Bei Konzessionärsauswahl zum Betrieb eines Energieversorgungsnetzes sind vorrangig Kriterien zu berücksichtigen, die das Ziel des § 1 Abs. 1 EnWG konkretisieren. Ansonsten droht Nichtigkeit des Vertrages.
Konzessionsvergaben nach § 46 EnWG sind nicht zuletzt aufgrund der unzureichenden gesetzlichen Regelung durch eine außerordentliche Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten geprägt. Gerade im Zuge der „Systementscheidung“ für oder gegen eine (Re-) Kommunalisierung stellen sich zahllose Einzelfragen, denen aufgrund der langen Laufzeit der Konzessionen von meist 20 Jahren eine enorme wirtschaftliche Bedeutung zukommt. Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte nun erstmals Gelegenheit, in zwei Revisionsverfahren (Urteile vom 17.12.2013 – KZR 65/12 und KZR 66/12) den Rechtsrahmen für derartige Konzessionsvergaben zu konkretisieren und dabei wertvolle Hinweise zu geben, welche Zuschlagskriterien von den Kommunen im Hinblick auf die Ziele des § 1 EnWG bei der Wertung herangezogen werden dürfen.
GWB § 20 Abs. 1 a.F. (§ 19 Abs. 2 Nr. 1 n.F.); EnWG § 1, § 46
Leitsätze (amtlich, KZR 66/12)
Leitsätze (amtlich, KZR 65/12)
Sachverhalt
I. KZR 66/12
Die Beklagte im Verfahren KZR 66/12 war Eigentümerin des Stromversorgungsnetzes in 36 Gemeinden. Die Klägerin war eine hundertprozentige Tochter einer GmbH, deren Anteile wiederum zu jeweils gleichen Teilen von drei Stadtwerken gehalten wurden, in deren Gebieten die Klägerin bereits die Stromverteilungsnetze betrieb. Mit Blick auf das Auslaufen der Konzessionsverträge schrieben die 36 Gemeinden die Neuvergabe aus. Für die Wertung waren zahlreiche Zuschlagskriterien benannt, die sich zum einen auf den Wegenutzungsvertrag (100 Punkte) und zum anderen auf das Geschäftsmodell Netzgesellschaft (70 Punkte) bezogen.
Die Klägerin, die Beklagte und mehrere andere Betreiber bewarben sich. Die Gemeinden entschieden sich einheitlich für die Klägerin, da diese sowohl hinsichtlich der Gestaltung des Wegenutzungsvertrages als auch hinsichtlich des Geschäftsmodells der Netzgesellschaft am vorteilhaftesten bewertet wurde. Die Gemeinden traten der Klägerin die Ansprüche aus den Endschaftsbestimmungen der bisherigen Konzessionsverträge ab. Die Parteien konnten sich anschließend nicht über den Umfang der zu übereignenden Anlagen und die zu erteilenden Auskünfte sowie den Kaufpreis einigen.
Die Klägerin hat mit der Klage Auskunft über den Bestand aller im Netzgebiet befindlichen Stromverteilungsanlagen sowie weiterer Werte und Daten, letztlich aber auch die Herausgabe des Eigentums und des Besitzes der Verteilungsanlagen verlangt. Die Beklagte hat dem erstmals im Prozess entgegengehalten, es fehle an wirksamen neuen Wegerechtsverträgen, weil die Konzessionsvergaben nach unzulässigen Kriterien erfolgt seien.
Das Landgericht (LG Kiel, Urt. v. 03.02.2012 – 14 O Kart 12/11) hat die Klage abgewiesen und auch die Berufung blieb ohne Erfolg (OLG Schleswig, Urt. v. 22.11.2012 – 16 U (Kart) 21/12). Mit der Revision hat die Klägerin ihre Anträge weiterverfolgt.
II. KZR 65/12
Im Verfahren KZR 65/12 entschied sich eine Stadt als Klägerin dagegen, keinem der Interessenten einen Konzessionsvertrag anzubieten, sondern den Netzbetrieb durch einen zu gründenden Eigenbetrieb selbst zu übernehmen. In den anschließenden Verhandlungen über die Netzübernahme konnte sich die Klägerin auch hier mit der Beklagten, der Altkonzessionärin, weder über den Umfang noch über den Kaufpreis der zu übereignenden Anlagen einigen. Auch hier hat die Klägerin die Übertragung des Eigentums am örtlichen Stromversorgungsnetz der allgemeinen Versorgung begehrt.
Wie in dem Verfahren KZR 66/12 hat das Landgericht (LG Kiel, Urt. v. 03.02.2012 – 14 O Kart 83/10) die Klage abgewiesen und die Berufung blieb ohne Erfolg (OLG Schleswig, Urt. v. 22.11.2012 – 16 U (Kart) 22/12). Auch in diesem Verfahren hat die Klägerin ihre Anträge mit der Revision weiterverfolgt.
Die Entscheidungen
I. KZR 66/12
Der BGH wies die Revision gegen das Urteil des OLG Schleswig zurück.
Die Neukonzessionärin habe bereits keinen Anspruch auf Übertragung des Netzes aus § 46 Abs. 2 EnWG oder aus Vertrag, da Verstöße der Gemeinden gegen § 46 EnWG und § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB n.F. (§ 20 Abs. 1 GWB a.F.) gem. § 134 BGB zur Nichtigkeit des vergebenen Konzessionsvertrages geführt hätten. Für den Anspruch aus § 46 Abs. 2 S. 2 EnWG sei alleine der neue Netzbetreiber als neues Energieversorgungsunternehmen aktivlegitimiert. Voraussetzung des Überlassungsanspruchs sei jedoch, dass die Übertragung des Netzbetriebs auf den neuen Konzessionär rechtswirksam sei. Dazu bedürfe es jedoch – abgesehen vom Fall der Übernahme des Netzbetriebs durch einen Eigenbetrieb – eines wirksamen neuen Konzessionsvertrags.
1. Diskriminierungsfreier Wettbewerb
Der BGH hielt zunächst fest, dass die Gemeinden gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 1 GWB n.F. (§ 20 Abs. 1 GWB a.F.) und § 46 Abs. 1 EnWG verpflichtet seien, den Konzessionär für den Betrieb eines Energieversorgungsnetzes in einem diskriminierungsfreien Wettbewerb auszuwählen. Diese Pflicht der Gemeinden stehe auch im Einklang mit dem Recht der kommunalen Selbstverwaltung gem. Art. 28 Abs. 2 GG. Soweit in der aus § 46 Abs. 1, Abs. 4 EnWG folgenden Verpflichtung der Gemeinden, auch Eigenbetriebe, Eigengesellschaften und kommunale Beteiligungsgesellschaften bei der Konzessionsvergabe nicht ohne sachlichen Grund zu bevorzugen, überhaupt ein Eingriff in das Recht auf kommunale Selbstverwaltung zu sehen sein sollte, wäre er jedenfalls verhältnismäßig und verfassungsrechtlich unbedenklich. Die Pflicht zur diskriminierungsfreien Entscheidung über den Netzbetreiber sei zur Förderung des Wettbewerbs um das für den Betrieb des allgemeinen Versorgungsnetzes notwendige Wegenutzungsrecht im Interesse der Allgemeinheit an einer Verbesserung der Versorgungsbedingungen geeignet und erforderlich.
2. Wahl der Zuschlagskriterien
Die Auswahl des Konzessionärs müsse in einem transparenten Verfahren erfolgen und sei vorrangig an Kriterien auszurichten, die das Ziel des § 1 EnWG konkretisierten (Gewährleistung einer sicheren, preisgünstigen, verbraucherfreundlichen, effizienten und umweltverträglichen leitungsgebundenen örtlichen Versorgung der Allgemeinheit mit Elektrizität und Gas). Dies bedeute indes nicht, dass den Gemeinden bei der Formulierung und Gewichtung der Auswahlkriterien kein Spielraum verbliebe, und stünde daher auch nicht im Widerspruch zu den Anforderungen, die sich aus der Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltung ergeben würden.
Nach Ansicht des BGH – abweichend von der Ansicht des Berufungsgerichts – sind jedoch die Zuschlagskriterien Konzessionsabgabe, Gemeinderabatt, Abschlagszahlungen und Folgekostenübernahme grundsätzlich zulässig, da sie einen hinreichenden Bezug zum Gegenstand des Konzessionsvertrages aufweisen. Ebenso wären die Kriterien Endschaftsbestimmung, Kaufpreisregelung, Vertragslaufzeit, Auskunftsansprüche und in den Grenzen des § 3 Konzessionsabgabenverordnung (KAV) das Kriterium Zusatzleistungen nicht zu beanstanden. Allerdings müsse die vorrangige Berücksichtigung der Ziele des § 1 EnWG sichergestellt werden. Für das Ziel der Versorgungssicherheit verweist der BGH auf den (nicht verbindlichen) Musterkriterienkatalog der Energiekartellbehörde Baden-Württemberg, nach dem die Netzsicherheit jedenfalls mit 25 % berücksichtigt werden müsse. Aber auch die Ziele der Preisgünstigkeit der Versorgung, der Effizienz, der Verbraucherfreundlichkeit und der Umweltverträglichkeit müssten als Zuschlagskriterien stets Eingang in die Wertung finden.
Nicht zulässig sind nach Ansicht des BGH solche Wertungskriterien, die auf die gesellschaftsrechtliche Beteiligung der Gemeinde am Netzbetreiber zur Sicherung von Einflussmöglichkeiten Bezug nehmen (vorliegend waren dies u.a. „Höhe des kommunalen Anteils an Netzen“, „Kommunaler Vermögenszuwachs“ und „Höhe des kommunalen Kapitaleinsatzes für den Netzbetrieb“). Der Senat folgte damit den Hinweisen des Bundeskartellamtes, dass die Forderung nach einer gesellschaftsrechtlichen Verbindung in besonderem Maße mit der Gefahr eines Missbrauchs der marktbeherrschenden Stellung der Gemeinde (und der Verletzung der gesetzlichen Vorgaben für die Bewertungskriterien) bei der Konzessionsvergabe verbunden sei.
3. Nichtigkeit des fehlerhaften Konzessionsvertrages
Genügt die Konzessionsvergabe den oben genannten Anforderungen nicht, liegt nach Ansicht des BGH eine unbillige Behinderung derjenigen Bewerber vor, deren Chancen auf die Konzession dadurch beeinträchtigt worden sind. Eine unbillige Behinderung durch ein fehlerhaftes Auswahlverfahren sei lediglich zu verneinen, wenn zweifelsfrei feststehe, dass sich die Fehlerhaftigkeit des Auswahlverfahrens nicht auf dessen Ergebnis ausgewirkt habe.
Beseitigt werden könne diese Behinderung oder Diskriminierung grundsätzlich nur durch die Nichtigkeit des Vertrages. Diese Rechtsfolge trete nur dann nicht ein, wenn diskriminierte Bewerber eine Gelegenheit erhielten, ihre Rechte zu wahren. Der Fortbestand eines fehlerhaften Konzessionsvertrages könne daher – in Anlehnung an den Rechtsgedanken des § 101a GWB – insbesondere bei einer Unterrichtung über die beabsichtigte Auswahlentscheidung in Betracht gezogen werden.
4. Keine Anwendung von § 107 Abs. 3 GWB
Nach Ansicht des BGH ergibt sich zudem ein Einwendungsausschluss nicht aus der entsprechenden Anwendung der vergaberechtlichen Präklusionsvorschriften (§ 107 Abs. 3 GWB). Diese seien Bestandteil eines gesetzlich geregelten Vergabeverfahrens und könnten nicht isoliert auf das nicht näher geregelte Verfahren der Konzessionsvergabe nach § 46 EnWG übertragen werden.
Auch im zweiten Verfahren (KZR 65/12) hatte die Revision gegen das Urteil des OLG Schleswig keinen Erfolg.
Der BGH verweist dabei auch auf die Urteilsgründe im Verfahren KZR 66/12. Daneben führt der BGH jedoch weitergehend aus: Gemeinden müssten das Diskriminierungsverbot des § 46 Abs. 1 EnWG auch beachten, wenn sie – im Sinne einer „Systementscheidung“ – die Nutzung ihrer öffentlichen Verkehrswege zum Netzbetrieb einem Eigenbetrieb übertragen wollen. Sie könnten sich in diesem Zusammenhang weder auf das Konzernprivileg noch auf die Grundsätze eines In-house-Geschäfts berufen. Die Gemeinden seien aber keineswegs gehindert, sich mit einem eigenen Unternehmen oder einem Eigenbetrieb am – diskriminierungsfreien – Wettbewerb zu beteiligen, um auf dieser Grundlage gegebenenfalls den Netzbetrieb selbst zu übernehmen.
Rechtliche Würdigung
Die Entscheidungen verdeutlichen, mit welcher Sorgfalt Gemeindevertreter die Wertungskriterien aufstellen und insgesamt die Konzessionsvergaben durchführen müssen. Der BGH nimmt zu vielen offenen Fragen Stellung, die seit einigen Jahren in der Rechtsprechung und der Literatur ausgesprochen umstritten sind. Die nunmehr gewonnene Rechtssicherheit ist ausdrücklich zu begrüßen. Soweit die Kommunen künftig an der mit dem Netzbetrieb verbundenen Wertschöpfung partizipieren wollen, finden sie mit dem vom BGH skizzierten Rechtsrahmen auf der einen Seite eine Orientierungshilfe, auf der anderen Seite aber auch sehr deutliche Grenzen. Insbesondere die Aussagen des BGH zur Zulässigkeit einzelner Zuschlagskriterien sind für die Praxis sehr bedeutsam.
Erfreulich ist aus der Sicht der Kommunen, dass der BGH die Berücksichtigung fiskalischer Zuschlagskriterien nicht grundsätzlich für unzulässig hält, so wie etwa noch die Vorinstanzen geurteilt hatten. Es gilt künftig zu beachten, dass die Ziele des § 1 EnWG in der Wertung stets vorrangig zu berücksichtigen sind, was in der Gewichtung Ausdruck finden muss.
Der BGH verdeutlicht in den beiden Entscheidungen zudem, dass sich Gemeinden der Rechtsfolge der Nichtigkeit gem. § 134 BGB in einem letzten Schritt nur entziehen können, wenn sie alle Bieter in Textform über ihre beabsichtigte Auswahlentscheidung unterrichten und den Vertrag erst 15 Kalendertage nach Absendung der Information abschließen. Dieser, dem § 101a GWB entspringende, Rechtsgedanke könnte in künftigen Entscheidungen – aufgrund der hohen Auftragswerte – noch mehr in den Focus geraten (siehe EuG, Urteil vom 20.09.2011 – T-461/08).
Ein besonderes Augenmerk verdienen zudem die Feststellungen zur Rügepräklusion gem. § 107 Abs. 3 GWB. Hier zeichnete sich in der Vergangenheit die Tendenz in der Rechtsprechung ab, dass eine Präklusion in den hier vorliegenden Konzessionsverfahren angenommen wurde (siehe auch die Besprechungen von RA Jens Biemann zu OLG Düsseldorf, Beschl. v. 09.01.2013 – VII-Verg 26/12 und von RAin Dr. Rut Herten-Koch zu Beschl. v. 04.02.2013 – VII-Verg 31/12). Der BGH lehnt dies jedoch ab und eröffnet unterlegenen Bietern bzw. Altkonzessionären somit weitreichende Rechtsschutzmöglichkeiten.
Wahrscheinlich ließe sich keine Konzessionsvergabe gem. § 46 EnWG und keine Übergabe der Verteilnetze finden, die ohne eine juristische Auseinandersetzung ablief. Der Grund liegt in den bedeutsamen wirtschaftlichen Interessen, die hier zur Disposition gestellt werden. Trotz der deutlichen Worte des BGH ist nach wie vor der Gesetzgeber gefragt, hier für mehr Rechtssicherheit zu sorgen. Dies betrifft auch die ebenfalls in den vorliegenden Verfahren streitauslösende Frage, in welchem Umfang die Anlagen übergeben werden müssen. Es ist bereits jetzt absehbar, dass im Fahrwasser dieser Fragestellung bei Netzübernahmeverhandlungen künftig noch etliche Konzessionsverträge auf den Prüfstand gestellt werden, um so aufgrund von Verfahrensfehlern die Nichtigkeit feststellen zu lassen. Jedenfalls kann Gemeinden bei künftigen Konzessionsvergaben zugunsten ihres Interesses an Rechtssicherheit geraten werden, dem Gedanken des § 101a GWB Beachtung zu schenken und Bietern die Gelegenheit zu geben, ihre Rechte zu wahren.
Patrick Thomas ist Rechtsanwalt in der Sozietät HFK Rechtsanwälte LLP in Frankfurt a.M. und Teil des Fachteams für Vergaberecht. Ein Schwerpunkt seiner Tätigkeit liegt auf der vergaberechtlichen Beratung von Auftraggebern und Bietern aus der Versorgungswirtschaft, aber auch aus den Bereichen Verteidigung und Sicherheit. Einer seiner Interessensschwerpunkte liegt zudem auf den Schnittmengen, die sich zwischen dem Vergabe- und dem Energierecht ergeben. Seine Beiträge geben ausschließlich die persönliche Auffassung des Autors wieder.
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