Die siemenseigene BWI Services GmbH muss Dienst- und Lieferleistungen im Bereich der nichtmilitärischen Informationstechnik der Bundeswehr öffentlich ausschreiben, da sie als öffentlicher Auftraggeber zu qualifizieren ist. Unerheblich ist, dass das Herkules-Projekt als Ganzes bereits nach Vergaberecht vergeben worden war. Denn BWI Services GmbH beschafft auf Abruf Leistungen in ihrer aktuellen Ausprägung auf dem Markt. Eine solche nachgelagerte Beschaffung ist auszuschreiben, wenn ein öffentlicher Auftraggeber beschafft (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 19.06.2013, VII-Verg 55/12).
Art. 87 b GG; §§ 97 Abs. 1, 98 Nr. 2, 100 Abs. 6, 7 GWB
Sachverhalt
Der Bund hat 2006 im Rahmen des (europaweit größten) PPP-Projekts „Herkules“ die Modernisierung und den Betrieb der nichtmilitärischen Informationstechnik der Bundeswehr einschließlich der Beschaffung der Hardware an ein Konsortium aus Siemens und IBM vergeben. Diese gründeten in Umsetzung des Herkules-Projekts den sogenannten BWI-Leistungsverbund. Hierzu gehören neben einer weiteren Gesellschaft die BWI Informationstechnik GmbH („BWI-I“), an der der Bund zu 49,9% beteiligt ist und BWI Services GmbH („BWI-S“), eine 100 %ige Tochter der Siemens AG.
BWI-I forderte 2012 in einem nichtförmlichen Verfahren verschiedene Unternehmen auf, ein Angebot über abstrahlarme Hardware abzugeben. Ein Bieter erkundigte sich einige Zeit nach Angebotsabgabe nach dem Stand des Verfahrens. Darauf teilte BWI-I ihm mit, dass der Zuschlag bereits einem anderen Unternehmen erteilt worden sei. Der Bieter wandte sich darauf an die Vergabekammer des Bundes mit dem Ziel, den Vertrag für nichtig erklären zu lassen. Im Nachprüfungsverfahren stellte sich heraus, dass BWI-S den Vertrag geschlossen hatte. BWI-S löste während des Nachprüfungsverfahrens den geschlossenen Vertrag wieder. Wegen Wiederholungsgefahr beantragte der Bieter darauf die Feststellung eines Vergabeverstoßes, der ihn in seinen Rechten verletzte. Er bekam Recht. Das OLG Düsseldorf bestätigte die Entscheidung der Vergabekammer.
Die Entscheidung
Das OLG stellt fest, dass BWI-S öffentlicher Auftraggeber ist. Die Aufgaben des BWI-Leistungsverbundes unterfallen Art. 87 b GG (Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte) und liegen daher im Allgemeininteresse. Der Bund habe insbesondere nicht nur einzelne Liefergeschäfte auf den BWI-Leistungsverbund übertragen sondern einen Teil der Beschaffungstätigkeit, die originär der Bundeswehrverwaltung obliegt (Art. 87 b GG). Die übertragenen Aufgaben sind auch nichtgewerblicher Art. Die Regelungen im Herkules-Vertrag minimieren das unternehmerische Risiko, da BWI-S kein Absatzrisiko trage.
Die besondere Staatsgebundenheit folgert das OLG vor allem aus zahlreichen Informations-, Teilhabe- und Eingriffsrechten im Herkules-Vertrag, die das Gericht sehr detailliert beleuchtet. Hierunter ist unter anderem eine sogenannte Call-Option, die den Bund berechtigt, bei Vorliegen eines wichtigen Kündigungsgrundes die Geschäftsanteile der übrigen Gesellschafter an der BWI-I zu übernehmen. Aus den gesamten Regelungen ergebe sich zunächst, dass der Bund die Leitung der BWI-I beaufsichtigt. In Folge dessen könne der Bund über die BWI-I auch maßgeblichen Einfluss auf Entscheidungen der BWI-S auch in Bezug auf öffentliche Aufträge nehmen. Das reicht aus Sicht des OLG aus, um die erforderliche Kontrolldichte zu bejahen.
Ungehört bleibt das Argument von BWI, das Herkules-Projekt als Ganzes sei ja bereits ausgeschrieben worden. Hierzu gehöre auch die Beschaffung der vertragsgegenständlichen Hardware. Obwohl der Herkules-Vertrag eine Beschreibung der zu liefernden Hardware enthält und die Preise bereits festgelegt sind, steht dies einer erneuten Auschreibung nicht entgegen. BWI-S hat die Hardware erst auf Abruf der BWI-I in einer zum Zeitpunkt der Bestellung aktuellen technischen Ausprägung auf dem Markt zu beschaffen. Eine solche nachgelagerte Beschaffung ist dann auszuschreiben, wenn der Beschaffende (wie hier) öffentlicher Auftraggeber ist.
Rechtliche Bewertung
Das OLG prüft die Auftraggebereigenschaft von BWI-S sehr präzise anhand der Rechtsprechung vor allem auch des EuGH zum funktionalen Auftrageberbegriff. Soweit der Staat weitreichenden Einfluss behält, können auch komplexe gesellschaftrechtliche und vertragliche Konstruktionen und die Einschaltung von Tochtergesellschaften nicht zu einer Umgehung des Vergaberechts führen.
Ebensowenig führt eine vorangegangene Vergabe (hier des PPP-Projekts im Ganzen) dazu, dass Vergaberecht bei einzelnen Beschaffungen nicht beachtet werden muss. Bereits die Vergabekammer (VK Bund, Beschluss vom 29.11.2012, VK 1-85/12) hatte dargelegt, dass das Vergaberecht kein Verbot der Dopplevergabe kennt. Sie verweist hierzu auch auf die Baukonzession (§ 98 Nr. 6 GWB). Ob eine „nachgelagerte“ Vergabe dem Vergaberecht unterfalle, hänge allein davon ab, ob es sich um einen öffentlichen Auftrag und einen öffentlichen Auftraggeber handelt. BWI hatte eingewandt, dass eine Ausnahme vom Vergaberecht nach § 100 Abs. 6 und 7 GWB oder § 100 Abs. 8 Nr. 3 GWB vorliegt. Das kann bei der Beschaffung von Informationstechnik der Fall sein. Das OLG verneinte dies, da den Bietern im Vergabeverfahren keine derart sensiblen Informationen mitzuteilen wären, deren Preisgabe wesentlichen Sicherheitsinteressen des Bundes widersprechen würden.
Aufgrund des zum 13.12.2011 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Vergaberechts für die Bereiche Verteidigung und Sicherheit gelten die Ausnahmen in § 100 Abs. 6 Nr. 1 iVm § 100 Abs. 7 GWB und § 100 Abs. 8 Nr. 3 GWB (früher 100 Abs. 2 d) cc) GWB) zudem nicht für die Vergabe verteidigungs- und sicherheitsrelevanter Aufträge nach § 99 Abs. 7 GWB. Die Regelungen in § 99 Abs. 7 bis 9 GWB markieren den Anwendungsbereich der neuen Vergaberichtlinie 2009/81/EG. Die besonderen Bestimmungen der Richtlinie 2009/81/EG für sicherheitsrelevante Beschaffungen tragen gerade der Tatsache Rechnung, dass die hierunter fallenden Aufträge Verschlusssachen beinhalten (vgl. Artikel 1 Nummer 7 und 8 der Richtlinie). Nur um außerhalb des Anwendungsbereichs der neuen Richtlinie Regelungslücken zu vermeiden, hat der Gesetzgeber die Ausnahmebestimmungen in § 100 Abs. 6 ff. GWB beibehalten. Würde hier tatsächlich ein sicherheitsrelevanter Auftrag vorliegen, fiele dieser unter die Regelung in § 99 Abs. 7 GWB und wäre nach der Richtlinie 2009/81/EG bzw. seit dem 19.07.2012 nach der VSVgV im nichtoffenen oder Verhandlungsverfahren auszuschreiben.
Die Entscheidung ist von Bedeutung, weil das Herkules-Projekt noch bis 2016 läuft. BWI muss künftig Waren und Leistungen öffentlich ausschreiben. Potentiellen Bietern steht damit Rechtsschutz bei etwaigen Vergabeverstößen zu. Bislang ohne förmliches Vergabeverfahren von BWI-S geschlossene Verträge könten als defacto-Vergaben angreifbar sein mit der Folge, dass die Verträge nichtig sind. Das gilt jedenfalls für vor der Vergabrechtnovelle 2009 geschlossene Verträge ohne zeitliche Beschränkung. Im Rahmen künftiger PPP-Projekte ist zu beachten, dass umfangreiche vertragliche Regelungen und die Gründung privatrechtlicher Gesellschaften in mehrheitlich privater Hand die Anwendung des Vergaberechts nicht ausschließen, sofern der Staat weitreichende Kontrollmöglichkeiten behält.
Dr. Konstantin Pohlmann berät überwiegend im Vergaberecht und im privaten Bau- und Architektenrecht. Im Vergaberecht berät er Bieter und Auftraggeber in allen Stufen eines Vergabeverfahrens und vertritt sie in Nachprüfungsverfahren und Schadenersatzprozessen.
Sehr geehrter Herr Dr. Pohlmann,
eine exzellente Analyse!
Beste Grüsse
C.Frischmuth
Leiter Public Services Hays AG