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BGH zu Nebenangeboten: Alles auf Anfang! (Beschl. v. 23.01.2013, Az. X ZB 8/11)

Ein Gastbeitrag von Dr. Matthias Kühn, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Berlin

ParagraphDie mit Spannung erwartete Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu der Frage, ob Nebenangebote gewertet werden dürfen, wenn der niedrigste Preis alleiniges Zuschlagskriterium ist, liegt nun vor (Beschl. v. 23.01.2013, Az. X ZB 8/11). Nach Erledigung der Hauptsache lässt der Bundesgerichtshof die Frage letztlich unbeantwortet. Damit bleibt die Rechtslage unter der Vergabekoordinierungsrichtlinie (RL 2004/18/EG – VKR) bis auf weiteres unklar. (Anmk. d. Red.: Schnell wie Sie uns kennen – soweit ersichtlich ist diese Besprechung die erste zur Entscheidung).

Der Fall

Die Auftraggeberin schrieb die bundesweite Zustellung ihrer Briefe aus. Zuschlagskriterium war allein der niedrigste Preis. Auf einem Vordruck „Nebenangebot“ konnten die Bieter eine Vorsortierung der Briefe vorgeben und dafür Rabatte anbieten. Die Auftraggeberin wollte ein rabattiertes Angebot annehmen. Die Antragstellerin rügte (unter anderem), dass keine Maßstäbe zur Bewertung der angebotenen Leistung angegeben waren, so dass das „Nebenangebot“ nach ihrer Auffassung nicht wertungsfähig war.

Der Vergabesenat beim OLG Düsseldorf hätte das Verfahren in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückversetzt. Das OLG Düsseldorf war nämlich der Ansicht, dass eine Wertung der abgefragten Nebenangebote gegen Wortlaut und Systematik von Art. 24 Abs. 1 und Art. 53 Abs. 1 VKR verstoßen würde. Nach der Interpretation des OLG Düsseldorf lassen diese Vorschriften Nebenangebote (Varianten) nicht zu, wenn der Auftrag allein nach dem Kriterium des niedrigsten Preises vergeben wird. Aufgrund der entgegengesetzten Entscheidung des OLG Schleswig vom 15.04.2011 (1 Verg 10/10) legte das OLG Düsseldorf die Sache dem BGH zur Entscheidung vor (§ 124 Abs. 2 GWB).

Die Entscheidung

Nachdem der Vertragszeitraum abgelaufen und die Hauptsache für erledigt erklärt war, musste der BGH über die Kostentragung entscheiden. Der BGH äußert dabei Zweifel an der vom OLG Düsseldorf vorgenommenen Auslegung der VKR. Nach Ansicht des BGH könnte es dem Ziel einer kostengünstigen Beschaffung im Wettbewerb abträglich sein, die Wertung von Varianten derart einzuschränken, wie es das OLG Düsseldorf im Ergebnis tun wollte. Der BGH betont, dass die Wertung allein anhand des Preises in dem hier zu entscheidenden Fall sachgerecht gewesen wäre. Schutzbedürftige Interessen der Bieter, die durch eine reine Preiswertung beeinträchtigt würden, sieht der BGH nicht beeinträchtigt.

Der BGH bezeichnet die Folgerung nicht als zwingend, dass Varianten EU-rechtlich unzulässig sind, wenn die Hauptangebote nur nach dem Preis bewertet werden. Der BGH weist gleichzeitig darauf hin, dass Varianten die vorgegebenen Mindestbedingungen nach Art und Umfang verschieden erfüllen können, was bei reiner Preiswertung auszublenden wäre. Vor diesem Hintergrund wirft der BGH die Frage auf, ob neben der Wertung der Hauptangebote allein anhand des Preises für die Wertung der Varianten zusätzliche Wertungskriterien definiert werden dürfen oder müssten. Dies sei dem EU-Recht nicht zweifelsfrei zu entnehmen. Der BGH trifft die Kostenentscheidung deshalb unter Billigkeitsaspekten.

Deutsches VergabenetzwerkPraxistipp

Die Kostenentscheidung des BGH ist insbesondere durch zwei Besonderheiten geprägt: Nach der Erledigung des Streits um den Auftrag kam eine Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs nicht mehr in Betracht. Ferner kann das Gericht bei unsicherem Ausgang des Verfahrens die Kostenlast verteilen, ohne die eigentliche Streitfrage zu entscheiden. So ging der BGH hier vor.

Bei einem künftigen Vergaberechtsstreit über die Wertungsfähigkeit von Varianten, wenn die Hauptangebote allein anhand des Preises gewertet werden, wird ein Gericht die Frage voraussichtlich dem Europäischen Gerichtshof vorlegen. Also dürfte eine Wertung anhand weiterer geeigneter Zuschlagskriterien zusätzlich zum Preiskriterium oftmals ratsam sein, um das Risiko eines Rechtsstreits zu minimieren. Alternativ wird sich der gewünschte Gestaltungsspielraum für die Angebote anstelle einer Zulassung von Varianten in vielen Fällen über eine funktionale Leistungsbeschreibung erreichen lassen.

kuehnDer Autor Dr. Matthias Kühn ist als Senior Associate im Berliner Büro von Heuking Kühn Lüer Wojtek tätig. Er berät Auftraggeber und Unternehmen bei Ausschreibungen und vertritt sie in vergaberechtlichen Streitsachen. Ferner betreut er Vorhaben der öffentlichen Hand. In dem hier besprochenen Verfahren vertrat der Autor die Beigeladene.

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