Die Zuschlagsentscheidung in einem Vergabeverfahren obliegt ausschließlich dem öffentlichen Auftraggeber. Zwar darf dieser externen Sachverstand einholen, die eigentliche Entscheidung über den Zuschlag aber nicht vollständig an Dritte abgeben. Die VK Nordbayern hat entschieden, dass ein Zuschlag unwirksam ist, wenn wesentliche Schritte der Angebotswertung einer externen Fachkommission übertragen werden.
Sachverhalt
Ein öffentlicher Auftraggeber schrieb europaweit die Lieferung von Stühlen zur Reihenbestuhlung aus. Die Vergabeunterlagen sahen eine Zuschlagswertung vor, die zu 50% auf den Preis und zu 50% auf qualitative Kriterien gestützt war. Die qualitative Bewertung sollte durch eine sogenannte Fachkommission erfolgen, die sich aus Vertretern des Bauherrn, der Nutzer sowie der Planungsbeteiligten zusammensetzte. Die Kommission wertete die Angebote anhand einer durch einen externen Dienstleister erstellten Matrix.
Im Anschluss an die Wertung erteilte der Auftraggeber den Zuschlag an die spätere Beigeladene. Die unterlegene Antragstellerin rügte unter anderem eine nachträgliche Musteranforderung, die fehlerhafte Vorabinformation nach §134 GWB sowie die Zuschlagserteilung vor Ablauf der Wartefrist. Sie stellte einen Nachprüfungsantrag bei der VK Nordbayern.
Die Entscheidung
Die Vergabekammer Nordbayern gab dem Nachprüfungsantrag statt und erklärte den bereits erteilten Zuschlag für unwirksam. Ausschlaggebend war insbesondere, dass der Auftraggeber sowohl gegen die Informations- als auch gegen die Wartepflicht gemäß §134 GWB verstoßen hatte. Darüber hinaus griff die Vergabekammer von Amts wegen weitere Verstöße gegen das Vergaberecht auf.
Nach Auffassung der Vergabekammer verstieß die Gestaltung der Wertungsmatrix gegen das Transparenzgebot. Die von einem externen Dienstleister erstellte Matrix sei inhaltlich widersprüchlich und methodisch ungeeignet gewesen, um die vorgegebene Gewichtung zwischen Preis und Qualität sachgerecht abzubilden. Obwohl die Vergabeunterlagen eine gleichgewichtige Berücksichtigung beider Zuschlagskriterien zu jeweils 50% vorgesehen hätten, habe die angewandte Bewertungsformel faktisch zu einer unausgewogenen Gewichtung geführt und das Verhältnis zwischen Preis- und Qualitätsanteil verzerrt.
Unzulässig war nach Ansicht der Kammer auch die Ausgestaltung der Punktevergabe im Rahmen der qualitativen Bewertung. Die Wertungsmatrix sah vor, dass Angebote bereits dann mit einem Punkt bewertet werden, wenn sie bestimmte Anforderungen erfüllten, die nach Auffassung der Vergabekammer aus Sicht eines verständigen und fachkundigen potenziellen Bieters als Mindestanforderungen zu qualifizieren sind. Angebote, die diese Anforderungen nicht erfüllten, sollten hingegen mit null Punkten bewertet werden. Die Vergabekammer entschied, dass dies vergaberechtlich nicht zulässig sei, da Mindestanforderungen nicht Teil der Angebotsbewertung sein könnten. Vielmehr stellten diese eine zwingende Voraussetzung für die Zulassung eines Angebots dar. Würde eine solche Anforderung nicht erfüllt, sei das betreffende Angebot vom Verfahren auszuschließen. Eine bloße Abwertung auf null Punkte genüge in diesen Fällen nicht und unterlaufe die intendierte Ausschlusswirkung von Mindestanforderungen.
Die Vergabekammer kritisierte darüber hinaus, dass der öffentliche Auftraggeber zentrale und maßgebliche Schritte der Angebotswertung vollständig an eine externe Fachkommission delegiert habe. Eine eigenständige und abschließende Zuschlagsentscheidung durch den Auftraggeber selbst sei weder dokumentiert noch nachvollziehbar gewesen.
Aufgrund der Schwere dieser Verstöße kam es auf weitere gerügte Fehler betreffend die Angebotswertung nicht mehr an.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidung der VK Nordbayern verdeutlicht: Die Zuschlagsentscheidung liegt in der Verantwortung des öffentlichen Auftraggebers.
Die VK Nordbayern liegt damit auf einer Linie mit dem OLG Frankfurt das entschieden hat, dass die Auswahlentscheidung nicht vollständig an private Dritte delegiert werden darf und vom öffentlichen Auftraggeber eigenständig zu treffen ist (OLG Frankfurt, Beschl. v. 17.02.2022 11 Verg 8/21).
Dies bedeutet allerdings nicht, dass Auftraggeber bei der Angebotsbewertung vollständig auf externe Unterstützung verzichten müssten. Entscheidend ist jedoch, wie intensiv sich der Auftraggeber selbst mit diesen extern erarbeiteten Bewertungen auseinandersetzt. Die Grenze des Zulässigen ist jedenfalls dann überschritten, wenn der Auftraggeber die Ergebnisse externer Berater lediglich passiv entgegennimmt und ohne eigene Prüfung übernimmt. Vergaberechtlich zulässig kann eine externe Bewertung aber dann sein, wenn sich der Auftraggeber die Ergebnisse des externen Beraters nachvollziehbar zu eigen macht und diese Prüfung entsprechend dokumentiert. Dafür genügt unter Umständen bereits ein kurzer, aber inhaltlich nachvollziehbarer Vermerk des Auftraggebers, aus dem sich ergibt, dass die Wertungsentscheidung von ihm selbst getragen wird (VK Bund, Beschl. v. 07.12.2022 VK 1-95/22).
Auch die VK Niedersachsen hat in einem aktuellen Beschluss betont, dass die Zuschlagsentscheidung originär vom öffentlichen Auftraggeber zu treffen ist, es diesem aber freistehe, sachkundige Hilfe in Anspruch zu nehmen. Dabei erkennt sie ausdrücklich das Bedürfnis der Bieter als berechtigt an, dass die Angebotsbewertung durch sachkundiges Personal erfolgt. Eine bestimmte formale Qualifikation, wie ein bestimmter Studienabschluss, ist dabei nach Auffassung der Kammer nicht zwingend erforderlich. Entscheidend sei vielmehr die praktische Erfahrung und Nähe zum Bedarf, wie sie auch durch die Mitarbeit im betreffenden Fachbereich erlangt werden könne (VK Niedersachsen, Beschl. v. 28.11.2024 VgK-25/2024).
Eine Delegation an Gremien oder Dritte, die weder über eine besondere Sachkunde noch über einen unmittelbaren Bezug zum konkreten Leistungsbedarf verfügen, dürfte vor diesem Hintergrund ebenfalls unzulässig sein.
Praxistipp
Öffentliche Auftraggeber sollten bei der Gestaltung und Durchführung von Vergabeverfahren stets sicherstellen, dass die Zuschlagsentscheidung in ihrer eigenen Verantwortung verbleibt. Externe Berater, Gutachter oder Fachkommissionen können zwar beratend eingebunden werden, die Letztverantwortung für die Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots darf jedoch nicht delegiert werden. Soll das Wertungsergebnis eines Dritten übernommen werden, muss der Auftraggeber dieses zumindest eigenständig prüfen, plausibilisieren und sich durch einen nachvollziehbaren Vermerk zu eigen machen. Dieser Vermerk darf nach der VK Bund knapp sein, muss aber erkennen lassen, dass die Wertungsentscheidung aktiv von dem Auftraggeber selbst getragen wird.
Die Beauftragung externer Dienstleister mit der Erstellung von Vergabeunterlagen entbindet den Auftraggeber zudem nicht von der Pflicht zur inhaltlichen Kontrolle. Die Vergabeunterlagen und insbesondere die Zuschlagskriterien sind auf Schlüssigkeit und Transparenz hin zu überprüfen. Der vorliegende Fall zeigt, dass sich der Auftraggeber etwaige Fehler seiner Berater voll zurechnen lassen muss. Im Ergebnis kann dies zu einer Rückversetzung des Verfahrens führen.
Ein besonderes Augenmerk verdient auch der Umgang mit Mindestanforderungen. Diese müssen nicht ausdrücklich als solche bezeichnet sein. Anforderungen, die aus Sicht eines verständigen und fachkundigen Bieters als zwingend erscheinen, gelten als Mindestanforderungen. Auftraggeber sollten daher sorgfältig prüfen, ob einzelne Anforderungen von Bietern als Mindestanforderungen verstanden werden könnten und ob diese Einordnung tatsächlich gewollt ist.
Zudem verdeutlicht die Entscheidung, dass Vergabekammern bei schwerwiegenden Verstößen auch von Amts wegen tätig werden können, selbst wenn diese Verstöße nicht vorher durch den Bieter gerügt wurden. Zwar sind die Kammern grundsätzlich an das Rechtsschutzziel gebunden und führen keine allgemeine Rechtmäßigkeitskontrolle durch. Nach §168 Abs.1 Satz2 GWB sind sie jedoch nicht an die konkreten Sachanträge gebunden und dürfen unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit auch über das beantragte Maß hinausgehen. Für die Praxis bedeutet das, dass auch nicht gerügte, aber schwerwiegende Verfahrensfehler zur Unwirksamkeit des Zuschlags und zur Rückversetzung des Verfahrens führen können. Auftraggeber sollten sich daher nicht in trügerischer Sicherheit wiegen, wenn bestimmte Aspekte im Verfahren zunächst unbeanstandet bleiben.

Sven Reinecke
Sven Reinecke ist Rechtsanwalt und berät im Vergabe-, Beihilfe- und Fördermittelrecht. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der Unterstützung von Auftraggebern und Unternehmen in vergaberechtlichen Streitigkeiten sowie der Gestaltung und Umsetzung komplexer Beschaffungsvorhaben. Zudem berät er zur Vertragsgestaltung und zu rechtlichen Fragestellungen im Zusammenhang mit der Durchführung und Einhaltung laufender Verträge.
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