Eine Eigenerklärung des Bieters zum Nachweis einer geforderten Betriebsstätte oder der Einhaltung einer maximalen Reaktionszeit genügt nicht, wenn gegen die inhaltliche Richtigkeit und Plausibilität der Eigenerklärung erhebliche Zweifel bestehen.
§ 7 EG Abs. 1 Satz 2 VOL/A; § 18 EG VOL/A
Leitsatz (sofern vorhanden)
Sachverhalt
Die Vergabestelle (Antragsgegnerin) hat für ihr Stadtgebiet die Vergabe eines Rahmenvertrags über das Abschleppen und Verwahren von Fahrzeugen bekannt gemacht. In der Bekanntmachung (und gleichlautend als „Grundvoraussetzung“ in den Besonderen Vertragsbedingungen) heißt es: „Es werden nur Bieter zugelassen, die ihre Betriebsstätte im Stadtgebiet haben oder gewährleisten können, dass ihr Abschleppfahrzeug in einem Zeitraum von maximal 30 Minuten von ihrer Betriebsstätte am Einsatzort sein kann.“ Weiter wird in den Vertragsbedingungen ein Verwahrgelände innerhalb des Stadtgebiets, das mit dem öffentlichen Personennahverkehr erreichbar ist, als Voraussetzung genannt. Der Bieter, der als preislich bester Bieter den Zuschlag erhalten sollte, verfügte bei Angebotsabgabe noch nicht über ein solches Verwahrgelände und wollte dies bis zum Vertragsbeginn erst noch anmieten. Im Rahmen von mehreren „Aufklärungsgesprächen“ informierte der Bestbieter die Vergabestelle über den Stand seiner Bemühungen. Am Ende der Gespräche legte der Bieter eine Vermietungsbekundung des TÜV über ein Gelände vor und erklärte gegenüber der Vergabestelle, dass er die Garantie gebe, „alle Aufträge, die uns das Ordnungsamt ab dem 01.01.2015 übermittelt, ordnungsgemäß nach den Vorgaben des Vertrags abzuarbeiten….“. Die Vergabestelle teilte dem Bieter danach mit, dass die erforderlichen Unterlagen damit vorlägen und informierte die anderen Bieter gemäß § 101a GWB über deren beabsichtigte Nichtberücksichtigung. Hiergegen wandte sich ein nicht berücksichtigter Bieter und rügte unter anderem, dass die Ausschreibung fehlerhaft sei, weil von den Bietern kein Nachweis über das Verwahrgelände gefordert worden sei und die Vergabestelle daher nicht habe prüfen können, ob die Anforderungen an das Verwahrgelände erfüllt sind. Ferner sei zu bezweifeln, dass der für den Zuschlag vorgesehene Bieter, der seinen Sitz in einer anderen Stadt habe, die erforderliche Reaktionszeit einhalten könne.
Die Entscheidung
Nachdem die Vergabekammer Hessen den Nachprüfungsantrag im Ergebnis als zum Teil unzulässig und im übrigen unbegründet zurückgewiesen hatte (Beschluss v. 24.03.2015, 69 d – VK-33/2014) und die erstinstanzlich unterlegene Antragstellerin hiergegen sofortige Beschwerde einlegte, entschied das OLG Frankfurt zugunsten der Antragstellerin und hob die Entscheidung der VK Hessen auf.
Das OLG Frankfurt hielt den Nachprüfungsantrag zum einen insoweit für zulässig und begründet, als die Antragsgegnerin mit dem beigeladenen Bestbieter unzulässige Nachverhandlungen geführt habe. Gemäß § 18 EG Satz 2 VOL/A sind über die Aufklärung eines Angebots hinausgehende Verhandlungen unzulässig. Das Angebot des Bieters soll so, wie es vorgelegt wurde, geprüft und gewertet werden. Auch wenn der Bieter nur Versäumnisse nachholen oder Lücken im Angebot füllen möchte, greift das Verhandlungsverbot ein. Danach besteht – so das OLG – kein Zweifel, dass die Verhandlungen zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen über die Anmietung eines geeigneten, erst noch zu beschaffenden Geländes nach Angebotsabgabe eine vergaberechtlich unzulässige Nachverhandlung darstellt. Dies gelte selbst dann, wenn man der Auffassung folgte, bei der Verfügungsmöglichkeit über und den Anforderungen an ein Verwahrgrundstück habe es sich um Vertragsbedingungen gehandelt, für deren Erfüllung der Auftragnehmer vertraglich einstehen müsse und deren Nichterfüllung ausschließlich zivilrechtlich als Leistungsstörung abzuwickeln wäre.
Ferner hielt das OLG Frankfurt die Rüge, dass die Beigeladene weder eine Betriebsstätte im Stadtgebiet der Antragsgegnerin habe noch davon ausgegangen werden kann, dass sie die alternative Vorgabe zur maximalen Reaktionszeit erfüllen könne, für zulässig und begründet. Nach Auffassung des OLG Frankfurt handelt es sich dabei um eine Frage der (technischen) Leistungsfähigkeit des Bieters und zudem eine nach der Bekanntmachung zwingende Voraussetzung für die Zulassung eines Angebots. Die Antragsgegnerin habe prüfen müssen, ob der Bieter diese Voraussetzung erfüllt. Eine Eigenerklärung, die Reaktionszeit zu „garantieren“, reiche jedenfalls dann nicht aus, wenn hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorhanden sind, die Leistungsfähigkeit eines Bieters anzuzweifeln. Die Erklärung der Beigeladenen, alle Aufträge nach den Vorgaben des Vertrags abzuarbeiten, bewertete das OLG Frankfurt als „inhaltsleere Selbstverständlichkeit, weil die Beigeladene nach Vertragsschluss ohnehin verpflichtet wäre, die vertraglichen Vorgaben einzuhalten“.
Rechtliche Würdigung
Die Ausführungen des OLG Frankfurt zum Nachverhandlungsverbot verdienen im Ergebnis Zustimmung und liegen auf der Linie der bisherigen Rechtsprechung der Vergabesenate und der herrschenden Meinung in der Literatur (vgl. Christiani in: Pünder/Schellenberg, Vergaberecht, 2. Aufl. 2015, § 18 EG VOL/A Rn. 21). Kein unzuverlässiges Nachverhandeln im Sinne von § 18 EG Satz 2 VOL/A hätte im entschiedenen Fall dagegen vorgelegen, wenn die Vergabestelle in den Vergabeunterlagen von vornherein klargestellt hätte, dass das erforderliche Verwahrgrundstück nicht bereits im Zeitpunkt der Angebotsabgabe nachgewiesen werden muss, sondern erst vor Vertragsschluss auf Verlangen der Vergabestelle. Damit hätte die Vergabestelle in vergaberechtskonformer Weise möglichen Standortnachteilen ortsfremder Bieter etwas Rechnung tragen und solchen Bietern im Interesse des Wettbewerbs mehr Zeit zur Schaffung aller Voraussetzungen für eine ordnungsgemäße Vertragserfüllung einräumen können. Bei der Ausschreibung von Verkehrsleistungen beispielsweise wird von den Bietern in der Regel auch nicht verlangt, dass der Bieter bereits bei der Angebotsabgabe über sämtliche Fahrzeuge verfügt, die er zur Vertragserfüllung benötigt.
Sehr „streng“ ist das OLG Frankfurt in der Beurteilung der Eigenerklärung der Beigeladenen, die Einhaltung aller Vorgaben zu garantieren. Rechtsdogmatisch ist bereits fraglich, ob es sich beim Nachweis der Betriebsstätte oder alternativ der Gewährleistung der Einhaltung der Reaktionszeit überhaupt – wie vom OLG angenommen – um eine Frage der (technischen) Leistungsfähigkeit und damit der Eignung der Bieter handelt oder nicht vielmehr um eine Auftragsbedingung. Überdies sieht § 7 EG Abs. 1 Satz 2 VOL/A Eigenerklärungen gerade als Regelfall des Eignungsnachweises vor. Das OLG Frankfurt spricht der Vergabestelle eine hinreichende Prüfung dieses Punktes ab. Auf welche andere objektive Erkenntnisquellen als die Eigenerklärung der Beigeladenen die Vergabestelle hätte abstellen können, lässt das Gericht indes offen bzw. beschränkt sich auf die Feststellung, dass die Vergabestelle eine unangemessen großzügige Handhabung bei der Beurteilung der Leistungsfähigkeit an den Tag gelegt habe. Es ist Eigenerklärungen jedoch immanent, dass die Vergabestelle in der Vergabepraxis darauf angewiesen ist, auf die „Richtigkeit“ der Eigenerklärung grundsätzlich vertrauen zu können. Dem OLG Frankfurt ist zugute zu halten, dass vorliegend aufgrund der konkreten Umstände (v.a. ortsfremder Bieter) ggf. Zweifel an der Richtigkeit der Erklärung bestanden, die eine vertiefte Prüfung nahelegen konnten.
Praxistipp
Öffentliche Auftraggeber sollten sich bei der Vorbereitung von Vergabeverfahren speziell mit Blick auf die konkret zu vergebende Leistung nicht nur Gedanken dazu machen, welche Eignungsnachweise und Auftragsbedingungen ihnen wichtig sind und daher in den Vergabeunterlagen – fachlich richtig entweder bei Eignungsnachweisen oder Auftragsbedingungen verortet – genannt werden. Gerade bei Leistungen, deren Erbringung vom künftigen Auftragnehmer vor Beginn der Ausführungsfristen ggf. noch Vorbereitungsmaßnahmen hinsichtlich des Personals und der Sachmittel erfordert, kann es im Interesse an einem möglichst breiten Wettbewerb sinnvoll sein, einzelne Nachweise nicht bereits mit der Abgabe des Angebots zu verlangen, sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt im Verfahren, jedoch noch vor Zuschlagserteilung. Dies müsste dann auch transparent in den Vergabeunterlagen verlautbart werden.
Die Autorin Dr. Beatrice Fabry ist Rechtsanwältin der Sozietät Menold Bezler Rechtsanwälte, Stuttgart. Sie berät seit vielen Jahren die öffentliche Hand und deren Unternehmen umfassend in allen Organisationsfragen sowie bei der Konzeption / Durchführung von Vergabeverfahren und Investorenwettbewerben.
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