Im ersten Teil dieses Beitrages wurde der Inhalt und Anwendungsbereich des neuen Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit vorgestellt. Außerdem wurde dargestellt, was unter “Militärausrüstung” und “Verschlusssachen” zu verstehen ist, einschließlich der Frage der Einordnung von sog. “Dual Use Gütern”. Das Salz in der Suppe liegt jedoch in den Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Vergaberechts im Bereich Verteidigung und Sicherheit, welches den Schwerpunkt des zweiten Teils dieses Beitrages ausmacht. Diese sind sehr weitgehend und geben viel Interpretationsspielraum. Schließlich wenden wir uns noch den zulässigen Vergabearten und dem Nachprüfungsverfahren zu.
1. Ausnahmen vom Anwendungsbereich
Die Ausnahmetatbestände wurden ebenfalls neu strukturiert und in einzelne Paragraphen aufgeteilt. Damit wurde der sehr lange ehemalige § 100 GWB durch vier Paragraphen ersetzt und für den Rechtsanwender besser verständlich gefasst. Die Ausnahmevorschriften sind nunmehr in vier Kategorien untergliedert:
(1) § 100 GWB umfasst die allgemeinen Ausnahmen,
(2) § 100a GWB diejenigen für nicht sektorspezifische und nicht verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge,
(3) § 100b GWB diejenigen für den Sektorenbereich und
(4) § 100c GWB diejenigen für verteidigungs- und sicherheitsrelevante Aufträge.
Der neue § 100 GWB regelt quasi „vor die Klammer gezogen“ nur noch die Ausnahmevorschriften, die für alle Auftragsvergaben, also sowohl für die klassischen Auftraggeber als auch für die Sektorenauftraggeber und die Auftraggeber bei der Vergabe verteidigungs- und sicherheitsrelevanter Aufträge gelten. Danach schließen sich in §§ 100a bis c die Sonderregelungen für die einzelnen Auftraggeber bzw. Aufträge an. Nachfolgend werden die wichtigsten Ausnahmen für Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit betrachtet.
a) wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland (§ 100 Abs. 6 GWB)
Der neue § 100 GWB regelt in dem neuen Absatz 6:
“Dieser Teil gilt nicht für die Vergabe von Aufträgen,
1. bei denen die Anwendung dieses Teils den Auftraggeber dazu zwingen würde, im Zusammenhang mit dem Vergabeverfahren oder der Auftragsausführung Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seiner Ansicht nach wesentlichen Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe a des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union widerspricht,
2. die dem Anwendungsbereich des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union unterliegen.”
Ausgangspunkt ist, dass im Bereich der Verteidigung und Sicherheit einige Aufträge so sensibel sind, dass eine Anwendung dieser Richtlinie trotz ihrer Spezifität unangebracht wäre. Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn Aufträge so sensibel sind, dass sogar deren Existenz geheim gehalten werden muss.
Die Auftraggeber haben anerkanntermaßen einen weiten Ermessensspielraum bei der Entscheidung, wie sie ihre wesentlichen Sicherheitsinteressen schützen (vgl. Mitteilung der KOM zu Auslegungsfragen bezüglich der Anwendung des Art. 296 EGV auf die Beschaffung von Verteidigungsgütern, KOM(2006) 779; EuG T-26/01 – Fiocchi Munizioni / Kommission). Es ist jedoch eine Abwägung zwischen den Sicherheitsinteressen des Staates einerseits und den Interessen potentieller Bewerber andererseits vorzunehmen. Es muss sich daher um eine objektiv gewichtige Gefährdung handeln, da anderenfalls der Schutz wesentlicher Interessen der Sicherheit des Staates kein Absehen von einem förmlichen Vergabeverfahren gebietet.
Das bedeutet (vgl. Mitteilung der KOM zu Auslegungsfragen bzgl. der Anwendung des Art. 296 des EGV auf die Beschaffung von Verteidigungsgütern, KOM(2006)) insbesondere, dass öffentliche Auftraggeber prüfen müssen:
• Welches wesentliche Sicherheitsinteresse ist betroffen?
• Worin besteht der Zusammenhang zwischen diesem Sicherheitsinteresse und der speziellen Beschaffungsentscheidung?
• Warum ist die Nichtanwendung der Vergaberichtlinie in diesem speziellen Fall für den Schutz dieses wesentlichen Sicherheitsinteresses notwendig?
Diese Ausnahmetatbestände sind nach ständiger Rechtsprechung (vgl z.B. EuGH C-328/92, Kommission / Spanien Rdnr. 15) eng auszulegen und dürfen nicht zur Umgehung des Vergaberechts angewandt werden. Folglich ist Ziffer 2 des neuen § 100 Absatz 6 GWB, wonach das förmliche Kartellvergaberecht in dem Anwendungsbereich des Artikels 346 Absatz 1 Buchstabe b des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union nicht anzuwenden ist, mit großer Vorsicht zu genießen und birgt die Gefahr in sich, dass die Regelung als mangelhafte Umsetzung der Richtlinie qualifiziert wird. Wurde doch das neue Verteidigungsvergaberecht und die Richtlinie 2009/81 gerade zu dem Zweck geschaffen, Beschaffung nach dieser Vorschrift zukünftig dem förmlichen Kartellvergaberecht zu unterstellen (vgl. Erwägungsgrund 4 der Richtlinie 2009/81/EG). Die Richtlinie 2009/81 enthält hierzu besondere Regelungen zur Sicherstellung der Vertraulichkeit im Rahmen des Beschaffungsvorganges.
b) Aufträge für die Zwecke nachrichtendienstlicher Tätigkeiten (§ 100c Abs. 2 Nr. 2 GWB)
Aufträge, die zum Zwecke nachrichtendienstlicher Tätigkeit vergeben werden, sind generell vom Anwendungsbereich des Kartellvergaberechts ausgenommen. Damit werden zum einen Fälle erfasst, in denen andere öffentliche Auftraggeber einen Auftrag an einen Nachrichtendienst vergeben, zum anderen Aufträge, die ein Nachrichtendienst zum Zwecke seiner nachrichtendienstlichen Tätigkeiten vergibt. Die Richtlinie 2009/81 definiert nachrichtendienstliche Tätigkeiten als so sensibel, dass eine Anwendung dieser Richtlinie unangebracht wäre. Was eine nachrichtendienstliche Tätigkeit ist, überlässt die Richtlinie der Definition des nationalen Gesetzgebers (vgl. Erwägungsgrund 27 der Richtlinie 2009/81/EG).
Eine abschließende Definition der nachrichtendienstlichen Tätigkeit wird sich ebenso schwer finden lassen, wie eine abschließende Liste der deutschen Nachrichtendienste. Sicher sind die Nachrichtendienste des Bundes und der Länder Nachrichtendienste im Sinne des Vergaberechts. Offen ist, ob zusätzlich noch die „Behörden des Bundes mit Aufgaben von vergleichbarer Sicherheitsempfindlichkeit wie die der Nachrichtendienste des Bundes“ nach der Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung des Bundes ebenfalls Nachrichtendienste im Sinne des Vergaberechts sind. Dann fielen die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt, die Bundeswehr und das Zollkriminalamt, soweit eine Zusammenarbeit mit den Nachrichtendiensten des Bundes erfolgt, ebenfalls unter die Definition eines Nachrichtendienstes.
c) Aufträge im Rahmen eines Kooperationsprogramms (§ 100c Abs. 2 Nr. 3 GWB)
Kooperationsprogramme der Mitgliedstaaten, die dazu dienen, neue Verteidigungsausrüstung gemeinsam zu entwickeln, werden vom formellen Kartellvergaberecht ausgenommen. Solche Programme dienen insbesondere der Entwicklung neuer Technologien und der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten Europas und der Schaffung einer europäischen EDTIB (European Defence Technological and Industrial Base). Sie erleichtern die Übernahme der hohen Forschungs- und Entwicklungskosten komplexer Waffensysteme. Einige dieser Programme werden von internationalen Organisationen (insb. OCCAR – Organisation Conjointe de Coopération en matiere d’ARmement dt.: Organisation für die gemeinsame Rüstungszusammenarbeit, NATO oder Agenturen der EU wie der Europäischen Verteidigungsagentur) verwaltet, die die Aufträge im Namen der Mitgliedstaaten vergeben. In anderen Fällen werden Aufträge von einem Mitgliedstaat auch im Namen eines anderen Mitgliedstaats vergeben. In beiden Konstellationen nimmt die Ausnahmevorschrift die Aufträge aus dem förmlichen Kartellvergaberecht aus. Von der Ausnahmevorschrift werden ebenfalls Kooperationsprogramme erfasst, an denen (über mindestens zwei Mitgliedstaaten hinaus) auch Drittstaaten beteiligt sind.
Ein Kooperationsprogramm im Sinne dieser Ausnahme wird angenommen (vgl. Leitfaden der KOM zum Anwendungsbereich der Ausnahmen Richtlinie 2009/81/EG, Ziffer 15), wenn die folgenden Punkte kumulativ vorliegen:
(1) eine Forschungs- und Entwicklungszusammenarbeit im Rahmen der Grundlagenforschung, und
(2) die gemeinsame Beschaffung des entwickelten Produktes.
Voraussetzung ist, dass ein neues Produkt gemeinschaftlich entwickelt wird und nicht ein vorhandenes Produkt nur geringfügig angepasst wurde.
d) Rüstungsaufträge zwischen Regierungen (§ 100c Abs. 2 Nr. 4 a GWB)
Aufgrund der Besonderheiten des Verteidigungs- und Sicherheitsbereichs werden Beschaffungen von Ausrüstung und Bau- und Dienstleistungen einer Regierung oder einer Gebietskörperschaft bei einer anderen Regierung oder Gebietskörperschaft vom Anwendungsbereich des förmlichen Kartellvergaberechts ausgenommen. Wobei der Begriff der „Regierung“ weit zu verstehen ist. Er ist definiert als „nationale, regionale oder lokale Gebietskörperschaften eines Mitgliedstaats oder eines Drittlands“ (vgl. Art. 1 Nr. 9 der Richtlinie 2009/81/EG, auf den die Gesetzesbegründung verweist) und trägt damit auch dem Föderalismus Rechnung.
e) Aufträge im Rahmen von Auslandseinsätzen (§ 100c Abs. 3 GWB)
Diese Ausnahmevorschrift berücksichtigt die besonderen Einsatzverhältnisse bei Kriseneinsätzen außerhalb der Europäischen Union. Bei einem solchen Einsatz von Streitkräften oder Polizeien sollen die im Einsatzgebiet stationierten Einheiten die Möglichkeit haben, bei der Vergabe von Aufträgen an im Einsatzgebiet ansässige Marktteilnehmer von der Anwendung des förmlichen Kartellvergaberechts abzusehen, wenn der Einsatz dies erfordert. Dies gilt auch für zivile Beschaffungen, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der Durchführung dieses Einsatzes stehen.
2. Zulässige Vergabearten
Hinsichtlich des Vergabeverfahrens finden sich in den neuen Regeln zur Vergabe von verteidigungs- oder sicherheitsrelevanten Aufträgen lediglich Hinweise, welche Vergabearten für derartige Beschaffungen einschlägig sein sollen. Die Einzelheiten wurden bislang noch nicht umgesetzt:
§ 101 Abs. 7 S. 3 GWB
“Bei der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Aufträgen können öffentliche Auftraggeber zwischen dem nicht offenen Verfahren und dem Verhandlungsverfahren wählen.”
Aufgrund der Sensibilität dieser Bereiche ist für die Vergabe verteidigungs- und sicherheitsrelevanter Aufträge kein offenes Verfahren sondern nur ein nicht offenes bzw. Verhandlungsverfahren vorgesehen. Nicht offenes Verfahren und Verhandlungsverfahren mit Veröffentlichung einer Bekanntmachung stehen hier gleichberechtigt nebeneinander. Darüber hinaus ist nachrangig die Wahl eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige europaweite Bekanntmachung nur bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen zulässig. Bei komplexen Vergaben kann auch der wettbewerbliche Dialog gewählt werden (vgl. Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 05.10.2011 – BT-Drs 17/7275, S.18 zu § 101 Abs. 7). Leider ist die Möglichkeit der Vergabe in einem wettbewerblichen Dialog nicht in den Gesetzestext aufgenommen worden und ergibt sich lediglich aus der Gesetzesbegründung.
3. Nachprüfungsverfahren
Alle Vergaben des Verteidigungs- und Sicherheitsbereichs, für die keine besonderen Ausnahmen vom Anwendungsbereich ausdrücklich vorgesehen sind, unterliegen einer Nachprüfungsmöglichkeit. Wobei die Neuregelungen für den Verteidigungs- und Sicherheitsbereich den Erfordernissen einer besonderen Vertraulichkeit des Verfahrens und der von den Parteien übermittelten Unterlagen Rechnung tragen. So sind beispielsweise die Mitglieder der Vergabekammern zur Geheimhaltung verpflichtet und die Entscheidungsgründe dürfen Art und Inhalt der geheim gehaltenen Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente und Auskünfte nicht erkennen lassen (§ 110a GWB). Auch kann die Vergabekammer bei der Überprüfung der Vergabe von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Aufträgen anstelle eines ehrenamtlichen Beisitzers einen weiteren hauptamtlichen Beisitzer hinzuziehen (§ 105 Abs. 2 S. 4 GWB). Ansonsten gelten auch hier die bekannten Regeln des Nachprüfungsverfahrens vor den Vergabekammern einschließlich des Erfordernisses der unverzüglichen Rüge.
Mit dem Gesetz zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit wurde nur ein kleiner Teil der Vorgaben der Richtlinie 2009/81 in deutsches Recht umgesetzt. Der größere Teil, nämlich Vorgaben zum anzuwendenden Vergabeverfahren fehlen noch. Lediglich für Bauleistungen liegt bereits ein neuer dritter Abschnitt der VOB/A für die Vergabe verteidigungs- und sicherheitsrelevanter Aufträge vor. Dieser darf aber ohne die dazugehörige Verteidigungsvergabeverordnung nicht angewendet werden. Diese fehlt aber aktuell auch noch.
Ohne solche Verfahrensvorschriften im nationalen Recht sind für das Verfahren bei der Vergabe von Bauleistungen, Lieferungen und Dienstleistungen die Verfahrensvorschriften der Richtlinie 2009/81 direkt anzuwenden. Hinweise hierzu geben das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) für Liefer- und Dienstleistungsaufträge (Abzurufen als PDF hier) und das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) für Bauaufträge (Abzurufen als PDF hier). Die dort enthaltenen Verfahrensvorschriften gelten auch nach dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit bis zum Inkrafttreten der Verteidigungsvergabeverordnung weiter. Die Teile der Rundschreiben betreffend die Vorschriften über den Anwendungsbereich werden jetzt durch die neuen Regeln im GWB ersetzt. Dieser Verlängerung des BMWi (Abzurufen als PDF hier) hat sich das BMVBS am 21.12.2011 angeschlossen.
Zwar sind diese Hinweise sehr hilfreich, stellen aber klar, nur eine „Orientierung“ (so das BMWi) zu sein und ersetzen nicht den Blick in den Text der Richtlinie. In Verfahrensfragen stellt bislang nur die Richtlinie verbindliches Recht dar und ist von Anbietern und Beschaffern gleichermaßen zu beachten.
Die Praxis wird zeigen müssen, inwieweit die vorhanden Ausnahmen vom Anwendungsbereich des Verteidigungsvergaberechts hier eine umfassende Anwendung des förmlichen Kartellvergaberechts überhaupt ermöglichen. Die Berufung auf „wesentliche Sicherheitsinteressen“ des Staates hat schon in der Vergangenheit zu einer faktischen Nicht- Anwendung des förmlichen Kartellvergaberechts ohne Nachprüfungsmöglichkeit geführt. Diese Möglichkeit des Ausschlusses des förmlichen Kartellvergaberechts wegen „wesentlicher Sicherheitsinteressen“ ist in der Richtlinie – nicht aber in der deutschen Umsetzung der Regelungen zu der Vergabe verteidigungs- oder sicherheitsrelevanter Aufträge – eingeschränkt worden, was möglicherweise nicht richtlinienkonform ist. Zudem sind Aufträge, die im Rahmen eines Kooperationsprogramms der Mitgliedsstaaten vergeben werden, komplett aus dem Anwendungsbereich des förmlichen Kartellvergaberechts ausgenommen. Dies wird fast ausschließlich auf alle größeren zukünftigen Beschaffungsmaßnahmen zu treffen (aktuell z.B. A400M).
Der Autor Mark Münch, LL.M, ist Rechtsanwalt bei der IT-Recht-Kanzlei, München, und befasst sich schwerpunktmäßig mit dem IT-bezogenen Vergaberecht. Zuvor war er Mitarbeiter bei Sun Microsystems/ Oracle und konnte so zahlreiche Erfahrungen bei der Anwendung des Vergaberechts auf Auftragnehmerseite sammeln. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Mark Münch, LL.M, ist Rechtsanwalt bei der IT-Recht-Kanzlei, München, und befasst sich schwerpunktmäßig mit dem IT-bezogenen Vergaberecht. Zuvor war er Mitarbeiter bei Sun Microsystems/ Oracle und konnte so zahlreiche Erfahrungen bei der Anwendung des Vergaberechts auf Auftragnehmerseite sammeln.
Den Ausführungen zu Abs. 4 der Zusammenfassung kann ich nicht so ohne weiteres folgen.
Die Möglichkeit des Ausschlusses des förmlichen Kartellvergaberechts wegen „wesentlicher Sicherheitsinteressen“ ist in der Richtlinie 2009/81/EG m. E. eben NICHT eingeschränkt worden, was sich folglich auch in der deutschen Umsetzung niedergeschlagen hat.
Die Anwendung der RL 2009/81/EG steht gem. Artikel 2 unter dem ausdrücklichen Vorbehalt u.a. des Artikels 296 EGV (jetzt Artikel 346 AEUV). Auch der spezifische Ausnahmekatalog des Artikels 13 enthält im Buchstaben a) nochmals ausdrücklich den Tatbestand des Artikels 346 Buchst. a) AEUV.
Im Übrigen verweist auch der Erwägungsgrund 16 der RL ausdrücklich auf diesen Umstand hin.
Das ist m.E. auch konsequent, da die Richtlinie als europäisches Sekundärrecht europäisches Primärrecht (hier: AEUV) nicht ändern kann.
M.E. ist das auch der Schwachpunkt der RL 2009/81/EG trotz aller Beschwörungen, dass Artikel 346 AEUV eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift sei und gem. Artikel 11 der RL die Anwendung der Ausnahmen nicht zur Umgehung der Bestimmungen dieser RL angewandt werden darf.
Wir werden aber sehen. Die Praxis wird’s zeigen.
Sehr geehrter Herr Wankmüller,
natürlich haben Sie Recht, dass die Richtlinie als sekundäres EU Recht das Primärrecht des Vertrages nicht ändern kann. Sie ändert jedoch seine Auslegung und sei es nur indirekt.
Der EuGH hat mehrfach entschieden (z.B in der Rechtssache C‑239/06 Kommission gegen Italien), dass die Anwendungsbereich des Art 346 AEUV eng auszulegen ist. In der Folge haben sich die Mitgliedsstaaten dennoch oft auf Art 346 AEUV berufen, u.a. mit der Begründung das herkömmliche Vergaberecht aus der RL 2004/18 reiche nicht aus, ihre Sicherheitsinteressen zu schützen. Dem hat die Kommission mit der RL 2009/81 Abhilfe geschaffen und besondere Regelungen zur Wahrung der Sicherheitsinteressen wie Vertraulichkeit und Versorgungssicherheit eingeführt. Damit ist der Anwendungsbereich des Art 346 AEUV stark eingeschränkt worden, wie auch die Kommission in ihrem Auslegungspapier betont. „In diesem Zusammenhang ist es wichtig, sich dessen bewusst zu sein, dass das EU Recht nunmehr durch die Richtlinie 2009/81/EG ein rechtliches Instrument bietet, welches insbesondere dafür geschaffen wurde, den besonderen Notwendigkeiten und Anforderungen der Beschaffung von verteidigungs- und sicherheitsrelevanten Gütern Rechnung zu tragen.“
Diese Ansicht scheint auch in der weiteren Begründung der Richtlinie in dem von Ihnen zitieren 16. Erwägungsgrund durch: „Dies kann bei Verträgen sowohl im Bereich der Verteidigung als auch der Sicherheit der Fall sein, die äußerst hohe Anforderungen an die Versorgungssicherheit stellen oder so vertraulich und/oder wichtig für die nationale Souveränität sind, dass selbst die besonderen Bestimmungen dieser Richtlinie nicht ausreichen, um wesentliche Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten zu schützen.“ Und weiter stellt die Richtlinie im 20. Erwägungsgrund klar, dass ein Verzicht auf eine förmliche Ausschreibung, weil „andererseits Auskünfte zu erteilen (wären), deren Preisgabe (…) wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht“ vgl. Art 346 AEUV, nur noch dann möglich sein sollen, wenn „Aufträge so sensibel sind, dass sogar deren Existenz geheim gehalten werden muss“.
Es ist davon auszugehen, dass sich der EuGH bei seiner zukünftigen Interpretation des Anwendungsbereichs des Art. 346 AEUV dieser Argumentation anschließen wird. Damit würde sich für die RL 2009/81 ein signifikanter Anwendungsbereich ergeben.