„Mehr Berücksichtigung von Qualität bei der Vergabe von Dienstleistungen“ – so lautet der Titel eines Antrages der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und FDP vom 26.06.2012 an den Bundestag. Konkret fordern die Fraktionen darin eine Aufweichung der strikten Trennung von Eignungs- und Zuschlagskriterien bei Vergaben im Dienstleistungssektor mit dem Ziel, Eignungskriterien auch in der inhaltlichen Wertung der Angebote berücksichtigen zu können.
Praxisfernes Vergaberecht
In dem Antrag (BT-Drs. 17/10113) bemängeln die Fraktionen eine „Praxisferne“ des bestehenden Vergaberechts. So führe das Verbot, Eignungskriterien bei der qualitativen Angebotswertung zu berücksichtigen, insbesondere bei sozialen Dienstleistungen mit einem hohen Grad an Standardisierung zu unsachgemäßen Ergebnissen. Solange „Qualitätsunterschiede in Bezug auf Erfahrungen und frühere Erfolge“ im Rahmen der Zuschlagserteilung nicht berücksichtigt werden dürften, verlagere sich der Wettbewerb um derartige Aufträge allein auf den Preis. Als besonders davon betroffene Branche haben die Fraktionen dabei die Integrationsfachdienste (IDF) ausgemacht – allerdings ohne dies näher zu begründen.
Mehr an Eignung berücksichtigen
Laut Antrag soll der Bundestag die Bundesregierung auffordern, sowohl bei nationalen als auch bei europaweiten Vergaben die zur Verfügung stehenden Maßnahmen zu ergreifen, um „die Berücksichtigung bieterbezogener Qualitätskriterien bei der Zuschlagserteilung stärker zu gewichten“. Dabei sollen sich diese Maßnahmen allerdings nicht nur auf den zunächst genannten sozialen Bereich, sondern auf alle Dienstleistungen erstrecken.
Was auf den erstem Blick harmlos aussehen mag, könnte einschneidende Folgen für den Wettbewerb im Dienstleistungssektor haben. Zwar betonen die Fraktionen, dass die Eintrittschancen von Newcomern und eine Vermeidung von Haus-und Hoflieferanten „angemessen in Abwägung gebracht werden“ sollen. Tatsächlich stellt die Möglichkeit, Erfahrungen der Bieter sowohl als Eignungs- als auch als Zuschlagskriterium heranzuziehen, aber ein sehr wirksames Mittel dar, um Newcomer aus bestehenden Märkten fernzuhalten. Und sollten mit den „früheren Erfolgen“ positive frühere Geschäftsbeziehungen zwischen Bieter und öffentlichem Auftraggeber gemeint sein, werden selbst gestandene Marktteilnehmer kaum Chancen haben, sich gegen bereits bestehende Dienstleistungsbeziehungen durchzusetzen.
Überdies ist fraglich, ob die geforderten Maßnahmen wenigstens wirklich zu mehr Leistungsqualität führen würden. In dem Antrag wird unterstellt, dass längere Erfahrungen in einem Tätigkeitsbereich automatisch zu einer qualitativ besseren Leistungserbringung führen. Dies dürfte insbesondere bei den genannten Haus- und Hoflieferanten, die sich nunmehr nicht einmal mehr vor einem drohenden Wettbewerb fürchten müssten, bezweifelt werden.
Der Antrag wurde von den Regierungsfraktionen gestellt. Seine Annahme im Bundestag ist damit sehr wahrscheinlich. Aus Wettbewerbssicht ist das keine gute Nachricht.
Den Antrag (BT-Drs. 17/10113) der Bundestagsfraktionen CDU/CSU und FDP und die aktuelle Diskussion dazu finden Sie im Mitgliederbereich des Deutschen Vergabenetzwerks (DVNW).
Die Autorin Julie Wiehler, LL.M., ist bei der Bitkom Servicegesellschaft mbH für den Bereich der Öffentlichen Ausschreibungen/Vergaberecht („Bitkom Consult“) zuständig. Sie ist zudem Partnerin der Kanzlei Frhr. v.d. Bussche Lehnert Niemann Wiehler und berät und unterstützt Unternehmen der ITK-Branche sowie die öffentliche Hand bei öffentlichen Ausschreibungen. Mehr Informationen finden Sie im Autorenverzeichnis.
Thema im Deutschen Vergabenetzwerk (DVNW) diskutieren.
Die Autorin Julie Wiehler, LL.M., ist Rechtsanwältin und Partnerin der Kanzlei Frhr. v.d. Bussche Lehnert Niemann Wiehler Rechtsanwälte & Notare. Sie berät und unterstützt Unternehmen und die öffentliche Hand bei öffentlichen Ausschreibungen sowie bei vergaberechtlichen Fragen in öffentlich geförderten Projekten.
Ich kann mich der hier vertretenen Auffassung nur teilweise anschließen. Sie lässt unberücksichtigt, dass Vergabestellen mit der gegenwärtig praktizierten Trennung gerade bei der Beschaffung von individuellen Dienstleistungen ganz objektiv erhebliche Probleme haben, die Zuschlagskriterien und Angebotswertung nicht nur rechtskonform, sondern auch wirtschaftlich zu gestalten. Zu hinterfragen ist bereits die Aussage, dass eine Verlagerung solcher Kriterien wie Erfahrung vom Eignungs- in den Zuschlagsbereich die Gefahr der Diskriminierung von Newcomern heraufbeschwört. Dies ist in dieser Pauschalität allein deshalb nicht richtig, weil bei Dienstleistungen im Rahmen der Zuschlagsprüfung in aller Regel nicht mehr auf Unternehmen, sondern auf die konkret angebotene Personen abgestellt wird. Dies wird bisher von der Rechtsprechung zumeist zwar ebenfalls hartnäckig negiert, ändert aber nichts daran, dass hier eine vergaberechtlich bedeutsame Änderung der Prüfrichtung vorliegt: Ein Unternehmen kann als Newcomer zwar neu am Markt sein und dementsprechend über wenig Referenzen verfügen (=schlechte Eignungswertung), könnte aber trotzdem im Rahmen der Wertung der Angebote hohe Beurteilungen erzielen, wenn es über besonders „erfahrene“ und/oder qualifizierte Mitarbeiter verfügt und diese anbietet. Die geltenden Prinzipien der strikten Trennung sind insbesondere bei stark persönlich geprägten Dienstleistungen (z.B. Beratung) praxisfern und stellen Vergabestellen vor kaum lösbare Probleme. Daher verwundert es auch nicht, wenn diese Fälle reihenweise vor den Nachprüfungsinstanzen landen — die Rechtslage widerspricht hier in großen Teilen dem gesunden Menschenverstand. Denn selbstverständlich sind beispielsweise bei Beratungsleistungen die Erfahrung und Qualifikation der betreffenden Person preisbildende Faktoren am Markt, die aber gegenwärtig nicht bewertet werden dürfen. Von daher ist nicht nur die Stellungnahme der Fraktionen zu begrüßen, sondern auch die jüngste Rechtsprechung der 3. Vergabekammer Bund, die zumindest im Anwendungsbereich der VOF sich wieder zunehmend an der Rechtsprechung des OLG Düsseldorf „ante Lianakis“ zu orientieren scheint (VK Bund 24.05.2012, VK 3-48/12).