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BGH: Verschärfte Haftung für Vergaberechtsverstöße? (Urteil v. 9.06.2011, Az.: X ZR 143/2010)

§§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1 S. 1 BGB

ParagraphVergabeverfahren kosten auch den Bieter Geld. Das ist immer so. Wenn der Auftraggeber aber gegen Vergabebestimmungen verstoßen hat – kann der Bieter diese Kosten dann als Schadensersatz von dem Auftraggeber zurück beanspruchen? In einer aktuellen Entscheidung hat der Bundesgerichtshofs (Urteil vom 09.06.2011, Az.: X ZR 143/2010) seine Entscheidungspraxis teilweise zugunsten der Bieter geändert.

1. Der Ausgangsfall

In dem entschiedenen Fall vermischte eine Vergabestelle bei der Ausschreibung von Rettungsdienstleistungen vergaberechtswidrig Eignungs- und Zuschlagskriterien miteinander. Ein an dem Vergabeverfahren interessierter Bieter erkannte dies nach anwaltlicher Beratung und rügte den Fehler. Nach Nichtabhilfe leitete er ein Nachprüfungsverfahren ein, ohne ein Angebot abgegeben zu haben. Er nahm den Antrag allerdings zurück, nachdem die Vergabekammer den Antrag zu Unrecht als unzulässig eingeschätzt hatte. Anschließend gab er – um seinen Bieterstatus zu erhalten – ein verspätetes Angebot ab und gewann das erneut eingeleitete Nachprüfungsverfahren schließlich in der Beschwerdeinstanz wegen der vergaberechtswidrigen Vermengung von Eignungs- und Zuschlagskriterien.

Auf den Kosten für die anwaltliche Beratung im Vorfeld des ersten, zurückgenommenen Nachprüfungsantrags drohte er allerdings sitzen zu bleiben: die Kostenentscheidung des Vergabesenats erfasste diese nicht. Zu entscheiden war darum, ob der Bieter einen Schadensersatzanspruch auf Ersatz dieser Kosten nach den allgemeinen zivilrechtlichen Vorschriften hat.

2. Die Entscheidung: Schutz auch für den bösgläubigen Bieter

Das hat er! Der Bundesgerichtshof bejahte einen Anspruch auf der Grundlage des sog. „Verschuldens bei Vertragsverhandlungen“ (culpa in contrahendo, c.i.c) gem. §§ 241 Abs. 2, 311 Abs. 2 Nr. 1, 280 Abs. 1 S. 1 BGB. Der Anspruch auf vergaberechtskonformes Verhalten im Geltungsbereich des EU-Vergaberechts begründet ihm zufolge Rücksichtnahmepflichten des Auftraggebers im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB. Verletzt der Auftraggeber diese Bestimmungen, dann setzt ein Schadensersatzanspruch nicht zusätzlich die Enttäuschung eines darüber hinaus gehenden Vertrauens der Bieter in die Rechtmäßigkeit des Verfahrens voraus.

3. Verhältnis zu der bisherigen Entscheidungspraxis

Damit nimmt der BGH Abstand von seiner bisherigen Spruchpraxis. Bislang verlangte er bei vergaberechtswidrigem Verhalten des öffentlichen Auftraggebers insoweit die Verletzung eines gesondert festzustellenden schutzwürdigen Vertrauens. Erforderlich war, dass sich ein Bieter ohne Vertrauen auf die Rechtmäßigkeit des Verfahrens entweder gar nicht oder nicht so wie geschehen an dem Vergabeverfahren beteiligt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 27.11.2007, Az.: X ZR 18/07, Urteil vom 27.06.2007, Az.: X ZR 34/04). Dahinter stand der Gedanke, dass nur der konkrete Vertrauensschaden ersetzt werden soll, nicht hingegen die typischen Kosten, die ohnehin bei der Teilnahme an einem Vergabeverfahren anfallen.

4. Fortbestehende Einschränkungen des Schadensersatzanspruchs

Einige wichtige Einschränkungen gelten jedoch ausdrücklich nach wie vor.

So ist das schutzwürdige Vertrauen nur im Bereich der einklagbaren Bieterrechte des GWB entbehrlich, nicht erfasst sind von dieser Entscheidung Vergaberechtsverstöße im Unterschwellenbereich. Zudem hält der BGH auch an dem Korrektiv des adäquat kausal herbeigeführten Schadens grundsätzlich fest. Das ist daran zu sehen, dass der Bieter aufgrund der objektiv gegebenen Vergaberechtswidrigkeit „Anlass“ haben muss, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auf die Frage, ob der Bieter diese Kosten auch bei vergaberechtskonformen Verhalten gehabt hätte, kam es in dem entschiedenen Fall ausnahmsweise nur wegen der Schwere des Vergaberechtsverstoßes nicht mehr an. Ein genereller Verzicht auf die Prüfung des rechtmäßigen Alternativverhaltens kann daraus aber nicht abgeleitet werden. Auch bleibt explizit offen, ob bei Verstößen, die im Sinne von § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 GWB erkennbar sind, der Anspruch eine entsprechende Rüge des Bieters voraussetzt. Schließlich kann auch ein Mitverschulden des Bieters im Sinne des § 254 BGB unverändert anspruchsmindernd berücksichtigt werden.

4. Fazit und Empfehlung

Die Folgen für die Praxis bleiben im Einzelfall zwar abzuwarten. Festzustellen ist aber bereits jetzt, dass diese Entscheidung den Schadensersatzanspruch in seinen tatbestandlichen Voraussetzungen über das Maß des § 126 Abs. 1 GWB ausweitet. Diese Vorschrift begrenzt Ansprüche auf Ersatz der Angebotskosten ausdrücklich auf diejenigen Bieter, die eine konkrete Chance auf den Zuschlag gehabt hätten. Nachdem auch das Verschulden kein zulässiges Korrektiv eines weiterreichenden Schadensersatzansprüche mehr darstellt (EuGH, Urteil vom 30.September 2010, Rs. C-314/09), ist diese ausweitende Tendenz kritisch zu sehen. Nach den Bestimmungen der Rechtsmittelrichtlinien sollen diese nicht die Funktion einer Sanktion für Verstöße gegen Vergaberecht (vgl. Art. 2e Abs. 2 UAbs. 3 RL 89/665/EWG und Art. 2e Abs. 2 UAbs. 3 RL 92/13/EWG) haben. Für öffentliche Auftraggeber erhöht diese Entscheidung das finanzielle Risiko eines Vergaberechtsverstoßes.

pfarr_valeskaDie Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand. Mehr Informationen über die Autorin finden Sie in unserem Autorenverzeichnis.

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Über Dr. Valeska Pfarr, MLE

Die Autorin Dr. Valeska Pfarr, MLE, ist Rechtsanwältin bei Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie ist auf das Vergaberecht spezialisiert, ein Schwerpunkt liegt hierbei auf der Beratung der öffentlichen Hand.

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