergabeunterlagen Behandlungsmodalitäten aufzuführen, die den objektiven Unterschied zwischen der Rechtsstellung dieser Wirtschaftsteilnehmer und der Rechtsstellung der Wirtschaftsteilnehmer aus der EU sowie aus Drittländern, die eine Übereinkunft gemäß Art. 25 RL 2014/24/EU geschlossen haben, widerspiegeln sollen. Zwar ist es denkbar, dass diese Behandlungsmodalitäten bestimmten Grundsätzen und Anforderungen, wie den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes, entsprechen müssen, doch kann ein Rechtsbehelf, der rügt, dass der öffentliche Auftraggeber solche Grundsätze nicht beachtet habe, nur anhand des nationalen Rechts und nicht anhand des EU-Vergaberechts geprüft werden (Rdnr. 64 ff.).

Rechtliche Würdigung

Das Urteil des EuGH überrascht nicht. Die Große Kammer setzte schon im Kolin-Urteil wichtige Wegmarken. Eine Kehrwende war in einfacher Kammerbesetzung daher nicht mehr zu erwarten: Zwei der drei Richter/-innen hatten bereits im Kolin-Fall mitentschieden. Leider verpasste die Kammer aber die Chance, offene Fragen zu klären.

Die Luxemburger Richter lassen jedoch erahnen, dass ein Mitglied aus einem abkommensfreien Drittstaat die ganze Bietergemeinschaft anstecken kann. Dies gilt unabhängig vom Sitz der Bietergemeinschaft. Die Bietergemeinschaft kann die Ansteckung nicht durch Ersetzung des betroffenen Mitglieds entsprechend Art. 63 Abs. 1 UA 2 Satz 2 RL 2014/24/EU (bzw. § 47 Abs. 2 Satz 3 VgV) oder aufgrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen gemäß Art. 18 Abs. 1 UA 1 RL 2014/24/EU (bzw. § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB) abwenden. Art. 3 Abs. 2 UA 1 der IPI-Verordnung (vgl. VO (EU) 2022/1031 v. 23.6.2022) regelt ebenfalls eine solche Ansteckung dem Grundsatz nach. Ob der EuGH jedoch Ausnahmen – ähnlich wie in Art. 3 Abs. 2 UA 2 der IPI-Verordnung geregelt – zulassen würde, bleibt offen. Es ist auch ungeklärt, welche Grenzen für den Einsatz von Unterauftragnehmern und anderen Eignungsverleihern aus abkommensfreien Drittländern durch EU-Bieter gelten: Wenn eine Stroh- oder Briefkastenfirma in der EU bspw. alle Leistungen an ein Unternehmen in einem abkommensfreien Drittland unterbeauftragt, könnte dies eine Umgehung von Art. 25 RL 2014/24/EU darstellen.

Der EuGH folgert zu Recht, dass Unternehmen aus Drittstaaten, die keine plurilateralen (z.B. GPA) oder bilateralen Freihandelsabkommen (z.B. CETA, vgl. ABl. 2017 L 11, 23) mit der EU abgeschlossen haben, kein Recht auf Gleichbehandlung nach dem europäischen Vergaberecht geltend machen können. Andernfalls bestünde für solche Drittländer kein Anreiz, solchen Freihandelsabkommen beizutreten oder abzuschließen, um ihrerseits die Beschaffungsmärkte zu öffnen. Dahinter steht die Absicht der EU, dem ordnungspolitischen Gedanken der Gegenseitigkeit auch im öffentlichen Auftragswesen wirksam Geltung zu verschaffen (vgl. auch Erw.grd. 17 und 98 der RL 2014/24/EU).

Diese Strategie der Gegenseitigkeit zielt darauf ab, den Zugang von Unternehmen aus der EU zu Vergabeverfahren in Drittländern im Gegenzug zu einem Zugang von Unternehmen dieser Länder zu Vergabeverfahren in der EU auszuhandeln (GA Rantos, Schlussanträge v. 11.5.2023 – C-266/22 CRRC Qingdao Sifang, Rdnr. 73). Dies verdeutlichte zuletzt auch der sogenannte Draghi-Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU vom 30.9.2024 (The Draghi report on EU competitiveness). Danach sollte das öffentliche Auftragswesen dazu genutzt werden, um die europäische Wettbewerbsfähigkeit zu fördern.

Dementsprechend ist es nach Art. 207 AEUV folgerichtig, dass allein die EU dazu berufen ist, allgemeine Regeln über den Zugang von Unternehmen aus Drittstaaten zu EU-Vergabeverfahren zu schaffen, die keine bilateralen oder plurilateralen Beschaffungsabkommen zwecks eines gegenseitigen, gleichen Zugangs zu den jeweiligen öffentlichen Beschaffungsmärkten abgeschlossen haben. Solange und soweit solche allgemeinen Vorschriften von der EU nicht erlassen werden, dürfen die öffentlichen Auftraggeber in eigener Verantwortung nach eigenem Ermessen entscheiden, ob sie solche Unternehmen aus Drittländern zu ihren Vergabeverfahren zulassen oder nicht.

Diese Entscheidungsverlagerung auf die individuelle Ebene der öffentlichen Auftraggeber wird zwar teilweise kritisiert, weil allein die EU den Zugang von Drittstaaten allgemein regeln darf und nicht die einzelnen Unionsstaaten und deren nationalen Stellen. Allerdings ist die einzelfallorientierte Vergabeentscheidung eines öffentlichen Auftraggebers, ein Drittstaatunternehmen zu einem bestimmten Vergabeverfahren zuzulassen oder nicht, kein allgemeingültiger Rechtsakt im Sinne des Art. 3 Abs. 1 Buchst. e AEUV, der in die ausschließliche Zuständigkeit der EU fällt.

Dem dürften auch die IPI-Verordnung und die FSR-Verordnung (vgl. VO (EU) 2022/2560 v. 14.12.2022) nicht grundsätzlich entgegenstehen. Zwar musste der EuGH zur IPI-Verordnung keine näheren Aussagen treffen, da sie aus zeitlichen Gründen nicht anwendbar war. Allerdings beruhen beide Verordnungen darauf, dass das EU-Vergaberecht keinen zwingenden Ausschluss von Unternehmen aus Drittländern statuiert, und ermöglichen der EU-Kommission nur in besonderen Fällen, aber nicht allgemein, Maßnahmen zu ergreifen, um den Zugang zu den EU-Beschaffungsmärkten für Drittstaaten zu beschränken oder zu verbieten.

Ähnliches dürfte für die Verordnung zum Schutz der EU und ihrer Mitgliedstaaten vor wirtschaftlichem Zwang durch Nicht-EU-Länder (vgl. VO (EU) 2023/2675) gelten, nach der die EU-Kommission den Ausschluss von Waren, Dienstleistungen oder Lieferanten von der öffentlichen Auftragsvergabe oder eine Bewertungsanpassung bei Angeboten von Waren oder Dienstleistungen als Reaktionsmaßnahme vorsehen kann. Solange und soweit die EU-Kommission daher keine Maßnahmen aufgrund der vorgenannten Verordnungen ergreift, dürften die Auftraggeber für die Zulassung, den Ausschluss und die Bewertungsanpassung von Wirtschaftsteilnehmern aus abkommensfreien Drittstaaten entscheidungszuständig sein.

Für die Beschaffungspraxis und Rechtsanwendung wäre insoweit eine legislative oder judikative Klarstellung wünschenswert. Interimsmäßig könnte auch eine Aktualisierung der Leitlinien zur Teilnahme von Bietern und Waren aus Drittländern am EU-Beschaffungsmarkt der EU-Kommission vom 13.8.2019 (ABl. C 271/43) hilfreich sein.

In Deutschland wurde der öffentliche Auftragsmarkt für ausländische Bieter bereits mit dem sogenannten Drei-Minister-Erlass vom 29.4.1960 (BWMBl. 1960, 269) geöffnet. Später wurde der EU-Grundsatz der Nichtdiskriminierung, verankert in § 97 Abs. 2 GWB, dahingehend interpretiert, dass er den Marktzugang nicht nur für inländische Bieter und Bieter aus EU-Mitgliedstaaten, sondern auch für Bieter aus Drittstaaten öffnet.

Neben den ordnungspolitischen Aspekten des Zugangs von Bietern aus abkommensfreien Drittländern unterliegen solche Unternehmen häufig nicht denselben Umwelt-, Sozial- oder Arbeitsstandards wie in der EU ansässige Firmen. Zudem gelten für sie oft weniger strenge Vorschriften bezüglich staatlicher Beihilfen, was europäische Bieter benachteiligen kann. Daher müssen die Vergabevorschriften so angewandt werden, dass für Bieter aus der EU und aus Drittstaaten gleiche Standards und Anforderungen gelten.

Art. 25 RL 2014/24/EU unterstützt dieses Ziel. Nur Unternehmen aus Drittländern, mit denen die EU verbindliche internationale Übereinkommen oder bilaterale Freihandelsabkommen geschlossen hat, die sich auf öffentliche Aufträge erstrecken, genießen einen privilegierten Zugang zu EU-Vergabeverfahren. Unternehmen aus abkommensfreien Drittstaaten können hingegen keinen privilegierten Zugang zu EU-Vergabeverfahren beanspruchen. Jede andere Auslegung würde die Unterscheidung zwischen Unterzeichnerstaaten und Nicht-Unterzeichnerstaaten bedeutungslos machen (GA Rantos, Schlussanträge v. 11.5.2023 – C-266/22 – CRRC Qingdao Sifang, Rdnr. 65).

Diese Rechtsauslegung ist auch primärrechtlich nicht zu beanstanden. Denn die für den Erlass der RL 2014/24/EU entscheidende Dienstleistungsfreiheit (Art. 62 AEUV) und das Niederlassungsrecht (Art. 53 Abs. 1 AEUV) gelten nach ständiger EuGH-Rechtsprechung (Urt. v. 3.10.2006, C-452/04 Fidium Finanz, Rdnr. 25 und 50; Urt. v. 1.4.2014, C-80/12 Felixstowe Dock and Railway Company u.a., Rdnr. 39) nicht für Dienstleistungen und Gesellschaften aus Drittländern. Daher ist die RL 2014/24/EU – außer in der Ausnahme des Art. 25 – auch aus systematischen Gründen auf Wirtschaftsteilnehmer aus Drittländern nicht anwendbar (GA Rantos, Schlussanträge v. 11.5.2023 – C-266/22 CRRC Qingdao Sifang, Rdnr. 69).

Außerdem machen Art. 19 Abs. 1 UA 1 (des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen sind) und Art. 58 Abs. 2 UA 1 RL 2014/24/EU (ihres Niederlassungsmitgliedstaats) klar, dass die Wirtschaftsteilnehmer im Sinne der RL 2014/24/EU in einem EU-Mitgliedstaat niedergelassen sein müssen (GA Rantos, Schlussanträge v. 11.5.2023 – C-266/22 CRRC Qingdao Sifang, Rdnr. 69 f.).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Unternehmen aus Drittstaaten ohne GPA oder andere relevante Übereinkommen mit der EU keinen Anspruch auf Zugang zum EU-Beschaffungsmarkt haben. Selbst wenn sie zugelassen werden, können sie sich nicht auf den EU-Grundsatz der Gleichbehandlung berufen. Öffentliche Auftraggeber dürfen diese Bieter ausschließen. Sie entscheiden über die Zulassung und können die Bewertung der Angebote dieser Bieter anpassen.

Praxistipp

Unternehmen aus abkommensfreien Drittstaaten können sich nur darauf berufen, dass ihre Behandlung bestimmten nationalen Anforderungen wie der aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Verhältnismäßigkeit entsprechen muss. Der EuGH hat entschieden, dass ein Rechtsbehelf solcher Unternehmen nicht anhand des EU-Vergaberechts (Urt. v. 13.3.2025, C-266/22 CRRC Qingdao Sifang, Rdnr. 46), sondern nur des nationalen Rechts (Urt. v. 22.10.2024, C-652/22 Kolin, Rdnr. 65 und 66) geprüft werden kann. Da das GWB-Vergaberecht der Umsetzung der RL 2014/24/EU dient, können sich Unternehmen aus Drittstaaten nicht auf die vergaberechtlichen Bestimmungen und Grundsätze berufen und somit keinen Rechtsschutz vor den Vergabekammern und -senaten geltend machen.

Welches nationale Recht für solche Rechtsbehelfe einschlägig ist, lassen die Luxemburger Richter zwar offen. Aber es ist naheliegend, dass die zivile Gerichtsbarkeit zuständig ist. Hier könnten bspw. schuldhafte Pflichtverletzungen im Vorfeld eines Vertragsabschlusses gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 und 311 Abs. 2 BGB geltend gemacht werden.

Daher und auch im Hinblick auf die Teilnahmechancen von durch den Transparenzgrundsatz nach § 97 Abs. 1 GWB geschützten EU-Wirtschaftsteilnehmern erscheint es für öffentliche Auftraggeber sinnvoll, bereits in der Auftragsbekanntmachung oder in den Vergabeunterlagen festzulegen, dass Unternehmen aus Drittstaaten, die weder das GPA unterzeichnet noch ein anderes relevantes Beschaffungsübereinkommen mit der EU geschlossen haben, zum Vergabeverfahren zugelassen werden. Zugleich sollte darauf hingewiesen werden, dass sich der öffentliche Auftraggeber deren späteren Ausschluss vom Vergabeverfahren oder eine Bewertungsanpassung des Angebots im Vergleich zu den übrigen Bietern vorbehält.

Ein standardmäßiger Ausschluss von Anbietern aus abkommensfreien Drittstaaten (so wohl Bovis, EPPL 2024, 229 (231)) wäre problematisch, wenn am Vergabeverfahren kein Wirtschaftsteilnehmer aus der EU oder einem abkommensgebundenen Drittland teilnehmen würde und der Auftraggeber den Bedarf deshalb nicht decken könnte.

Es erscheint daher unvermeidlich, dass öffentliche Auftraggeber nach der Abgabe von Teilnahmeanträgen und Angeboten prüfen sollten, ob Unternehmen aus Nicht-EU-Staaten ein Recht auf Teilnahme am Vergabeverfahren haben. Hierzu bietet das von der EU-Kommission bereitgestellte Online-Tool Access2Market (https://trade.ec.europa.eu/access-to-markets/de/home) wertvolle Hilfe. Dieses Werkzeug gibt einen Überblick über die Staaten, deren Unternehmen zur Teilnahme am konkreten Vergabeverfahren berechtigt sind.

Stellt sich heraus, dass die EU mit dem entsprechenden Drittstaat kein einschlägiges Übereinkommen im Bereich des öffentlichen Auftragswesens geschlossen hat oder der Anwendungsbereich eines solchen Abkommens nicht eröffnet ist, kann der öffentliche Auftraggeber das Unternehmen aus dem Drittstaat zum Vergabeverfahren zulassen oder ausschließen und gegebenenfalls bei der Angebotswertung unterschiedlich behandeln. Besteht hingegen ein entsprechendes Übereinkommen, genießt das Unternehmen die gleiche Rechtsstellung wie ein EU-Unternehmen.

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Holger Schröder

Rechtsanwalt und Fachanwalt für Vergaberecht Holger Schröder verantwortet als Partner bei Rödl & Partner in Nürnberg den Bereich der vergaberechtlichen Beratung. Er betreut seit vielen Jahren zahlreiche Verfahren öffentlicher Auftraggeber, Sektorenauftraggeber und Konzessionsgeber zur Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen von der Bekanntmachung bis zur Zuschlagserteilung. Er ist Autor zahlreicher Fachveröffentlichungen und und referiert regelmäßig zu vergaberechtlichen Themen. Herr Schröder ist Lehrbeauftragter für Vergaberecht an der Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen und ständiges Mitglied im gemeinsamen Prüfungsausschuss „Fachanwalt für Vergaberecht“ der Rechtsanwaltskammern Nürnberg und Bamberg.

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