Rettungsdienstleistungen sind keine Ausübung öffentlicher Gewalt und somit ausschreibungspflichtig. Mit dieser Entscheidung des BGH (Beschluss v. 1.12.2008, AZ X ZB 32/08) hat der BGH eine der umstrittensten vergaberechtlichen Fragen des letzen Jahres endlich beantwortet. Ausgangspunkt war eine Vorlage des OLG Dresden: Private Rettungsdienstanbieter hatten sich gegen die Nichtanwendung des Vergaberechts bei der Vergabe von Rettungsdienstleistungen durch im Freistaat Sachsen ansässige Rettungszweckverbände gewandt.
Die Vergabekammer Sachsen hatte im März 2008 die Ausschreibungspflicht dem Grunde nach bejaht (Az. Wverg 03/08 und 04/08). Nach ihrer Ansicht handelte es ich bei der Übertragung von Leistungen der Notfallrettung und des Krankentransportes um einen vergaberechtspflichtigen Dienstleistungsauftrag gem. § 99 Abs. 2 GWB. Folglich genüge es nicht, diese Leistungen wie geschehen nur durch ein Auswahlverfahren gem. § 31 Sächsisches Gesetz über den Brandschutz, Rettungsdienst und Katastrophenschutz (SächsBRKG) zu vergeben.
Gegen diese Entscheidung legten die Rettungszweckverbände Nordsachsen und Westsachsen sofortige Beschwerde beim Vergabesenat des OLG Dresden ein. Dieser folgte jedoch der Vergabekammer: Die Vergabe von Rettungsdienstleistungen sei im Rahmen eines förmlichen, gemeinschaftsrechtskonformen Vergabeverfahrens durchzuführen. Insbesondere liege auch keine Ausnahme nach Art. 45 Abs. 1 EGV vor. Allerdings hatte das OLG Düsseldorf eben diese Frage erst im Jahr 2006 anders entschieden und die Ausschreibungspflicht verneint. Aufgrund der zum OLG Düsseldorf divergierenden Rechtsansicht legte das OLG Dresden die Frage zur endgültigen Klärung dem BGH vor.
Der BGH hat sich nun der Rechtsauffassung des OLG Dresden angeschlossen und die sofortige Beschwerde der Zweckverbände als unbegründet erachtet. Bei den zu vergebenden Rettungsdienstleistungen handele es sich um einen öffentlichen Auftrag i.S.d. GWB. Die Zweckverbände seien als öffentlicher Auftrageber zu qualifizieren, bei den zu vergebenden Rettungsdienstleistungen handele es sich zweifellos um entgeltliche Dienstleistungsverträge. Eine Ausnahme nach § 100 Abs. 2 liege offenkundig nicht vor. Dabei sei es auch unbeachtlich, dass es sich bei der Übertragung von Rettungsdienstleistungen „möglicherweise um Anvertrauen eines öffentlichen Amts“ handele.
Ungeachtet dessen hat die EU-Kommission die Bundesregierung wegen der Vergabe von Rettungsdienstleistungen ohne EU-weite Ausschreibung vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagt. Nach Ansicht der Kommission, angetrieben durch ausländische Anbieter von Rettungsdienstleistungen, könne auch bei der Beteiligung ausländischer Dienstleister ein flächendeckender und effektiver Rettungsdienst in Deutschland gewährleistet werden.
Den Beschluss des BGH finden Sie beim Deutschen Städte- und Gemeindebund hier.
Der Jurist Marco Junk gründete im Jahr 2007 den Vergabeblog und 2010 gemeinsam mit Dipl.-Betriebsw. Martin Mündlein das Deutsche Vergabenetzwerk (DVNW). Er begann seine berufliche Laufbahn im Jahr 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer und war danach als Bereichsleiter Vergaberecht beim Digitalverband bitkom tätig. Im Jahr 2011 leitete er die Online-Redaktion des Verlags C.H. Beck. Von 2012 bis 10/2014 war er Mitglied der Geschäftsleitung des bitkom und danach bis 10/2021 Geschäftsführer des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V. Seit 2022 ist Marco Junk zudem als Leiter Regierungsbeziehungen für Eviden tätig. Seine Beiträge geben ausschließlich seine persönliche Meinung wieder.
Der Einleitungssatz ist nicht richtig.
Ob Rettungsdienstleistungen (und qualifizierter Krankentransport) ganz oder teilweise eine Tätigkeit darstellen, die mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden ist (Art. 45 EG), konnte gerade offen bleiben, weil nach Ansicht des BGH das nationale Recht, insbesondere § 100 Abs. 2 GWB, eine gleichartige Beschränkung, wie in Art. 45, 55 EG, nicht enthält. Dies bedeutet, dass der BGH davon ausgeht, dass der nationale Gesetzgeber einen größeren Anwendungsbereich für das Nachprüfungsverfahren und das materielle Vergaberecht geschaffen hat, als er es nach EU-Recht hätte schaffen müssen. Diese Begründung macht die Entscheidung bedeutsam über den Fall der Rettungsdienstleistungen hinaus.