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Einseitige Marktöffnung: Deutsche Ausschreibungen für außereuropäische Unternehmen?

ParagraphSchon heute haben außereuropäische Unternehmen die Möglichkeit, sich uneingeschränkt an Ausschreibungen der öffentlichen Hand der Bundesrepublik Deutschland zu beteiligen. Für eine Beteiligungsmöglichkeit kommt es dabei auch nicht auf den Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union an. Die Bundesrepublik Deutschland hat ihren Beschaffungsmarkt einseitig geöffnet und gibt damit insbesondere auch außereuropäischen Unternehmen die Möglichkeit, sich an den gesamten öffentlichen Ausschreibungen der öffentlichen Auftraggeber in der Bundesrepublik Deutschland zu beteiligen.

Auch diese Unternehmen stehen – bei EU- Vergaben – die subjektiven Rechte auf Einhaltung der Vergabebestimmungen nach § 97 Abs. 7 des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) durch die bundesdeutschen Vergabestellen zu.

Einseitig geöffneter Markt

Bereits im Jahre 1960 hat sich die Bundesrepublik Deutschland in dem sogenannten „Drei-Minister-Erlass“ (vgl. Gemeinsames Rundschreiben des Bundesministers für wirtschaftlichen Besitz des Bundes, des Bundesministeriums für Wirtschaft und des Auswärtigen Amtes v. 29.4.1960, BWBl. 1960, 269) aus konjunkturpolitischen Gründen dazu entschieden, ihre Vergabe von öffentlichen Aufträgen einseitig weltweit zu liberalisieren und für ausländische Unternehmen zu öffnen. Internationale Unternehmen – und damit Unternehmen die nicht aus den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union stammen – haben demnach die Möglichkeit, sich an den gesamten Vergabeverfahren der öffentlichen Auftraggeber zu beteiligen. Zu den verpflichteten öffentlichen Auftraggebern gehören hierbei nicht nur Einrichtungen des Bundes oder der Länder, sondern sämtliche öffentliche Auftraggeber im Sinne des § 98 GWB. Betroffen sind sämtliche öffentliche Aufträge im Sinne des § 99 GWB.

Kein Gegenseitigkeitsverhältnis

Diese Öffnung des Beschaffungsmarktes steht nicht in einem Gegenseitigkeitsverhältnis. So wäre es beispielsweise unzulässig, außereuropäische Unternehmen von einer Beteiligung an EU- Ausschreibungen in der Bundesrepublik auszuschließen, obgleich für bundesdeutsche Unternehmen (zum Beispiel in der Volksrepublik China) eine Beteiligungsmöglichkeit an Ausschreibungen der öffentlichen Hand grundsätzlich nicht besteht.

Gesetzlicher Anspruch auf Teilnahme

Unternehmen mit Sitz im außereuropäischen Ausland haben die Möglichkeit, sich auf den Regelungskatalog der bundesdeutschen Vergabegesetze zu beziehen. Ihnen stehen die vollumfänglichen gesetzlichen Ansprüche aus § 97 Abs. 7 GWB zu.

Die Diskriminierung von Marktteilnehmern wegen ihrer Herkunft bzw. ihres Sitzes oder ihrer Staatsangehörigkeit ist nach dem deutschen Vergaberecht unzulässig. Insbesondere ist es auch unzulässig, ausschließlich Unternehmen zu berücksichtigen, die ihren Sitz „vor Ort“ haben. Sämtliche Bieter in einem Vergabeverfahren sind gleich zu behandeln. Dabei kommt es nicht darauf an, ob das Unternehmen seinen Sitz Im- oder Ausland hat. Für eine Teilnahme an gesetzlichen Vergabeverfahren und die Geltendmachung entsprechender Ansprüche kommt es also nicht darauf an, ob das ausländische Unternehmen einen Sitz in der Bundesrepublik Deutschland unterhält.

Ausnahmen im „Sektorenbereich“

Ausnahmen finden sich lediglich im sogenannten Sektorenbereich. Diese Auftraggeber können bei Lieferaufträgen Angebote zurückweisen, bei denen der Warenanteil zu mehr als 50 % des Gesamtwertes aus Ländern stammt, die nicht Mitgliedsstaaten des Europäischen Wirtschaftsraumes sind und mit denen auch keine sonstigen Vereinbarungen über den gegenseitigen Marktzugang bestehen. Dabei handelt es sich aber um eine enge Ausnahmeregelung.

Deutsches VergabenetzwerkFazit

Ausländischen Unternehmen, die nicht zum Europäischen Wirtschaftsraum gehören, ist die umfassende Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen der gesamten öffentlichen Auftraggeber der Bundesrepublik Deutschland erlaubt. Die Bundesrepublik geht hier – im Vergleich zu den übrigen Mitgliedstaaten der EU – einen Sonderweg. Insoweit Auftragswerte für europäische Vergabeverfahren überschritten sind, können außereuropäische Unternehmen den umfassenden gesetzlichen Anspruch nach den §§ 97 ff. GWB auf eine Beteiligung am Vergabeverfahren geltend machen und durchsetzen, wenn sie ein Interesse an einem jeweiligen Auftrag haben. Die gesetzlichen Regelungen in der Bundesrepublik Deutschland verbieten es öffentlichen Auftraggebern, ausländische Unternehmen wegen ihrer Herkunft zu diskriminieren. Nach den gesetzlichen Regelungen ist es auch nicht erforderlich, dass diese Unternehmen eine deutsche Niederlassung gründen.

Hinweis

Die Beteiligungsmöglichkeit von außereuropäischen Unternehmen an öffentlichen Ausschreibungen in der Bundesrepublik Deutschland hängt nach der bereits seit 1960 geltenden Rechtslage auch nicht von dem Abschluss eines Freihandelsabkommens mit der Europäischen Union ab.

Auf europäischer Ebene wurde diskutiert, ob hier Regelungen gefunden werden sollen, die in einem Gegenseitigkeitsverhältnis stehen. Auch besteht nicht in jedem Land der Europäischen Union eine uneingeschränkte Beteiligungsmöglichkeit für ausländische Unternehmen. Die deutsche Bundesregierung hat im November 2011 erklärt, sie wolle ihren Beschaffungsmarkt für ausländische Unternehmen nicht einschränken.

Die Autoren Christian Frhr. v. Ulmenstein und RA David Müller sind Rechtsanwälte der auf das Vergaberecht spezialisierten Kanzlei ULMENSTEIN Rechtsanwälte mit Sitz in Hannover. Die Kanzlei berät und betreut in- und ausländische Unternehmen bei der Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.

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Über Dr. Christian von Ulmenstein

Rechtsanwalt Dr. Christian v. Ulmenstein ist seit Juli 2023 Partner der Kanzlei LEINEMANN PARTNER Rechtsanwälte, Berlin. Er betreut und berät als Fachanwalt für Vergaberecht Vergabestellen und Bieter in komplexen öffentlichen Ausschreibungsverfahren (Bau- und Dienstleistungsvergaben). Seit der Öffnung des Postsektors gehört zu seinen Leistungen seit vielen Jahren auch die Beratung von Unternehmen und Vergabestellen bei der öffentlichen Beschaffung von Postdienstleistungen.

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2 Kommentare

  1. Dr. Christof Schwabe

    Sehr geehrte Herren Kollegen v. Ulmenstein und Müller,

    zu Ihrem Beitrag würde ich mir einen Zusatz zu dem plurilateralen Vergaberechtsabkommen der Welthandelsorganisation WTO, dem „Government Procurement Agreement“ (GPA) wünschen.

    An diesem plurilateralen Abkommen nehmen zurzeit 42 WTO-Mitglieder teil, und zwar Armenien, Kanada, die Europäische Union, einschließlich ihrer 27 Mitgliedstaaten; Hong Kong; Island; Israel; Japan; Korea; Liechtenstein; Aruba (Königreich Niederlande); Norwegen; Singapur; Schweiz; Taipei und auch die Vereinigten Staaten.

    Die o.g. Teilnehmer am WTO-Vergaberechtsabkommen haben ihre Beschaffungsmärkte für bestimmte in den umfangreichen Anhängen definierte Vergabestellen und Beschaffungsgegenstände auf Gegenseitigkeit geöffnet. Das heißt, die Bundesrepublik geht als EU-Mitglied im Verhältnis zu den o.g. GPA-Staaten keinen einseitigen Sonderweg. Der Sonderweg bezöge sich dann wohl nur auf die 22 Beobachter des GPA-Abkommens und die übrigen Staaten, oder?

    Viele Grüße
    Dr. Christof Schwabe

    Reply

  2. Christian Frhr. v. Ulmenstein

    Lieber Herr Kollege Dr. Schwabe,

    vielen Dank für Ihren Kommentar.

    Der Beitrag befasst sich indes mit der einseitigen Marktöffnung in der Bundesrepublik.

    Hinsichtlich des von Ihnen angesprochenen GPA-Abkommens verhält es sich wie mit dem in dem Beitrag angesprochenen Freihandelsabkommen: Diese Vereinbarungen beruhen auf Gegenseitigkeit.

    Demgegenüber besteht auf Grundlage des sog. „Drei-Minister-Erlasses“ beispielsweise für Unternehmen aus Indien oder China (sowie u.a. alle übrigen sog. „BRIC-Staaten) eine Beteiligungsmöglichkeit an bundesdeutschen Ausschreibungen der öffentlichen Hand, obgleich sie weder mit der EU noch mit der Bundesrepublik entsprechende Vereinbarungen abgeschlossen haben. Auch besteht für bundesdeutsche Bieter keine entsprechende Beteiligungsmöglichkeit in den dortigen Staaten.

    Es handelt sich also um einen einseitigen Sonderweg.

    Kein anderes EU-Mitglied hat seinen Beschafffungsmarkt entsprechend geöffnet.

    Viele Grüße, RA Chr. v. Ulmenstein

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